Göttinger Predigten im Internet
hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch
(Tipps zum Speichern und Drucken: Hier klicken)

2. Advent, 10. Dezember 2000
Predigt über Jesaja 35, verfaßt von Jürgen Ebach und Ulrike Bail

Predigttext für den heutigen 2. Advent ist das 35. Kapitel aus dem alttestamentlichen Jesajabuch. Der Prophet Jesaja lebte im 8. vorchristlichen Jahrhundert. Das Jesajabuch aber enthält nicht nur Worte dieses historischen Jesaja. Seine Prophetie wurde aufgezeichnet, aber auch und vor allem weiter geschrieben, indem sie mit Drohworten und Verheißungen und mit Erzählungen verbunden wurde, die sich Erfahrungen und Hoffnungen folgender Zeiten verdanken. So sind im Jesajabuch Worte mehrerer Jahrhunderte in einer Schrift aufgehoben: Kritische Worte aus der Königszeit, Trostworte aus der Zeit des Babylonischen Exils, Verheißungen aus der Zeit nach der Rückkehr aus dem Exil, als sich manche Hoffnungen erfüllt hatten und andere nicht. Das Kapitel 35, unser heutiger Predigttext, verknüpft die verschiedenen Teile des einen Jesajabuches. Es blickt auf eine Situation von Not und Exil, von Unterdrückung und Gefangenschaft, und es blickt über diese Lage weit hinaus auf einen neuen Exodus aus einem Sklavenhaus, einen Auszug aus dem Babylonischen Exil. In den Blick kommt eine neue Befreiung und die Heimkehr der Exilanten ins Israelland, nach Jerusalem, zum Zionsberg. Der Advent in diesem Text ist der Traum, am Zion anzukommen. Die große Hoffnung auf den Weg zurück in die Heimat bleibt zunächst ein Traum. Die Gefangenen träumen sich weg, sie träumen einen Weg, einen wunderbaren Weg durch eine blühende Wüste. Im Wegtraum und auf dem Traumweg aber wird schon wahr, was einmal kein Traum bleiben soll und kein Traum bleiben wird.

Wir hören die Worte des Jesajabuches in einer Übersetzung, die sich um eine gerechte Sprache bemüht, eine Sprache, die dem hebräischen Text selbst gerecht zu werden versucht, eine Sprache, die Frauen in den Texten selbst und als damalige und als gegenwärtige Adressatinnen der Texte nicht unsichtbar macht, und eine Sprache, die Jüdinnen und Juden Respekt erweist, die die hebräische Bibel als ihre "Schrift" hören und lesen. Sie finden diese Verdeutschung des Predigttetxes auf der Rückseite des Blattes, das Sie am Eingang bekommen haben.

Hören wir nun den Predigttext, Jesaja 35:

1 Es jauchzen Wüste und Wildnis, es jubelt die Steppe, blüht auf wie eine Lilie.
2 In voller Blüte steht sie und jubelt nur Jubel und Freude.
Die Pracht des Libanonwaldes wird ihr gegeben,
der Schmuck des Karmelberges und der Scharonebene.
Sie werden schauen die Würde Adonajs, den Glanz unseres Gottes.
3 Macht erschlaffte Hände wieder stark, und wankende Knie macht wieder fest!
4 Sagt denen, deren Herz bestürzt ist:
Seid stark, habt keine Angst! Schaut doch, euer Gott!
Rache kommt als Gottes Tat. Gott selbst wird kommen und euch befreien.
5 Dann öffnen sich die Augen der Blinden, und die Ohren der Tauben tun sich auf.
6 Dann werden die Lahmen wie Hirsche springen, die Zunge der Stummen wird jubeln,
denn in der Wüste sind Wasser hervorgebrochen und Bäche in der Steppe.
7 Der glühende Sand wird zum Teich und dürstendes Land zu Wasserquellen.
An der Stätte, wo Schakale lagern, wird ein Ort für Rohr und Schilf sein.
8 Dort wird es eine Bahn, einen Weg geben,
"Weg der Heiligung" wird er genannt werden;
keine Unreinen werden ihn betreten.
Er gehört denen, die auf ihm gehen.
Auch die Unkundigen werden sich nicht verlaufen.
9 Kein Löwe wird dort sein, kein reißendes Tier wird ihn betreten;
es wird dort nicht zu finden sein.
Die Erlösten werden ihn gehen.
10 Die von Adonaj Freigekauften kehren zurück, sie kommen zum Zion unter Jubel,
Freude für immer auf ihren Gesichtern. Jauchzen und Freude werden sie einholen,
und entfliehen werden Kummer und Seufzen.

Wüste und Wildnis jubeln, die Steppe steht in voller Blüte, Wasserbäche und Teiche erfüllen die Wüste anstelle des glühenden Sandes. Einen geraden Weg gibt es durch die Wüste, auf dem die Befreiten gehen können, ohne daß sie von wilden Tieren bedroht, vom Verirren in der Einöde gefährdet sind. Wenn man die Worte unseres Textes hört, so klingen sie zunächst weniger wie der Traum der Befreiung aus Unterdrückung und Exil, sondern eher wie der Traum der Verwandlung der Wüste in fruchtbares Land. Eher ein ökologischer Traum als ein politischer? Warum gilt die Aufmerksamkeit in diesen Prophetenworten so sehr der Natur, dem Weg durch die Wüste? Warum dieses Augenmerk auf den Weg? Ist nicht das Ziel viel wichtiger, und müßte nicht zu allererst von der Knechtschaft und dem Exil die Rede sein, von dem sich die so Träumenden weg träumen?

Der Traum in Jes 35 führt durch eine blühende Wüste - eine Wüste, die die jetzt Träumdenden auf dem erzwungenen Weg in die Fremde durchquert haben. Doch da war es keine blühende, keine wasserreiche Landschaft. Der Weg der Deportation war lang und mühsam, zu Fuß, durch Staub und Sand, unter ständiger Bewachung. Jeder Schritt hat sie von dem Ort, der einmal Sinn geborgen hat, entfernt. Jeder Schritt verstärkte die Zerstörung: Es gibt diesen Ort nicht mehr, mit den Mauern sind nicht nur die Gebäude zerstört, sondern auch das, was religiöse, politische und persönliche Identität vermittelt hat.

Die Bilder der grünen Wüste sind die Umkehr dessen, was diese Menschen erlebt haben: eine Landschaft ohne Wasser, ohne Weg, glühender Sand, der die Füße verbrennt, wilde Tiere, eine endlose Landschaft, die die Menschen, die sie betreten, aufs äußerste gefährdet.

Diese Wüstenlandschaft spiegelt nicht nur die realen Wegerfahrungen der Deportation wider, sie sind auch so was wie eine emotionale Geographie. Die Landschaft der Wüste bringt die Zerstörung der Mauern und der Seele ins Wort. Und inmitten dieser Zerstörung träumen sich die Deportierten auf den Weg nachhause.

In der Imagination dieses Weges gehen die Träumenden ihren eigenen Weg, durchqueren sie eine freundliche Wüste, Schritt für Schritt, Wort für Wort, von Quelle zu Quelle, von Bild zu Bild.

Mancher mag das Sichwegträumen als Verdrängung, als Vertröstung verstehen. Aber es ist mehr. Träume transportieren Hoffnung und stiften eine imaginative Kraft, die am Leben bleiben läßt. "Wer hofft, sieht hin!" So hat es Elie Wiesel einmal formuliert, und er fügt hinzu: "Das Gegenteil von Hoffnung ist nicht Verzweiflung, sondern Gleichgültigkeit." Sprachbilder und Metaphern können gegen Gleichgültigkeit und Resignation ansprechen. Sie eröffnen einen Raum, in dem freies Gehen möglich ist. Manchmal gehen Worte und Träume der Hoffnung voraus, manchmal führen Worte nachhause.

In der Lektüre eines Buchs mit dem Titel ‚Die Kunst des Handelns‘ - und auch Träume können Handlungen sein - stieß ich auf Sätze, die von dieser Verbindung von Wegtraum und Hoffnung, Imagination und Sprachbildern erzählen. Der Philosoph Michel de Certeau bringt es so ins Wort:

„Im heutigen Athen heißen die kommunalen Verkehrsmittel metaphoroi. um zur Arbeit zu fahren oder nach Hause zurückzukehren, nimmt man eine „Metapher“ - einen Bus oder einen Zug. Auch die Geschichten könnten diesen schönen Namen tragen: jeden Tag durchqueren und organisieren sie die Orte; sie wählen bestimmte Orte aus und verbinden sie miteinander; sie machen aus ihnen Sätze und Wegstrecken. Sie sind Durchquerungen des Raumes.“

Der Traumweg, der in unserem Predigttext entworfen wird, verbindet die zerstörte Vergangenheit mit einer befreiten Zukunft, und läßt so Aufbrüche wagen. Die Zukunft wird erträumt, damit die Trümmer der Vergangenheit die Hoffnung nicht endgültig zum Schweigen bringen.

Ein Gegentraum also, ein Traum gegen die erfahrene Realität. Nicht nur, wovon Menschen träumen, läßt sich fragen, sondern auch, wogegen sie träumen. Der Wegtraum, der Traumweg der Exilierten in Jesaja 35 ist allemale ein politischer Traum. Aber dennoch und deshalb finden Schmerz und Sehnsucht ihren Ausdruck in Bildern der Schönheit und des Luxus.

In der Hoffnung, die in den Wegträumen und Traumwegen in Jes 35 findet, meldet sich das reale Leid derer, die dem Elend (das ist das alte deutsche Wort für das Exil) einstweilen nur im Traum zu entrinnen vermögen; in der Sehnsucht wird der Schmerz erkennbar. Schmerz und Sehnsucht sind die Eltern der Utopie. Die Sehnsucht nach dem ganz anderen läßt den Schmerz nicht geringer werden, sondern womöglich noch größer. Warum ist es denn nicht so, wie es sein soll, sein kann? Warum das Elend, warum die Gewalt? Die Gewißheit, daß das, was ist, nicht alles ist, nimmt dem, was ist, nichts von seiner Realität. Aber die Gewißheit, daß das, was ist, nicht alles ist, nimmt dem, was ist, den Charakter des unausweichlichen Schicksals. Es kann anders werden, alles kann anders werden. Im Lichte dieser Verheißung verliert die Gegenwart des Elends nichts von ihrem Schrecken, nichts von ihrer Realität. Aber dem, was ist, kann im Lichte solcher Verheißung, solcher Traumwege und Wegträume bestritten werden, daß es "nun einmal so" ist. Solche Hoffnung ist weder falsche Vertröstung, noch ist sie der Ausweis eines pausbäckigen Optimismus. Denn zunächst bleibt es bei der Aufgabe, zu sehen, was ist. Noch einmal Elie Wiesel: "Wer hofft, sieht hin! Das Gegenteil von Hoffnung ist nicht Verzweiflung, es ist Gleichgültigkeit." – Dazu gehört ein anderer Satz: "Nur um der Hoffnungslosen willen ist uns die Hoffnung gegeben" Solche Hoffnung bleibt nicht bei sich, wird nicht zum bloßen Gemütszustand. Solche Hoffnung ist keine leistungssteigernde Form des "positiven Denkens" und keine Durchhalteparole. Eine Hoffnung, die unaufmerksam werden läßt für die reale Lage der Hoffnungslosen, ist weder eine biblische noch eine christliche Tugend, sondern ein bürgerlicher Luxus. Welche Aufmerksamkeit fordert unser Predigttext von uns?

Zunächst die Aufmerksamkeit für die, die hier zuerst und bleibend zuerst angeredet sind. Von Exil und Hoffnung Israels ist hier die Rede, vom Weg zurück ins Israelland, zum Zion. In Auslegungen unseres Textes aus dem Jesajabuch finde ich das Bedauern darüber, daß diese Verheißung bei Israel bleibt, beim Zion bleibt, daß nicht sogleich die Erlösung der ganzen Welt zum Thema wird.

Doch gleichzeitig finde ich in anderen Auslegungen des Textes ein Hinweggehen über Israel, ein Hinwegsehen über diejenigen, an die sich die Worte richten - zuerst und bleibend.

Es ist eine problematische Selbstverständlichkeit in christlicher Lektüre des Alten Testaments, sich mit Israel zu identifizieren. Die Gojim, die Völker, die Martin Luther mit ‚Heiden‘ übersetzte, sind dann alle anderen, nur nicht die Christen und Christinnen. Diese Selbstverständlichkeit ist zu verlernen, um anderes, Neues zu lernen. In der Perspektive der hebräischen Bibel sind die Völker alle nicht jüdischen Völker. Und auf diese Weise kommen wir als Christen und Christinnen vor, aber vielleicht nicht so, wie wir uns das oft vorstellen.

In Ps 126, dem Psalm, den wir gemeinsam gelesen haben, werden die Völker zitiert: „Großes hat Adonaj an ihnen getan.“ Dieser Satz schließt jedes verächtliche Reden über Juden und Jüdinnen aus, jedes Über-sie-Hinwegsehen und Ignorieren. Dieser Satz stimmt ein in das Lob Israels: „Großes getan hat Adonaj an uns, wir sind’s, die sich freuen.“ Im Hören auf das, was die hebräische Bibel in einzigartiger Weise Israel sagt, können wir Anteil nehmen und Anteil bekommen an den Verheißung der hebräischen Bibel. Israel aber bleibt der Adressat der Worte. Ein behutsamer und nachdenklicher Weg ist zu gehen, um einerseits die Beziehung der Christen und Christinnen zur gesamten Bibel nicht aufzugeben und gleichzeitig den Ort wahrzunehmen, den die hebräische Bibel, das Alte Testament uns, Menschen aus den Völker zuweist und ermöglicht.

Die Erzählung vom Aufbruch Abrahams mag da eine Verstehenshilfe sein. Dort sagt Gott zu Abraham: Ich werde dich zu einem großen Volk machen und dich segnen und deinen Namen groß machen. Werde du ein Segen! Ich will segnen, die dich segnen; die dich erniedrigen, verfluche ich. In dir sollen sich segnen lassen alle Völker der Erde. Die Völker können Anteil am Segen Abrahams bekommen, wenn sie das Gesegnetsein Abrahams/Israels anerkennen. Gott bindet sein Verhalten gegenüber den Völkern daran, wie die Völker sich gegenüber Abrahams Erben verhalten.

Wir haben zu Beginn des Gottesdienstes Ps 126 gemeinsam gesprochen, wir haben im Chor der Völker eingestimmt in den Jubel über die Rettung Israels aus großer Not, die Herausführung Israels aus dem Sklavenhaus Ägyptens, die Heimkehr der nach Babylon Exilierten nach Jerusalem.

Mitgesegnet in Abraham freuen wir uns mit an dem Wegtraum, der in Jes 35 geträumt wird, nehmen wir Anteil an seinen Traumwegen: Befreiung aus Gefangenschaft und Exil, die Jubel in der Kehle aufsteigen läßt, Freude angesichts der Befreiung aus Situationen, die die Kehle zuschnüren und in denen Tränen an jeden Schritt gebunden sind.

Doch Befreiung wird hier als Rache buchstabiert: Rache kommt als Gottes Tat. Gott selbst wird kommen und euch befreien. Rache ist im alttestamentlichen Sprachgebrauch keine emotionale und unverhältnismäßige Reaktion. Rache bedeutet eine Unterbrechung des Unrechts und die Herstellung von Recht und Freiheit. Wird Rache mit Befreiung zusammengedacht, dann heißt das nichts anderes als daß die Verhältnisse nicht als gottgegeben akzeptiert werden und Gott angerufen wird in der Hoffnung, er möge das Unrecht nicht bestätigen, sondern destruieren. Auch Paulus weiß um diesen Zusammenhang, wenn er im Römerbrief einen Vers aus der hebräischen Bibel zitiert: Die Rache ist mein, spricht Gott. (Dtn 32,35) Der Ernst und die Dringlichkeit dieses Satzes darf nicht von denen verwischt werden, die kein Interesse an der Änderung der Gewaltverhältnisse haben und die diesen Satz als Drohung empfinden. Es geht um die Aufrichtung von Gerechtigkeit und nicht um das Vergessen der Gewalttaten um des lieben Friedens willen. "Die kategorische Forderung der Friedlichkeit wird immer gern von denen bejaht und unterstrichen, denen es gut geht; und unversehens wird die Norm der Friedlichkeit zu einer Waffe gegen diejenigen, die ihre Stimmen erheben müssen, wenn sie zu ihrem Recht kommen wollen. Begünstigt werden alle die, die nicht nur vom Leiden verschont, sondern auch zum Mit-Leiden nicht fähig oder nicht willens sind; [...] die wirklichen Leiden und Ängste kommen nicht mehr zur Sprache." (Ingo Baldermann) Vergebung kann leicht zu einem 'vergeben und vergessen' werden, zu einem Zurücksinken in Unsichtbarkeit und Sprachlosigkeit. Vergebung ist ein langsames Geschehen, das vielleicht nie zu einem Ende kommt. Die erlittene Gewalt kann nicht und niemals ungeschehen gemacht werden. Vielleicht kann Vergebung buchstabiert werden. Vielleicht.

– kleine Pause –

"Das Leben ein Traum" – so heißt ein Theaterstück des spanischen Dichters Calderon aus dem 17. Jahrhundert. Franz Grillparzer hat zwei Jahrhunderte später für eines seiner Stücke die Worte vertauscht: "Der Traum ein Leben" heißt es bei ihm. Leben und Traum können in beiderlei Richtung zusammen kommen. In der Bibel haben Träume ein eigentümliches Doppelgesicht. Der Prophet Jeremia hat härteste Worte für die seiner "Kollegen", die ihre Träume mit dem Wort Gottes verwechseln und ihre Wunschträume als Wahrheit ausgeben. Doch an anderen Stellen, ich denke an Josef oder an Daniel, können Träume die Wirklichkeit erkennbar machen. Freilich, ich denke abermals an die Josefsgeschichte: die Träume bedürfen der Deutung. Und keineswegs bilden die Träume exakt das ab, was sein kann und sein wird. Es bedarf der Verwandlung des Traums in ein Handeln, und beim Handeln kann sich zeigen, daß die Wirklichkeit mehr an Spielraum läßt als der Traum ahnen ließ. Die Träume mit der Wirklichkeit zu verwechseln kann schlimm sein, noch viel schlimmer wäre es aber, anderen und sich selbst das Träumen abzugewöhnen.

Der Traum der Exilierten Israels in unserem Text ist mehr als ein Entlastungs-, ein Vertröstungstraum. Die hier träumen, träumen sich nicht nur aus Elend und Verbannung weg, sie träumen einen Weg. Der Weg durch die Wüste, die traumhaft verwandelte Wüste, führt zum Zion.

Es ist kein herrschaftlicher, triumphaler Weg durch die Wüste. In einem anderen prophetischen Wegtraum findet dies Raum. Im Michabuch ist die Rede davon, daß Gott die Lahmgeschlagene und Verirrte sammeln, daß er die Hinkende zum Neubeginn machen wird. Den Weg zum Zion werden die Rückkehrenden hinkend gehen, angeschlagen. Die Narben werden bleiben. Am Körper sichtbar und in der Erinnerung spürbar. Heilung bedeutet nicht, daß alles wie neu wird und das Vergangene vergessen. Hinken ist eine asymmetrische Gangart. Wer hinkt, kann nicht zu triumphaler militärischer Marschmusik im Gleichschritt marschieren.

In den Traum von der Befreiung aus Gefangenschaft und Exil ist das Wissen gegenwärtig, daß Gerechtigkeit immer vorausgehen muß und die Erinnerung an die Verletzungen und Narben die befreiten Schritte immer begleiten wird. Dennoch spiegelt sich die Freude über die Befreiung auf den Gesichtern und in der blühenden Wüste. Kein Bild kann verrückt genug sein, um diese Freude auszudrücken, kein Wegtraum zu phantastisch, um den Traumweg zu gehen.

1 Es jauchzen Wüste und Wildnis, es jubelt die Steppe, blüht auf wie eine Lilie.
2 In voller Blüte steht sie und jubelt nur Jubel und Freude.
Die Pracht des Libanonwaldes wird ihr gegeben,
der Schmuck des Karmelberges und der Scharonebene.
Sie werden schauen die Würde Adonajs, den Glanz unseres Gottes.

3 Macht erschlaffte Hände wieder stark, und wankende Knie macht wieder fest!
4 Sagt denen, deren Herz bestürzt ist:
Seid stark, habt keine Angst! Schaut doch, euer Gott!
Rache kommt als Gottes Tat. Gott selbst wird kommen und euch befreien.

5 Dann öffnen sich die Augen der Blinden, und die Ohren der Tauben tun sich auf.
6 Dann werden die Lahmen wie Hirsche springen, die Zunge der Stummen wird jubeln,
denn in der Wüste sind Wasser hervorgebrochen und Bäche in der Steppe.
7 Der glühende Sand wird zum Teich und dürstendes Land zu Wasserquellen.
An der Stätte, wo Schakale lagern, wird ein Ort für Rohr und Schilf sein.

8 Dort wird es eine Bahn, einen Weg geben,
"Weg der Heiligung" wird er genannt werden;
keine Unreinen werden ihn betreten.
Er gehört denen, die auf ihm gehen.
Auch die Unkundigen werden sich nicht verlaufen.
9 Kein Löwe wird dort sein, kein reißendes Tier wird ihn betreten;
es wird dort nicht zu finden sein.
Die Erlösten werden ihn gehen.

10 Die von Adonaj Freigekauften kehren zurück, sie kommen zum Zion unter Jubel,
Freude für immer auf ihren Gesichtern. Jauchzen und Freude werden sie einholen,
und entfliehen werden Kummer und Seufzen.

Amen.

Es werde wahr.

Prof. Dr. Jürgen Ebach
Tel: 0234/3222510, Tel.privat: 0234/495366
Dr. Ulrike Bail
E-Mail: Ulrike.A.Bail@ruhr-uni-bochum.de


(zurück zum Seitenanfang)