Göttinger Predigten im Internet
hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch
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Heiliger Abend - Christnacht, 24. Dezember 2000
Predigt über Hesekiel 37,27, verfaßt von Johannes Neukirch

Gnade sei mit euch und Friede von dem, der da war, der da ist und der da kommt.

Liebe Gemeinde in der Heiligen Nacht!

Jetzt wird die Zeit langsam knapp; vorhin, um 23 Uhr, um 11 Uhr in der Nacht, mit dem Läuten der Glocken, mit dem ersten Ton der Orgel in diesem Gottesdienst - da hat die letzte Chance begonnen, daß diese Nacht tatsächlich noch eine heilige Nacht wird. Mag sein, daß Sie das heilige Gefühl heute schon hatten - auch gut. Dann ist dieser Gottesdienst die zweite Chance der Nacht, in der wir - wenigstens ein mal im Jahr - uns ganz der Sehnsucht nach dem Heiligen hingeben können.

Das Meiste ist ja schon gelaufen, die Geschenke sind ausgepackt, die Freudenstürme schon wieder etwas gedämpft, die ersten Enttäuschungen hoffentlich schon wieder überwunden. Das ist nun mal so - die Erwartungen sind sehr hoch. Wir müssen es doch, meine Güte, wenigstens ein mal im Jahr hinbekommen - daß wir nur lieb zueinander sind, Frieden halten, die Familie gemeinsam ein Liedchen singt, die Instrumente herausgeholt werden, der Braten gelingt, die Geschenke die richtigen und alle zufrieden sind - wenigstens ein mal im Jahr: das Gefühl des Besonderen, des Heiligen, des Außergewöhnlichen haben. Wenn das nicht hundertprozentig gelingt - und das ist selten - dann ist eben auch die Enttäuschung um so größer. Und es beruhigt dann nur ein wenig, wenn wir dann am 27. Dezember ganz sicher in der Zeitung lesen werden, daß die Telefonseelsorge während der Weihnachtstage Hochbetrieb hatte.

Die Minuten der Heiligen Nacht verrinnen - und wir wollen dem Heiligen begegnen, der heiligen Stimmung, dem heiligen Gefühl, den heiligen Worten, den heiligen Liedern, die nur in dieser kostbaren Weihnachtszeit gesungen werden.

Der Kontakt mit dem Heiligen, liebe Gemeinde, muß eine echte Begegnung sein. Wir müssen uns mit dem Heiligen treffen, mit ihm reden, mit ihm kommunizieren. Diese Begegnung gelingt nur, wenn wir mit der Weihnachtsbotschaft ins Gespräch kommen - und sie mit uns.

So schwer ist das gar nicht. Gut, vielleicht müssen wir vorher den ganzen Weihnachtskitsch, die Geschenke und das gute Essen beiseite räumen. Ich habe da überhaupt nichts dagegen, verstehen Sie mich nicht falsch; ich liebe Geschenke, gutes Essen und goldene Weihnachtsengel. Aber das alles darf auch nicht im Wege stehen.

Das mal beiseite geräumt, kommen wir zum Kern dieser Heiligen Nacht - mit einem einfachen Satz des Propheten Hesekiel, einer Ankündigung, die in Jesus Christus wirklich geworden ist. Dieser Satz, den Gott Hesekiel sagen läßt, heißt:

"Ich will unter ihnen wohnen und will ihr Gott sein."

Dieser Satz ist ja geradezu ein Bekenntnis, das Gott ablegt, und deshalb für mich einer der wichtigsten Weihnachtsworte überhaupt. Gerade weil er so nüchtern und klar ist. "Ich will unter ihnen wohnen und will ihr Gott sein." Alle Engel und Maria und Josef und die Krippe und die Hirten auf dem Felde und die Heiligen drei Könige - das ist alles sehr schön und wichtig, aber letzten Endes doch nur eine Ausschmückung dieses Bekenntnisses.

Entscheidend ist die Erklärung Gottes: "Ich will unter ihnen wohnen".

Eigentlich ist das genau das, was man von einem großen mächtigen Gott und von allen Göttern nicht erwartet. Gott ist doch der ganz andere, wohnt, bildlich gesprochen, im Himmel, muß anders sein als wir, nicht sterblich, nicht so furchtbar zerbrechlich, nicht angewiesen auf unsere Wohnungen. Und nun dies: Der ganz andere, der ferne, der allmächtige - er sagt, was er will. Schon das ist außergewöhnlich. Gott hat es nicht nötig uns mitzuteilen, was er vorhat. Und das, was er nach seinen eigenen Worten vorhat, ist erst recht außerhalb jeder göttlichen Norm: "Ich will unter ihnen wohnen" - ich will unter den Menschen wohnen, ich will mich in ihre Sphäre begeben, will mich auf ihre Stufe stellen, will mit ihnen auf gleicher Augenhöhe sein. Und: "Ich will ihr Gott sein" - normalerweise genügt Gott sich selbst, ruht in sich, braucht sonst niemanden.

Hier ist das ganz anders: Unser Gott ist nicht der ferne Gott, sondern der Gott für uns.

Wir haben vorhin gesungen, liebe Gemeinde, wie Gott sein Bekenntnis "Ich will unter ihnen wohnen und will ihr Gott sein" eingelöst hat: "Er äußert sich all seiner G'walt, wird niedrig und gering und nimmt an eines Knechts Gestalt, der Schöpfer aller Ding". Er hat es in Jesus Christus, im "Kindlein klein", eingelöst, in ihm hat er unter uns gewohnt, in ihm und im Heiligen Geist ist er heute bei uns und will in unseren Herzen wohnen.

Ist das nun eine Botschaft, die heilige Gefühle auslöst oder ist das zu nüchtern? "Ich will unter ihnen wohnen und will ihr Gott sein."

Eines gelingt dieser Weihnachtsbotschaft auf jeden Fall: Sie verwickelt uns in ein Gespräch. Sie verkündet uns nichts von oben herab, sondern sie fragt uns: Wenn Gott bei uns wohnt und unser Gott ist - wo zeigt sich das dann in unserem Leben? Wo treffen wir ihn? Wo können wir uns mit ihm unterhalten? Ich bin sicher, dass uns dazu einiges einfällt. Und wenn nicht, dann können wir zum Beispiel die Menschen fragen, die sich heute nacht um 23 Uhr auf dem Hauptbahnhof zum alljährlichen Weihnachtskonzert versammelt haben. um, wie es in der Obdachlosen-Zeitschrift "Asphalt" heißt, zusammenzurücken und traditionelle Weihnachtslieder zu singen.

"Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern", sagt Jesus, "das habt ihr mir getan."

Gott wohnt bei uns und ist unser Gott - wenn uns diese Begegnung einfach nicht losläßt, wenn sie uns immer wieder Fragen stellt, dann ist das eine heilige Begegnung und eine heilige Nacht. In weihnachtlichen Worten gesagt - und gleich dann auch gesungen:

Ich steh an deiner Krippen hier, o Jesu, du mein Leben; ich komme, bring und schenke dir, was du mir hast gegeben. Nimm hin, es ist mein Geist und Sinn, Herz, Seel und Mut, nimm alles hin und laß dir's wohl gefallen. Amen.

Dr. Johannes Neukirch, Hannover
E-Mail: johannes.neukirch@evlka.de


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