Göttinger Predigten im Internet
hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch
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3. Sonntag nach Epiphanias, 21. Januar 2001
Predigt über Johannes 4,4-16, verfaßt von Christian-Erdmann Schott

Liebe Gemeinde!

Die Sonntage nach dem Epiphanias-Fest stehen immer ein wenig im Schatten von Weihnachten. Wochenlang haben wir auf Weihnachten zugelebt. Dann war es. Und dann gehen langsam die Lichter wieder aus. Die Epiphanias-Sonntage im Januar wirken meist nur noch wie ein nicht sehr starker Nachglanz oder Nachklang. Das ist schade. Denn in dieser Zeit geht es um ein grundlegendes Thema des christlichen Glaubens, das verdiente, wahrgenommen zu werden. Es läßt sich in zwei Sätzen beschreiben. Der eine heißt:

In Christus ist etwas aufgeleuchtet (epiphanein), in dieser Welt sichtbar geworden, das nicht aus dieser Welt kommt; ein Licht, von Gott angezündet; ein Glanz, in der Welt, aber nicht aus dieser Welt, für die Welt - der in Christus war und von ihm ausging. Der Evangelist Johannes bringt diese Erfahrung auf den Satz: Wir sahen seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit als des eingeborenen Sohnes vom Vater, voller Gnade und Wahrheit" (Joh. 1,14). Gerade diese Herrlichkeit, dieses besondere, die Herzen anrührende und emporreißende Fluidum, das von Christus ausging, will Johannes in seinem Evangelium beschreiben - so gut das ein Mensch überhaupt kann und so gut, daß es sich anderen Menschen mitteilt.

Der andere Satz, der auch zu Epiphanias gehört, heißt: "Das Licht scheint in der Finsternis, und die Finsternis hat's nicht ergriffen" (Joh.1,5). Seit den Tagen Jesu ist das die große Frage: Warum haben so viele Menschen diese Herrlichkeit nicht gesehen? Konnten sie nicht? Wollten sie nicht? Das ist auch die Frage, die Johannes umtreibt. Im Grunde ist es eine der schweren Fragen des Glaubens überhaupt. Denn dahinter lauert ja auch der Zweifel: Haben wir vielleicht etwas gesehen, was gar nicht da war? Täuschen wir uns? Wer liegt hier richtig? - Die, die meinen etwas gesehen zu haben - oder die, die meinen, nichts gesehen zu haben?

Nun hat Johannes, ähnlich wie Markus, eine Lösung des Problems angeboten, die etwa so lautet: Der Glanz Gottes war in Jesus Christus verborgen; so verborgen, daß die Menschen ihn häufig und auf Anhieb nicht erkannten oder erkennen konnten: "Er war in der Welt ... aber die Welt erkannte ihn nicht" (Job. 1,10). Manche, die ihm begegnet sind, sind erst allmählich gewahr geworden, wen sie vor sich haben. Eine solche Geschichte, in der einer Frau erst allmählich klar wird, wer mit ihr spricht, ist heute Predigttext. Ich lese

Joh. 4, 4-16.

Was diese Samaritanerin sieht, ist ein fremder Mann, ein Jude, der allein, müde von der Wanderung, am Brunnen sitzt; unfähig, sich Wasser zu schöpfen, weil er nichts hat, um das Wasser aus der Tiefe heraufzuholen. Er bittet sie, ihm zu trinken zu geben. Die Frau ahnt nicht, wer sich in diesem Wanderer verbirgt. Als der Fremde ihr behutsam das Geheimnis seiner Person zu eröffnen sucht, ist sie weiterhin ahnungslos, ja abwehrend, weil sie sich nicht vorstellen kann, daß jemand "mehr als unser Vater Jakob" sein könnte. Erst nachdem ihr Jesus von dem Wasser des ewigen Lebens gesprochen hat, das er ihr zu geben vermag, bittet sie um dieses Wasser - aber auch jetzt noch bleibt sie befangen in ihrem anerzogenen Denken, "auf daß mich nicht dürste und ich nicht mehr herkommen müsse, zu schöpfen!". Erst allmählich wird ihr und vielen ihrer Dorfmitbewohner klar, wer dieser Fremde ist: "Wir haben selber gehört und erkannt, daß dieser ist wahrlich der Heiland der Welt" (V. 42).

Letztlich ist diese Geschichte als Einladung zu verstehen. Sie will Menschen helfen zum Glauben oder: zur Quelle des Lebens zu kommen. Das war für die Menschen zur Zeit Jesu mindestens genauso schwer wie für uns heute. Für uns ist es vielleicht etwas leichter, weil wir eine lange, weitgehend gute Tradition kennen, die uns den Glauben leicht machen kann.

Denken wir an Märtyrer, die für den Glauben bis zum Tode eingestanden sind (Pater Kolbe, Dietrich Bonhoeffer, Martin Luther King) und viele andere aus früheren Jahrhunderten oder denken wir an Menschen, denen der Glaube Kraft gegeben hat, ihr Leben durchzustehen (Behinderte, Kranke, Leidende in unserer Gemeinde und Umgebung) oder Gutes zu tun an anderen (Eva von Tiele-Winckler, Bodelschwingh). Solche guten Traditionen zeigen uns den Weg zu der Quelle, aus der diese Menschen geschöpft haben.

Trotzdem, nicht jeder kennt diese Traditionen und manche kennen auch abschreckende Überlieferungen. Viele aber stoßen sich heute an dem nicht sehr glänzenden, gelegentlich auch langweiligen Erscheinungsbild, das Kirchen, Gemeinden oder einzelne Christen mitunter bieten. Sie können sich nicht vorstellen, daß hier das Wort Gottes und die Quelle des frischen Wassers zum Leben zu finden sein soll. Darum suchen sie es lieber in der Esoterik oder bei irgendwelchen Gurus. Es gehört längeres, geduldiges Zuhören und Fragen dazu, um allmählich zu erkennen, was in unserer Kirche angeboten wird - nicht allein in den öffentlichen Gottesdiensten, sondern auch in Gesprächskreisen, im Religionsunterricht, in Äußerungen einzelner Menschen, in Lebensberichten, auf einem Poster, in einem Buch, in der Musik usw. Die christliche Wahrheit ist mitunter sehr vielfältig, sehr schlicht, unscheinbar verpackt, verborgen, so wie sie in der Gestalt des wandernden Christus verborgen war. Aber es lohnt, auf sie zu achten, sie zu Herzen zu nehmen, zu bedenken und mit anderen zu besprechen.

Auch die Samaritanerin hat Zeit gebraucht. Aber sie hat nicht nachgelassen. Sie hat zugehört, nachgefragt, weitergefragt, bis sie zur Gewißheit kam: Dieser ist der von Gott Gesandte. Ihm kann ich glauben. Diese Geschichte ist aber auch in dem Sinne als Einladung zu verstehen, als sie uns auf einen neuen Weg locken will. Der alte, herkömmliche Weg, auf dem wir gewöhnlich unser Lebensglück zu erreichen suchen, verläuft nach dem Motto: "Sieh zu, daß du was aus dir machst". Der neue Weg heißt: "Nimm andere mit - Leben ist Gemeinschaft - mit Gott - mit anderen". Sein Kennzeichen: "Ermutige andere!".

Dieser neue Lebensstil, der Stil Jesu, scheint auf den ersten Blick mit Verlusten für mich verbunden. Bei tieferem Hinsehen ist er mit Gewinnen gesegnet. Er eröffnet dir Gemeinschaft, Geborgenheit, Anlehnung, Heimat, Erfolg, Gesundheit, Freude. Der Satz Jesu: "Das Wasser, das ich ihm geben werde, das wird in ihm ein Brunnen des Wassers werden, das in das ewige Leben quillt" findet die wohl beste Übersetzung in dem Wort "Ermutigung". Wer andere ermutigt, stärkt, aufbaut, tröstet, wird selber ermutigt, gestärkt, aufgebaut, getröstet. Er fördert Leben und lebt selbst. Er ist vielen ein Brunnen; ein Mensch, "von des Leibe Ströme lebendigen Wassers fließen" (Joh.7,38).

Und wenn man ausgenutzt wird? Oder - das ist ja die alte Angst - auf der Strecke bleibt? Und die anderen machen das Rennen? Die Antwort auf diesen uralten Zweifel aller Frommen könnte die Bitte der Samaritanerin sein: "Herr, gib mir solches Wasser" - so viel, daß ich die Angst und den Zweifel darin ersaufen kann und der Glaube wieder kräftig ist.

Amen.

Dr. Christian-Erdmann Schott
Elsa-Brandström-Str. 21, 55124 Mainz
Tel.: 06131-690488
Fax: 06131-686319


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