Göttinger Predigten im Internet
hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch
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Septuagesimae, 11. Februar 2001
Predigt über Matthäus 9,9-13, verfaßt von Reinhard Weber

9 Und als Jesus von dort weiterging, sah er einen Menschen mit Namen Matthäus am Zollhaus sitzen, und er spricht zu ihm: Folge mir nach! Und er stand auf und folgte ihm nach.
10 Und es geschah, als er in dem Haus zu Tisch lag, und siehe, da kamen viele Zöllner und Sünder und lagen zu Tisch mit Jesus und seinen Jüngern.
11 Und als die Pharisäer es sahen, sprachen sie zu seinen Jüngern: Warum ißt euer Lehrer mit den Zöllnern und Sündern?
12 Als aber er es hörte, sprach er: Nicht die Starken brauchen einen Arzt, sondern die Kranken.
13 Geht aber hin und lernt, was das ist: »Ich will Barmherzigkeit und nicht Schlachtopfer.« Denn ich bin nicht gekommen, Gerechte zu rufen, sondern Sünder.

Liebe Gemeinde!

Diese paar kleinen Sätzchen zeigen in all ihrer Kürze und Schlichtheit, warum wir es bei dem, was wir das "Jesusgeschehen" nennen, mit einem besonderen, mit einem außergewöhnlichen, mit einem ganz unalltäglichen Phänomen zu tun haben, was nicht in unser normales Lebensgefühl und Lebensverständnis hineinpaßt.

So sehr wir nämlich all diese Geschichten aus der Evangelientradition zu kennen meinen, so vertraut sie uns zu sein scheinen, so gänzlich fremd sind sie uns doch gleichzeitig, auch wenn wir das meist erst auf den zweiten Blick erkennen. Sie berühren uns seltsam, wenn wir näher hinhören. Und wenn wir mit ihnen ernst machen, dann spüren wir, daß wir als natürliche Menschen eigentlich nicht mit ihnen ernst machen können. Von diesen Geschichten geht etwas aus, was nicht von dieser Welt ist.

Da ist zunächst diese eigenartige Autorität Jesu, der einem anscheinend ihm gar nicht näher vertrauten Menschen gleichsam mit einem kurzen Befehl das Leben umkrempelt und total verändert, ihm eine ungeheure Herausforderung entgegenwirft. Sein "Folge mir nach" ist so voraussetzungslos wie knapp. Um so überraschender und auch unverständlicher muß es uns vorkommen, wenn der angesprochene Zöllner seine Berufsarbeit und wahrscheinlich doch auch seine Familie, sein vertrautes Umfeld, seine gesamten Lebensumstände so mir nichts dir nichts verläßt und einem arbeitslosen Wanderprediger hinterherläuft, denn das ist dieser Nazarener ja. Damit sind alle normalen Lebensverhältnisse nicht nur tangiert, sondern gesprengt. Es handelt sich um eine uns beinahe absurd erscheinende Situation. Ein Mensch gibt alles auf, was sein Leben bis dahin ausgemacht hat, um einem Ruf zu folgen, der ihm nichts versprechen kann und auch de facto nichts verspricht, was ihn von bürgerlichen Maßstäben aus reizen könnte. Die Zukunft, die ihm da eröffnet wird, ist nichts weniger als sicher, als erfolgversprechend, als großartig, als faszinierend, als aussichtsreich. Sie ist überhaupt nicht abschätzbar, sondern der Weg dieser Zukunft liegt völlig im Dunkeln. Wohingegen dieser Zöllner Matthäus doch wußte, was er hatte.

Ein Zöllner, so verachtet er von den Religiösen sein mochte und wahrscheinlich auch war, hatte doch nicht nur finanziell und materiell ein gesundes, ja geradezu gutes Auskommen, sondern er hatte auch eine Stellung, die es ihm ermöglichte, ein in bestimmtem Sinne durchaus erstrebenswertes Leben zu führen. Sein Arbeitsplatz, auch wenn er letztlich von der römischen Besatzungsmacht abhängig war, war im Grunde doch relativ sicher, jedenfalls sicherer als viele anderen Berufe und Verdienstmöglichkeiten in dieser Zeit. Ein Zöllner war zwar kein alleiniger Herr seiner Dinge, sondern mußte die Zollstation pachten, er mußte den eingenommenen Zoll höheren Ortes abliefern. Aber es blieb davon für ihn doch noch mehr als genug übrig. Und zudem war er doch einer, dem eine relativ große Verfügungsmöglichkeit übrig blieb. Er konnte in seinem Verantwortungsbereich ziemlich frei schalten und walten und sich auf diese Weise, wenn auch nicht immer legal, ein ordentliches Vermögen erwerben. So darf man sich also diesen Zöllner Matthäus, um den es hier geht, als einen durchaus gesitteten und gutbetuchten, auf seine Weise erfolgreichen Menschen vorstellen, dem allenfalls in gewissen Bereichen des sozialen Lebens der Respekt versagt wurde. Auf diesen konnte er allerdings auch relativ leicht Verzicht tun, solange man ihm das materielle Fundament nicht zu entziehen vermochte. So ist sein Verhalten auf den Ruf Jesu hin mindestens ungewöhnlich. Was er für seinen sicheren Arbeitsplatz eintauscht, ist nichts anderes als die Ungesichertheit einer Wanderexistenz, die keine materielle Grundlage hat, sondern mehr oder weniger darauf angewiesen ist, sich eben diese materielle Grundlage durch andere, d.h. durch die Unterstützung anderer zu verschaffen. Es ist ein Gang zunächst jedenfalls einmal ins Nichts, in eine gewisse Art des Nomadentums. Denn wohin ruft ihn dieser Jesus?

Nun wird aber vorab weiter erzählt, daß sich Jesus bei diesem Matthäus eingeladen hat und mit ihm, wahrscheinlich auch seiner Familie und seiner näheren Umgebung zu Tische lag, d.h. gemeinsam am Mahl teilnahm. Es ist nicht weiter verwunderlich, daß bei einer solchen Gelegenheit auch viele Berufsgenossen des Matthäus herbeikamen und mit dem Wanderprediger Jesus gemeinsam tafelten. Es wird weiter gesagt, daß Jesus auch seine Jünger mitgebracht hatte, die nun ebenfalls die Mahlfeier mit vollzogen. Nicht erstaunlich ist es, und wir kennen es auch vielen ähnlichen Bemerkungen ja sehr gut, daß zusammen mit den Zöllnern die Sünder erwähnt werden. Es handelt sich hier gleichsam, wie man das nennt, um eine Sinndoppelung. Zöllner und Sünder wurden als eine und dieselbe Sippschaft bzw. Gesellschaft angesehen. Wer am Zoll saß, war dem Unrecht ziemlich nahe. Darum bezeichneten die religiösen Juden die Zöllner vielfach eo ipso als Sünder. Dies aber nicht nur deshalb, weil sich diese nur allzuoft illegal an ihren Geschäften bereicherten und mehr nahmen als vorgeschrieben, sondern vor allem deshalb, weil sich diese Klientel dazu herbeiließ, mit den verhaßten Römern gemeinsame Sache zu machen, ja weil sie überhaupt mit diesen Heiden sich in näheren Kontakt einließen und sich so, wie man meinte, religiös verunreinigten. Das war jedenfalls die Auffassung der frommen Juden.

Es ist darum auch nicht verwunderlich, daß die Pharisäer, die von dieser ganzen Szenerie Notiz nehmen, sich die Jünger Jesu gleichsam stellvertretend für ihren Meister herbeizitieren und ihnen die Frage stellen, warum denn ihr Lehrer und Meister mit solchen verachtenswerten Leuten zu Tische liegt. Das können sie nicht fassen.

Man muß dazu wissen, daß die Tischgemeinschaft in der damaligen Zeit und in dem hier thematischen Milieu als die engste Form von Gemeinschaft überhaupt angesehen wurde, welche Menschen im öffentlichen und privaten Leben haben konnten. Die Pharisäer, die hier erwähnt werden, galten zudem als die ausgesuchtesten und strengsten Repräsentanten der frommen Judenheit, und sie müssen darum diese Aktion Jesu so verstehen, daß er mit Zöllnern und Sündern Gemeinschaft pflegt, also sich mit diesen solidarisch erklärt, sich mit ihnen gemein macht, sie akzeptiert. Das ist für sie im Blick auf einen Menschen, der seine Hauptaufgabe darin sieht, zu Gott zu rufen und Gott unter den Menschen groß zu machen, eine Absurdität. Der religiöse, der fromme, der gottgefällige Mensch pflegt keine Gemeinschaft mit Gottfernen, mit Sündern, so meinen sie. Vielmehr besteht seine religiöse Überzeugung gerade darin, sich von den Sündern, den Ungläubigen fern zu halten, sie zu meiden, möglichst jeden Kontakt zu ihnen zu unterbinden oder wenigstens auf das unbedingt nötige und unumgängliche Maß zu beschränken. Insofern ist es nichts anderes als selbstverständlich, daß die Pharisäer von dem, was ihnen dort bekannt wird, wovon sie Wind bekommen, nicht gerade angetan sind bzw. mehr noch, daß sie das Verhalten Jesu auf das Schärfste mißbilligen. Sie können gar nicht anders, denn von ihren Denk- und Fühlensvoraussetzungen her ist dieses Verhalten nichts anderes denn unmöglich, ja vielleicht sogar Gotteslästerung.

Der heilige Gott hat mit den Unheiligen, mit denen, die sich von ihm fern halten, die seine Gebote nicht beachten, die sich mit Nichtjuden einlassen und paktieren, nichts zu schaffen. Darum darf auch der religiöse Mensch sich mit ihnen nicht gemein machen, sondern muß, um Gott angemessen dienen zu können, Abstand wahren. Eben diesen Abstand hält Jesus gerade nicht ein, und deshalb macht er sich für sie verdächtig, vielleicht sogar unglaubwürdig.

Die Reaktion Jesu auf diesen Vorwurf ist so einfach wie schlagend, und dennoch macht sie nichts deutlicher als seine Fremdheit in der religiösen Situation der Zeit. Nicht die Starken, nicht die Gesunden, nicht die Anständigen, nicht die Bürgerlichen, nicht die Normalen, nicht die Religiösen, nicht die Ordentlichen und auch nicht die Angepaßten brauchen einen Arzt, einen Helfer, einen Erlöser, einen Beistand, einen, der mit ihnen solidarisch ist, sondern die Kranken, die Außenseiter, die Schwachen, die Abnormen (jedenfalls die dafür gelten) und die auf diese oder jene Weise an den Rand Gedrängten, die Versager, die religiös Indifferenten, die Gottlosen. Darum kann Jesus in dieser Situation ein Wort des AT aufnehmen: "Ich will Barmherzigkeit und nicht Schlachtopfer". Diesen Satz der atl. prophetischen Kritik am blutigen Opferkult kann Jesus aufnehmen und in der gegebenen Situation fruchtbar machen als beispielhaft und damit als Anweisung: "geht aber hin und lernt, was das ist: Ich will Barmherzigkeit und nicht Schlachtopfer". Was bedeutet das?

Die prophetische Kritik am Tempelkult, die hinter diesem Satz steht, war ja einst so gemeint gewesen, daß das blutige Opfer von Tieren im Tempel als kultische Sühneleistung der Menschen an Gott ersetzt werden sollte durch sittliches Verhalten, durch die gerechte Tat. Die Propheten meinten, die Schlachtopfer allein könnten das zerstörte Gottesverhältnis des Menschen nicht reparieren, nicht heilmachen. Sondern der Mensch ist aufgerufen, sich in seinem konkreten Lebensvollzug sittlich zu verhalten und zu betätigen und damit gottentsprechend zu leben. In dieser Gottentsprechung ist die Gottesbeziehung präsent. Darin hat sie ihr eigentliches Wesen und Leben. Als solches gottentsprechendes Verhalten wird hier die Barmherzigkeit angesprochen.

Wenn Jesus diesen atl. Satz aufnimmt und in seine Situation wendet, dann heißt das eben: "ich bin nicht gekommen, Gerechte zu rufen, sondern Sünder". Die Gesunden, also die Gerechten brauchen eben keinen Arzt, wenn er denn aber Arzt sein will und soll, dann ist er an die Sünder, an die religiösen Outcasts gewiesen.

Dahinter stehen zwei Gedanken, einmal und erstens daß es Menschen gibt, die von ihrer Lebensführung her eines Arztes in dem Sinne, wie er hier angezielt wird, nicht bedürfen, die sozusagen in der Ordnung sind, in der göttlichen Ordnung, und an die darum der Ruf Jesu und das Verhalten Jesu, das Werk Jesu nicht gerichtet sind. Zum anderen aber, daß der in Jesus nahekommende Gott eine spezifische Klientel hat, nämlich die, die seiner bedürfen. Entscheidend ist also die Bedürftigkeit, nicht die bürgerliche Reputation, die Erfüllung religiöser Bedingungen. Und bedürftig ist nicht eo ipso der, der materiell arm ist. Bedürftig für das Nahekommen Gottes ist vielmehr der, dessen Leben auf der religiösen Ebene eine offene Stelle hat. Daß dieser religiöse Punkt mit dem materiellen übereingehen kann, ist eine andere Sache. Aber es ist nicht notwendig so und schon gar nicht ausschließlich, so als ob nur die Armen Gottes bedürften. Der Zöllner Matthäus ist ja gar nicht materiell arm. Im Gegenteil: manchmal sind es gerade die in diesem Sinne Reichen, welche in Wirklichkeit arm sind. Die out of order sind, sollen in die Ordnung reintegriert werden, und die Ordentlichen sollen ihnen dabei helfen. Ihnen gilt der Ruf Jesu als Ruf in die Nachfolge, und d.h. in die Gottesherrschaft.

Was bedeutet das aber heute, in unserer Lage, in unserer Gesellschaft, für unsere Kirche, für unsere Botschaft?

Dies bedeutet, daß das Beispiel Jesu für uns derart plausibel und bedeutsam wird, daß die Kirche, die in seiner Nachfolge steht, nicht in erster Linie an die Gutbürgerlichen, an die Gesunden, an die sog. Normalen, an die Ordentlichen, an die Religiösen gewiesen ist, sondern an die, von denen sie gebraucht wird. Von wem aber wird sie wirklich gebraucht?

Das sind nach unserem Text diejenigen, deren Leben transzendenzlos ist, deren Leben derjenigen Dimension entbehrt, für die das Wort Gott Gott in unsrer Sprache gutsteht, die also in sich verschlossen sind, eingehaust in ihr Weltsein, in die Materialität des Daseins. Das bedeutet z.B. auch, daß die Kirche heute nicht von vornherein und ausschließlich in den Bereich der Welt hineingerufen ist, in welchem materielle Armut herrscht, sondern daß sie dort und da ihre erste und vordringliche Aufgabe hat, wo seelische und geistige Armut ihren Platz hat, d.h. wo das Leben für die Transzendenz, für sein eigenes Jenseits blind und sprachlos geworden ist. Die kirchliche Botsachaft hat also sich primär an diejenigen zu wenden, die diejenige Dimension verloren haben, die mitten im Leben jenseitig , also mehr ist als Leben. Das aber ist das Leben Gottes, das göttliche Leben, das ist da, wo Gott herrscht.

Wofür aber steht im Leben das Wort Gott gut. Es steht nach unserem Text für die geistig-geistliche Gesundheit, für die Ordnung des geistigen und geistlichen Lebens. Dabei begreift der Geist die Seele mit ein, und dabei begreift der Geist weiter auch die Leiblichkeit mit ein, denn das eine kann nicht ohne das andere sein. Aber, das leibliche Wohl alleine erreicht von sich aus noch nicht diejenige Dimension, um die es hier geht, denn dem Zöllner Matthäus fehlte es leiblich-materiell gewiß an nichts. Was ihm fehlte, das war zum einen seine soziale Reputation in bestimmten Kreisen, seine Integration in einen sozialen Verband, d.h. seine Anerkennung unter den Menschen. Und zum zweiten, nicht minder wichtig, seine Anerkennung im Hause der Religion, im Hause des transzendenzbezogenen Lebens. Um eben dies geht es in unserem Text, und deshalb kann auch der Zöllner Matthäus so umstandslos, so unvorbereitet, so voraussetzungslos auf den Ruf Jesu reagieren. Weil er immer schon weiß, daß ihm genau das fehlt, was in diesem Ruf wach wird und lebendig, nämlich der Ruf in die Transzendenz des Lebens. Daß dieses Leben mehr ist als Essen und Trinken, das weiß dieser Matthäus, weil er eben Essen und Trinken genug hat. Wer davon genug hat, der weiß, daß es damit nicht genug ist. Denn genug ist, wie es der Dichter sagt, nie genug.

Was in unserem kleinen Text also aufscheint, ist diese Weisheit: genug ist nie genug. Dieses Genug bedarf als ein Ungenügen des Arztes, denn es ist in sich dunkel und krank. Die Genugsamkeit des Lebens ist nur über, außer, hinter, vor und nach dem Leben zu erfassen und zu erreichen, also im Jenseits des Lebens selbst, in seiner Transzendenz. Denn das Leben selbst ist dieser Verweis über sich hinaus. Das wahre Leben erst trägt auch das vitale, weil zum Leben erheblich mehr gehört, als nur geboren zu sein. Für dieses Mehr des Lebens inmitten des Vitalen steht die Chiffre Gott, die in Jesu Nachfolgeruf laut wird. Der Zuspruch dieses Mehr darf dem Bedürftigen nicht verweigert werden, schon gar nicht aus religiösen Gründen. Wer für die Dimension des Göttlichen im Leben offen ist, dem wird sie zuteil. Und sie darf auch von den religiösen Gralshütern nicht hinter dicken Betontüren verschlossen werden. Die am Leben, an seiner Transzendenz Gescheiterten sind seine Adressaten. Und darum enthält dieser Text am Ende auch eine frohe Botschaft für die Pharisäer: auch sind willkommen, wenn sie ihre Armut vor Gott erkennen!

"Folge mir nach" mag also von der Perspektive des gutbürgerlichen, des arbeitsamen, des gesitteten, des innerweltlich festgelegten, des in sich und seiner Welt fixierten Menschen aus wie ein Ruf ins Nichts erscheinen, ins Nirgendwo, in die Ungesichertheit des Daseins. Von der Perspektive dessen aber, der in der materiellen Genugsamkeit kein Genüge gefunden hat, und das ist die Botschaft für die meisten in unserer westlichen Konsumgesellschaft heute, wird dieser Ruf sehr wohl verständlich. Denn er öffnet diejenige Dimension, die die Genugsamkeit des Genügsamen nicht geben kann. Es ist der Ruf in die Transzendenz des Daseins, d.h. in das Überhinaus des Daseins selbst. Um dieses Überhinaus geht es. Und wie unser Text zeigt, kann es sich sehr wohl als Fehl in einem Leben anzeigen, dem anscheinend nichts fehlt.

So dürfte es weithin heute bei uns in diesem saturierten Land, in dieser übersättigten Gesellschaft sein. Sie ist so satt, daß sie ihres Sattseins überdrüssig ist. Ja, vielleicht weiß sie schon nicht mehr, wo die Quelle ist, die nicht in dieses konsumistische Sattsein führt, sondern in das Bewußtsein des Überhinaus des Lebens.

Darum ist es die Quintessenz dieses kleinen Textes für uns heute und für die Botschaft der Kirche generell der Ruf, in dem tranzendenzlosen Leben der Gegenwart diejenige Dimension wieder freizulegen, die über dieses Leben hinausführt und die diesem eben darum in seiner Materialität Grenzen zu weisen und zu setzen imstande ist. Auf die Erkennntnis und die Durchsetzung dieser Grenzen kommt heute alles an. Denn entweder wird die Menschheit in der Lage sein, sich zu begrenzen, oder sie wird nicht sein. Begrenzen kann sie sich aber nur, wenn sie nicht die schlechte Unendlichkeit sucht, wie es noch allenthalben der Fall ist, sondern zur wirklichen Unendlichkeit durchdringt. Denn erst die Erfahrung der wahren Unendlichkeit gibt die Möglichkeit, sich im Endlichen so einzurichten, daß dieses Endliche nicht zerstört werden muß um einer falschen Unendlichkeit willen. Wer jedoch das Unendliche im Endlichen und als Endliches sucht, muß und wird dieses vernichten. Das Bedürfnis nach dem Arzt war in seiner Notwendigkeit noch nie so groß wie in unseren Tagen. Denn die Starken selbst sind schwach geworden.

Wenn das heute durch die Kirche wachgehalten und an die Menschen herangebracht werden könnte, dann hätte sie ihre Aufgabe im Dienste Jesu erfüllt und wäre seinem Ruf nachgefolgt.

Amen!

PD Dr. Reinhard Weber, Studentenpfarrer
Rudolf-Bultmann-Str. 4, 35039 Marburg
Tel. 06421-969111, Fax: 06421-969399
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