Göttinger Predigten im Internet
hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch
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Invokavit, 4. März 2001
Predigt über Lukas 22, 31-34, verfaßt von Heinz Fischer
Fürbittengebet

Liebe Gemeinde!

Manchmal sind es ganz kleine Merkmale, die darauf hindeuten: Sein oder ihr Leben ist wie ein Roman.
Beinamen zum Beispiel können solche kleinen Merkmale sein. Ich möchte nicht von „Spitznamen“ reden, sondern von den Namen, mit denen einzelne von uns gerufen werden, ohne dass sie als Rufnamen im Stammbuch eingetragen sind.
Alle, die so etwas in ihrer Umgebung oder gar bei sich selbst kennen, haben ein besonderes Feingefühl für die Lebensbereiche, die sich mit dem Namen verbinden. Man könnte einen Roman schreiben über Simon, der Petrus genannt wurde (Mt. 4,18) und zu dem Jesus sagt: Du bist Simon, du sollst Kephas heißen (J.1,41). Kephas ist Petrus auf Hebräisch und beides heißt Fels. Das Leben des Petrus ist ein Roman und es war ein langer Weg, ehe der Simon zum Petrus wurde. Dabei ist der Ausgangspunkt aus verschiedenen Gründen günstig, schon vom Wortsinn her. Simon heißt „Erhörung“.

Nach der Einsetzung des Abendmahls und vor dem Gang in den Garten Gethsemane bleibt Jesus mit den Seinen noch im Gespräch. Da spricht er diese beschwörend, feierlichen Worte zu Petrus: „Simon, Simon, siehe, der Satan hat begehrt euch zu sieben wie den Weizen. Ich aber habe für dich gebetet, dass dein Glaube nicht aufhöre. Und wenn du dereinst dich bekehrst, so stärke deine Brüder“.

Und wie gesiebt wird im Leben – wir kennen das! Und wie auch unsere ganze Kirche 2000 Jahre lang gesiebt worden ist! Das macht uns und unsere Kirche so schwach und so ehrlich und so stark zugleich! In unserem eigenen Leben ist es ja auch ein langer Weg, ehe wir die Persönlichkeit sind, die wir sein sollen. Der Dichter Friedrich Rückert (1788 – 1866) sagte dazu vor rund 200 Jahren:

Vor jedem steht ein Bild, des was er werden soll.
Solang er das nicht ist, ist nicht sein Friede voll.

Unser Text schlägt diesen weiten Spannungsbogen des Lebens vom Simon zum Petrus, aber dieser große Bogen hat drei kleine Bindebögen unter sich. So ist es in unserem Leben manchmal auch. Wenn jeder von uns seinen eigenen großen Spannungsbogen des Lebens wahrnimmt und in die kleinen Bindebögen seinen Namen und die Bedeutung der „kleinen Bögen“ einträgt, dann ist das gut. Dann werden die Spannungen und Zerreißproben deutlich, denen wir ausgesetzt sind und die wir selbst herbeiführen – beides ist der Fall. So kann der Lebensroman des Petrus unser Roman werden und das „Simon, Simon, siehe !“ wird ein Wort an mich.

So betrachte ich unter dem großen Lebensbogen des Petrus drei kleine Bindebögen und weiß zugleich, dass es um mein eigenes Leben geht.

1. Auf den 1. Bogen schreibe ich das Wort „Kontakte“. Simon kommt durch seinen Bruder Andreas noch ziemlich unverbindlich mit Jesus in Kontakt. Fast immer bekommen wir durch andere Menschen Kontakt zum Glauben. Manchmal durch unsere Familie, oft aber durch fernerstehende Menschen, die in ihrer Weise Glauben glaubwürdig und irgendwie verbindlich leben. Manchmal sind es ganz eigenartige Zusammenhänge, die uns den Glauben öffnen und seine Bildersprache, die Symbole und Beispiele nahebringen. Wenn sich ein Mensch auf der Suche befindet, ist es leichter und wahrscheinlicher, dass er fündig wird. Wer satt und um seinen Besitz besorgt ist, gerät nicht so leicht in eine Suchbewegung. Andreas, der Bruder des Petrus, suchte und schloß sich dem ernsthaftesten Sucher seiner Zeit an, dem Johannes, der zur Buße aufrief und mit Wasser taufte. Dieser Bruder Andreas sucht aber weiter – vielleicht im Auftrag des Täufers - kommt zurück und erklärt in seiner Familie: Wir haben den Messias gefunden ! So führt er Simon zu Jesus. Jesus nimmt den Namenswechsel vor und gibt ihm damit seinen Lebensauftrag: Du bist Simon, du sollst Kephas, Petrus, Fels heißen. So kam das mit den beiden Namen zustande, die den großen Spannungsbogen seines Lebens bezeichnen. Der erste kleine Bindebogen ist einfach diese Begegnung, nicht mehr, aber auch nicht weniger. Simon bleibt zunächst in seinen familiären Bindungen und in seinem Fischerberuf. Bis heute werden in Kapernaum die Reste des Hauses der Schwiegermutter des Petrus gezeigt. Petrus blieb in den überschaubaren Bindungen seiner Existenz am See Genezareth.

2. Der zweite Bindebogen seines Lebens ist die Sache mit der beruflichen Frustration. Da treffen wir ihn ganz entmutigt an. Oft haben unsere eigenen Schlüsselgeschichten, unsere umkrempelnden Erlebnisse mit unserer Entmutigung zu tun, mit unserer Frustration, dem Erlebnis der Ergebnislosigkeit – es ist alles vergeblich. Ein Kinderreim und Gruppenspiel ist daraus gemacht worden. So typisch ist diese Erfahrung. Ein Kind spricht die Worte: „ Ich hab` die ganze Nacht gefischt und habe doch keinen Fisch erwischt“. Bei diesem Spiel legen alle Kinder beide Hände auf den Tisch, eins steht und läßt seine Hand über all den Händen kreisen. Dabei spricht es diesen Satz und versucht, die Hand eines anderen Kindes beim letzten Wort anzuschlagen. Dabei dürfen die Mitspieler bei diesem letzten Wort ihre Hände natürlich schnell wegziehen. (Die Bewegung des Spiels wird in der Predigt angedeutet.)

Wie oft wird der Satz gesagt: Ich habe das ganze Leben gearbeitet und jetzt? Ich habe alles für ihn / sie getan und nun? Ich habe nicht an mich gedacht, mir nichts gegönnt, und nun das!! Es ist gar nicht so leicht, von all den vergeblichen Fischzügen des Lebens wegzukommen, wenn einen keiner aus dieser Haltung herauszieht. Als Jesus diesen Fischer Petrus auffordert, noch einmal gegen jede Berufserfahrung die Netzte auszuwerfen und er das „auf sein Wort hin“ tut, macht er den großen Fang. Deshalb folgt er diesem Wanderprediger noch nicht, aber er erkennt etwas ganz Wesentliches über sich selbst und sagt: „Herr, geh weg von mir, denn ich bin ein sündiger Mensch!“ Wenn ich das von mir aus über mich sage, dann beginnt eine tiefgreifende Veränderung meiner selbst. Andere lästern dann manchmal und sagen: „Der spinnt!“. Petrus hat keineswegs „gesponnen“, aber dann alles bisherige verlassen und sehr energisch an der Seite Jesu gelebt, immer suchend, immer fragend, gerüttelt und gesiebt, wie das Leben so spielt! Das, was Jesus hier sagt, ist die Abstützung und Verankerung des zweiten Bogens im Leben des Petrus. „Ich habe für dich gebetet, dass dein Glaube nicht aufhöre. Und wenn du dereinst dich bekehrst, so stärke deine Brüder“. Damit ist der Aufbruch in seinem Leben Wirklichkeit und die berufliche Frustration zu Ende.

3. Der dritte und letzte Bindebogen des heutigen Textes ist der kurze Predigttext selbst und heißt „Wille und Wirklichkeit“. Der Bogen ist schnell erfaßt und gehört zu der aufwallenden Spontaneität dieser Persönlichkeit des Simon, ehe er zum „Petrus“ wird, zum verläßlichen Fels. „Ich bin bereit, mit dir ins Gefängnis und in den Tod zu gehen“, sagt er. Jesus aber sprach: „Petrus!“ Hier wird als kleines Merkmal, der Beiname gebraucht! Jesus sagt von vorn herein, Petrus, du übernimmst dich: „Der Hahn wird in der Morgendämmerung nicht krähen, ehe du heute Nacht dreimal geleugnet hast, dass du mich kennst!“ Der gute Wille und die bescheidene Wirklichkeit ist uns allen bekannt. Wenig später im Innenhof der Burg Antonia – wir kennen die Geschichte – wird Petrus angesprochen und gefragt. „Du gehörst doch auch zu dem, der da oben öffentlich verhört wird?“ Petrus leugnet. Er sucht Schutz in der Masse. „Nein, nein, ich kenne den da gar nicht!“ Er leugnet immer trotziger. Auch das kennen wir. Als er von einer Magd auf seinen galiläischen Dialekt angesprochen wird und wieder energisch leugnet, hört er von Ferne den ersten Hahnenschrei des anbrechenden Karfreitags und weint bitterlich. Er erkennt die Kluft zwischen seinem Willen und der Wirklichkeit seines Lebens.

In diesen drei Bindebögen bildet sich auch unser eigenes Leben ab.

a) Wir wissen, wie wichtig der Kontakt ist, der Erstkontakt – gerade auch in Glaubensdingen.
b) Wir kennen auch alle die berufliche Frustration, die uns noch einmal etwas Neues wagen läßt.
c) Dann entdecken wir bei dem dritten Bindebogen, daß mit diesem Neuanfang auch nicht alle Probleme gelöst sind, denn wir sind ja noch dieselbe Person und finden uns in der Spannung von Willen und Wirklichkeit wieder.

Wenn wir so gesiebt sind und jeder persönlich seinen Hahnenschrei wahrnimmt, dann erst kann sich unsere Persönlichkeit herausbilden, die Gott von Anfang an gewollt hat. Dann werden wir das, was wir sein sollen und unser Friede ist „voll“ - vollkommen.

So schreibt sich unser eigener Lebensroman wie von selbst und wir denken an das Wort: Gott schreibt auch auf krummen Linien grade!

Amen.

Lied nach der Predigt: EG 210, 1 – 5 Du hast mich, Herr, zu dir gerufen ...

Fürbittengebet am 1. Sonntag in der Passionszeit, Invocavit

Aufforderung:
Wir erheben uns zum Gebet und sprechen nach jedem Abschnitt:
Herr, erhöre unser Gebet.

Laßt uns beten zu Gott unserem Vater, in dessen Hand unser Leben ruht:
für alle, die den Versuchungen unserer Zeit widerstehen, dass sie Kräfte entwickeln, die andere stärken. Bewahre uns vor den kreisenden Gedanken, ungeliebt zu sein und zu kurz zu kommen. Damit wir nicht mißgünstig auf andere schauen, sondern unsere Antworten bei dir suchen, bitten wir: Herr, erhöre unser Gebet.

für alle, die sich nach dem Tag des Heils sehnen und Jesus als den Christus und Hohenpriester erkennen. Führe uns weg von uns selbst, damit wir nicht beschämt dastehen angesichts frommer Worte, einer gespaltenen Christenheit und der Lieblosigkeit untereinander. Damit wir glaubwürdig werden, bitten wir: Herr, erhöre unser Gebet.

führe uns zu dir, damit wir als dein Volk erkennbar sind, stark im Glauben, in der Diakonie und Liebe zu allen Menschen. Du hast die Welt nicht sich selbst, sondern uns überlassen. Damit wir bereit sind zur Verantwortung in der Öffentlichkeit, bitten wir dich: Herr, erhöre unser Gebet.

für alle Bekümmerten und Kranken zu Hause und in den Krankenhäusern, für alle, denen es schwer fällt, sich zu trennen von vertrauten Menschen und liebgewordenen Dingen. Dass wir uns in jedem Augenblick unseres Lebens mit dir verbunden wissen und immer in Bewegung bleiben, bitten wir dich: Herr, erhöre unser Gebet.

Schlußgebet:
Herr, unser Gott, du weißt, wie sehr jeder mit sich selbst zu tun hat und wie allein wir sind mit unseren Wünschen und Sorgen, mit unseren Fragen und Plänen. Mach diesem Alleinsein ein Ende. Öffne durch das Gebet zu dir unsere Herzen und weite unseren Blick.
Höre all unsere Bitten und laß uns wahrnehmen, was du für uns tust und wie behütet wir in deiner Obhut leben können.

Wir beten gemeinsam:
Vater unser im Himmel, geheiligt werde dein Name, dein Reich komme ...

Heinz Fischer, Propst
Großer Kirchhof 6
38350 Helmstedt
Tel. 05351 - 2093
Fax: 05351 - 2094


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