Göttinger Predigten im Internet
hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch
(Tipps zum Speichern und Drucken: Hier klicken)

4. Sonntag der Passionszeit, Lätare, 25. März 2001
Predigt über Johannes 6,47-51, verfaßt von Georg Plasger

Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wer glaubt, der hat das ewige Leben. Ich bin das Brot des Lebens. Eure Väter haben in der Wüste das Manna gegessen und sind gestorben. Dies ist das Brot, das vom Himmel kommt, damit, wer davon ißt, nicht sterbe. Ich bin das lebendige Brot, das vom Himmel gekommen ist. Wer von diesem Brot ißt, der wird leben in Ewigkeit. Und dieses Brot ist mein Fleisch, das ich geben werde für das Leben der Welt. (Joh 6, 47-51)

Liebe Gemeinde!

I.

Die Evangelien zeigen uns ein vielfältiges Bild von Jesus und seinen Jüngern. Wir sind es gewohnt, daß wir uns eine Gruppe von dreizehn vorstellen: Jesus und seine zwölf Jünger. Und diese Gruppe von dreizehn zog durch die Lande. Dieses Bild muß nicht ganz falsch sein. Aber es ist doch nicht alles, was uns die Evangelien sagen über die Jünger. Zeitweise gehörten vielleicht auch Frauen zu seinen Jüngerinnen. Für unseren Text aber ist wichtig, daß nicht alle Jünger durchgehalten haben bis zum Ende. Die Erzählung von den Versammelten beim letzten Abendmahl Jesu macht ja deutlich: es sind die zwölf Jünger, die dabeigeblieben sind. Mit dem einen, der der Verräter genannt wird. Diese zwölf Jünger, die für die zwölf Stämme Israels einstehen, sind dabeigeblieben, haben Jesus nicht verlassen, auch wenn sie ihm nicht immer die Treue gehalten haben.

Aber andere sind weggegangen. Und zwar, so berichtet es uns das Johannesevangelium, nachdem Jesus ihnen einen längere Rede gehalten hat. Diese Rede hat als Ergebnis – und unser heutiger Predigttext ist ein Abschnitt dieser Rede –, daß sich von da ab viele seiner Jünger abgewandt haben und hinfort nicht mehr mit ihm gegangen sind.

Wie kam es dazu?

Im Johannesevangelium wird berichtet, wie Jünger zu Jesus kommen. Frühere Jünger von Johannes dem Täufer wechseln ihren Herrn und gehen mit Jesus, nachdem Johannes gesagt hatte: Das ist Gottes Lamm. Andere schließen sich an und holen auch noch ihre Geschwister herbei. In der Gemeinschaft mit Jesus geschieht dann Ereignisreiches. Jesus verwandelt Wasser in Wein – und die Jünger sehen seine Vollmacht und glauben an ihn. Jesus vertreibt die Händler aus dem Tempel – und die Jünger sehen in Jesus den alttestamentlich verheißenen Propheten, der Gottes Recht durchsetzt. Die Jünger erleben Gespräche Jesu mit Nikodemus, mit Johannes dem Täufer, mit der Samaritanerin – und erleben, wie die Menschen Jesus vertrauen. Dann werden die Jünger Augenzeugen von Heilungen, einmal eines Kindes, dann eines Kranken. Und dann erleben die Jünger das Wunder der Speisung der 5000 und des Wandelns auf dem Wasser. Und nicht nur die Jünger sind von Jesus beeindruckt, sondern auch viele andere, die hinzukommen.

Und dann kommt unsere längere Rede, und danach wenden sich manche ab. Was ist da erfolgt, warum scheiden sich jetzt auf einmal die Geister, wo doch vorher Begeisterung und Nachfolge erkennbar war?
Das können wir wohl nur verstehen, wenn wir unsere Verse einmal genauer betrachten.

II.

Ich bin das Brot des Lebens. Das ist der wichtigste Satz, den Jesus hier sagt. Und gleichzeitig auch der anstößigste. Ich bin das Brot, das vom Himmel gekommen ist. Damit sagt Jesus etwas über sich aus, das viele der ihm Zuhörenden für eine Anmaßung halten. Wieso?

Das Entscheidende ist, daß Jesus sagt: Ich bin. Ich bin das Brot des Lebens. Ich bin das Brot, das vom Himmel gekommen ist.
Als Jesus das das erste Mal gesagt hatte, entsteht bei manchen, die ihm zuhören, Unmut: „Ist dieser nicht Jesus, Josefs Sohn, dessen Vater und Mutter wir kennen? Wieso spricht er dann: Ich bin vom Himmel gekommen?“ (Vers 42)

Die Frage ist deutlich. Den Jesus, den die Menschen vor sich sehen, kennen sie. Es ist der Mann aus Nazareth. Den sie haben aufwachsen sehen, vielleicht sogar noch mit Windeln herumlaufend. Einer von ihnen. Ein Mensch. Ein ganz normaler Mensch, das heißt: vielleicht nicht ganz normal, aber doch einer von ihnen. Wieso, so fragen sie sich, kann er dann sagen, er sei vom Himmel gekommen, wo er doch auf Erden geboren ist?

Nun heißt: „Vom Himmel gekommen“ auch damals nicht, sich eine Weltraumankunft a la Erich Däniken vorzustellen. Sondern vom Himmel, das heißt: von Gott. Der Himmel ist der Bereich Gottes. Und wenn Jesus von sich hier sagt, er sei von Gott gekommen, er sei das von Gott kommende Brot des Lebens, dann macht das die Frage der Menschen damals verständlich. Und das ist ja auch eine Frage, die heute viele Menschen bewegt, gerade auch in unseren Kirchen bewegt. Daß Jesus Mensch ist, das ist weiter nicht so schwer zu verstehen. Daß er besonderer Mensch ist, auch nicht. Daß wir es in ihm mit jemandem zu tun haben, der über besondere Kräfte verfügt und in dem sich in besonderer Weise Gott auf Erden zeigt – auch damit können viele noch gut mit. Aber das Anstößige ist, daß Jesus von sich sagt: Ich bin – das Brot des Lebens. Ich bin. Im Johannesevangelium gibt es zahlreiche solcher Worte, solcher „Ich-bin“-Worte, wie sie genannt werden. Ich bin das Brot des Lebens. Ich bin das Licht der Welt. Ich bin die Tür. Ich bin der gute Hirte. Ich bin die Auferstehung und das Leben. Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben. Ich bin der Weinstock. Alles Worte, die Jesus von sich selber sagt und dabei „Ich bin“ gebraucht. Zufällig? Nein, wohl nicht. Denn das ist eine Anspielung auf einen zentralen Satz des Alten Testaments: „Ich bin, der ich bin.“ Gott selber hat diesen Satz zu Mose im brennenden Dornbusch gesagt. Dieses „Ich bin, der ich bin“ ist so eine Art Selbstvorstellung Gottes gewesen. Und wenn Jesus jetzt von sich „Ich bin“ sagt, dann ist schon das eine Anspielung auf eben dieses Wort Gottes. Und damit macht Jesus deutlich, welchen Anspruch er hat. „Ja, Mensch bin ich. Aber auch Gott. In mir begegnet euch Gott. Ich bin tatsächlich der in Nazareth aufgewachsene. Aber ich bin auch Gott. Ich bin Gott.“ Das ist letztlich der Anstoß schlechthin, an dem sich schon damals die Geister geschieden haben. Und den heute auch nicht alle nachvollziehen können, wohl auch nicht unter uns. Für das Johannesevangelium war das ein wichtiger, ein zentraler Satz. Nicht, um eine Besonderheit kund zu tun, nicht, um etwas Abstruses oder etwas Undenkbares glauben zu wollen. Es geht nicht darum, daß man das glauben muß. Sondern darum, daß dieses wundersame Geschehen, daß dieser Mann aus Nazareth das lebendige Brot des Lebens vom Himmel ist, weil es Brot für uns ist, das über den Tod hinaus gilt. Es hat für uns diese Bedeutung, diesen Inhalt, weil dafür nicht nur ein Mensch, sondern Gott selber einsteht. Gott ist da.

III.

Inwiefern ist dieser Jesus von Nazareth, dieser Jesus Christus das Brot des Lebens? Unser Abschnitt deutet hier nur an. Er benennt im letzten Vers den Karfreitag, auf den wir jetzt in der Passionszeit zugehen: „Und dieses Brot ist mein Fleisch, das ich geben werde für das Leben der Welt.“ (V. 51) Jesus gibt sich hin für die Welt. Es ist der stellvertretende Tod am Kreuz, auf den hier verwiesen wird. Der Tod Jesu Christi ist das Leben der Welt. Ohne diesen Tod am Kreuz wäre die Rede Jesu nicht hinreichend zu verstehen, wäre noch nicht deutlich, inwiefern das Brot Lebensbrot für die ganze Welt ist. Wie gesagt, unser Abschnitt deutet hier nur an. Verweist darauf. Aber alle, die es lesen, wissen, worauf hier verwiesen wird. Dem folge ich jetzt auch und lasse es mit diesem Verweis bewenden: der ein-für-allemal geschehene Tod Jesu am Kreuz ist das Leben der Welt.

Manchmal hat man unseren letzten Vers nun so verstehen wollen, als sei damit direkt auf das Abendmahl verwiesen; als ob das dort gegessene Brot das Fleisch wäre, das für die Welt dahingegeben wird. Johannes benennt das Abendmahl nicht. Er sagt nicht, daß das im Abendmahl geschieht. Das ist wichtig. Denn Jesu Hingabe ist das Leben für die Welt. Aber man wird doch auch sagen müssen, daß hier natürlich die Sprache des Abendmahls gesprochen wird. Unser Text atmet Abendmahl. Denn im Abendmahl feiern wir ja das Leben der Welt, feiern die uns zugeeignete Gemeinschaft Gottes, feiern die Vergebung unserer Schuld. Das Abendmahl ist nicht das Leben der Welt, aber es bestätigt es, es ist gleichsam ein Siegel darauf: Ja, es gilt, was damals geschehen ist auch für Dich. Es gilt auch Dir. Heute. Und hier. Im Abendmahl gedenken wir des lebendigen Brotes, das der ganzen Welt das Leben geschenkt hat. Ein-für-allemal.

IV.

Jesus Christus ist das Brot, das vom Himmel gekommen ist. Er ist nicht nur Mensch, sondern auch Gott. Und wer glaubt, der hat das ewige Leben. Wer glaubt, hat das ewige Leben. Wenn man nur diesen letzten Satz hört, so kann er leicht als Bedingung mit Zeigefinger gehört werden: Nur wenn du glaubst! Und dann kann der Glaube als Bedingung verstanden werden – und dann eben auch als Drohung: Wenn Du nicht glaubst, dann stehen Dir ganz schlimme Strafen bevor. Wenn Du nicht glaubst, daß Jesus Christus wahrer Gott und wahrer Mensch ist, dann hast Du keine Zukunft. Manchmal ist in der Geschichte der Kirche so gedroht worden. Aber das ist nicht gut. Und das Johannesevangelium tut das nicht. Einmal kann man den Glauben nicht einfach „machen“ oder produzieren. Das ist durchaus eine Erfahrung, die Menschen immer wieder machen. Sie möchten gerne glauben – und es gelingt ihnen nicht. Immer wieder werden sie auf sich selber zurückgeworfen. Man kann den Glauben nicht machen. Man kann sehr wohl dahin gehen, wo Gott verheißen hat, Glauben zu schenken: in der Gemeinschaft der Kirche, in der Predigt, beim Lesen der Heiligen Schrift und auch beim Feiern des Abendmahls. Aber: garantierbar ist es nicht, daß Glaube entsteht. Auch in unserem Kapitel macht Jesus deutlich: „Es ist Gottes Werk, daß ihr an den glaubt, den er gesandt hat.“ (V. 29) Gott schenkt Glauben. Wir können ihn nicht aus uns selber hervorbingen.

Und vor allem: Unser Satz sagt nicht, was geschieht, wenn Menschen nicht glauben, sondern was passiert, wenn sie glauben, wenn sie vertrauen. Dann, so sagt Jesus, haben sie das ewige Leben. Ich weiß nicht, ob sie den Clou dieses Satzes verstanden haben. Jesus sagt nicht: Wer glaubt, wird das ewige Leben haben, wird nach dem Tod weiterleben. Nein, das sagt er nicht. Er sagt: Wer glaubt, der hat das ewige Leben. Schon jetzt. Das klingt für unsere Ohren merkwürdig. Denn mit dem ewigen Leben verbinden wir meistens die Zeit nach dem Tod. Aber wie ist das denkbar, jetzt schon ewiges Leben zu haben?

Wer davon ist, so heißt es, wird nicht sterben. Aber – so lautet unser Einwand – das stimmt doch gar nicht. Nach allen Informationen, die uns zustehen, sind alle Menschen, die das damals gehört haben, alle Jünger und sowieso alle Menschen gestorben. Hat Jesus sich also geirrt? Sollte er etwas erwartet haben, das nicht eingetroffen ist. So könnte ein Einwand lauten.

Was heißt, daß die Menschen, die darauf vertrauen, daß Jesus Christus ihr lebendiges Brot ist, ihnen Vergebung der Sünden gewährt hat, sie mit Gott versöhnt hat, nicht sterben werden, sondern leben?

Es heißt, daß den Menschen, die Gott vertrauen, schon jetzt zugesagt wird, daß der leibliche Tod, der aller Voraussicht nach kommen wird, keine Trennung von Gott bedeutet. Wer glaubt, der weiß, daß keine Macht der Welt ihn von Gott trennen kann. Weder Krankheit noch Tod. Weder Leben noch irgend etwas anderes. Nichts kann uns trennen von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist. Auch nicht unsere Schuld, auch nicht unser Versagen. Nichts. Daß wir uns immer wieder am Alltag und am Sonntag von Gott abwenden, daß wir meinen, ihn nicht nötig zu haben, daß wir meinen, seine Gebote nicht befolgen zu müssen und auch, daß wir meinen, letztlich gültig und wahr und wichtig seien andere Dinge – all das trifft wohl auf uns zu. Aber das ist ja gerade das Besondere, daß Gott selber in Jesus Christus in diese Welt gekommen ist, um durch seinen Tod am Kreuz uns doch eine Zukunft zu geben. Unsere Abwendung von Gott – auch sie trennt uns nicht von Gott. Denn er hat auch sie überwunden. Und deswegen hat der Glaube bei sich die Erkenntnis, das Vertrauen und den Jubel: Das ewige Leben, die unlösbare Gemeinschaft mit Gott: sie ist jetzt schon da. Das ist keine Vertröstung, das ist Trost. „Was ist dein einziger Trost im Leben und im Sterben? Daß ich mit Leib und Seele, im Leben und im Sterben, nicht mir, sondern meinem getreuen Heiland Jesus Christus gehöre.“ (Heidelberger Katechismus, Frage 1)

Daß wir nicht auf uns selber vertrauen müssen, sondern daß wir unser Vertrauen auf den setzen dürfen, der den Tod überwunden hat, der den Tod getötet hat, dazu lädt uns Jesus ein mit seinem Satz: „Ich bin das Brot des Lebens. Wer glaubt, hat das ewige Leben.“ Das ist keine Drohung. Das ist eine Zusage, ein Versprechen. Eine Zusage allerdings, die Jesus sein Leben gekostet hat. Und uns das Leben erworben – uns und der ganzen Welt. Man darf also mit dem Wort: „Wer glaubt, der hat das ewige Leben“ nicht drohen. Denn das Leben ist der ganzen Welt verheißen. Aber nicht alle Welt lebt in diesem Vertrauen, nicht alle Welt glaubt. Das ist schade. Denn alle Welt soll es wissen dürfen, soll darauf vertrauen dürfen, soll jetzt schon die tröstende Botschaft hören und darauf vertrauen: Er hat den Tod überwunden. Ihm gehören wir, und das ist gut für uns.

V.

Das möchte uns das Johannesevangelium nahebringen. Uns und auch schon den Jüngern damals. Nicht alle haben diese tröstende Botschaft aus diesen Worten Jesu gehört. Manche haben sich abgewandt. Andere wiederum, eben die Jünger, haben aus diesen Worten Kraft und Trost empfangen und sind weiter mit Jesus gezogen.

Nichts anderes erleben wir in unseren Tagen. Diese Botschaft von Jesus Christus, der Gott und Mensch ist, und diese Botschaft vom Kreuz, das nicht als Niederlage, sondern als Sieg zu verstehen ist, ist nicht für alle Menschen glaubhaft. Für manche ist es nach wie vor ein Anstoß. Das ist nur zu verständlich, weil man das nicht einfach erklären kann. Weil man nicht einfach Menschen davon überzeugen kann.

Aber es ist auch nicht verheißen, daß alle Menschen Christen werden, daß die ganze Welt Glauben haben wird.

Aber es ist denen, die glauben, von Jesus selber zugesagt, daß sie schon jetzt eine Gemeinschaft mit Gott haben, die durch den Tod nicht in Frage gestellt werden kann. Auch jenseits unseres natürlichen Todes wartet auf uns der, der den Tod überwunden hat. Ich bin das Brot des Lebens. Davon dürfen wir essen – hier und dort.

Amen.

PD Dr. Georg Plasger
Hambergstr. 52 37124 Rosdorf
Tel. 0551 / 782031
E-Mail: gplasge@gwdg.de


(zurück zum Seitenanfang)