Göttinger Predigten im Internet
hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch
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Karfreitag, 13. April 2001
Predigt über Matthäus 27, 33-54, verfaßt von Hans Theodor Goebel

Vorbemerkung

I.

Wer war der, der da starb - qualvoll hingerichtet am Kreuz von Golgatha? Und entzieht sich noch immer dem Verstehen. Aber auch dem Nichtverstehen.
Menschen glauben an ihn. Andere können nicht glauben.

Wer ist er heute? Für uns?
Der Helfer – oder der Hilflose?
Der König der Juden und der Welt – oder aller Herrschaft beraubt?
Selbst Gottes Sohn – oder von Gott verlassen?

Sind das Gegensätze, von denen einer den anderen ausschließt? Oder lassen die Widersprüche sich zusammenreimen in diesem Geschehen am Kreuz?
Das Kreuz ist bis heute Zeichen der Gewalt, die Menschen angetan wird, und Zeichen des Leidens. Künstler auch außerhalb des christlichen Glaubens arbeiten sich an ihm ab, wohl weil unsre Welt das Problem nicht los wird.

In das Geschehen am Kreuz von Golgatha ist Gott hinein verwickelt. Mit Jesus steht er hier selbst auf dem Spiel.
Wer ist dieser Jesus und Gott mit ihm?

Die Antwort darauf lässt die Erde beben und die Felsen zerreißen. Die Welt, die Gott geschaffen hat, steht mit auf dem Spiel.

Da wird der Vorhang zerrissen, der das Heilige von dem Unheiligen trennt. Jetzt wird das Heilige zugänglich für jedermann – und ungeschützt: jedermann kann es auch zertreten und schänden.

Am Kreuz Jesu greift der Tod mit zerstörerischer Gewalt ins Leben ein. Es greift aber schon befreiend das Leben in die Herrschaft des Todes ein und bricht Gräber auf. Aufgesprengt wird die Wand zwischen Tod und Leben.

Was für Gegensätze prallen in dieser Geschichte aufeinander! Wer soll das verstehen?

Die zweitausend Jahre, die uns von dieser Geschichte trennen, sind nicht das Problem. Sind sie doch nur ein kleiner Schritt der Weltgeschichte – gemessen an den fünfzehn Milliarden Jahren, die unser Universum alt ist - vom Urknall an gerechnet.
Auch nicht in Milliarden zu messen, vielmehr unendlich ist dem gegenüber der Abstand, der die Welt von Gott trennt. Der Abstand von Tod und Leben.
Der unüberbrückbare Abstand.
Wie wenn er zusammen gerückt ist in der Geschichte des gekreuzigten Jesus von Nazareth?

II.

Die Geschichte von der Kreuzigung Jesu ist keine stille Geschichte.
Nach den Hammerschlägen der Soldaten werden menschliche Stimmen laut.

Wo einer hingerichtet wird, gibt’s noch allemal was zu sehen. Schaulustige aus der Stadt gehen an Jesu Kreuz vorüber. Sie lästern - wie es heißt:
Hilf dir selber, wenn du Gottes Sohn bist, und steig herab vom Kreuz!

Hohepriester zusammen mit Schriftgelehrten und Ältesten lassen ihren Spott an dem Gekreuzigten aus:
Andern hat er geholfen und kann sich selber nicht helfen.

Die so reden, denken wie die Leute heute denken.
Nur wer sich selber helfen kann, der kann auch andern helfen.
Ausweis ist die eigene Stärke, der Erfolg, - das, was du aus dir selber gemacht hast.

Das ist auch die Heilslehre der globalen Marktwirtschaft heute:
Nur wenn die Wirtschaft wächst und für sich selbst Gewinne macht, kann sie auch aus der sozialen Not helfen und soziale Not vermeiden.
Und wo in den Unrechtsstaaten des Ostens und der dritten Welt die freie Marktwirtschaft sich ausbreitet und ihre Geschäfte macht, da kommen - jedenfalls langfristig gesehen - dann auch Menschen zu ihren Menschenrechten. Weil Unfreiheit der Wirtschaft schadet.

Wie fremd nimmt sich solchem Denken gegenüber der Glaube aus, der Hilfe erwartet von dem, der hilflos hing am Holz von Golgatha.

Andern hat er geholfen und kann sich selber nicht helfen.

So lästern ihn auch die mit ihm Gekreuzigten.
Wie kann uns dieser Hilflose denn helfen!

Und Gott?
Hilf dir selbst, dann hilft dir Gott. Sagt das Sprichwort. Ist das nicht auch ein modernes Lebensgefühl?
In der Geschichte sagen die Leute über den, der da am Kreuz hängt:
Er hat Gott vertraut; der erlöse ihn nun, wenn er Gefallen an ihm hat.
Wenn Gott ihm nicht hilft, ist Gott wohl auch nicht auf seiner Seite.

Der Gekreuzigte antwortet denen, die ihn schmähen, nichts.
Er schreit zuletzt: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?
Aber sein Gott, zu dem er schreit, antwortet ihm nicht.
Der Todesschrei des Gekreuzigten verhallt.
Unheimlich kommunikationslos vollzieht sich diese Geschichte.
Der da am Kreuz stirbt ungetröstet.

War es so, wie Jesus am Kreuz schrie: Starb er wirklich gottverlassen?
Oder hat er sich nur so gefühlt, weil er Gottes Antwort nicht hörte, seine Nähe nicht fühlte? Schlimm genug wäre schon dies. Aber vielleicht war es noch schlimmer.

Wo war Gott in dieser Geschichte?
Ich glaube, wir dürfen nicht denken:
Gott war irgendwo fern, unberührbar und ungerührt und hat so Jesus geschlagen. Gewalttätig geschlagen.

Wo war Gott? Gott war in Jesus Christus. Sagt die Bibel.
Dann war er da oben am Kreuz.
Und war sich da doch selbst gegenüber.
So liebte er Jesus als seinen Sohn und war ganz eins mit ihm in seiner Liebe.
Gott war in Jesus Christus.

In Köln haben wir gerade dieser Tage erfahren, wie schrecklich es ist, wenn einem Vater sein Sohn mit Gewalt genommen wird.
Wo Gott Jesus schlagen ließ, ließ er sich selber schlagen.
Wo Jesus geschlagen wurde, wurde Gott geschlagen.
Wenn Gott hier schlug, schlug er sich selbst.

Wenn Jesus ungetröstet starb, ließ Gott sich selbst ohne Trost.
Wenn Jesus gottverlassen starb, hatte Gott sich selbst preisgegeben.

Wir dürfen hier nicht in falsch verstandener Dogmatik Gott zum Schläger machen, der sich einen Anderen als Opfer suchte.
Wenn Gott diesen Jesus schlug, war er selber auf der Seite des Geschlagenen. Ja war er selber der Geschlagene.
In seiner Liebe hat Gott sich verletzlich gemacht. Er hat sich am Kreuz wehrlos gemacht. In seiner Liebe zu unsrer Welt.

In seiner Liebe hat Gott sich angreifen und verletzen lassen. Hat er sich zu Tode schinden lasen. Hat er sich durch Gewalt aus unsrer Welt hinausdrängen lassen.

Im Kreuz Jesu hat Gott sich selbst preisgegeben an unsre Welt, die rücksichtslos das Ihre sucht. Gott hat sein ganzes Gottsein in diese Liebe gelegt. Er liebte unsre Welt und wollte sie in ihrer Gewalttätigkeit nicht selber gewalttätig umbringen. Lieber wollte er selbst verlieren.

Hat Gott sich da nicht selbst aufs Spiel gesetzt?
Wäre er gescheitert in seiner Liebe, bliebe auch unsre Welt ihrer eigenen Gewalttätigkeit ausgeliefert. Unentrinnbar auf immer.

III.

Diese Geschichte kann nur verstehen, wer ihren Ausgang kennt.
Diese Geschichte kann nur verstehen, wen der auferstandene Jesus Christus an die Hand nimmt und nimmt ihn mit auf seinen Weg ans Kreuz und in sein Sterben hinein. So ist das Evangelium erzählt worden. Immer so, dass der lebendige Jesus aus ihm spricht – vom Ende her, von daher, dass Gott den Gekreuzigten auferweckt hat von den Toten.

Das Evangelium erzählt von daher, dass das Leben eingebrochen ist in die Gewalt des Todes. Das Evangelium erzählt von unserer Zukunft her, die da schon begonnen hat.

Der Hauptmann des römischen Hinrichtungskommandos urteilt von daher: Wahrhaftig! Dieser ist Gottes Sohn gewesen.

Das Evangelium erzählt von daher, dass die Wehrlosigkeit der Liebe Gottes die Gewalt des Hasses besiegt hat.

Diese Liebe hat den Totgeschlagenen nicht tot gelassen, sondern den Gekreuzigten auferweckt aus der Gewalt des Todes.
Die Liebe, in der Gott sich selbst der Gewalt preisgab, hat die Gewalt überwunden. Hat der Gewalt nicht den Sieg über die Geschlagenen gelassen. Das ist Hoffnung für unsre Weltgeschichte.

Am Kreuz hatte Gott sich selbst an die Welt preisgegeben und verloren. Und gerade dieser Liebe gab er in der Auferweckung des Gekreuzigten Recht.

Am Kreuz konnte er sich selber nicht helfen, weil er uns liebte. Und wurde gerade so zu unserem Helfer.

Unsere Welt wird nicht heil durch die Starken, die ihre Stärke ausspielen.
Unserer Welt wird nicht geholfen durch die, die sich zuerst selber helfen. So können wir uns auch nicht selber helfen.
Uns wird und ist schon geholfen von dem, der es anders machte. Von dem, der sich in seiner Liebe zu uns aufgab – und bekam Recht darin.
Die sich selbst zuerst durchsetzen und wollen so die Welt sanieren – sie bekommen hier Unrecht. Und die Gewalttätigkeit gegen Andere – sie bekommt hier allemal Unrecht.

In dem Gekreuzigten hat Gott sich an unsre Welt hergegeben und hat darin zusammen mit unsrer Welt das Spiel gewonnen – und es nicht verloren an die mörderische Gewalt.

Gefragt sind wir, ob wir uns drauf einlassen. Auf diese Liebe. Lebendig schwimmen gegen den Todesstrom.
Was „gibt“ es „Bessres in der Welt“?

Amen.

Dr. Hans Theodor Goebel, Köln
E-Mail: GoebelH@Kirche-Koeln.de

Vorbemerkung

Über die Kreuzigungsgeschichte, über ihr Profil bei Matthäus im Vergleich zu den anderen Evangelisten, haben wir vor wenigen Tagen in einem Bibelhauskreis unserer Gemeinde gesprochen.

Eine Frage beschäftigte uns stark: Ob Jesus gottverlassen gestorben sei? Oder ob er sich nur so gefühlt habe und Gott in Wirklichkeit doch bei ihm gewesen sei. Und von vorneherein die Fragen: Ob oder warum Jesu Leiden und Sterben nötig gewesen sein solle und der einzige Weg zum Heil der Welt?


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