Göttinger Predigten im Internet
hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch
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Quasimodogeniti, 22.4.2001
Predigt über Markus 16, 9-14 (15-20) , verfaßt von Klaus Raschzok

I.

In den Ausgaben der revidierten Lutherbibel findet sich am Ende unseres eben verlesenen Predigttextes ein kleingedruckter Zusatz: „Nach den ältesten Textzeugen endet das Markusevangelium mit Vers 8. Die Verse 9-20 sind im 2.Jahrhundert hinzugefügt worden, vermutlich um dem Markusevangelium einen den anderen Evangelien entsprechenden Abschluß zu geben.“ Ein Evangelium kann eben nicht mit Zittern, Entsetzen und Furcht über die Auferstehung Jesu aufhören, und wir erhalten so Einblick in einen Prozeß des Gestaltens und Entstehens des Neuen Testamentes. Aber auch diese Verse sind Bestandteil der Bibel, und der kluge Hinweis in der revidierten Lutherübersetzung darf nicht mißverstanden werden, als könnten wir beim Lesen des Markusevangeliums den sogenannten „unechten“ Schluß einfach übergehen. Denn auch hier wird eine wichtige Erfahrung des Glaubens aufbewahrt und an uns weitergegeben.

II.

Zweimal, so hören wir, sind Persönlichkeiten aus dem engsten Kreis um Jesus davon überzeugt, dem auferstandenen Herrn begegnet zu sein. Aber ihre Begegnungserfahrung verbleibt in der Subjektivität. Als sie davon weitererzählen, glauben es ihnen die anderen nicht. Erwähnt werden Maria von Magdala und die beiden Emmausjünger, deren Erlebnisse mit dem Auferstandenen wir aus dem Johannes- und dem Lukasevangelium kennen, so daß hier am Ende des Markusevangeliums eine kurze Zusammenfassung genügt, um sie in Erinnerung zu rufen. Der sogenannte unechte Markusschluß, der in der altkirchlichen Tradition einem Presbyter namens Ariston zugeschrieben wird, hat ein großes Interesse daran, zu betonen, daß es des Glaubens der anderen zur Bestätigung dieser Erfahrung gar nicht bedarf, so verständlich und nachvollziehbar dieser Wunsch ist. Mit dem zweimaligen lapidaren Zusatz „glaubten sie es nicht“ wird dies deutlich gemacht. Maria von Magdala und die beiden Emmausjünger haben die Nähe des auferstandenen Herrn ganz persönlich erfahren. Daß es die anderen nicht glauben, ändert an ihrer Gewißheit nichts. Glaubenserfahrungen, so ahnen wir, sind nicht darauf angewiesen, durch die Zustimmung der anderen bestätigt und bekräftigt zu werden. Sie sind zunächst einmal ein kostbarer und ganz persönlicher Besitz.

III.

Nur der auferstandene Herr selbst führt zum Glauben. Nur, wo er das Zeugnis bekräftigt, wird es zum annehmbaren Glaubenszeugnis. Als er unter die Jünger tritt, die sich zu seinem Gedächtnis zum Mahl versammelt haben, können auch sie die zuerst unverstandene Erfahrung der Maria von Magdala und der beiden Emmausjünger persönlich nachvollziehen und sich aneignen. Christus selbst führt in ihnen diesen Wandel herbei.

Die bisher sprachlosen, die aus Furcht niemandem etwas davon sagten, was im Grab ihres Herrn geschehen war, erhalten nun von ihm den Auftrag, zu sprechen. Sie sollen aus dem schützenden Raum der Tischgemeinschaft hinausgehen und das Evangelium predigen „aller Kreatur“, also der ganzen Schöpfung. Kein Stück von ihr soll davon ausgeschlossen sein.

Auch hier kommt es auf die persönliche Begegnung an, die den Glauben schafft. Es geht nicht darum, etwas einfach für wahr zu halten. „Wer da glaubt und getauft wird, der wird selig werden; wer aber nicht glaubt, der wird verdammt werden.“ Diese Worte des Auferstandenen an seine Jünger aus unserem Abschnitt haben viele Jahre lang im lutherischen Hauptgottesdienst das Rüstgebet beschlossen und sind so Besitz der gottesdienstlichen Gemeinde geworden.

IV.

Denen, die glauben, werden Zeichen folgen. Mit der Aufzählung der Zeichen werden wir in die Welt der frühchristlichen Legenden geführt, die in der Kunst des Mittelalters auf Altären, an Kirchenwänden und in Bibelillustrationen bis heute bewahrt ist. Apostel vermögen böse Geister auszutreiben, in neuen Zungen zu reden, Schlangen mit den Händen hochzuheben und aus einem Becher einen tödlichen Trank zu trinken, der ihnen nichts schaden kann. Sie legen Kranken die Hände auf, und diese werden gesund. Es ist die Bild- und Legendenwelt, die die Ausbreitung des Evangeliums und das Wachsen der frühen Kirche begleitet, und deren erste Anfänge sich bereits in der Apostelgeschichte finden. Wie alle Legenden bewahren sie eine grundlegende Erfahrung auf, von der auch Paulus spricht: Nichts kann von der Liebe Gottes trennen. Gottes Liebe ist mächtiger als alles, was Menschen bedrohen und gefährden kann. Die Taufe vermittelt Zugang zu dieser Sicherheit. Wer zum auferstandenen Christus gehört, bleibt selbst im Tod bewahrt und in seiner Hand geborgen.

V.

Nach dem kurzen Gespräch des auferstandenen Herrn mit seinen Jüngern wird er in den Himmel aufgenommen und sitzt, wie wir es im apostolischen Glaubensbekenntnis bekennen, zur Rechten Gottes.

Jesu Jüngerinnen und Jünger aber ziehen nun aus und predigen an allen Orten. Sie verlassen die Geborgenheit und Enge des schützenden Hauses. „Und der Herr wirkte mit ihnen und bekräftigte das Wort durch die mitfolgenden Zeichen“, heißt es zum Abschluß.

So wird ein Evangelium weitergeschrieben und ist genau genommen auch mit dem sogenannten unechten Markus-Schluß noch nicht zu ende. Es vollendet sich erst in den unendlichen Fortsetzungen, die in jeder Generation hinzugefügt werden, verwoben mit der eigenen Lebensgeschichte der Hörerinnen und Hörer.

Am schlesischen Theologen und Volksschriftsteller Joseph Wittig wird dieses Weiterschreiben des Evangelium beispielhaft sichtbar. Sein populärstes, 1926 erschienenes Werk trägt den bezeichnenden Titel „Leben Jesu in Palästina, Schlesien und anderswo“. Joseph Wittig verknüpft darin die einzelnen Begebenheiten aus den Evangelien mit dem Leben der einfachen Leute seiner Heimat und zeichnet die biblischen Erzählungen immer wieder neu in die schlesische Landschaft ein. Biblischer Text, Landschaft, Bevölkerung und volkstümliche Frömmigkeit gehen ineinander über und bilden eine neue Einheit.

Auch wir sind eingeladen, ein Stück mit am Evangelium weiterzuschreiben und unseren Beitrag dazu zu leisten, daß es solange unabgeschlossen bleibt, bis Christus wiederkommt am Ende der Zeit.

„Durch dieses letzte Wort war den Lesern des Evangeliums mit einer kurzen Übersicht gezeigt, wie ihr eigener Christenstand mit Jesu Arbeit auf Erden zusammenhing“, schreibt Adolf Schlatter in einer Auslegung zum Markus-Schluss. So sei Kirche entstanden. Ob die letzten Worte des Markus-Evangeliums, die in unserer Bibel stehen, nun echt oder unecht sein sollen, spielt dafür keine Rolle. Wir werden als gottesdienstliche Gemeinde mit hineingenommen in die Entstehung der Kirche und sind selbst daran beteiligt, mit unserer eigenen Lebens- und Glaubensgeschichte, die nichts anderes als eine Fortsetzung des Evangeliums darstellt.

Eine der Erfahrungen des schlesischen Schriftstellers Joseph Wittig aus seinem „Leben Jesu in Palästina, Schlesien und anderswo“ wird damit auch zu unserer: Wo in der eigenen Lebensgeschichte die Geschichte des Evangeliums weitergeschrieben wird, bleibt zugleich etwas vom Glanz des Evangeliums haften und durchdringt sie von innen her. Daß dieser Glanz häufig erst im Rückblick richtig wahrgenommen werden kann, gehört mit zu dieser Erfahrung, die uns mit den ersten Auferstehungszeugen und allen, die am Evangelium weiterschreiben, verbindet.

Professor Dr. Klaus Raschzok
Theologische Fakultät der Friedrich-Schiller-Universität Jena
Fürstengraben 1, 07743 Jena


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