Göttinger Predigten im Internet
hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch
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Misericordias Domini, 29.4.2001
Predigt über Johannes 21,15-19 , verfaßt von Gottfried Sprondel

Liebe Gemeinde,

kaum etwas ist schwieriger, als einen Menschen gerecht zu beurteilen. Wer einen Flecken in der Vergangenheit hat oder gar "eine Leiche im Keller" hat wenig Chancen, das jemals loszuwerden. Selbst wenn sich herausstellt, dass es sich um ein bloßes Gerücht oder eine Intrige gehandelt hat, bleibt immer etwas haften und wird bei Bedarf hervorgezerrt, wie etwa die Amerikaner mit ihren Politikern umgehen - und wir in Deutschland stehen ihnen kaum noch nach - erfüllt nicht selten den Tatbestand trüber Rachsucht. Aber das Spiel ist beliebt.

Mir ist immer aufgefallen, dass die Christenheit mit ihrer Gründergeneration ganz anders verfahren ist. Wir sind die Kirche "auf dem Grund der Apostel und Propheten", wie unser heiliges Buch, das Neue Testament, es sagt. Aber was für Gestalten erblicken wir in der Reihe unserer Gründerväter! Die meisten von ihnen sind als Blutzeugen geendet. Aber vorher? Sie hätten nie wirklich begriffen, was Jesus, ihr Meister, eigentlich gewollt habe, sagen die Evangelien. Sie hätten die Zeit mit albernen Rangstreitigkeiten vertan; sie hätten am liebsten Feuer vom Himmel regnen lassen, wenn ihnen etwas nicht passte; sie seien prompt eingeschlummert, als das Verhaftungskommando schon unterwegs war. Und als alles drauf ankam, da verließen alle Jünger den Meister und flohen. Sie waren öfter traurig als zuversichtlich, enttäuscht als mutig, zweifelnd als glaubensstark, Versager als Helden - kurzum: gewöhnliche Leute wie wir auch. Und gerade die hat Christus sich ausgesucht als das Fundament seiner künftigen Gemeinde und Wegbereiter seiner Botschaft in die Welt!

Da ist Petrus, Sohn eines gewissen Jona, einst der Fischer vom See Genezareth. In unserer Geschichte hält er sich wieder an eben diesem See auf bei seiner alten Arbeit, von der er doch für immer Abschied genommen hatte. Die Nahtstelle zwischen seinem Leben als unbekannter Fischer und seiner Rolle als Haupt der ersten christlichen Gemeinde erzählt uns hier die Bibel. Natürlich weiß er schon alles von Jesus. Er hat ihm die Botschaft vom Gottesreich, das kommen werde und zugleich schon mitten unter uns sei, geglaubt, hat aus einen Händen Brot und Wein empfangen, hat seinen Prozess gesehen und seinen Tod erlebt. Ja, er hat sogar die Kunde von seiner Auferstehung vernommen und in das leere Grab selbst hineingeschaut. Damit nicht genug: er hat den lebendigen Jesus selbst gesehen, wie er am Seeufer stand, und das hat ihn so durcheinander gebracht, dass er, der alte Fahrensmann, aus dem Boot ins Wasser gesprungen ist. War das alles noch nicht genug? Wir werden als Zuhörer seiner Geschichte den Eindruck nicht los, dass bisher alles irgendwie äußerlich geblieben ist und noch nicht wirklich Ostern für Petrus geworden ist. Erst hier, in dem Zwiegespräch mit dem Herrn, fängt sein wahrer Ostertag an. Warum? Weil sich der auferstandene Meister jetzt erst in das Leben des Petrus einhakt. Was vorher lautete: das ist so!, das heißt nun: das ist mit dir so! Dies verändert den Mann bis in die letzte Faser. So fängt lebendiger Osterglaube wohl immer an bis zum heutigen Tag. Er muss sich einhaken in unsere eigene Geschichte.

Denn da gab es etwas in der Geschichte des Petrus, was noch nicht in Ordnung gebracht war. Petrus hat es offenbar sofort gewusst, als Jesus mit ihm zu sprechen beginnt. Wir Zuhörer der Geschichte spüren es spätestens dann, wenn wir wahrnehmen, dass Jesus ihn drei mal dasselbe fragt. Drei mal dasselbe gefragt werden - das saß in der Seele des Petrus wie ein eiternder Stachel. Im Innenhof des hohenpriesterlichen Palastes war es gewesen, dicht beim nächtlichen Holzkohlenfeuer des Wachpersonals, an dem er sich die Hände gewärmt hatte. Wenige Tage ist es her. Drei mal dieselbe Frage, drei mal das feige Versagen, und dann der Hahnenschrei. Dann hatte er bitterlich geweint. Unwürdig bin ich, alles habe ich selber ausgelöscht, was Kern und Stern meines Lebens geworden war. Ob ihm jetzt am Seeufer auch zum Weinen zumute war? Das Evangelium erwähnt, er sei traurig geworden bei der dritten Frage, und wir können uns die Tränen dazu gut denken. Aber es sind andere Tränen als die von damals, die Tränen der verzweifelten Scham. Jetzt sind es Tränen der Erleichterung, der Befreiung, des Glücks, trotz aller Traurigkeit. Nicht nur, dass er noch mit mir redet, nein, wie er es tut!

Wie hatte Petrus in der Nacht vor der Verhaftung des Meisters am Ölberg gesagt? "Und wenn ich mit dir sterben sollte, ich werde dich nicht verleugnen!" Wie hatte er der Magd am Holzkohlenfeuer geantwortet? "Da fing er an, sich zu verfluchen und zu schwören: Ich kenne diesen Jesus gar nicht!" Immer die großen, die starken Worte. Die Magd hatte ihm kein Wort geglaubt, sein galiläischer Dialekt hatte ihn längst verraten. Und nun heute, zu Ostern am See? "Herr, du weißt alle Dinge; du weißt, dass ich dich liebhabe". Du weißt, durch welche Hölle ich gegangen bin in diesen Tagen seit meinem Verrat. Du kennst meine schwächliche Begeisterung, meine hohle Tapferkeit, meine Tränen, meine brennende Scham. Alles liegt ausgebreitet vor dir wie ein Tuch.

Und zugleich schwingt in diesen Worten schon das Neue, das mit diesem Tag in seinem Leben anfängt: Ich werde ja nicht fallen gelassen, sondern noch einmal gefragt, diesmal nicht nach meiner Schande, nein, nach meiner Liebe. Da fasst er sich ein Herz und sagt: Ja, Herr. Das alles ist so zart, so verletzlich, kein Wort zuviel, dass man gar nicht weiter eindringen mag. Dennoch geschieht hier haargenau das, was wir sonst mit Buße und Vergebung bezeichnen. Keines der aus der Beichte vertrauten Worte fällt, aber es ist dennoch alles da. Am Ende steht en Mensch, der seine finstere Vergangenheit los ist und der einen neuen Auftrag hat. Das Leben kann noch einmal beginnen. Man stelle sich vor, die erste Gemeinde von Jerusalem, später die von Rom, hätten durch einen Sonderermittler ein Dossier über ihren künftigen Leiter angelegt, ob man es mit ihm überhaupt wagen könne! Ihr Dossier war unsere Geschichte.

Über den Auftrag, auf den alles zuläuft, müssen wir noch einen Augenblick nachdenken. "Weide meine Schafe!", hört Petrus. Das ist der Hirtenauftrag. Das Wort "Hirte" hat seit Jesus einen festen Ort in der christlichen Gemeinde. Auf lateinisch lautet es "pastor". In jenem Augenblick, von dem unsere Geschichte spricht, gab es die Herde, die Gemeinde, noch gar nicht. Sie soll erst noch entstehen, und es muss Pfingsten werden, damit das geschieht. Aber der Hirte ist schon berufen. In der Gemeinde gibt es die Hirten, weil der auferstandene Herr es so will, nicht etwa, weil die Gemeinde darauf gekommen wäre. Den ersten Hirten hat Jesus selbst bestellt, ehe die Herde beisammen ware. Das macht die Würde des Hirtenamtes in der Kirche aus.

Aber Jesus hat einen Hirten berufen, nicht einen Chef. Die Herde bleibt sein, das Haupt der Kirche bleibt er selbst. Davon lässt er sicht nichts abdingen. Der berufene Hirte dagegen soll die Gemeinde weiden mit dem einzigen, was ihm der Herr dazu anvertraut: nämlich mit dem Wort der Verkündigung und mit den Sakramenten der Taufe und des Abendmahls - das ist buchstäblich alles. Ja, noch mehr: der Hirte Petrus soll so eins werden mit seinem Hirtenamt, dass er ganz auf Eigenwege verzichten kann und seinem Herrn schließlich auch in den Märtyrertod folgen wird. Das ist nämlich gemeint mit dem "führen, wohin du nicht willst". Nicht jeder Hirte soll das, Gott lob! Aber jeder Hirte, sei er nun Pastor, Mitarbeiter, Kirchenvorsteher, theologischer Lehrer, Kindergottesdiensthelfer, Religionslehrer oder auch schlicht eine christliche Mutter und christlicher Vater für ihre Kinder (lauter Hirtenämter!) - sie alle sollen wissen: ich habe meinen Auftrag vom auferstandenen Herrn. Da hat er sich in mein Leben eingehakt, seitdem bin ich sein.

Amen

Landessuperintendent i.R. Dr. Gottfried Sprondel
An der Wiho Kirche 1
49078 Osnabrück
Tel.: 0541 – 445871 Fax: 0541 - 46555


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