10. Sonntag nach Trinitatis, 19. August 2001
Predigt über Jeremia 7,1-11, verfaßt von Ulrich Braun

Predigttext:
Dies ist das Wort, das vom Herrn geschah zu Jeremia:
Tritt ins Tor am Hause des Herrn und predige dort dies Wort und sprich: Höret des Herrn Wort, ihr alle von Juda, die ihr zu diesen Toren eingeht, den Herrn anzubeten! So spricht der Herr Zebaoth, der Gott Israels: bessert euer Leben und euer Tun, so will ich bei euch wohnen an diesem Ort.
Verlasst euch nicht auf Lügenworte, wenn sie sagen: Hier ist des Herrn Tempel, hier ist des Herrn Tempel, hier ist des Herrn Tempel! Sondern bessert euer Leben und euer Tun, dass ihr recht handelt einer gegen den andern und keine Gewalt übt gegen Fremdlinge, Waisen und Witwen und nicht unschuldiges Blut vergießt an diesem Ort und nicht andern Göttern nachlauft zu eurem eigenen Schaden, so will ich immer und ewig bei euch wohnen an diesem Ort, in dem Lande, das ich euren Vätern gegeben habe.
Aber nun verlasst ihr euch auf Lügenworte, die nichts nütze sind. Ihr seid Diebe, Mörder, Ehebrecher und Meineidige und opfert dem Baal und lauft fremden Göttern nach, die ihr nicht kennt.
Und dann kommt ihr und tretet vor mich in diesem Hause, das nach meinem Namen genannt ist, und sprecht: Wir sind geborgen, - und tut weiter solche Gräuel.
Haltet ihr denn dies Haus, das nach meinem Namen genannt ist, für eine Räuberhöhle? Siehe, ich sehe es wohl, spricht der Herr.

Liebe Gemeinde!

Es gibt besondere Orte. Die Klosterkirche hier in Nikolausberg zählt gewiss dazu. Der Sternenhimmel am Gewölbe über dem Chorraum, der Flügelaltar und das Licht, das verheißungsvoll durch die östlichen Fenster um den Altar leuchtet, verströmen eine ganz besondere Atmosphäre. Dazu vier Engel, die auf die Betenden schauen, die Figur des Nikolaus im Seitenschiff, die alten großen Steinplatten des Fußbodens, von ungezählten Füßen ausgetreten. Zweifellos ein besonderer Ort, an dem man dem Himmel ganz nah sein kann.
Die Nähe Gottes selbst ist aber nicht allein mit himmlischen Orten, sondern mit höchst irdischen Bedingungen verknüpft. Entscheidend ist nicht die Heiligkeit eines Ortes, sondern das Leben, aus dem einer kommt und in das eine wieder geht. Wer glaubt, er könne einen Ort aufsuchen und dort gewissermaßen Heiligkeit und Heil tanken, um danach fortzufahren wie bisher, dem wird sich der Himmel nicht auftun.
Anstatt die Erhabenheit des Ortes auf sich wirken zu lassen, ergießt sich über die Tempelbesucher unseres Predigttextes die Publikumsbeschimpfung des Jeremia. Was ihr hier sucht, nämlich das Heil, seid ihr gerade im Begriff im eigenen Leben zu verspielen.
Die näheren Ausführungen sind eine knallharte Moralpredigt. Kümmert euch um die, die Schutz und Hilfe brauchen, um die Witwen und Waisen, die Alten und Gebrechlichen. Vergesst nicht die, die euer Tempo nicht mitgehen können. Überlasst die, die ins Stolpern gekommen sind, nicht ihrem Schicksal. Blendet nicht aus, was nicht ins Bild passt, verdrängt nicht, dass es Teile der Welt gibt, in denen bittere Not herrscht und tut nicht so, als ob es euch nichts anginge. Vor allen Dingen behauptet nicht, ihr könntet sowieso nichts tun, und werdet im Windschatten der vermeintlichen Machtlosigkeit Notlügner, Versicherungsbetrüger, Steuer... na sagen wir -jongleure - , am Ende Diebe, Mörder, Ehebrecher und Meineidige.

Einmal in Fahrt, können bei so einer Moralpredigt alle Dämme brechen, die theologische Aufklärung und Selbstaufklärung mühevoll gegen solcherlei Besserwisserei über das Leben, und wie es zu führen ist, errichtet hat. Man kann mal so richtig vom Leder ziehen und die Dinge beim Namen nennen. Das alte Lied eben von der Sünde, und dass man dagegen ist.

Diese Melodie klingt auch bei Jeremia an. Aber es ist am Ende doch nicht die vorwurfsvolle Besserwisserei über das Leben und wie es zu führen ist, weil in der Tempelpublikumsbeschimpfung gerade nicht besserwisserisch von oben herab vom Leder gezogen wird. Über den wahren Zustand des Landes reicht eine Skizze. Jeremia versucht nicht mit detaillierten Vergehenslisten zu brillieren, sondern zählt vollständig auf das Wissen seiner Hörer.

Bessert euer Leben und euer Tun! Wie ihr das tun sollt? Nun stellt euch nicht dümmer als ihr seid, könnte Jeremia geantwortet haben. Es ist euer Leben. Ihr werdet es schon wissen. Ihr habt Augen im Kopf, die Zustände um euch herum zu sehen. Stellt ihr euch so ein Land vor, in dessen Mitte ein Heiligtum steht? Seid ihr mit eurem Leben wahrhaft zufrieden? Dann ist es ja gut.

Aber welches Gefühl lebt dann eigentlich in der Sehnsucht nach einer heiligen Stätte? Wenn im Leben selbst alles zum Besten steht, dort also alles heil und ganz ist, was sucht einer dann an einem vermeintlich geheiligten Ort?

Als Beruhigung darüber, dass das Leben nun einmal heillos und als solches nicht zu ändern ist, taugen die besonderen Orte nicht. Gott ist nicht einfach an einem Ort, wo man ihn aufsuchen, aber auch wieder hinter sich lassen könnte. Ein gezähmtes Götterlein, dass in seinem Käfig zu besuchen und anzuschauen ist.

Deshalb ist der jüdisch-christliche Gott nicht wirklich in einem Tempel zuhause oder in einer Kathedrale oder irgend einer Kirche. In ihnen haben Menschen sich Häuser und Räume errichtet, wo sie gemeinsam feiern und trauern, singen und beten und über das leben nachdenken können. Und da, wo sich dieses Leben verändert und wo es neu wird, da kommen sie dem Himmel ganz nah und die Nähe Gottes stellt sich ein.

In Jerusalem wird gerade wieder tragisch vor Augen geführt, wie der Streit um heilige Stätten heillos und damit das gerade Gegenteil von Heil ist. Im Namen der Heiligkeit eines Ortes machen menschen einander das Leben zur Hölle. Es fragt sich, welches Leben am Ende der gegenwärtigen Entwicklung in Israel und Palästina überhgaupt noch möglich sein wird. Ein gemeinsames in gegenseitiger Achtung gewiss nicht.

Natürlich ist das, was uns in Israel, in Irland und in Mazedonien derzeit vorgeführt wird, nur zu geringen Teilen religiös verursacht. Es geht viel mehr um das wirkliche Leben, als es an der Oberfläche zu erkennen ist. Es geht um Wasser und um Lebenschancen, um soziale Unterschiede und gegenseitige Verachtung, um Machtinteressen und um faire Chancen im Leben.

Die Religionen haben in mancherlei Hinsicht vielleicht weniger Chancen, die Konflikte zu befrieden, als man sich wünschen könnte. Das wasser im Nahen osten wird ein knappes Gut bleiben und damit auch die Lebenschancen. Aber solange die Religion auch noch zusätzlichen Brennstoff der Konflikte liefert, wird im Namen heiliger Stätten Leben vernichtet und bedroht.

Was soll es dann heißen, wenn eine Menge skandiert: Hier ist des Herrn Tempel! Hier ist des Herrn Tempel? Was für ein Herr kann das sein, der in solchem Tempel wohnt?

Ganz gewiss nicht der Gott, von dem Jeremia spricht. Denn das ist ein Gott, der in einem einfachen Stall zur Welt kommen kann, und der es vermag, ein Hinrichtungssymbol zum Zeichen des Lebens zu machen.

Die Gegenwart dieses Gottes kann nicht mit Mauern und mit Traditionen befestigt oder erzwungen werden. Dogmen können ihn nicht binden und Lehrämter können ihn nicht gefügig machen. Aber mit dem Menschenleben hat er sich unauflöslich verbunden. Mit dem Menschenleben, das in sich in stetiger Veränderung als Aufgabe begreift,.das nicht blind wird für alles, was sich nicht glatt ins Bild fügen will, und das sich nicht damit abfindet, dass es im Leben manchmal heillos zugeht.

Bessert euer Leben! Das ist die Aufgabe, die dem Menschen gestellt ist. Die Unzulänglichkeit der Welt ist keine Ausrede. Sie ist das Feld, auf dem die Besserung zu beginnen hat.

Heilige Orte sind kein Refugium, keine Welt neben der Welt. Die domestizierten Götter in ihren Käfigen habe keine Kraft. Aber da, wo einer sich von seinem leben verstören lässt, wo sich eine nicht zufrieden gibt und auf der Suche bleibt, da können Menschen dem Himmel ganz nah kommen.

Jeremia sagt das an anderer Stelle. Als der Tempel tatsächlich verloren, das Land verwüstet und die Menschen verschleppt sind, schreibt Jeremia in die Menschen im Exil: So spricht der Herr: Wenn ihr mich von ganzem herzen suchen werdet, so will ich mich von euch finden lassen.

Da, wo sich eine ganz auf die irdischen Dinge einstellen kann, können Orte des Heils entstehen. Das können besondere Augenblicke mit Freunden oder sogar Feinden sein. Und es kann ein besonderer ort des gebets und der Einkehr sein. Wenn einer von ganzem herzen auf der Suche ist, wird sich Gott finden lassen. Und wenn das Heil an einem ort Wohnung genommen hat, dann wird dvon eine Veränderung für das Leben ausgehen.

Nicht auszuschließen, dass einen, der von ganzem Herzen auf der Suche ist, die vier Engel aus der Klosterkirche begleiten - in die höchst irdischen Gemengelagen des Alltags.

Amen


Ulrich Braun
Pastor in der Klosterkirchengemeinde Göttingen-Nikolausberg
EMail: Ulrich.F.Braun@t-online.de