11. Sonntag nach Trinitatis,
26. August 2001
Predigt über Lukas 7, 36-50, verfaßt von Paul Kluge |
Liebe Geschwister, "Was wühlst du da wieder in den Papieren herum?" fragte seine Frau, als sie ihm etwas zu trinken brachte, doch Lukas knurrte nur vor sich hin und wühlte weiter. "Nun sag schon: Wonach suchst du denn?" - "Bitte? Ach so, du bist das. Hab dich gar nicht bemerkt. Ich such mein Reisetagebuch." - "Und welches?" - "Das von meiner Israelreise. Hast du das etwa verlegt?" - "Mein lieber Mann, ich verlege hier gar nichts. Ich putze nicht einmal Staub in deinem Arbeitszimmer. Und dein Reisetagebuch hast du mir zum Lesen gegeben. Damit ich einsehe, wie wichtig diese Reise für deine Arbeit war. Nun hör auf zu suchen, ich hole dir dein Tagebuch.. Trink lieber einen Becher Wasser für deine Nieren." Sie goß ihm ein und ging die Aufzeichnungen holen. Lukas goß den Oleanderbusch vor dem Fenster, füllte sich Wein in den Becher und leerte ihn schnell. Seine Frau kam mit dem Gesuchten zurück und gab es ihm. Er dachte einen Moment nach, suchte dann im Text. "Ah, da hab ichs schon. Nain. In Galiläa, nicht weit von Samarien. Mittelgroße Stadt, gut befestigt. Römische Garnison. Alter kanaanäischer Tempel. Auferweckung eins toten Jungen durch Jesus. Davon hab ich schon geschrieben, aber da gab es noch etwas." - "Sag mal," unterbrach ihn seine Frau, "hast du nicht schon genug Geschichten über Jesus gesammelt, reicht es nicht, was dieser Markus geschrieben hat und was in dieser Redensammlung steht?" - "Nein, das reicht nicht," konterte Lukas etwas gereizt. "Du weißt: Ich soll und ich will alles erforschen, was es über Jesus gibt. Und ich habe auf meiner Reise manches erfahren, worüber noch niemand geschrieben hat. Zum Beispiel Nain. Ich bin der einzige, der diesen Ort überhaupt erwähnt. Na, hier steht ja, was ich suche, sogar in zwei Versionen, die man mir dort erzählt hat." - "Laß hören," sagte seine Frau,.und Lukas staunte: "Ich denke, du hast das gelesen?" Seine Frau aber meinte, er könne so schön erzählen, und sie höre ihm so gern zu. "Komm, ich schenk dir etwas Wein ein," lockte sie, füllte den Becher knapp zur Hälfte und setzte sich. "Also," begann Lukas, "unter den Frommen erzählte man, daß ein sehr vornehmer Pharisäer Jesus zum Essen eingeladen hatte. Jesus war auch gekommen und mit ihm, obwohl nicht geladen, einige seiner ungepflegten und verschwitzten Jünger. Eine Zumutung für den Gastgeber und seine geladenen Freunde. Sie wollten mit Jesus über Gott und die Welt reden, besonders aber darüber, wann und wie die römische Besatzung enden und Gott die Herrschaft über sein Volk wieder übernehmen würde. Doch noch bevor das Essen aufgetragen wurde, kam eine Frau in den Raum, in dem die Männer saßen, und salbte Jesus mit bestem Salböl. Verschwendete eine ganze Flasche voll an ihn. Dabei hätte er wissen können, daß die Frau weder zur feinen Gesellschaft noch überhaupt zu den anständigen Leuten gehörte. Der Gipfel war dann, daß Jesus seinen Gastgeber und dessen Freunde mit der Bemerkung brüskierte, diese Frau habe viel geliebt, darum sei ihr viel vergeben. Einige der Freunde verließen daraufhin den Raum, das Essen verlief recht schweigend. Jesus hätte damit einmal mehr bewiesen, daß er sich in schlechter Gesellschaft wohler fühle als in guten Kreisen. Sein Ende am Kreuz habe er sich schließlich selbst eingebrockt." Lukas Frau fand die Haltung der Frommen recht überheblich. Dann
wollte sie die zweite Version hören. "Diese Version gefällt mir viel besser als die erste," stellte die Frau des Lukas fest, "Welche wirst du in dein Jesusbuch aufnehmen?" - "Keine," verblüffte Lukas seine Frau, "ich schreibe ein Buch über Jesus, weder über Pharisäer noch über Sünderinnen. Ich muß aus den beiden Versionen eine Geschichte machen, in der Jesus der Handelnde ist. Eine Geschichte, in der Menschen, die sich für fromm und anständig halten, lernen, daß sie die anderen nicht aus der Gemeinschaft ausschließen dürfen. Daß man ihnen vergeben kann. Und in der die Ausgeschlossenen eingeladen werden, in die Gemeinschaft zurückzukehren. Daß ihnen vergeben ist. Jesus, der Freund der Sünder." "Dazu hast du aber schon ein paar Geschichten. Wie war noch der Satz, den Jesus zu der Frau gesagt hat, der mit Lieben und Vergeben?" fragte die Frau des Lukas, und er merkte die Falle, in die er fast getappt wäre, die Falle der Wiederholung von längst Bekanntem. "Ihre vielen Sünden sind ihr vergeben, denn sie hat viel geliebt," zitierte Lukas und lachte: "Wie bei uns. Ich ärgere mich öfter mal über dich, aber weil du mich liebst, kann ich dir immer wieder vergeben. Und du vergibst mir meine Fehler, weil ich dich liebe." - "Und das seit nun fast dreißig Jahren," ergänzte seine Frau, die inzwischen am Fenster stand und schmunzelnd fragte, ob es geregnet habe, der Oleander sei ganz naß. Lukas ging nur indirekt auf die Frage ein, indem er feststellte: "Das mit Lieben und Vergeben gilt auch umgekehrt: Wem vergeben wird, der kann lieben. Wer liebt, bewirkt Vergebungsbereitschaft, und wer vergibt, bewirkt Liebesfähigkeit. Wir Menschen können nun mal nicht leben, ohne an anderen schuldig zu werden, ob wir wollen oder nicht. Wir sind auf Vergebung angewiesen." Seine Frau schenkte ihm noch ein klein wenig Wein in den Becher und stellte fest: "Ja, wir sind auf Vergebung angewiesen, und zwar in doppelter Hinsicht: Wir brauchen Vergebung, um lieben zu können, und wir müssen vergeben, um geliebt zu werden; wir brauchen Vergebung, um leben zu können. Jesus wußte das, und das unterscheidet ihn von Pharisäern und Rechthabern aller Zeiten." Und Lukas ergänzte: "Das unterscheidet ihn auch von solchen Menschen, die Vergebung nicht annehmen können. Das ist vielleicht noch schwerer als zu vergeben. Hat er, als er sich von der Frau salben ließ, vielleicht gezeigt, daß man Wohltaten, daß man Vergebung einfach annehmen kann? Er brauchte wohl keine Vergebung, aber sicherlich wie jeder Mensch das Gefühl, geliebt zu sein. Meinungsmacher und Entscheidungsträger seiner Zeit haben ihn abgelehnt. Die Frau hat ihm Gutes, sie hat ihm gut getan. Darum hat er ihr vergeben, was die Pharisäer ihr vorwarfen. Und hat wohl noch größere Liebe in ihr geweckt." Lukas und seine Frau schwiegen eine Weile, bis er feststellte: "Mit
Jesu Tod und Auferstehung sind uns all unsere Sünden vergeben.
Und: Wir sind von aller Gesetzlichkeit befreit. Ein für alle mal.
Darum können wir vergeben - und darum können wir lieben." Gebet: Liedvorschläge Paul Kluge |