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Sonntag nach Trinitatis, 28. Oktober 2001
Predigt über Markus 2, 23-28, verfaßt von Gertrud Yde Iversen (Løgumkloster, DK) |
Es ist in diesen Tagen viel von Furcht die Rede. Das ist furchtbar, sagen einige, und meinen damit, daß sie es nicht anders benennen können als damit, daß dies etwas ist, was sie fürchten. Furcht und Zittern nennt Søren Kierkegaard eines seiner Hauptwerke, eine systematische philosophische Untersuchung über die Grundbedingungen menschlicher Existenz. Furcht und Zittern ist auch der gemeinsame Nenner vieler Zeitungsüberschriften in der ganzen Welt gewesen in den letzten Wochen, und hier erscheint das menschliche Dasein mehr unüberschaubar und von den vielen Gesichtern der Furcht gezeichnet. Es geht um Furcht vor Terror, Furcht vor amerikanischer Kriegsrhetorik, die Furcht, zu viel zu tun, und die Furcht, zu wenig zu tun. Die Furcht, daß es einen selbst treffen könnte, die Furcht vor dem Ungewissen und dem Unbekannten. All dieses Reden von Furcht ist in sich ein Grund zur Sorge. Denn das, was auf dem Spiele steht, ist die Furcht vor der Verwundbarkeit des Lebens. Es strengt an, sich Sorgen zu machen. Aber es ist noch anstrengender, sich die Kunst anzueignen, sich keine Sorgen zu machen. Aber in dieser Anstrengung, seine Sorgen zu überwinden, im Lernen der Sorglosigkeit liegt eine Notwendigkeit, vielleicht sogar eine Lebensnotwendigkeit. Denn die Furcht an sich löst nichts und führt zu nichts. Sie ist keine Lösung in sich, sondern ruft vielmehr nach Antwort und Erlösung. Es gibt ein altes Sprichwort, das besagt, daß man das Pferd zwar zum Wasser führen kann, aber es muß selbst trinken. So ist es auch mit der Notwendigkeit und der Kunst, sich von dieser Bindung an die Furcht zu befreien. Diese Aufgabe muß jeder für sich in Angriff nehmen - vielleicht auch mit der Hilfe anderer. Aber in dem Predigttext dieses Sonntags ist eine Stimme, die einen leiten kann - zur Hilfe, zum Nachdenken, zur Erbauung, wenn mann so will. Denn so wie das Leben für viele Menschen in diesen Tagen sich darum dreht, wie man sich von der Furcht befreien kann, so dreht sich der Predigttext dieses Tages auch darum, von etwas befreit zu werden. I II Hier sind wir nun, im 21. Jahrhundert: Menschen, die mächtig sind und frei, aber auch mit einem schmalen Streifen Wirklichkeit, auf dem wir stehen, weil wir jeweils auf uns selbst angewiesen sind, allein mit je unserer Wirklichkeit, in der meine Furcht meine ist und deine Furcht deine. Der heutige Predigttext verkündet, daß der Menschensohn Herr ist - auch über den Sabbat, daß Gott den Menschen befreit, nicht allein vom Gesetz, sondern auch von der Furcht. Der Menschensohn ist Jesus, der, wie wir Glauben, Gottes Sohn ist, der, wie wir glauben, an unsere Stelle getreten ist für unser Heil und unsere Versöhnung. Wenn es also heißt, daß der Menschensohn Herr ist - auch über den Sabbat, dann handelt es sich um einen Herren, der nicht bindet, sondern frei macht. Auch wenn das Wort nicht direkt im Text vorkommt, darum geht es: Daß wir befreit werden. III Die Freiheit, von der hier die rede ist, ist die Freiheit, den Blick vom Buchstaben des Gesetzes zu heben. Die Freiheit, sich den Blick nicht verkürzen zu lassen, die Freiheit, zu sehen, an wen wir uns immer wenden können mit dem Lebensnotwendigen. Die Freiheit, um die es im heutigen Text geht, ist eine Freiheit, die von einer bestimmten Stelle herkommt: von Gott. Es ist eine Freiheit, die mit Jesus als Menschensohn sichtbar wird, Es ist deshalb eine Freiheit, die so groß ist, daß sie auch weit in den verworrenen und furchtvollen Alltag des Jahres 2001 hineinreicht - damit das Getrennte vereint werden kann und die Wirklichkeit nicht nur ein schmaler Streifen ist, überbelastet durch die Furcht um das verwundbare Leben. Mit dem heutigen Predigttext im Ohr haben wir einen Ort, an den wir uns - wenn wir es wollen - wenden können mit unserer Furcht, unserem Zittern, ob dies nun dem Feind im Unbekannten gilt, oder ob die Furcht daher kommt, daß wir in der unverhülltesten Weise erfahren haben, wie verwundbar das Leben ist. Wir dürfen eine Stimme aus der Vergangenheit hören, die Stimme Jesu, dem Sohn Gottes, sein Wort vom Menschensohn, der Raum und Zeit überwindet. Laßt uns nicht uns selbst binden im Dienst der Furcht, sondern es wagen, an Gott zu glauben, der stets vor uns ist und an den wir uns wenden können. Amen. Kirchengebet: Herr unser Gott, himmlischer Vater. Wir danken dir für das Leben, das du uns geschenkt hat, das Leben, das du jeden Tag neu gibst. Herr Jesus Christus, unser Heiland. Du bist in die Welt gekommen mit Barmherzigkeit und Versöhnung für alle, die an dich glauben. Wir bitten dich: Verlaß uns nicht. Es gibt viel Furcht in diesen Tagen. Laß nicht zu, daß diese Furcht uns besiegt. Laß uns statt dessen beten für die, die sinnlos ihr Leben verlieren in Krieg und Terror, für die, die einen Menschen verloren haben, daß sie mit ihrem Leid nicht allein bleiben. Hilf uns, daß wir nicht der Rache dienen als einem Herrn, der das Opfer zum Henker macht. Laß nicht die Furcht Macht gewinnen über uns, sondern allein auf dich vertrauen. An dich wenden wir uns, dein Wort halten wir fest, in ihm könne wir Mut und Kraft finden zu tun, was du willst. Sei bei uns, wenn wir verzweifeln, überwältigt von dem Grauen, das uns umgibt, wenn uns der Blick verstellt ist für deine Nähe, wenn uns Vertrauen, Treue und Geduld verlassen. Herr Gott, Heiliger Geist, gesandt in die Welt und zu den Menschen.
Laß Deine Versöhnung der Welt in Christus die Wahrheit auch
über unser Leben sein. Befreie die Unterdrückten, erbarme
dich über die, die übersehen werden, richte die auf, die gefallen
sind. Komm zu denen die Not leiden, gib den Hungrigen zu essen, stärke
die Schwachen und löse die Fesseln der Gefangenen. Stärke
uns, daß wir die Verantwortung für unsere Mitmenschen wahrnehmen
- für Flüchtlinge und Verfolgte, für die Kranken und
Einsamen, für die Sterbenden, für die, die keine Hoffnung
mehr haben für den morgigen Tag. Wir bitten für unser Land
und seine Zukunft, für die Kinder und ihre Zukunft, für die
Alten und ihren Lebensabend. Dr. Gertrud Yde Iversen |