21. Sonntag nach Trinitatis, 4.11. 2001
Predigt über Jesaja 62, 6-7.10-12, verfaßt von
Matthias Petersen

Gedenktag der Reformation - Einführung der Vorkonfirmanden

am mittwoch war reformationstag
ich sag bewußt war
und nicht
haben wir gefeiert
das haben wir nämlich nicht
es waren herbstferien
da fallen auch die traditionellen schulgottesdienste aus
und
hand aufs herz
den meisten von uns
fällt zum reformationstag ohnehin nicht viel ein
martin luther
ein feste burg ist unser gott
ok
95 thesen
auch gut
entstehung der evangelischen kirchen
das wars dann auch schon

eigentlich schade
denn
der reformationstag kann uns auch heute
an vieles erinnern

damals
vor 500 jahren
hatte ja
die kirche sich weit weit entfernt
von den menschen
kirche hätte längst nichts mehr mit den menschen zu tun
bloß die
schade
konnten der kirche nicht weglaufen
innerlich schon
das taten sie auch zur genüge
aber
kirchenaustritte
die gabs ja noch nicht
aber erreicht hat die kirche sie
trotzdem
nicht mehr
die menschen

da hat dann martin luther
sehr ausdrücklich
darauf bestanden
daß die kirche für die menschen da sein muß
daß alle menschen
daß auch kinder jugendliche
daß auch ungebildete
verstehen
was es auf sich hat
mit gottes liebe
mit gnade
mit vergebung

er hat die menschen ernstgenommen
die bauern die kleinen händler die knechte
das hat ihnen gut getan
zu hören
du bist getauft
du bist ein priester jesu christi
du bist gott unendlich wichtig
du bist kein kleines licht
du bist etwas ganz besonderes
weil gottes liebe
dich zu etwas ganz besonderem macht

das ist ein gedanke
bei dem bleibt einem die luft weg
und
damit menschen das verstehen können
muß kirche die sprache der menschen sprechen
muß kirche sich immer wieder erneuern
reformieren
tag für tag
jahr für jahr
das ist mühsam
das ist unangenehm
das stellt uns immer wieder neu in frage
das stellt vor allem die trockenen plätzchen in frage
die sich jeder von uns erarbeitet hat in der kirche
aber nur so
und nicht anders
indem sie sich verändert
kann kirche kirche bleiben
ein kluger zeitgenosse hat das so gesagt
wer will daß kirche so bleibt wie sie ist
der will nicht daß sie bleibt
recht hat er

der reformationstag ist ein wichtiges fest
auch wenn
oder besser
gerade weil
viele gemeindeglieder und pastoren
lieber ein
laßtbloßallesbeimaltenfest feiern würden

mit diesen überlegungen im hinterkopf
hören wir einen abschnitt aus dem buch des propheten jesaja

lesung jesaja 62, 6-7.10-12

was war passiert

da hatten die israels
70 jahre lang
in babylon in der gefangenschaft geschmort
und endlich durften sie nach hause
aber da lag alles in trümmern

mühsam und stöhnend versuchten sie
ihr land wieder aufzubauen
das ging nur schleppend voran
arbeitslosigkeit
hunger
krankheiten
feinde
sie waren schon nach kurzer zeit restlos bedient
und verloren den mut

aber dann kam ein mensch
ein gewisser jesaja
im namen
im auftrag gottes kam er
und sagte
leute
setzt prioritäten
überlegt euch was am wichtigsten ist
first things first

na klar
sagten die leute
wohnungkleidungnahrungarbeitsicherheit
wissen wir längst
nein
sagt jesaja
nicht wohnungkleidungnahrungarbeitsicherheit
sondern gott
liebegnadevergebungzukunftszuversicht
baut erst mal den zerstörten tempel in jerusalem wieder auf
das haus gottes
die kirche
damit ihr wieder eine mitte habt
damit ihr wißt
wo ihr hingehört
das ist wichtig
daß menschen wissen wo sie hingehören

wissen wir das denn
was ist unsere mitte
wofür lohnt es sich zu leben
darüber wollen wir im konfirmandenunterricht
miteinander reden
was wo ist unsere mitte
das ist eine gute reformationstagsfrage
lohnt es sich zu leben für
eigenheim
computer
mallorca
klamotten

neues auto
nichts dagegen
das ist alles ganz schön
aber
lohnt es sich
dafür zu leben

wie
wenn wir diese frage mit nein beantworten
dann bricht unsere ganze wirtschaft zusammen
darum
ihr seht
sie sehen
der reformationstag hat es in sich
da ist zündstoff drin

und dann
sagt jesaja
ich brauch ein paar leute
viele leute
ganz viele
eigentlich alle
ich brauche wächter
menschen die aufpassen was geschieht
die den mut haben
den mund aufzumachen
und gott zu rufen
ihm gut zuzureden
ihn anzubrüllen
ihn zu erinnern an das
was er versprochen hat

er hat doch versprochen
uns nicht alleinzulassen
er hat doch versprochen
zu kommen
wir müssen ihn daran erinnern

wir müssen ihm sagen
wie viele menschen verhungern tag für tag
wie viele unschuldige gestorben sind in new york
wie viele unschuldige sterben unter den bomben in afghanistan
wie viele menschen sich das leben nehmen vor einsamkeit
wie viele kinder mißbraucht werden zu hause
wie viele frauen zur prostitution gezwungen werden
wir müssen ihm das alles sagen

und wißt ihr was
jesaja vertraut darauf
daß gott zuhört
daß der große gott
auf die stimme der kleinen menschen hört
so wichtig nimmt er uns

das ist ja die wiederentdeckung der reformation
gott hört auf uns
gott nimmt uns ernst
wir sind ihm wichtig
wir dürfen ihm alles sagen
wieder und wieder
das muß nicht der pastor für uns tun
gott hört jeden und jede von uns
auch kinder
auch jugendliche
eure stimme als konfirmand/innen
wiegt nicht geringer vor gott
als die stimme eurer eltern
oder meine
eher mehr

gut
sagt jesaja
und nun räumt die steine aus dem weg
räumt alles aus dem weg
was den menschen den zugang zum tempel
den zugang zu gott versperrt
räumt alle hindernisse beiseite
die leute sollen es doch leicht haben
zu gott zu finden

wissen sie
wißt ihr
was ich glaube
der alte jesaja muß so etwas gewesen sein
wie der martin luther des judentums
der hat von den menschen her gedacht
und von ihrer sehnsucht nach gott
und hat überlegt
wie kann man es den menschen einfacher machen

in der ersten woche der herbstferien
war ich mit jugendlichen des kirchenkreises
im kloster taizé in frankreich
ich habe
wieder einmal
erlebt gesehen
wie 1000 jugendliche
ernst und gesammelt
nach den quellen unseres glaubens suchen
im sommer waren es sogar 6000
woche für woche

warum fahren sie dorthin
warum suchen sie nicht hier
warum nicht in der stadtkirche in preetz

das geheimnis ist gar kein geheimnis
die mönche in taizé haben sich auf die
jugendlichen eingestellt
sie kommen ihnen entgegen
in der sprache
in den liedern
in der form der bibelarbeit
im gemeinsamen leben
die brüder wollen den jugendlichen dienen
darum kommen die jungen leute in scharen zu ihnen
und
weil sie dort ganz ernstgenommen werden
niemand sagt
werd erst mal was
niemand sagt
da kannst du noch gar nicht mitreden
niemand sagt
das haben wir schon immer so gemacht
und
da könnte ja jeder kommen

in taizé wird jeder jede ernstgenommen
darum kommen die menschen
vor allem die jugendlichen
die brüder in taizé haben begriffen
was reformation ist
sie leben reformation
jeden tag neu

ich sag das mal ganz zugespitzt
reformationsfest zu feiern
das heißt nicht
ein feste burg ist unser gott zu singen
das heißt auch nicht
luther zum heiligen zu erklären
und zur letzten instanz in theologischen streitfragen
sondern
reformationsfest zu feiern heißt
es zu machen wie luther
die menschen ernst zu nehmen
genau zu hören auf ihre fragen
und immer wieder neu zu fragen
wie können wir kirche so verändern
daß menschen den weg zu ihr finden
wie können wir die steine aus dem weg räumen
den ganzen schutt der jahrzehnte und jahrhunderte
der sich aufgetürmt hat zwischen gott und uns
zwischen der kirche und den menschen

das ist eine riesenaufgabe
die kann niemand allein bewältigen
dazu braucht es viele menschen
alte und junge
dazu brauchen wir auch euch
jugendliche
konfirmanden
sie
die eltern und paten
auch
wenn sie vielleicht schon länger
wenig kontakt gehabt haben zu kirche
ihr werdet gebraucht
sie werden gebraucht
reformation kann niemand allein machen
reformation müssen wir zusammen machen
damit geschehen kann
was wir im vaterunser erbitten
und was uns
christinnen und christen aller konfessionen
verbindet

dein reich komme
beten wir
und sagen damit unsere hoffnung
daß
endlich
alles aus dem weg geräumt wird
was uns von gott trennt
und
daß gott selbst zu uns kommt
und unserer not auf dieser erde
ein ende macht

amen

Matthias Petersen
petersen.m@t-online.de