Göttinger Predigten im Internet
hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch

2. Advent, 9. Dezember 2001
Predigt über Offenbarung 3, 7-13 , verfaßt von Andreas Pawlas

Und dem Engel der Gemeinde in Philadelphia schreibe: Das sagt der Heilige, der Wahrhaftige, der da hat den Schlüssel Davids, der auftut, und niemand schließt zu, der zuschließt, und niemand tut auf: Ich kenne deine Werke. Siehe, ich habe vor dir eine Tür aufgetan, und niemand kann sie zuschließen; denn du hast eine kleine Kraft und hast mein Wort bewahrt und hast meinen Namen nicht verleugnet. Siehe, ich werde schicken einige aus der Synagoge des Satans, die sagen, sie seien Juden, und sind's nicht, sondern lügen; siehe, ich will sie dazu bringen, dass sie kommen sollen und zu deinen Füßen niederfallen und erkennen, dass ich dich geliebt habe. Weil du mein Wort von der Geduld bewahrt hast, will auch ich dich bewahren vor der Stunde der Versuchung, die kommen wird über den ganzen Weltkreis, zu versuchen, die auf Erden wohnen. Siehe, ich komme bald; halte, was du hast, dass niemand deine Krone nehme! Wer überwindet, den will ich machen zum Pfeiler in dem Tempel meines Gottes, und er soll nicht mehr hinausgehen, und ich will auf ihn schreiben den Namen meines Gottes und den Namen des neuen Jerusalem, der Stadt meines Gottes, die vom Himmel herniederkommt von meinem Gott, und meinen Namen, den neuen. Wer Ohren hat, der höre, was der Geist den Gemeinden sagt!

Liebe Gemeinde!

Wer unter uns kennt es nicht, vor verschlossenen Türen zu stehen? Bestimmt ist es fast das Harmloseste dabei, im wortwörtlichen Sinne tatsächlich einmal vor der eigenen verschlossenen Haustür zu stehen. Ja, das gibt ärgerliche oder auch lustige Erinnerungen: Dann muss man zum Hausmeister laufen und um einen Ersatzschlüssel bitten. Oder es folgen dann sogar Versuche, ins eigene Haus einzubrechen, durchs Toilettenfenster zu kriechen, vielleicht sogar stecken zu bleiben und dann mit einem Plumps in der Badewanne zu landen. Das sind Geschichten, über die man hinterher vielleicht sogar schmunzeln kann und die man hinterher beim gemütlichen Kaffee mit der Nachbarin gern weiter erzählt. Aber zur Not hätte man ja auch einen Schlosser rufen können und der hätte die Tür schon geöffnet - naja, gekostet hätte es schon ein bisschen.

Wie ist das aber mit den anderen Türen unseres Lebens vor denen wir stehen, pochen oder gar mit den Fäusten dagegen hämmern und die verschlossen sind und bleiben? Und wo es dann keinen Schlosser gibt, der einmal eben mit dem richtigen Dreh die Tür zu öffnen vermag?

Gehört hier vielleicht im übertragenen Sinne dazu, mit seiner Krankheit von einem Arzt zum anderen zu laufen, von einer Praxistür zur anderen. Um dann schmerzhaft zu erfahren, wie sich dabei zwar Praxistüren öffnen aber nicht etwa Türen zu neuer Gesundheit?

Aber ich muss jetzt auch an unsere Berufsanfänger denken, denen sich zwar Türen zu Bewerbungsgesprächen öffnen, aber dann leider nicht die Türen zu einer dauerhaften Berufstätigkeit. So manchem aber öffnet sich noch nicht einmal diese erste Tür zu einem Bewerbungsgespräch und er bekommt auch nach der zwanzigsten Bewerbung noch nicht einmal eine Antwort.

Oder was ist das für eine erniedrigende Erfahrung für jenen mir gut bekannten, durch einen Spasmus Behinderten, der nun schon seit mehr als zehn Jahre nach langer Ausbildung und gar nicht so schlechtem Abschluss vor Firmen- und Behördentüren steht und sie werden ihm überhaupt nicht aufgetan. Ja, er hat sich die Fäuste schon wundgehämmert an diesen Türen, aber einen Behinderten auf einen richtigen Arbeitsplatz - nein, nein, nein, da will ihm keiner die Tür öffnen. Vielleicht müsste jetzt genauso über verschlossene Türen für Obdachlose oder Auslandsdeutsche geredet werden.

Aber bitte jetzt keine Irrtümer. Die Tür, die hier im Bibelwort gemeint ist, ist bestimmt nicht nur eine Randgruppentür. So sehr auch die Gruppe der äußerlich erkennbar im Leben zu kurz gekommenen so entsetzlich viel um verschlossenen Türen weiß und bitter darunter leidet. Aber es gibt doch so vieles, das nicht gleich äußerlich als Benachteiligung erkennbar ist und wo das Leiden nicht weniger schmerzt.

Denn gibt es auch nur einen unter uns, der auf seinem Lebensweg bisher im übertragenen Sinne noch nicht vor einer verschlossenen Tür gestanden hat und sich so sehr gesehnt hat hineinzukommen. Wie viel Sehnen gibt es etwa, hineinzukommen in einen Freundeskreis, in einen geselligen Kreis, in einen Kreis guter Nachbarschaft, und er ist dicht verschlossen und verriegelt und da kommt keiner herein und keiner dazwischen. Und man fühlt so bitter: Ich stehe draußen, ich gehöre nicht dazu, man mag mich nicht!

Wer kennt es nicht, wie man sich heiß eine neue Lebensaufgabe wünscht und sich rüstet zu einem neuen Aufbruch und klopft an diese Tür und an jene Tür und sie wird einfach nicht aufgetan und man hört nur hinter der Tür ein "Nein, unerwünscht!" Manche sagen es auch höflicher oder schweigen sich vornehm aus, aber die Botschaft bleibt: "Tür zu!"

Und dann schleichen sich flüsternde Stimmen um einen herum: "Weißt du, warum du unerwünscht bist? Du bist ein Versager. Nein, eine Niete wie dich, die will doch niemand haben. Du bist nichts wert".

Ja, das ist die härteste Aussage einer verschlossenen Tür: "Du bist nichts wert". Und die trifft einen dann wie ein Keulenschlag. Und damit einen dieser und vielleicht auch spätere Keulenschläge nicht zerstören, darum macht man sich hart, hart wie ein Kieselstein. Darum muss man sich hart machen gegen verschlossene Türen, denn so hart ist das Leben im Kampf aller gegen aller.

Jedoch was ist das denn nun für eine Botschaft, die wir jetzt zum zweiten Advent hören dürfen. Aber vielleicht sind wir auch gar nicht in der Lage sie zu vernehmen mit so völlig verhärteten Ohren. Denn was sagt der Heilige, der Wahrhaftige? Was sagt uns der in Gottes Namen: "Siehe, ich habe vor dir eine Tür aufgetan, und niemand kann sie zuschließen". Das kann doch nicht wahr sein? Sind damit etwa wir gemeint? Eine Tür aufgetan? Für Dich und mich? Die niemand wieder zuschließen kann? Wie sollte denn das funktionieren? Denn es ist doch alles dicht!

Aber liebe Gemeinde, lassen wir uns doch nicht in die heute so populären aber stumpfsinnigen Denkweisen einfangen! Ich frage mich sogar, ob nicht die heutige populäre Lebensorientierung an Erfolg, Ansehen und nur äußerlichem Wohlergehen zu der Versuchung gehört, die dem ganzen Weltkreis in unserem Bibelwort angekündigt ist.

Denn: dürfen wir uns nicht als Christen mit Leib und Seele ganz fest darauf verlassen, dass vor Gott alles ganz anders ist! Dabei dürfen wir uns doch sicher sein, dass wir als Menschen vor Gott stehen mit allem was wir sind und haben, und dass ihm da wirklich alles offenbar ist, was in unserem Herzen tobt, sucht und leidet. Und wenn wir wirklich den Mut haben, daran zu glauben, dass dieser unser barmherziger Gott unser großartiges oder auch ganz bescheidenes und begrenztes Leben in seiner guten Hand hält, wenn wir das um Jesu Christi willen wagen zu glauben, wenn vielleicht das diese kleine Kraft ist, durch die wir sein Wort bewahrt und seinen Namen nicht verleugnet haben, könnte dann nicht mit einem Male der Himmel über uns aufreißen? Könnte dann nicht alles ganz anders für uns werden, ob wir nun leben oder sterben? Könnte dann nicht mit einem Male alles für uns ganz unwichtig werden, wofür wir uns sonst abgekämpft hatten?

Warum? Weil wir uns im Kern, im tiefsten Grunde unserer Seele, durch den ersehnten Heiland unseres Lebens schon angerührt, schon erlöst, schon von dieser Welt zu Gottes zukünftiger Welt befreit und darum schon wohl bewahrt wissen dürfen!

Könnten wir dann in dieser von Christus herkommenden Freiheit nicht sogar auch die Frage zulassen, ob wir uns bisher überhaupt an der richtigen Tür die Fäuste blutig geklopft haben? Vielleicht haben wir bisher manche anderen Türen, die für uns lange offen stehen, einfach nicht sehen wollen?

Aber vielleicht haben wir eben vor allem die eine Tür bisher einfach nicht sehen wollen, von der der Heilige, der Wahrhaftige, uns in Gottes Namen sagt: "Siehe, ich habe vor dir eine Tür aufgetan, und niemand kann sie zuschließen". vielleicht haben wir bisher die eine Tür einfach nicht sehen wollen, die sich eben im Advent wieder so nachdrücklich für uns auftun will: Diese Tür, die unsere Gedanken und Gefühle hindurchlassen will, und sie in den Glanz der ganz anderen und ewigen Hoffnung stellen will, die allein von Gott herkommt.

Aber warum fällt es denn selbst in der Adventszeit vielen so schwer, diese Tür zu ewigen Gewissheiten wahrzunehmen und ernst zu nehmen? Warum muss sich denn ein Mensch erst den Kopf an so vielen für ihn nicht bestimmten und verschlossenen Türen blutig gestoßen haben, ehe er tatsächlich entdecken kann, was im Leben wirklich zählt? Warum muss sich denn ein Mensch mit Leib und Seele erst an soviel Vergängliches gehängt haben und dadurch betrogen worden sein, ehe er begreifen kann. Ehe er begreifen kann, dass er seinen eigentlichen Wert nicht durch Erfolg, Ansehen und nur äußerliches Wohlergehen hat, sondern daher, dass Gott ihn in Jesus Christus über alle Maßen liebt? Warum muss sich denn ein Mensch so häufig erst darin verlieren, verkrampft Lebenserfüllung und Selbstbestätigung auf äußeren Gebieten zu suchen, die seine Seele nicht näher zu Gott bringen?

Die Krone des Lebens ist ihm doch allein durch Jesus Christus versprochen. Egal, ob man einfacher Arbeiter oder Direktor, Arbeitsloser oder Generalmanager, Bürobote oder Abteilungspräsident, ob man ungelernte Schreibkraft oder Fachärztin ist. Die Krone des Lebens steht doch für den bereit, der dort, wo er gerade steht, demütig Gott die Ehre gibt und seinen Nächsten liebt wie sich selbst. Dazu ermächtigt zu sein, dazu soll uns die entscheidende Tür unseres Lebens offen stehen und niemand auf dieser Welt kann uns diese Lebenstür schließen. Und genau hier sagt uns Christus: "Siehe, ich komme bald; halte, was du hast, dass niemand deine Krone nehme!"

Übrigens: ein selbstverständlicher Dienst christlicher Nächstenliebe ist natürlich, anderen, die vor verschlossenen Türen stehen so zu helfen, wie es in unseren Kräften steht, sei es auf dem Arbeitsmarkt, in der Gesundheitsfürsorge oder im sozialen Einsatz für Benachteiligte. Aber jeder der dort gern hilft, erfährt natürlich auch, wie begrenzt dabei vielfach die Möglichkeiten sind, anderen Türen zu öffnen.

Jedoch, wie sollte das jemanden entmutigen können, der selbst hat schon erleben dürfen, wie ihm seine Lebenstür schon geöffnet worden ist? Ja, dass uns diese Lebenstür geöffnet ist und wird darauf kommt es doch an im Leben. Ja, dass wir unser Herz dafür öffnen, dass wir uns im tiefsten Grunde unserer Seele, durch den ersehnten Heiland unseres Lebens anrühren und erlösen lassen, dass wir uns noch in dieser Welt schon zu Gottes zukünftiger Welt befreit wissen dürfen. und darum schon jetzt wohl bewahrt fühlen dürfen. Diese Öffnung unseres Lebens in die Höhe und in die Breite in die Wirklichkeit Gottes auf Erden und im Himmel die schenke unser Herr Jesus Christus uns allen jetzt im Advent und in Ewigkeit.
Amen.

Dr. Andreas Pawlas
Andreas.Pawlas@web.de

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