Göttinger Predigten im Internet
hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch

3. Advent, 16. Dezember 2001
Predigt über Offenbarung 3, 1-6, verfaßt von Charlotte Hoenen

Liebe Gemeinde!

Adventszeit ist Vorbereitungszeit. Im Evangelium zum 3. Advent hörten wir die Anfrage Johannes des Täufers an Jesus: Bist du, der da kommen soll? Der Täufer rief das Volk auf umzukehren in Vorbereitung auf das Kommen Jesu.

Für die Predigt hören wir heute ein Sendschreiben des Sehers Johannes aus der Offenbarung. Er rief ebenso am Ende des 1. Jahrhunderts die christlichen Gemeinden in Kleinasien auf umzukehren, nun aber in Vorbereitung auf das Wiederkommen Jesu Christi. In einer Berufungsvision hatte er von dem lebendigen Herrn den Auftrag erhalten, die Gemeinden wachzurütteln und zu stärken in ihrer Bedrängnis und für die Auseinandersetzungen mit den politischen und religiösen Gegnern.

Lesung des 5. Sendschreibens aus Offenbarung 3,1-6:
V. 1: Und dem Engel der Gemeinde in Sardes schreibe: Das sagt, der die sieben Geister Gottes hat und die sieben Sterne: Ich kenne deine Werke: Du hast den Namen, daß du lebst, und bist tot.
V. 2: Werde wach und stärke das andere, das sterben will, denn ich habe deine Werke nicht als vollkommen befunden vor meinem Gott.
V. 3: So denke nun daran, wie du empfangen und gehört hast, und halte es fest und tue Buße! Wenn du aber nicht wachen wirst, werde ich kommen wie ein Dieb, und du wirst nicht wissen, zu welcher Stunde ich über dich kommen werde.
V. 4: Aber du hast einige in Sardes, die ihre Kleider nicht besudelt haben; die werden mit mir einhergehen in weißen Kleidern, denn sie sind`s wert.
V. 5: Wer überwindet, der soll mit weißen Kleidern angetan werden, und ich werde seinen Namen nicht austilgen aus dem Buch des Lebens, und ich will seinen Namen bekennen vor meinem Vater und vor seinen Engeln.
V. 6: Wer Ohren hat, der höre, was der Geist den Gemeinden sagt!

Der Stadt Sardes ging es in ihrer Geschichte wie der christlichen Gemeinde. Früher waren beide lebendig und bedeutend gewesen. Sardes war Königsstadt, der Palast wunderschön gelegen an einem Berghang. 560 v.Chr. herrschte dort Krösus, der bis heute bei uns durch seinen sprichwörtlichen Reichtum bekannt ist. Im Jahre 17 n. Chr. zerstörte ein Erdbeben die Stadt und trotz des Wiederaufbaus blieb sie ohne Bedeutung.

Von der christlichen Gemeinde heißt es: Du hast den Namen, daß du lebst, und bist tot. Der Ruf einer ehemals lebendigen Gemeinde ist verloren gegangen. Ist das ein Kennzeichen für viele christliche Gemeinden?

Was heißt: eine Gemeinde ist tot oder eine Gemeinde lebt?
Heißt Leben einer Gemeinde:
-aufzählbare Aktivitäten?
-Zahl der Gemeindeglieder und Gottesdienstbesucher?
-ein einigermaßen erhaltenes Kirchengebäude?

In Gemeindeberichten aus der DDR-Zeit - aber auch aus dem Jahrhundert zuvor - ist zu lesen, daß Gottesdienste ausfielen, weil niemand gekommen war. Ein Todesurteil für die Gemeinden! Die zerfallenen Dorfkirchen geben davon Zeugnis, daß keiner im Dorf mehr Interesse hat am Gottesdienst in dem Gebäude, das einst die Vorfahren dafür errichtet hatten.

Die äußeren Merkmale sind sicher nicht die entscheidenden. Das Leben einer Gemeinde ist da, wo Gottes Geist wirkt: Es ist überall da, wo Menschen auf das Wort Gottes hören, wo gebetet wird, wo Vertrauen und Hoffnung gegen Mißtrauen und Resignation gelebt werden, wo die Liebe zum Nächsten das Handeln bestimmt wo nicht der Neid und Egoismus das Miteinander der Menschen zerstören..
Auch wenn das alles nicht in Zahlen gemessen werden kann, hat es doch Auswirkungen auf Öffentlichkeit und Gesellschaft.

Damals wie heute muß sich das Leben einer christlichen Gemeinde vielen Auseinandersetzungen stellen. Im ersten Jahrhundert wurde von allen Bürgern des römischen Reiches verlangt, den Kaiser als Gott zu verehren. Wer nicht mitmachte, wurde zum Märtyrer. Viele machten Zugeständnisse oder schlossen Kompromisse. Damit verlor der Glaube sein Profil, er hat seine Wirkung nicht erfüllt. Heute beanspruchen andere "Götter" unser Denken und Handeln vollkommen: der Beruf, das Geldverdienen, die verplante Zeit. Gemeinde und Glaube kommen zu kurz. Die Kirche scheint keine Wirkung mehr zu haben

Die Gemeinde in Sardes bekommt trotz des drohenden Todes noch eine Chance: sie erhält den Auftrag: Werde wach und stärke das andere, das sterben will! Eine müde, kraftlose und erstarrte Gemeinde - und Kirche! - sie kann wach werden und neue Kräfte bekommen!

Eine solche Erneuerung kommt nicht aus dem eigenen Willen und Beschluß, sondern von dem Geist, der Leben schafft und mit seiner Lebensenergie Gemeinden und Menschen erfüllt. Das geht von dem aus, "der die sieben Geister hat und die sieben Sterne". Damit hat er die sieben Gemeinden in seiner Hand, so daß sie "ihren Karren an ihren Stern binden" (Jörg Zink in einem Rückblick auf sein Leben). Die sieben Gemeinden in Kleinasien haben je ihren Geist, der die geistlichen Kräfte weckt und die Gemeinde belebt.

Ein Beispiel aus einer Dorfgemeinde: Sie hatte jahrelang keinen Gottesdienst in ihrer Kirche. Das Gebäude und die Gemeinde zerfielen. Zu einer Gemeindeversammlung, in der es um die Erhaltung der Kirche ging, kamen wenige alte Gemeindeglieder und meinten einstimmig, wir brauchen keine Kirche mehr. Sie kann abgerissen werden. Die Denkmalspflege sicherte notdürftig das Dach und die abdriftende Außenwand. Nach einem Jahrzehnt kam die Enkelgeneration und sagte: Wir haben eine Kirche, sie soll wiederhergestellt werden. Wir wollen darin Gottesdienst feiern. Wir sammeln Geld und bauen sie wieder auf. Das war erstaunlich für mich: jahrelang war die Gemeinde tot gesagt, und plötzlich ist wieder Leben da!

In der Offenbarung wird die Weltgeschichte als Ablauf dargestellt, der einen neuen Himmel und eine neue Erde zum Ziel hat. Dieses Ziel ist nur in Kampf und Auseinandersetzung zu erreichen zwischen den Kräften, die von Gott wegzerren und gegen Gott wüten, und den Kräften des Geistes, die zum Überwinden und Standhalten ausrüsten.

In dem Sendschreiben an die Gemeinde in Sardes wird das endzeitliche Ziel in drei Bildern beschrieben. Nur in Bildern können wir versuchen, uns vorzustellen, wie Gottes Welt sein wird:

- Als erstes: Wer durchhält und überwindet, soll mit weißen Kleidern angetan werden. Die Sieger werden strahlend weiße Kleider erhalten als Zeichen dafür, daß sie zu Gottes Welt des Lichtes gehören werden. Weil die Welt des Lichtes mit der Taufe beginnt, haben Christen das weiße Gewand im übertragenen Sinn schon angezogen. Doch es erhält im Lauf des Lebens Dreckflecke, es bleibt nicht weiß. Auch Christen behalten keine saubere Weste in den Auseinandersetzungen und Versuchungen des Lebens, sie werden schuldig an Gott und den Mitmenschen. Entscheidend ist, dass sie das geschenkte Kleid nicht ausziehen und wegwerfen, sondern darauf vertrauen, daß es durch " Christi Blut und Gerechtigkeit" (EG 350) wieder stahlend weiß und erneuert wird. Diese Deutung führt allerdings über das hinaus, was der Seher Johannes schrieb.

- Das zweite Bild ist das Buch des Lebens. In ihm sind die Namen der Menschen aufgeschrieben, die bei Gott nicht vergessen werden. Ihre Namen sind unauslöschlich. Jeder ist wichtig. Deshalb sollen wir uns selbst und unser Christsein nicht wegwerfen. Jeder zählt, weil Gott auf jeden zählt.

- Das letzte Bild: Wer mit Jesus einhergeht in weißen Kleidern, sich zu ihm bekennt und damit zu seiner Taufe steht, zu dem wird auch Jesus stehen: Er wird seinen Namen vor Gott und seinen Engeln bekennen.

Diese Bilder, die uns Gottes Welt vorstellen, ermutigen uns, unser Christsein zu leben.

Unsere Geschichte erreicht ihr Ziel, wenn Jesus wiederkommt.
Das ist unplanbar und nicht berechenbar, denn er wird kommen wie ein Dieb in der Nacht. Zeit und Stunde kann keiner vorher wissen.
Die Christen im ersten Jahrhundert haben mit dem baldigen Ende der Zeit gerechnet.
Wir leben nun schon über die Jahrhunderte hinweg nicht mehr in der damaligen Naherwartung, aber in dem Bewußtsein: am Ende der Zeit wird unser Herr kommen. Nach den Terrorakten in den USA (New York) sind die Szenarien des apokalyptischen Weltuntergangs bewußt gemacht worden. Sie erzeugen Angst und Unsicherheit. Aber der christliche Glaube macht gewiss, dass wir nicht im Chaos untergehen, weil Jesus Christus auf uns zukommt. Das lässt uns gelassener auf die Zukunft zugehen, und es rüttelt uns wach, unsere Kräfte für das Leben einzusetzen.

Advent ist die Vorbereitungszeit auf die Ankunft Jesu in einem doppeltem Sinn: Wir feiern Weihnachten, weil in Jesus Gott uns nahe gekommen ist : er wurde der menschliche Gott an unserer Seite, Mensch wie wir. Zugleich erwarten wir von dem göttlichen Kind eine Zukunft, die unsere Welt verändert in einen neuen Himmel und eine neue Erde, weil dieser Jesus das Leben von der Todesbedrohung befreit hat. Daraus schöpfen wir die Kräfte der Erneuerung für uns selbst, für die Gemeinden und die Welt.

Amen.

Charlotte Hoenen, Superintendentin i.R.
Lieskau
E-Mail: rhoenen@t-online.de


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