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Weihnachtstag, 25. Dezember 2001
Predigt über Galater 4, 4-7, verfaßt von Reinhard Schmidt-Rost |
"Da aber die Zeit erfüllt ward, sandte Gott seinen Sohn, geboren
von einem Weib und unter das Gesetz getan, auf dass er die, so unter dem
Gesetz waren, erlöste, dass wir die Kindschaft empfingen. Liebe Gemeinde, Morgen, Kinder, wird's was geben, Ein Kinderlied, ein Kindergeburtstagslied - und so kindlich-fröhlich geht es auch weiter: Wie wird dann die Stube glänzen Diese zweite Strophe erinnert an das Fest im vergangenen Jahr mit seiner bunten Fröhlichkeit, nicht etwa an Christi Geburt, nein, von Stall und Krippe ist weit und breit nichts zu sehen; ein Kindergeburtstag mit Geschenken, Spielzeug und Lichtern wird gefeiert, - in diesem Lied. Wißt ihr noch mein Räderpferdchen, Man spürt wie die Kinder mit pädagogisch geeignetem Spielzeug in ihre sozialen Rollen in einem tugendhaften Bürgerhaus eingewiesen werden, in die Landwirtschaft und das Transportwesen, in Küche und Haushalt, und auch in die Hausmusik. Es treten aber auch die Weihnachtsmärkte auf unseren Straßen
und Plätzen vor Augen, und sie gehören tatsächlich in die
Festkultur, von der dieses Lied singt; denn es ist zwar schon zweihundert
Jahre alt, genau aus dem Jahr 1795, aber es ist damit ein Zeugnis der
bürgerlichen Aufklärung, die auch in den Festtagsbräuchen
bei uns ihren großen Einfluß weiterhin ausübt, mit Tannenbäumen
und Knusperhäuschen, mit Adventskränzen und Räuchermännchen,-
und den Kerzenpyramiden, ein Familienfest mit Teepunsch und Christstollen
... Die gebildeten und einigermaßen begüterten Menschen jener
Zeit feierten Weihnachten als Geburtstag, als ein Kindergeburtstagsfest,
so ähnlich wie heute. Und sie meinten wie viele Menschen heute, mit
diesen Feierlichkeiten die Worte des Paulus auszulegen und Jesus als den
von Gott gesandten und "von einem Weibe geborenen" Sohn Gottes
zu feiern; sie feierten Christi Geburtstag, wie man einen Kindergeburtstag
feiert. Das war nicht zu allen Zeiten so, sondern erst seit der Blüte
der bürgerlichen Kultur, und es findet sich auch heute überall
dort, wo die Kultur des mitteleuropäischen Bürgertums lebendig
ist: In dieser vierten Strophe spiegeln sich die Wünsche der Großen
im Spielzeug der Kinder: Die Jagd, die Mode, die Mobilität. Was wäre
unser Weihnachtsfest ohne diese Zutaten? Weihnachtsschmuck und Geschenke
prägen unsere Weihnachtsfeiern, und vor allem die fröhlichen
Überraschungen, die Wichteleien und Naschereien, wie sie das Fest
seit jener frühromantischen Erlebnisgesellschaft der Wende zum 19.
Jahrhundert bis heute begleiten. Aber zwischen Paulus und den aufgeklärt-romantischen Bürgern der Neuzeit liegen doch Welten - und deshalb passt das Kinderweihnacht-Geburtslied nur zum Einstieg in eine Predigt über Christus, den Sohn Gottes - und seine Geburt.. Denn auch die ausgiebigste und fröhlichste Feier eines Kindergeburtstags, ja selbst die Geburt eines Thronfolgers, und sei er auch dynastisch vom richtigen Geschlecht, wird übertroffen von dem, was hier allen Menschen geschieht: Sie werden Gott näher gebracht, sie werden von ihm adoptiert, sie werden an Kindes Statt angenommen. Nicht so nah wie der Sohn selbst stehen die Menschen bei Gott, aber immerhin an Kindes Statt! Wir könnten auf die ganze Ausstattung verzichten, auf Essen, Licht,
Spielzeug und Tannengrün, und es wäre trotzdem Weihnachten,
denn es gibt diesen einen unübertrefflich wichtigen Grund zum Feiern
jenseits der fröhlichen Erlebniskultur: Gott nimmt alle Menschen
an Kindes Statt an, "wir empfangen die Kindschaft". Von solchen Sorgen ist die Weihnachtsfreude frei: Gott adoptiert die Menschen so, wie es die Alte Welt nur Kaisern und Pharaonen zutraute, dass sie von einer Gottheit adoptiert worden seien. Nur den höchsten Herrschen wurde eine derart unglaubliche Auszeichnung zuteil: Als Sohn Gottes adoptiert zu werden. Für die Leute auf der Straße wäre es völlig absurd gewesen, Auszeichnungen dieser Art für sich zu beanspruchen. Seit und mit Christi Geburt aber ist der Gedanke in der Welt, dass alle Menschen Kinder Gottes sind ... und Erben seines Reiches. Wir alle sind Adoptivkinder Gottes! Wir sind an Kindes Statt angenommen.
Gott hat uns seinen Geist gegeben, er hat uns mit seinen Worten angesprochen,
er lädt uns an seinen Tisch ein, immer wieder, wir sind Kinder mit
gleichen Rechten, sogar mit Erbrecht. Auch wenn uns Gott manchmal fern
und fremd erscheint, den Eindruck macht, als würde er uns stiefväterlich
oder -mütterlich behandeln. Der Glaube, wir dürften uns alle
Kinder Gottes nennen, dieser Gedanke ist ein für allemal in der Welt
seit Christi Geburt. Gott hat seinen Besitz den Menschen übertragen, sie sind seine Erben,
gerade weil er lebt und durch sein Wort immer weiter regiert. Von Gott, als Kinder Gottes erhalten die Menschen ihre Freiheit, aber sie werden nicht in die Heimatlosigkeit entlassen, sondern am gemeinsamen Besitz beteiligt und als Besitzer sind sie zugleich berechtigt und verpflichtet: Zum Nießbrauch des Erbes berechtigt und zur Pflege verpflichtet, denn keiner ist Alleinerbe. Wir können deshalb in aller Freiheit und Freude Weihnachten feiern, in dieser oder in jeder anderen Form, wir brauchen uns auch die Bräuche unserer Vorfahren nicht zum Gesetz zu machen; der Sinn dieses Erbes ist leicht zu entziffern: Dass alle leben können und Gottes Güte genießen. Morgen, Kinder, wird`s was geben, ja auch morgen wieder - und übermorgen auch. Das Kinderweihnachtsgeburtstagslied wird deshalb nach Melodie und Rhythmus weiterhin unbeschwert kindlich klingen, aber der Gehalt ist nun nicht mehr das Brauchtum der vergangenen Jahrhunderte, sondern die Wirklichkeit der Freiheit, - der Freiheit auch von der Erlebniskultur, vom Diktat des Spielzeugs und der Pädagogik, Weihnachten ereignet sich heute, aber dann auch mitten im Alltag, wo immer Menschen spüren und erkennen, dass sie Kinder Gottes geworden sind. Vielleicht können wir dann im gleich Rhythmus und auf dieselbe Melodie, aber mit anderen Worten singen: Morgen, Kinder, wird's was geben Wie wird dann das Auge glänzen, Wißt Ihr noch - in Kinderschuhen? Heut beginnt das große Planen Amen. Prof. Dr. Reinhard Schmidt-Rost, Bonn |
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