Göttinger Predigten im Internet
hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch

2. Weihnachtstag, 26. Dezember 2001
Predigt über 2. Korinther 8,9, verfaßt von Hans Theodor Goebel


Nachbemerkungen zur Predigt

"... ihr kennt die Gnade unseres Herrn Jesus Christus:
obwohl er reich ist, wurde er doch arm um euretwillen, damit ihr durch seine Armut reich würdet." 2.Kor 8,9

1.
Weihnachten ist Geben und Nehmen.
Weihnachten ist der große Tausch. Reich und Arm ist hinein verwickelt. Ihr alle auch.

Reichtum hilft nicht. Wenn er für sich bleibt. Dann hilft auch Gottes Reichtum nicht. Wenn Gott seinen Reichtum für sich behält.
Dann hilft er auch euch nicht. Dann bleibt ihr, wie ihr seid. Für euch. Mit all eurer Armut. Merkt nicht einmal, wie arm ihr geblieben seid. Allein mit dem, was ihr selbst erarbeitet habt in euerm Leben.

Weihnachten ist der große Tausch. Getauscht wird Reich gegen Arm. Arm gegen Reich.

"... ihr kennt die Gnade unseres Herrn Jesus Christus:
obwohl er reich ist, wurde er doch arm um euretwillen, damit ihr durch seine Armut reich würdet."

Die Verteilung von Reichtum und Armut ist nicht geblieben, wie sie war. Wo Armut war, ist jetzt Reichtum. Wo Reichtum war, ist die Armut eingezogen.
Da bist du, was du hast: der Reiche arm und der Arme reich.
Weihnachten ist der große Tausch mit großen Folgen. Ungewöhnliches Tauschgeschäft.

Gott hat sich da mit uns hineinverwickelt. Dafür steht der Name Jesus Christus. Der Name Gottes und des Menschen in diesem eigenartigen Tauschgeschäft.
Weihnachten ist Bewegung. Nichts ist da stehen und auf seinem Platz geblieben. Es vollzog sich da "das größte Drama aller Zeiten".
In Jesus Christus vollzog sich der große Tausch.

In ihm behielt Gott seinen Reichtum nicht für sich.
Ihr wisst ja: Jesus Christus wurde arm. So geboren, so gelebt und noch viel mehr so gestorben.
Er, der doch reich war. In dem die ganze Fülle Gottes ist. Die wurde ausgeschüttet an die Armen. Seine ganze Fülle wurde uns geschenkt. Denn das war sein Zweck: dass wir durch seine Armut reich würden.

Im Licht von Weihnachten stimmen die alten Bilder nicht mehr. Das Bild vom reichen Gott. Das Bild vom armen Menschen. Statische und unbewegliche Bilder.

Du sollst dir ja auch keine Bilder machen und sie verehren. Weder ein Bild von Gott, noch ein Bild von dir, dem Menschen. Bilder, in denen du Gott und den Menschen fest nagelst auf die Projektionsfläche deiner Vorstellungen und Lebenserfahrungen.

Weihnachten ist der große Tausch, die Bewegung, das Drama zwischen dem reichen Gott und dem armen Menschen. Der reiche Gott behält seinen Reichtum nicht für sich. Der arme Mensch behält seine Armut nicht für sich. Vielmehr ist der Reiche arm geworden, damit der Arme reich werde.

In unserer Welt werden in der Regel andere Geschäfte gemacht. Und haben einen anderen Zweck: Die Reichen wollen reicher werden. Das ist hier der Zweck.
Weihnachten ist anders.

Jesus Christus hat nicht festgehalten, was er hatte.
Wie ein Dieb, der dir auf dem Weihnachtsmarkt das Geld aus der Tasche zieht und hält es dann fest. Damit er selbst statt deiner etwas davon hat.
Oder wie Konzerne Gewinne festhalten, die sie auf dem Weltmarkt gemacht haben. Sie nicht weitergeben. Eher Arbeitskräfte weg rationalisieren, damit sie noch mehr Gewinne machen.
So hat Jesus Christus nicht für sich festgehalten, was er hatte. Den ganzen Reichtum Gottes. Und weil er Gottes Reichtum nicht festgehalten hat für sich, sondern hergegeben, haben nun wir ihn. Den ganzen Reichtum Gottes. Er ging aus sich heraus und wir sind zu Weihnachten die reich Beschenkten. Wir, die arm waren, sind zu Reichtum gekommen und nun selber reich.
Reich an was? Worin besteht unser Reichtum?

Reich an Gott sind wir geworden. Das will sagen: Reich an seiner Liebe. Gott wollte sich selbst nicht für sich behalten. Sondern für uns, mit uns, einer von uns sein. Reich sein wollte Gott nur in unsrer Armut. So arm ist er geworden, dass er sich hergeschenkt hat an uns. Das ist die Geschichte von Jesus Christus, dem Sohn Gottes.
Wir - die armen Menschen - sind in dieser Geschichte unsre Gottlosigkeit losgeworden. Unsre Lieblosigkeit. Die doch unsre ganze Armut war.
Gott in seiner Liebe läßt uns nicht mehr los. So reich sind wir geworden.
Weihnachten ist der große Tausch.

"... ihr kennt die Gnade unseres Herrn Jesus Christus:
obwohl er reich ist, wurde er doch arm um euretwillen, damit ihr durch seine Armut reich würdet."

2.
Weihnachten vernetzt sich mit unserem Alltag. Morgen ist kein Festtag mehr. Morgen ist wieder Alltag. Aber der ließ sich auch gestern und vorgestern nicht ausblenden. Der Alltag unsrer Welt.
Das Blutvergießen in Bethlehem und Jerusalem. Der Winter in Afghanistan und die Flüchtlinge und der Hunger. Die Schulden, die jene erdrücken, die eh nichts haben. Ungerechtigkeit, die zum Himmel schreit.
Das ist der Alltag auf unsrer reichen armen Erde.

An die zweitausend Jahre ist es her, dass der Apostel Paulus die europäischen Christen aufrief, für die Armen in Jerusalem Geld zu sammeln:
"Nicht, dass die anderen gute Tage haben sollen und ihr Not leidet, sondern dass es zu einem Ausgleich komme."
Zur Gleichheit soll es kommen zwischen Reich und Arm. Jetzt soll euer Überfluss ihrem Mangel abhelfen. Damit morgen oder übermorgen - wer weiß? - ihr Überfluss euerm Mangel abhelfe. Und so ein Ausgleich geschehe.
Gleichheit geschehe. Ein Stück Gerechtigkeit geschehe zwischen Reich und Arm.

"... ihr kennt die Gnade unseres Herrn Jesus Christus:
obwohl er reich ist, wurde er doch arm um euretwillen, damit ihr durch seine Armut reich würdet.
Da seht ihr, wie es Gott gemacht hat."

Dabei sollt ihr für Gleichheit und Gerechtigkeit sorgen nach dem, was ihr selber habt. Nicht über euer Vermögen hinaus. Und sollt von diesem Ausgleich getragen werden, wenn ihr selber in Not geratet.
Für uns heißt das sicher ganz praktisch, dass wir unser Portemonnaie öffnen für die Sammlungen oder Kollekten in diesen Tagen. Für Brot sofort und für medizinische Versorgung in Afghanistan. Für die Entwicklungshilfe und ihr langfristigen Projekte mit Partnern in der Dritten Welt.
Kräftig dazu beizutragen ist nötig. Aus euerm Haben heraus. Sagt Paulus.
Und wir hier in Deutschland am 26. Dezember 2001 - haben. Haben viel, um viel zu geben.

Wir Christenmenschen und christliche Kirchen müssen über unser Geben hinaus eintreten für eine Politik des gerechten Ausgleichs zwischen Arm und Reich. Die riesigen Ausmaße der Ungerechtigkeit, an der ganze Völker kaputt gehen und Millionen einzelne Menschen, - sie sind zugleich die riesigen Potentiale des Schreckens für unsre eine Welt.

Wir brauchen heute weltweite Koalititonen für eine Poltik der ausgleichenden Gerechtigkeit. Damit die Armen, sich selber finden und ihr Leben selbst entwickeln können. Sie haben Handelsbedingungen und politische Bedingungen nötig, die ihnen das ermöglichen. Müssen wir reichen Länder da nicht auch Macht an die Machtlosen in der Welt abgeben? Dürfen wirtschaftliche und politische Macht nicht für uns behalten und nutzen? Dann hilft unser Reichtum nicht. Ist es nicht so?

"... ihr kennt die Gnade unseres Herrn Jesus Christus:
obwohl er reich ist, wurde er doch arm um euretwillen, damit ihr durch seine Armut reich würdet."

3.
Gnade. -
Was in Jesus Christus geschehen ist, der große Tausch zwischen dem reichen Gott und uns armen Menschen, nennt Paulus Gnade.

Das Geld, das die Christen in Europa geben wollen und geben sollen für die Armen in Jerusalem, nennt Paulus mit dem selben Wort Gnade. Gnadenwerk der Christen in Mazedonien und Korinth.

Gnade - ist Nehmen und Geben.
Weihnachten ist Gnade.

Paulus hat seinen Brief nach Korinth in griechischer Sprache geschrieben. Das Wort Gnade bedeutet im Griechischen auch Fürsorge, Huld, Wohlwollen, Anmut, Lieblichkeit.

Anmutig ist es, dass Jesus Christus, obwohl er doch reich ist, arm wurde, damit wir reich würden.
Diese Anmut lässt uns selber anmutig werden.
Sie motiviert uns. Jetzt, an Weihnachten, von unserem Geld den Armen zu geben und im neuen Jahr mit unserer Stimme für Lastenausgleich und ein bisschen mehr Gerechtigkeit einzutreten. Aus dem Haben heraus. Wir haben ja.

Weihnachten ist das Fest der Anmut. Amen.

Nachbemerkungen:

In der Predigt versuche ich, die "Beziehung zwischen einem christologischen Text und dem Alltag des Christen" - im Predigttext geht es Paulus um die 'ökumenische' Kollekte für die Armen in Jerusalem - (Georg Eichholz, Die Theologie des Paulus im Umriss, Neukirchen-Vluyn 1972, 133f), nach-zudenken und für uns heute aufzunehmen.
Bei dem christologischen Text denke ich an Luthers Bild vom "fröhlichen Wechsel" oder Tausch zwischen Christus und uns. (s. Von der Freiheit eines Christenmenschen, 1520, Abschn.Nr.12). Und dabei natürlich an die Frage, was wir von diesem Tausch haben (vgl. Klaus Berger, Theologiegeschichte des Urchristentums, Tübingen und Basel 1994, 398f .169) und was umgekehrt Gott davon hat.
Nachdenkenswert erscheint mir, dass Paulus dasselbe Wort (charis = Gnade) für das Christusgeschehen und die Kollekte verwendet. Wie ist es gemeint und wie lässt sich das für die Predigt fruchtbar machen?
Und dann: Es scheint mir heute wichtig, den Gedanken der Kollekte bis in politische Strukturveränderungen hin auszuzuziehen. Meine Verlegenheit dabei ist wieder, da zu allgemein zu bleiben.

Weitere Literatur:
· Rudolf Bultmann, Der zweite Brief an die Korinther, Göttingen 1976
· Joachim Beckmann, (Predigtmeditation) 2.Weihnachtstag. 2.Korinther 8,9, in: hören und fragen, Ergänzungsband zu Band 5+6, Neukirchen-Vluyn 1983, 264-270
· Klaus-Peter Hertzsch, (Predigtmeditation) 2.Weihnachtstag - 26.12.1995, in: GPM, 50.Jg., 1995, 46-52.
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Hans Theodor Goebel
Richard-Wagner-Straße 37, 50859 Köln
Tel. und Fax: 02234 / 94 85 83


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