Göttinger Predigten im Internet
hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch

1. Sonntag nach Epiphanias, 13. Januar 2002
Predigt über Jesaja 42, 1-4, verfaßt von Johannes Neukirch

"Siehe, das ist mein Knecht - ich halte ihn - und mein Auserwählter, an dem meine Seele Wohlgefallen hat. Ich habe ihm meinen Geist gegeben; er wird das Recht unter die Heiden bringen.
Er wird nicht schreien noch rufen, und seine Stimme wird man nicht hören auf den Gassen.
Das geknickte Rohr wird er nicht zerbrechen, und den glimmenden Docht wird er nicht auslöschen. In Treue trägt er das Recht hinaus.
Er selbst wird nicht verlöschen und nicht zerbrechen, bis er auf Erden das Recht aufrichte; und die Inseln warten auf seine Weisung."

Liebe Gemeinde,

die Meldung am Freitag war den Fernsehleuten so wichtig, dass in der Sendung vor den Nachrichten schon ein Text ins Bild eingeblendet worden ist: "K-Frage entschieden. Angela Merkel verzichtet." Die CDU hat sich an diesem Tag dafür entschieden, Sie haben das alle gelesen, gehört oder gesehen, Edmund Stoiber als Kanzlerkandidaten ins Rennen zu schicken.

In den letzten Wochen war mir dieses ständige Gerede darüber, wer es denn nun werden wird, Angela Merkel oder Edmund Stoiber, schon etwas auf die Nerven gegangen. Die allerletzte Runde fand ich trotzdem spannend. Und wie es der Zufall so will: Was da am Freitag passiert ist und wie das abgelaufen ist, wirft ein interessantes Licht auf unseren Predigttext!

Was hat den Ausschlag gegeben bei dieser Entscheidung der CDU - bei jeder anderen Partei wäre das natürlich genau so gewesen? Ist der eine einfach mächtiger oder schlauer oder durchtriebener gewesen als die andere? Ist Angela Merkel im Stich gelassen worden? Welche Machtspiele in den letzten Wochen gespielt worden sind, weiß ich auch nicht. Aber wenn ich das richtig verstehe, haben die Umfragen in der Bevölkerung und die Umfragen bei den Parteimitgliedern eine ganz entscheidende Rolle gespielt. Und da hat sich offensichtlich herausgestellt, dass diejenigen, die befragt worden sind, dem frisch gekürten Kandidaten einfach mehr zutrauen als der Verliererin. Ich kann auch sagen: Sie setzen mehr Hoffnung auf ihre Wahl. Worauf diese Hoffnung beruht, das ist im Einzelnen wahrscheinlich schwer genau zu sagen. Die Stimmung, die Gefühle haben eine große Rolle gespielt: Wir trauen dem Kandidaten etwas zu. Er wird das schon machen. Er bringt uns heraus aus der Opposition. Und bei der Wahl im September dann wird das auch für uns alle die wichtigste Entscheidungshilfe sein: Wem trauen wir zu, die Verantwortung zu übernehmen, bei wem hoffen wir, dass er die richtigen Entscheidungen trifft, damit es wieder bergauf geht? Denjenigen werden wir wählen -die vielen dagegen, die nicht wählen werden, haben die Hoffnung aufgegeben, dass es überhaupt so jemanden geben könne.

Dieses Vertrauen und diese Hoffnung auf bessere Zeiten sind auch die treibenden Kräfte in unserem Predigttext aus dem Buch des Propheten Jesaja. Auch hier geht es um einen Kandidaten, der hier in der Übersetzung von Martin Luther "Knecht" genannt wird, in einer modernen Übersetzung, in der "Guten Nachricht" heißt er der "Bevollmächtigte".

Der Prophet, der die Worte aus unserem Text gesagt hat, spricht in einer besonderen Situation. Wir wissen nicht, wie er heißt, es ist jedenfalls nicht mehr Jesaja, aber das spielt hier keine Rolle.

Die Situation ist folgende: Ein Teil des Volkes Israel ist im Exil, in der Gefangenschaft. Es besteht aber Hoffnung, bald in das eigene Land zurückkehren zu können. Dort müssen sie aber von vorne anfangen, alles neu aufbauen, neues Vertrauen in ihren Gott gewinnen.

In dieser Situation sagt der Prophet im Auftrag Gottes: Es wird jemand kommen, der dafür sorgt, dass das Recht aufgerichtet wird, dass sich Gottes Gerechtigkeit durchsetzen wird. Das bedeutet vor allem: Frieden zwischen den Völkern, Ende des Krieges, Freiheit und Wohlstand.

An mehreren Stellen im Jesajabuch ist von diesem Knecht Gottes die Rede, auch davon, dass er leiden muss. Im Neuen Testament taucht er dann wieder auf , so dass Jesus dann als die Erfüllung des Knechtes Gottes gilt.

Der Kandidat, der Knecht, der Bevollmächtigte - also, wie das immer so schön heißt: der Hoffnungsträger!

Nun ist klar, dass zwischen dem Knecht, der von Gott beauftragt und bevollmächtigt ist und dem Politiker, der von seiner Partei beauftragt ist, ein himmelweiter Unterschied besteht. Der Unterschied besteht aber nicht nur in den Personen, sondern auch wie sie die Hoffnungen, die auf den Kandidaten ruhen, erfüllen wollen.

Auf der einen Seite der Politiker - der soll eine starke Persönlichkeit sein, Antworten auf die brennenden Fragen wie Arbeitslosigkeit, Bildung usw. haben, er soll Vertrauen erwecken und vieles mehr. Dafür muss er große Versprechungen machen und sozusagen die Muskeln spielen lassen.

Ganz anders der Knecht Gottes, dessen Aufgabe viel größer ist: auf Erden soll er das Recht aufrichten. Aber das tut er nicht mit großen Worten und nicht mit einem Militäreinsatz: "Er wird nicht schreien noch rufen, und seine Stimme wird man nicht hören auf den Gassen. Das geknickte Rohr wird er nicht zerbrechen, und den glimmenden Docht wird er nicht auslöschen."

Kanzlerkandidat kann man mit dieser Methode nicht werden - "nicht schreien noch rufen" - genau das muss man auf jeden Fall tun!

Aber es ist die Methode unseres Gottes, die Methode, auf Erden das Recht aufzurichten. Kein Geschrei, kein Muskelspiel, kein Militäreinsatz: "Das geknickte Rohr wird er nicht zerbrechen, und den glimmenden Docht wird er nicht auslöschen." So arbeitet der Knecht Gottes. Und so spiegelt es sich ja dann auch im Leben von Jesus Christus wieder. Er stand bei denen, die schon geknickt waren und hat sie wieder aufgerichtet. Er stand bei denen, deren Lebenslicht nur noch geglimmt hat und hat wieder das Licht aufleuchten lassen.

Und darin ist Jesus von Gott bestätigt worden. Der Geist Gottes war immer bei ihm. Und er ist am Tod nicht zerbrochen, sondern von Gott wieder von den Toten auferweckt worden.

Es ist wichtig, liebe Gemeinde, dass wir uns das immer wieder vor Augen halten, was ein Knecht Gottes tut. Das ist für uns die Orientierung und der Maßstab für unser eigenes Handeln. Denn als Nachfolger von Jesus Christus gilt das für uns auch - das geknickte Rohr nicht zu zerbrechen, den glimmenden Docht nicht auszulöschen. Wir sind damit auch davor geschützt, den falschen Führern hinterherzulaufen. Denn die wahre Gerechtigkeit, die Gerechtigkeit Gottes wird nach der Methode des Knechtes Gottes hergestellt und nicht mit Gewalt und Geschrei.

Die wahre Gerechtigkeit, das Paradies wirklich herzustellen und durchzusetzen, ist und bleibt die Aufgabe Gottes. Das schützt uns vor Fanatismus, der meint, wir Menschen wüssten, wie das Paradies aussieht und wie wir selbst es auf Erden aufrichten könnten. Wir bleiben im Vorläufigen, wir wissen zum Beispiel nicht, wie das Terrorismusproblem in Afghanistan am besten zu lösen ist. Aber bei allem, was wir tun, können wir uns am Knecht Gottes, orientieren und mit allem, was in unserer Macht steht, Jesus nachfolgen: nicht zerbrechen, nicht auslöschen.

In der Epistel, die wir vorhin gehört haben, schrieb Paulus:
"Und stellt euch nicht dieser Welt gleich, sondern ändert euch durch Erneuerung eures Sinnes, damit ihr prüfen könnt, was Gottes Wille ist, nämlich das Gute und Wohlgefällige und Vollkommene"

Amen.

Dr. Johannes Neukirch
E-Mail: johannes.neukirch@evlka.de

 


(zurück zum Seitenanfang)