Göttinger Predigten im Internet
hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch

Estomihi, 10. Februar 2002
Predigt über Jesaja 58, 1-9a, verfaßt von Karsten Matthis

Liebe Gemeinde,

was für ein spannungsgeladener Text: Neben großartigen Bildern der Hoffnung richtet der Prophet Jesaja heftige Worte der Kritik an sein Volk. Strafpredigt und Heilszusage verhalten sich nicht diese wie Feuer und Wasser zueinander? Wie hart prallen einerseits die Forderung nach radikaler Umkehr und andererseits die Worte des Heils aufeinander. Am Ende des Textes stehen wunderbare Bilder des Heils und der Rettung.

Wenden wir uns zunächst der Strafpredigt des Propheten zu: Der Herr befiehlt Jesaja, wie eine Posaune seine Stimme ertönen zu lassen. Wie ein Alarmhorn soll der Prophet sein Volk aus dem Schlaf der falschen Sicherheit wecken. So deckt er doppelzüngige Reden und heuchlerisches Verhalten auf. Schonungslos legt Jesaja seinen Finger in die Wunde.

Äußerlich war alles in Ordnung unter den Israeliten: Der fromme Schein blieb gewahrt. Es ließe sich ja viel Lobenswertes über die Gemeinde sagen, denn die Gottesdienste wurden rege besucht und die Fastenzeit eingehalten. Doch wie steht es um die Ernsthaftigkeit des Glaubens? Es wird nur gefastet, um Eindruck bei Gott zu schinden. Jenes Fasten ist nicht echt, es ist zu einem bloßem Ritual verkommen. Rechtes Fasten hätte einen Bezug zum Alltag und würde zu einem wahrhaftigen Sinneswandel führen. Aber alles andere geschieht: Die Fastenzeit wird genutzt, um noch intensiver zu streiten, weiterhin andere auszubeuten und zu drangsalieren. Das Volk gibt vor, Gott zu suchen, wie heuchlerisch ist dies in den Augen Jesajas. Nicht Gott hat sich von seinem Volk abgewendet, sondern das Volk war es selbst, welches Gott beiseite geschoben hat.

"Gehorsam ist besser als Opfer." (1. Sam. 15,22) heißt es im Samuelisbuch. Eine treffende Interpretation für das, was Gott den Propheten sagen lässt. Der Herr will einen lebendigen Glauben der tätigen Nächstenliebe. Wirkliches, echtes Fasten zeigt sich im Verhältnis zu den Mitmenschen. Weder im staatlichen Bereich noch im Privatleben ist der "Nächste" im Blick: Der Sklave stöhnt über seine Arbeitslast und dem Israeliten, der unverschuldet in Not geraten ist, wird das Letzte abgepresst. Der Gefangene wird unter unmenschlichen Bedingungen in Haft gehalten. Ihnen allen wird Gerechtigkeit und Barmherzigkeit vorenthalten. Rechtes Fasten würde sich im Verzicht und barmherzigem Teilen zeigen: Brich mit den Hungrigen dein Brot, kleide den Bedürftigen und beherberge den Obdachlosen!

Liebe Gemeinde, Jesus hat die Worte des Propheten Jesaja in seiner Rede vom Weltgericht (Mt. 25) aufgenommen, um nachdrücklich das Gebot der uneingeschränkten Nächstenliebe einzufordern. In der tätigen Nächstenliebe zeigt sich der Ernst der Nachfolge, die Ernsthaftigkeit des Glaubens. Der christliche Glaube misst sich auch daran, ob er den Mitmenschen im Blick hat und ihm zugewandt bleibt.

Bis zum Tod am Kreuz blieb Jesus Christus den Menschen uneingeschränkt zugewandt. Er hat durch seinen Kreuzestod die Versöhnung mit Gott und unsere Erlösung gestiftet. Dass wir das Licht des Herrn hervorbrechen haben sehen wie die Morgenröte, verdanken wir allein Christus. "Denn Gott, der sprach: Licht soll aus der Finsternis hervorleuchten, der hat einen hellen Schein in unsere Herzen gegeben, dass durch uns entstünde die Erleuchtung zur Erkenntnis der Herrlichkeit Gottes im Angesicht Jesu Christi (2. Kor. 4,6)".

Durch diesen hellen Schein können wir heil und frei werden. Heilsein in einer zerrissenen Welt, an welcher viele von uns irre werden könnten. Was menschliche Boshaftigkeit und Hass, Fanatismus und Aggression, Neid und Habgier tagtäglich produzieren, ist so augenfällig, dass es keines Beispiels bedarf.

"Die Hölle, das sind die anderen" heißt es bei Jean-Paul Sartres Einakter "Geschlossene Gesellschaft." Die Quintessenz des Stückes lautet: Die Hölle ist überflüssig, weil die Welt eine Hölle ist. Nach Überzeugung Satres besitzen Menschen die Fähigkeit, den Mitmenschen das Leben zur Hölle zu machen. Sartre war äußerst pessimistisch, dass es gelingen könnte, ein friedliches menschliches Zusammenleben zu erreichen, weil der menschliche Drang nach Selbstverwirklichung zu stark sei.

Christlicher Glaube schließt sich dieser Sicht menschlicher Existenz nicht an, obwohl dieser um das Böse im Menschen und den Hang zur Selbstzerstörung weiß. Nach christlichem Verständnis bleibt der Mensch nicht auf sich geworfen und steht nicht allein dar. Nicht hoffnungslos ist er auf sich selbst gestellt und seiner eigenen totalen Verantwortung ausgeliefert. Nein, einem hoffnungslosen Pessimismus redet der christlicher Glaube nicht das Wort, denn eine Vorahnung vom Reich Gottes kann in der christlichen Gemeinschaft erahnbar werden.

Ein Bruchstück von wahrer Liebe, Mitmenschlichkeit und Gemeinsinn unter Menschen ist in der Gemeinschaft Jesu Christi erfahrbar. Christen haben die feste Hoffnung auf Erlösung und Auferstehung. Aufgrund dieser großartigen Verheißung treten Christen für eine gerechtere Welt ein und sorgen sich um das Schicksal ihres Nächsten. Weil der Tod von Christus überwunden wurde und das Reich Gottes mit ihm angebrochen ist, werden wir zum Dienst am Nächsten ermutigt . Nicht resigniertes Schulterzucken ist angesagt, sondern aktives Engagement für den Nächsten. Es ist gut, dass die Kirchen immer an das Menschengerechte in der Welt erinnern. Professionelles, diakonisches Handeln geschieht tagtäglich in vielen kirchlichen Einrichtungen. Hilfe zur Selbsthilfe wird in 3. Welt-Arbeit von vielen kirchlichen Trägern und ihren Mitarbeitern mit großem Einsatz geleistet. In den Kirchengemeinden geschieht diese Zuwendung zum Nächsten auf vielfältige Weise in kleinen Schritten, verborgen und unscheinbar.

Und dennoch - trotz aller unserer Anstrengungen, können wir uns nicht selbst erlösen. Gott lässt sich nicht nötigen, und wir können uns nicht mit sozialem Engagement seine Zuneigung erkaufen. Vielmehr bleibt unser Handeln nur Stückwerk und eine umfassend bessere und gerechtere Welt wird uns trotz aller Kraftanstrengungen nicht gelingen. Es liegt in seiner Hand, wann er sein Reich herbeiführt und die Welt erlöst. Jesaja hat sein Volk und uns anno 2002 erneut in das "Bilderbuch der Verheißung" schauen lassen. In der Dunkelheit der Welt und des Lebens sind die Verheißungen Gottes wie das Licht der Morgenröte. Auf Gottes große Güte und Barmherzigkeit dürfen wir vertrauen! Amen.

Karsten Matthis, Dipl. Theol.
Hochheimer Weg 11a
53343 Wachtberg
karsten.matthis@t-online.de

Literatur:
Gerd Schmoll : Estomihi, Jesaja 58, 1-9 a, Deutsches Pfarrerblatt, Heft 1/2002

 

 


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