Göttinger Predigten im Internet
hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch

Estomihi, 10. Februar 2002
Predigt über Jesaja 58, 2-9a, verfaßt von Hansjörg Biener
Die gereimte Faschingspredigt

 

0. Jesaja 58,2-9a

"Warum", so fragt einst Israel, / "ist Gott bei uns denn nicht zur Stell,
wenn seinem Volk es schlecht ergeht / und alles fast schon ist zu spät."
Als Antwort auf so manche Plage / gab's offizielle Fastentage.
Doch Israel war unzufrieden, / wenn diesen kein Erfolg beschieden:
"Wir rufen Gottesdienste aus, / doch Gott ist scheinbar außer Haus.
Wir sind doch alle angetreten, / warum hört Gott nicht unser Beten?
Wir schreiben uns ein Fasten vor / und finden doch nicht Gottes Ohr.
Wir machen uns in Demut klein, / - warum will Gott nicht mit uns sein?"

"Sie suchen mich täglich und begehren, meine Wege zu wissen, als wären sie ein Volk, das die Gerechtigkeit schon getan und das Recht seines Gottes nicht verlassen hätte. Sie fordern von mir Recht, sie begehren, daß Gott sich nahe.
Warum fasten wir, und du siehst es nicht an? Warum kasteien wir unseren Leib, und du willst's nicht wissen?
Siehe, an dem Tag, da ihr fastet, geht ihr doch euren Geschäften nach und bedrückt alle eure Arbeiter. Siehe, wenn ihr fastet, hadert und zankt ihr und schlagt mit gottloser Faust drein. Ihr sollt nicht so fasten, wie ihr jetzt tut, wenn eure Stimme in der Höhe gehört werden soll.
Soll das ein Fasten sein, an dem ich Gefallen habe, ein Tag, an dem man sich kasteit, wenn ein Mensch seinen Kopf hängen läßt wie Schilf und in Sack und Asche sich bettet? Wollt ihr das ein Fasten nennen und einen Tag, an dem der Herr Wohlgefallen hat?
Das aber ist ein Fasten, an dem ich Gefallen habe: Laß los, die du mit Unrecht gebunden hast, laß ledig, auf die du das Joch gelegt hast! Gib frei, die du bedrückst, reiß jedes Joch weg! Brich dem Hungrigen dein Brot, und, die im Elend ohne Obdach sind, führe ins Haus! Wo du einen nackt siehst, so kleide ihn, und entzieh dich nicht deinem Fleisch und Blut.
Dann wird dein Licht hervorbrechen wie die Morgenröte, und deine Heilung wird schnell voranschreiten, und deine Gerechtigkeit wird vor dir hergehen, und die Herrlichkeit des Herrn wird deinen Zug beschließen.
Dann wirst du rufen, und der Herr wird dir antworten. Wenn du schreist, wird er sagen: Siehe, hier bin ich." (Jesaja 58,2- 9a)

1. "Gott sei mit uns" - der Wunsch damals und heute

Damit scheint nun erst einmal klar, / das Fasten nicht ganz ernsthaft war.
So jedenfalls, sieht's der Prophet, / dem es um echten Glauben geht.
"Habt Ihr ein Recht, zu Gott zu flehn, / wenn er muss so viel Unrecht sehn?
Gott zieht Ihr Menschen vor Gericht, / nur Euer Unrecht seht Ihr nicht.
Ihr könnt nicht in den Tempel rennen / und Euren Alltag davon trennen.
Wer andre Menschen schwer bedrückt, / sich selbst vor Gott ins Unrecht rückt.
Es kann nicht fromm im Tempel sein, / wer vor der Tür schlägt gottlos drein,
wer dann im Alltag Messer wetzt / und rücksichtslos sein Ziel durchsetzt.

Wollt Ihr durch Gott Verändrung sehn, / muss es auch Euch um Bessrung gehn.
Gott will von Euch ein andres Fasten: / Ihr sollt die armen Leut entlasten.
Wer hungrig ist, soll etwas essen / und seine Not schon bald vergessen.
Wenn ihr ihm helft zurück ins Leben, / soll es nicht Wucherzinsen geben.
Es sieht Euch Gott in Gnaden an, / wenn jemand wieder lachen kann,
weil Ihr bei einer Lebenslast / ihm hilfreich unter Arme fasst.
Entzieh dich nicht Deim Fleisch und Blut! / Versorge Deine Eltern gut,
und wenn Du Kinder hast gemacht, / dann gib auf ihre Zukunft Acht."

Doch auch bei uns liegt Frömmigkeit / im Streit mit Alltagswirklichkeit.
Man meint, es muss auf allem Tun / von selber auch ein Segen ruhn.
"Ich will doch nur mein Stück vom Glück / und weiche keinen Schritt zurück.
Ich will's", sagt man und ist gekränkt, / wenn Gott nicht seinen Segen schenkt.
Ging's früher um die harte Faust, / man heute noch ganz anders haust.
Wir haben heute viel mehr Waffen / und können viel mehr Unglück schaffen.
"Gott, sei mit uns", es wäre schön, / würd dies auch in Erfüllung gehn.
Die Menschen liegen Gott im Ohr, / doch er hält uns den Spiegel vor.

2. "Gott sei mit uns" in der Welt...

2.0
Wo man beansprucht gutes Recht / geht es den andern meistens schlecht.
Man kann doch immer Gründe finden, / um seine Ziele zu begründen.
Besonders übel ist es schon, / kommt Schlechtes her mit Religion.
Auch wer sich selbst sieht recht-geleitet, / manch Böses in der Welt verbreitet.
Man ruft den Namen Gottes an / und meint, es wär damit getan,
wenn Gott man in dem Munde führt / und Glaube so zum Werkzeug wird.
Wo man beschwört die Schicksalsmacht, / bricht bald herab die dunkle Nacht.
"Gott sei mit uns", sagt mancher Mann, / und fasst das Koppelschloss fest an.

2.1 Kein Land für Frieden
So war es, als am deutschen Wesen / sollt Deutschland und die Welt genesen.
Für Juden war das ganz fatal, / von Südfrankreich bis zum Ural.
Als Antwort auf den Massenmord, / wollt man zurück an jenen Ort,
den Gott seit jeher hätt versprochen / und seinen Bund doch nicht gebrochen.
"Wir wollen nie mehr Opfer sein / und richten einen Staat uns ein."
Man will zurück, das ist bekannt / nach Israel, ins Heilge Land.
Die UNO hat sich stets gedacht, / es wär das Beste, wenn man macht
aus dem Gebiet zwei eigne Staaten, / doch waren viele schlecht beraten.

Gleich mehrfach brach schon los der Krieg / und endete mit Israels Sieg.
Doch nur den Frieden auch gewinnt, / wer mit Versöhnung auch beginnt.
Haß und Gewalt nur produziert, / wer fremden Glauben provoziert.
Wo man auf heilgen Boden geht, / der große Ärger gleich ansteht.
Den Funken hat Sharon gelegt, / als er sich zur Moschee bewegt
und sagt: "Das hier ist mein Gebiet." / Die Intifada er nicht sieht,
die seither tobt in Israel, / das stets mit Panzern ist zur Stell.
Wo weiter zuschlägt blanker Wahn, / kein Mensch mehr friedlich leben kann.

2.2 Die Bitterkeit des Islamismus
In vielen Ländern dieser Welt / man es neu mit dem Glauben hält.
In frühern Jahren nahm man an, / was von uns aus dem Westen kam.
Doch fühlen viele sich belogen / und um ihr Lebensrecht betrogen.
Der Westen ist nicht Leitkultur, / weil er gebracht hat Leiden nur.
Er hat die Erde ausgeraubt / und Öko-Schätze aufgeklaubt
und umgekehrt ganz ungeniert / den Giftmüll wieder exportiert.
Und weil der Westen säkular, / nahm man der Welt den Glauben gar.
Doch ist der letzte Kraft zum Leben, / wenn es denn geht ums Überleben.

So wurde er jetzt neu entdeckt, / und viele Leute sind erweckt.
Osama bläst zum Halali / und trifft die USA wie nie.
Das Pentagon? Das Weiße Haus? / Die Ziele sucht genau er aus.
Und weil der Westen liebt das Geld, / wird's World Trade Center umgefällt.
Es zeigt Osama seine Macht, / wenn's Flugzeug in den Turm reinkracht.
schickt viele Menschen in den Tod / und bringt damit nur neue Not.
Er zieht aus in den Heilgen Krieg / und proklamiert hier Gottes Sieg.
"Gott ist mit mir", so denkt er sich / und irrt sich doch wohl fürchterlich.

2.3 Der Gegenterror des Westens
Bush ruft die Welt zum Kreuzzug auf, / und die Gewalt nimmt weiter Lauf.
Es gäbe eine bessre Welt, / wenn man die Terroristen stellt,
und auch die Bundeswehr ist da, / fährt Böötchen vor Somalia.
Selbst wenn der Sieg fällt in den Schoß, / ist doch die Zahl der Opfer groß.
"Gott will es", riefen einst Kreuzritter, / für alle andern wurd es bitter.
Damit der Weg sich wirklich lohnt, / wird keiner in der Stadt verschont,
so dass man dann in Jesu Stadt / auch Christen hingemetzelt hat.
In Deutschland hat man's schon erkannt / und "Kreuzzug" zum Unwort ernannt.

Man nennt das jetzt "kollateral", / wenn einen Falschen trifft die Qual.
Es hatten viele einen Schaden / bei dieser Hatz auf den bin Laden.
Die Taliban war eine Plage, / da gibt es sicher keine Frage,
doch fragt sich, ob Afghanistan / ist heute so viel besser dran.
Selbst wenn man führt gerechte Kriege, / erringt man schnell nur Pyrrhus-Siege.
Vom Paradies trennen uns Welten, / will man den Terror so vergelten,
bringt keinen Frieden in das Land, / steht letztlich da mit leerer Hand.
Osama fiel die Flucht nicht schwer, / ist er doch schließlich Milliardär.

2.0
"Gott will's", so meinte wohl Sharon. / "Gott will's" sagt sich im selben Ton,
Osama, den jetzt jeder kennt. / "Gott will", sagt auch der Präsident,
"dass ich den Krieg als Antwort wähle / und jage ihn aus seiner Höhle."
Sie halten Gottes Fahne hoch / und meinen dann, es müsste doch
grad mit dem Teufel dann zugehn, / wenn sie nicht auch Erfolge sehn.
Sie glauben, sie sind fromme Leute, / und sind des Wahnsinns fette Beute.
Wenn's geht um Selbstgerechtigkeit / sind Mord und Totschlag niemals weit,
Doch ist nicht Gott dabei der Herr,/ das Argument fällt mir nicht schwer.

Ob Jude, Muslim oder Christ, / der eine Gott uns wichtig ist.
Mit diesem Gott sich nicht entschuldigt, / wer eigentlich dem Kriegsgott huldigt.
Ist Gott, der Schöpfer dieser Welt, / der sie uns Tag für Tag erhält,
denn wirklich daran intressiert, / dass man die andren massakriert?
So scheint es mir besonders dreist, / wenn für Gewalt man auf Gott weist.
Ganz offenbar daneben liegt, / wer in die Heilgen Kriege zieht,
sorgt nur dafür, dass Menschen hassen / und freien Lauf dem Bösen lassen.
Wer Unrecht will mit Gott begründen, / der steigert unermesslich Sünden.

3. ...und bei uns

3.0
Dass es bei uns kaum besser steht, / wird klar, wenn Ihr auf Deutschland seht.
Es gab geschichtliche Erfahrung / der tiefen Einsicht neue Nahrung,
dass alles Trachten irreführt, / wenn's nicht durch Gott gebunden wird.
"So wahr Gott helfe", in dem Streben / lässt sich's in Deutschland ganz gut leben.
Damit nicht Falsches wird getrieben / hat man's ins Grundgesetz geschrieben,
dass man vor Gott will nun versprechen, / die Menschenwürde nicht zu brechen.
Nur dumm, dass sie doch dann und wann / doch angetastet werden kann.
Drum zieh ich jetzt auch aus die Linie / zu Arbeit, Armut und Familie

3.1 Arbeit
Es ist die Arbeitslosigkeit / das große Thema dieser Zeit.
Shareholder value nennt man's dreist, / wenn Arbeitern die Tür man weist
Als Spitze gilt und als geschickt, / wer Menschen auf die Straße schickt.
Dabei liegt Wert doch nicht in Sachen, / viel mehr in denen, die was machen,
dass Menschen haben täglich Brot / und sie nicht stürzen in die Not.
Es wettet mancher Börsenhai / und fühlt sich von Verpflichtung frei
auf Kurse und auf manchen Preis, / stimmt der noch nicht, wird ihm nicht heiß.
Es wird gedreht, es wird getrickst. / Der kleine Mann denkt sich: "Verflixt.
An diese Leut geht man nicht hin, / versteuert nicht deren Gewinn."

Wenn Geld an Börsen man verbrennt, / man dies die "neue Wirtschaft" nennt.
Es kommt der Abschwung irgendwann / und trifft dann auch den kleinen Mann,
wenn große und auch kleine Leute / nur suchen eine fette Beute.
Wenn Aktien fallen in den Keller / sehn sie nicht einen roten Heller.
Wie soll man für die Zukunft sorgen, / wenn man nicht weiß, wo stehn sie morgen.
Kursstürze hin, Kursschwankung her, / wie`s weitergeht, weiß keiner mehr
Es schweigt der Makler ganz betreten. / Stürzt ab der Kurs, hilft nur noch beten.
Hat man zuvor noch profitiert, / wird Gott als Anker aktiviert.

3.2 Die Armut in der einen Welt
Wie soll Gott seinen Segen legen, / wenn er doch eigentlich ist gegen
all die Ausbeutung in der Welt, / wo mancher nur die Euros zählt.
Warum soll Gott zu denen halten, / die seine Welt nicht gut verwalten,
die gar nicht sehn, was er gegeben, / und beuten aus das fremde Leben.
Damals war's fremde Muskelkraft, / und heute man noch andres schafft.
Wo einst der Sklave sichtbar war, / sind heut die Opfer unsichtbar.
Sie leben in der Dritten Welt, / wo grad noch Überleben zählt.
Die Vierte Welt zahlt unsre Kosten, / und steht ganz auf verlornem Posten.

Die Zinsen sind fest ausgemacht. / Die Schulden drücken, dass es kracht
die armen Länder dieser Welt. / Der Westen schreibt nicht ab das Geld.
Man will's den Ärmsten nicht erlassen. / Das können viele gar nicht fassen,
die in der Kirche engagiert / schon ahnen, wohin Unrecht führt.
Wenn öffnet sich die Wohlstandsschere, / gereicht's dem Westen nicht zur Ehre.
In Ländern großer Schuldenlast / man das Regime der Weltbank hasst.
Es sehn die Armen einen Krieg / in solcher Wirtschaftspolitik.
Was lange währt, wird nicht auch gut. / Was lange gärt, wird schließlich Wut.

3.3 Familie
Nach Regeln des Zusammenlebens / sucht leider man zu oft vergebens.
Es schwächelt die soziale Bindung, / fehlt der Familie die Begründung.
Wird auf die Treu nichts mehr gegeben, / soll jeder wie ein Luder leben.
Die Fernsehsender machen Quoten / mit diesem Stoff und andren Zoten.
Am Nachmittag wird ungebeten / ein jeder Schwachsinn breitgetreten.
Und wenn es geht auf Mitternacht / wird Null-Hundert-Neunzig 666 gebracht.
Doch geht die Liebe nicht mehr richtig, / ist auch der Sex nicht mehr so wichtig.

Ein neuer Weg ist eingeläutet, / wie man die Menschen noch ausbeutet.
Es wird geforscht, es wird geklont, / egal ob sich der Aufwand lohnt.
Man hat die Stammzellen entdeckt, / das Leben wird noch mehr verzweckt.
Der eine Embyro wird leben, / der andre Forschern übergeben.
Wer nicht mit forscht, gilt als Versager. / Dein Bruder - dein Ersatzteillager.
Vor diesem Mehrling graut mir schon: / ein Bübchen, Mädchen und ein Klon
"Gott im Himmel hat an allen / seine Lust, sein Wohlgefallen;
kennt auch dich und hat dich lieb, / kennt auch dich und hat dich lieb."
(Weißt du, wieviel Sternlein stehen... EG 511,3)

3.0
Es geht nicht nur ums Kritisieren. / Gott will uns bessre Wege führen.
Man kann die Welt und Gott nicht trennen, / nicht einerseits den Heilgen nennen
und andrerseits die andern quälen. / Wer Segen will, der muss auch wählen.
Gerechtigkeit in dieser Welt / ist, was für Gott und Menschen zählt.
An Gott gebunden muss man wagen, / auch mal ein klares Wort zu sagen.
Es müssen alle sich benehmen / und nicht dem andern Leben nehmen.
Es sprachen häufig die Propheten: / Ihr sollt nicht nur mit Worten beten,
es muss auch passen Euer Tun. / Amen.

Dr. Hansjörg Biener
Neulichtenhofstr. 7
90461 Nürnberg
Hansjoerg.Biener@asamnet.de

 


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