Göttinger Predigten im Internet
hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch

Ostersonntag, 31. März 2002
1. Korinther 15, 19-28, verfaßt von Georg Kretschmar
Osterpredigt in der Petrikirche St. Petersburg
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Hoffen wir allein in diesem Leben auf Christus, so sind wir die elendsten unter allen Menschen. Nun aber ist Christus auferstanden von den Toten als Erstling unter denen, die entschlafen sind. Denn da durch einen Menschen der Tod gekommen ist, so kommt auch durch einen Menschen die Auferstehung der Toten. Denn wie sie in Adam alle sterben, so werden sie in Christus alle lebendig gemacht werden. Ein jeder aber in seiner Ordnung: als Erstling Christus; danach, wenn Er kommen wird, die, die Christus angehören; danach das Ende, wenn Er das Reich Gott, dem Vater, übergeben wird, nachdem er alle Herrschaft und alle Macht und Gewalt vernichtet hat. Denn Er muß herrschen, bis Gott Ihm "alle Feinde unter Seine Füße legt" (Ps.110,1). Der letzte Feind, der vernichtet wird, ist der Tod. Denn "alles hat Er unter seine Füße getan (Ps.8,7). Wenn es aber heißt, alles sei Ihm unterworfen, so ist offenbar, daß der ausgenommen ist, der ihm alles unterworfen hat. Wenn aber alles ihm untertan sein wird, dann wird auch der Sohn selbst untertan sein dem, der ihm alles unterworfen hat, damit Gott sei alles in allem."

Christus ist auferstanden! Er ist wahrhaftig auferstanden! - so grüssen sich die Christen seit urdenklicher Zeit am Osterfest. So grüsse ich auch euch.

1. Wir jubeln an diesem Tag nicht darüber, daß vor fast 2000 Jahren irgendwo ein Toter nicht im Tode geblieben ist, sondern weil mit der Auferstehung des Gekreuzigten die Entscheidung auch über unser Leben gefallen ist und mit ihr der erste Schritt auf die Zukunft der Welt hin geschah. Am Anfang des vorigen Jahrhunderts hat ein grosser französischer Bibelwissenschaftler formuliert: Jesus verkündigte das Reich Gottes und es kam die Kirche (Alfred Loisy, 1857-1940). Der Satz ist oft wiederholt worden und meinte immer ein Scheitern der Hoffnungen Jesu. Der Apostel Paulus widerspricht. Er sieht alles, die Auferstehung Jesu Christi, die Zeit der Kirche und die Zusage von Gottes endgültiger Herrschaft zusammen.

Der Maßstab, den er anlegt, ist daß der Tod der letzte und eigentliche Feind Gottes und des Menschen ist. Daher ist die Auferstehung des Gekreuzigten der erste und grundlegende Sieg; den endgültigen Triumph wird die Wiederkunft des Auferstandenen und zum Vater erhöhten Christus bringen, denn mit ihr werden auch die, die zu Christus gehören, also die Glieder der Kirche, der Macht des Todes entrissen werden. Sie werden auferstehen oder in die neue Daseinsform des ewigen Lebens verwandelt werden. Das ist die Vollendung des Reiches Gottes. Die Zeit der Kirche, so muß man schlußfolgern, ist die Zeit zwischen den beiden Auferstehungen, die Zeit des Hoffens und Wartens auf Gottes Reich.

Das ist ein fasziniererendes Gemälde. Aber es widerspricht offensichtlich unserer ja nicht beliebigen Sicht der Welt. Wir sehen es doch so, daß zur Natur das Werden und Vergehen gehört. Würden die Menschen nicht immer wieder sterben, wäre die Erde längst übervölkert. Natürlich kann das Sterbenmüssen ängstigen, der Abschied von lieben Menschen tief schmerzen. Aber wir wissen doch, daß uns jeder Tag dem Tode näher bringt. Zu dieser Welt gehört einfach der Tod.

Hier hätte der Apostel nicht widersprochen. Aber er ist sich gewiß, daß Gott das Leben will. Daß unsere Welt unter dem Gesetz des Todes steht, ist Schuld, Sünde des Menschen. Erst durch Adam kam der Tod in die Welt. Das ist wieder eine Überzeugung, die allen unseren heutigen Erkenntnissen widerspricht. Noch ehe die ersten Menschen die Erde bevölkerten, waren eben die Dinosaurier schon ausgestorben. Aber auf dieser Ebene wird man mit dem Apostel Paulus nicht diskutieren können. Er ist nicht an Ergebnissen der Forschungen zur Vorgeschichte interessiert, letztlich wahrscheinlich nur sehr eingeschränkt an der Tierwelt, obgleich er vom Seufzen der Kreatur auf Erlösung von der Sterblichkeit schreiben kann (Röm.8,18-23). Er weiß um die Verstrickung von Sünde und Tod und zeichnet dagegen das Bild eines Lebens in Freiheit von Sünde und Sterbenmüssen, wie es dem Menschen zugedacht war, den Gott nach Seinem Bilde geschaffen hat. Das ist eine andere Wirklichkeit als die, die wir zu kennen meinen, das ist eine neue Welt.

Dies Neue hängt aber an einer Person, an einem Menschen, Jesus Christus; mit Ihm beginnt die Auferstehung der Toten. Deshalb schreibt der Apostel den Korinthern: wenn sie von Christus nur etwas in diesem Leben erwarteten, dann wären sie ganz elend dran, dann würde ihr Glaube sinnlos. Das ist wieder ein Satz, an dem man sich ärgern kann. Kirche und Theologie haben sich doch nun seit vielen Jahrzehnten redlich bemüht aufzuzeigen, daß Christen nicht nur an das "Jenseits" zu denken haben. Gott hat ihnen große Aufgaben in unserer Welt gegeben. Das ist wahr und dafür kann man sich auch auf den Apostel Paulus berufen. Aber unsere Verantwortung in dieser von Sünde und Tod qualifizierten Welt können wir eben nur wahrnehmen, weil wir wissen, daß über die Zukuft dieser Welt von außen, von oben entschieden wird, nein: längst entschieden ist. Mit Ostern hat eine neue Zeit und eine neue Welt begonnen, wahres Leben. Deshalb warten wir auf den endgültigen Sieg Christi auch über den Tod. Für den Apostel hängt dieser Sieg unteilbar mit der verheißenen Wiederkunft Christi und unserer Vollendung in der Gemeinschaft mit unserem Herrn zusammen.

2. Nun läßt sich die Frage aber nicht mehr abweisen, was denn die Wahrheit dieser großen Schau des Apostels Paulus, ja des ganzen Neuen Testamentes ist. Das beginnt mit der Auferstehung Jesu Christi selbst. Von Anfang an gab es ja Stimmen, die die Botschaft der Frauen und dann der Jünger für Betrug oder - so würde man heute eher sagen - für eine Art Selbsttäuschung hielten. Ihre Bindung an Jesus war so stark, daß sie meinten Ihm wieder lebendig begegnet zu sein. Mit den Mitteln des Historikers kann dieser Streit nicht entschieden werden. Er konnte es schon damals nicht. Denn ein leeres Grab ist doch kein Beweis für die Auferstehung. Die Evangelien und der Apostel Paulus lassen erkennen, daß es die Wirklichkeit der Begegnung mit dem Auferstandenen selbst war, die aus Zweifelnden Glaubende machte. Aber eben weil es die Realitäten unserer Welt sprengt, von Auferstehung eines Toten zum ewigen Leben zu sprechen, ja sie zu verkünden, deshalb ist die Osterbotschaft zugleich Botschaft von der neuen Welt Gottes, einer Wahrheit die jetzt nur glaubend erkannt werden kann: und die doch unser ganzes Leben prägt.

3. Und am Ende steht das Reich Gottes. Mit dem neuen Erscheinen Christi endet die Welt. Damit endet die Zeit der Kirche. Beim Einzug in Jerusalem ist Jesus als der König der Juden, der Messias begrüßt worden. Auch dies wird Vergangenheit sein. Der Apostel schreibt, daß der Sohn, der ewige Sohn alles, was Er als Mensch an Ehre und Würde erworben hat, in die Hände des Vaters zurücklegt, "damit Gott sei alles in allem". Von uns ist anscheinend gar nicht mehr die Rede. Aber zu Gottes Reich, zu Seiner Herrschaft, gehört doch Gottes Volk, gehören wir.

Die Gleichisse Jesu vom Reiche Gottes, von der Herrschaft Gottes lehren die Einsicht, daß Gott ganz andere Maßstäbe anlegt als die, die sonst, eben unter Menschen gelten. Im Reiche Gottes wird Treue gelohnt, aber nicht Leistung gemessen. Die Liebe des Vaters nimmt auch den verlorenen Sohn wieder auf. Wenn das unsere Zukunft ist, erhalten wir damit auch Wegweisung für unser Leben heute. Die Zeit der Kirche ist nicht müßige Zeit. Wir werden gebraucht und doch ist es eine Zeit des Wartens. Daß wir das begreifen, dazu will der Apostel Paulus seiner Gemeinde in Korinth helfen. Auch uns fällt es oft schwer zu warten. Aber das Ziel dürfen wir nicht aus den Augen verlieren.

Eine Geschichte von der Erfüllung der Verheißungen Gottes in Seinem Reich kann ich nicht erzählen - wir sind alle noch Wartende. Aber ich möchte von einem Mann berichten, an dessen Lebensweg etwas von Warten und von Erfüllung aufscheint. Ich denke an Johannes Haß. Er kam aus dem Kaukasusgebiet, er wollte Pastor werden, aber die Zeiten der Repressionen ließen es nicht zu. Dann verschlug es ihn nach Kirgisien, er sammelte dort eine Gemeinde und auf der ersten Synode für Kirgiesien 1994 wurde er im Alter von 76 Jahren zum Propst gewählt. Fünfzig Jahre hatte er gewartet, in der Kirche dienen zu können. Schon im Mai 1996 verunglückte er tödlich mit dem Auto. Aber in diesen zwei Jahren hat er die regionale Kirche in Kirgisien gesammelt. Gott kann das Warten schon in dieser Welt zu einem Ziel bringen.

Ich könnte Johannes Haß andere Namen an die Seite stellen. Auf die Erfüllung aller Verheißungen Gottes zu warten, muß nicht den Blick von dem wegziehen, was Gott uns an Freuden, Schmerzen und Aufgaben in dieser Welt gibt. Aber manchmal können wir schon in unserem Leben Erfahrungen der Erfüllung machen. Die Auferstehung Jesu Christi ist Unterpfand für die Vollendung im Reiche Gottes. Er schenke uns allen Freude und Zuversicht, denn Gottes Sohn, Jesus Christus ist auferstanden. Halleluja!

D. Georg Kretschmar
Erzbischof der ELKRAS (Ev.-luth. Kirche in Rußland, der Ukraine, in Kasachstan und Mittelasien)
St. Petersburg
E-Mail: kanzlei@elkras.org


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