Göttinger Predigten im Internet
hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch

Quasimodogeniti (1. Sonntag nach Ostern), 7. April 2002
Jesaja 40, 26 - 31, verfaßt von Friedrich Wintzer


Anmerkung zur Predigt

I.
Vor einer Woche haben wir das Osterfest gefeiert. Wir haben die frohen Osterlieder gesungen. Fröhlich sind auch die Melodien. Ich nenne als Beispiel: "Christ ist erstanden von der Marter alle; des soll`n wir alle froh sein, Christ will unser Trost sein. Halleluja." Das Osterfest wurde auch in diesem Jahr von nicht wenigen Christen bereits in der Osternacht gefeiert. Solche Gottesdienste beginnen in einigen Kirchen noch vor Tagesanbruch. Es gibt einzelne Gemeinden, in denen sich die Gottesdienstgemeinde - in der Nacht zwischen Karsamstag und Ostersonntag - schon zu mitternächtlicher Stunde versammelt. Gemeinsam gehen sie den Weg von dem Gedenken an Karfreitag bis hin zur Feier des Osterfestes. Das Motto lautet: Durch das Dunkel zum Licht.

Karfreitag und Ostern bedeuten, daß das Leiden Jesu Christi - und vieler unschuldiger Menschen - nicht vergessen ist, auch nicht die Trauer über die Ungerechtigkeit. Aber die Niedergeschlagenheit und Resignation behält seit Ostern nicht das letzte Wort. Ostern ist ein Fest der Hoffnung.

Die frühen Christen feierten in der Osternacht auch die Taufe von Erwachsenen, die in die Kirche aufgenommen wurden. An die Stelle der Karfreitagsklage trat das Gotteslob. Die christliche Spiritualität und Frömmigkeit haben darum ein Element der Lebenszuversicht. - Für den heutigen 1. Sonntag nach Ostern ist ein Vers aus dem 1. Petrusbrief (1,3) als Wochenspruch ausgewählt: "Gelobt sei Gott, der Vater unseres Herrn Jesu Christi, der uns nach seiner großen Barmherzigkeit wiedergeboren hat zu einer lebendigen Hoffnung durch die Auferstehung Jesu Christi von den Toten."

II.
Was sind Merkmale des österlichen Glaubens für uns Christen? Die neutestamentlichen Osterberichte haben auf verschiedene Weise von der Auferstehung Jesu Christi berichtet. Sie erzählen, daß der Osterglaube Menschen aus ihrer Trauer und Niedergeschlagenheit befreit hat. Nach Karfreitag beherrschte Traurigkeit und Bedrückung die Jünger und Anhänger des gekreuzigten Jesus von Nazareth. Für mich verdeutlicht diese Niedergeschlagenheit besonders anschaulich die Erzählung von den Jüngern auf dem Wege nach Emmaus. Sie waren sehr betrübt und erzählten dem hinzukommenden Begleiter, daß Jesus nicht mehr lebe.

Er habe sich durch Taten und Worte als Prophet erwiesen. Jetzt aber sei durch die Kreuzigung alles vorbei. Ihr Herz sei voll Trauer. - Aber dann wurden ihnen im Gespräch und im gemeinsamen Brotbrechen mit dem unerkannten Dritten, wie Lukas erzählt, "die Augen aufgetan"; und sie erkannten das Unerwartete: daß der Tod nicht endgültig über Jesus gesiegt hat. Der Apostel Paulus beschreibt die wenigen Begegnungen mit dem Auferstandenen mit den Worten, daß Jesus den Seinen (visionär) erschienen sei.

Die Botschaft von Ostern bringt Menschen ins Nachdenken. Sie läßt sich schwer begreifen, weil sie Neues in unsere Welt der Vergänglichkeit bringt. Sie ist eine gute Nachricht, denn sie läßt in unserer Welt mit ihren widersprüchlichen Erfahrungen das Licht der Hoffnung aufleuchten. Gott hat Jesus, der in seinem irdischen Leben ganz auf Gott bezogen lebte, nicht im Tode gelassen. Den Jüngern wird deshalb neue Kraft und Energie, Zuversicht und Mut für die Zukunft geschenkt. Ostern vermittelt eine belebende Grenzerfahrung.

III.
Von einer Wende von der Niedergeschlagenheit hin zur Lebenszuversicht handelt auch der altestamentliche Predigtext für den heutigen Sonntag. Er steht Jes 40, 26 - 30. Die im 6. Jahrhundert vor Chr. nach Babylon deportierten Israeliten wandten sich damals in ihren Gebeten klagend an Gott. Sie waren der Meinung, daß dieser bei ihrer Vertreibung für sie verborgen gewesen sei. Woher sollten sie also Lebenszuversicht und den Mut für die Zukunft nehmen? Worauf gründet die Hoffnung, die Menschen mit schwerem Schicksal nach vorn schauen läßt? - Die Worte des Propheten (Deutero-)Jesaja beginnen mit einem Aufruf:

Hebet Eure Augen in die Höhe und seht! Wer hat dies geschaffen? Er führt ihr Heer (die Gestirne) vollzählig heraus und ruft sie alle mit Namen; seine Macht und starke Kraft ist so groß, daß nicht eins von ihnen fehlt.
Warum sprichst Du denn, Jakob, und Du, Israel, sagst: mein Weg ist dem Herrn verborgen, und mein Recht geht vor meinem Gott vorüber?
Weißt Du nicht? Hast Du nicht gehört? Der Herr, der ewige Gott, der die Enden der Erde geschaffen hat, wird nicht müde noch matt. Sein Verstand ist unausforschlich.
Er gibt dem Müden Kraft und Stärke genug dem Unvermögenden. Männer werden müde und matt, und Jünglinge straucheln und fallen; aber die auf den Herrn harren, kriegen neue Kraft, daß sie auffahren mit Flügeln wie Adler, daß sie laufen und nicht matt werden, daß sie wandeln und nicht müde werden.-

Hebet eure Augen in die Höhe und seht! Wer hat dies geschaffen? Die Trostworte des Propheten (Deutero-)Jesaja sind ein Lob Gottes des Schöpfers. Die Schöpfung ist nicht Gott, aber der Kosmos mit Sonne, Mond und Sternen ist in seiner Großartigkeit das beeindruckende Zeugnis für Gottes Schöpfermacht.

Der Prophet ist davon überzeugt, daß der Schöpfer der Welt und des Kosmos auch seinen Menschen Lebensenergie geben kann. Der erste Artikel des Glaubensbekenntnisses, der von dem Schöpfer des Himmels und der Erde handelt, beschreibt nicht eine in Urzeiten zurückliegende Schöpfertat Gottes; sondern er verweist auf das fortdauernde, die Welt erhaltende Schöpferwirken Gottes. Es gibt in Gottes Schöpfung viel zum Staunen. Viele von uns kennen Menschen, welche die Erfahrung gemacht haben, daß ihnen unerwartet neue Kraft und Stärke geschenkt wurde. Vielleicht gehören wir selber zu diesen Menschen.

Das Bild, das (Deutero-)Jesaja gebraucht, ist das ermutigende Bild von dem Adler, der mit kräftigen Flügelschlägen hinauf in die Höhe fliegt. Wer das "Aufsteigen" eines Adlers einmal beobachtet hat, kann dies befreiende Bild kaum vergessen. Der Prophet (Deutero-)Jesaja nimmt diesen Gedanken im Vertrauen auf Gott, den Schöpfer, auf. Er traut darauf, daß "die auf den Herrn harren, neue Kraft kriegen, daß sie auffahren mit Flügeln wie Adler" und von ihren niederdrückenden Gedanken befreit werden.

Dieser Vers aus dem Jesajabuch steht auch auf der Eingangspforte der Frankeschen Stiftungen in Halle. Sie wurden zur Erziehung und Betreuung der Jugend vor etwas über dreihundert Jahren von dem Theologen und Pädagogen Hermann August Franke gegründet. Diese Anstalten haben in politischer Hinsicht schwierige Zeiten im letzten Jahrhundert durchstehen müssen. Aber sie gründen heute ihre Arbeit weiterhin auf die Zuversicht des Wortes aus dem Jesajabuch. Realitätsbezogener Optimismus und Tatkraft zeichnen die Arbeit in den Frankeschen Stiftungen aus.

IV.
Der alttestamentliche Predigttext aus Jesaja Kap.40 wurde für den ersten Sonntag nach Ostern durch die Ordnung der Predigttexte vorgesehen, weil das Lob Gottes, des Schöpfers und das Lob Gottes, der Jesus Christus von den Toten auferweckt hat, zusammengehören. Martin Luther glaubte, daß die Auferweckung Jesu Christi von den Toten ein neues Handeln Gottes, des Schöpfers ist. Im Osterereignis sei Gott schöpferisch tätig. Der Glaube an die Auferstehung Jesu vertraut auf das lebenspendende Handeln Gottes. Er allein ist das tiefe Geheimnis dieser Welt. In Gott gründet der Sinn allen Lebens.

Der Osterjubel gehört zu diesem Fest. Das alte Osterlied verleiht ihm Worte. "Wir wollen alle fröhlich sein / in dieser österlichen Zeit; denn unser Heil hat Gott bereit. Halleluja, gelobt sei Christus, Mariens Sohn. // Es ist erstanden Jesus Christ, der an dem Kreuz gestorben ist, dem sei Lob, Ehr zu aller Frist. Halleluja, Halleluja... gelobt sei Christus, Mariens Sohn." (EG 100)

V.
Ostern fällt in die Frühlingszeit. Wenn wir jetzt Spaziergänge in der freien Natur machen, - vorausgesetzt, es ist nicht gerade ein nasser Regenwettertag angesagt -, so freuen wir uns über das Wiedererwachen der Natur. Die grünen Knospen der Blätter fangen an zu spriessen. Die Osterglocken blühen. Büsche und Sträucher beginnen ihr buntes Gewand anzuziehen.

Das österliche Fest des Glaubens an die Auferstehung des gekreuzigten Jesus von Nazareth ist nicht mit dem Frühlingserwachen der Natur gleichzusetzen. Beides ist nicht austauschbar. Aber es gibt eine Ähnlichkeit im Erleben. Der fröhliche Osterglaube läßt die traurigen Gedanken von Karfreitag hinter sich. Entsprechend kann der Gang durch die Natur zum Abschied von der Winterszeit werden. Es naht demnächst die lebenerfüllte Zeit des Sommers.

Jesus wird im christlichen Osterlied gepriesen als "unser Trost und Leben". Wir glauben, daß Jesus bei Gott ist. Unser Wissen bleibt in dieser Weltenzeit freilich hinter diesem Glauben zurück. Aber für die Freude des Glaubens kann die alljährliche Erneuerung der Natur in Gottes Schöpfung zu einem Zeichen der Mitfreude werden. In diesem Sinn verbindet das genannte Osterlied die christliche Osterfreude mit der Freude über das Wiederaufblühen der Natur im Frühling. Die dritte Strophe des Osterliedes "Jesus, unser Trost und Leben" lautet: "Alle Welt sich des erfreuet, sich verjünget und verneuet, - alles, was lebt weit und breit, leget an sein grünes Kleid. Ja, das Meer vor Freuden wallet, Berg und Tal weithin erschallet. Halleluja, Halleluja." (EG, Rheinisch-Westfälischer Liedteil 561)

Zur Predigt
Die vorliegende Predigt bezieht sich zum einen auf den heutigen ersten Sonntag nach Ostern (Quasimodogeniti). Das auf Ostern gründende Gotteslob und die Prägekraft der Hoffnung für die christliche Spiritualität sind der eine Bezugspunkt dieser Predigt. Der andere Bezugspunkt ist der Predigttext für Quasomodogeniti in Perikopenreihe VI: Jes. 40, 26- 31. Er ist ursprünglich gesprochen worden als Trostwort für die von Jerusalem nach Babylon deportierten Israeliten. Deuterojesaja stellt deren Erleben der Gottesferne den Glauben an den Gott gegenüber, der Erde und Himmel mit Sonne, Mond und Sternen geschaffen hat. Wie Ps. 19 lädt der Prophet zum Gotteslob ein. Der Schöpfer und Erhalter des Kosmos habe die Macht, den auf ihn trauenden Menschen Kraft und Zuversicht zu schenken.

Prof. Dr. Friedrich Wintzer, Meckenheim bei Bonn
E-Mail: FWintzer@t-online.de


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