Göttinger Predigten im Internet
hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch

Miserikordias Domini (2. Sonntag nach Ostern), 14. April 2002
Konfirmationsgottesdienst
Hebräer 13, 20-21, verfaßt von Karin Klement


Vorbemerkungen

Liebe Konfirmandinnen und Konfirmanden!
Liebe Eltern, PatInnen und alle, die heute diesen besonderen Festtag unter Gottes Wort mit uns feiern!
Liebe Gemeinde!

Da sitzt Ihr nun, unsere ehemals "Kleinen" - so groß herangewachsen, dass ihr mich zum Teil locker überragt. Und heute, anders als sonst, höchst feierlich gekleidet. Ihr erscheint mir schon fast wie Erwachsene, mit eigenen Vorstellungen und Ideen, selbstbewusst und doch manchmal noch ein wenig verunsichert. Menschen-Kinder auf der Schwelle zum Erwachsensein. Junge Leute, die oft ganz genau wissen, was sie wollen, und dann wieder zweifeln an ihrer eigenen Identität; die sich fragen: Wer bin ich eigentlich? Und wie bin ich?

Eines seid ihr ganz bestimmt: Einmalig, unverwechselbar! Zwar (noch?) keine perfekten, fehlerlosen Menschen, aber auch keine unbeschriebenen Blätter mehr. Eher von jeder Art ein bisschen: Ob nun KreismeisterInnen im Luftpistolen- bzw. Luftgewehrschießen oder Supercrack im Kickboard-Fahren (für uns etwas Ältere auf deutsch: "herausragende Meister im Rollerfahren"). Ob im Flötespielen Begabte oder als Ballett-Tänzerin, ob Übungsmeister im Tennis, beim Fußball und Segeln, ob Inliner-, Snowborder- oder Ein- und Zweirad-Fahrer. Ob Computerspiele-Spezialisten oder Pferdeliebhaberinnen. In Euch stecken reichlich Begabungen und unterschiedliche Talente. Prägungen, die sich vertiefen lassen. Ihr testet eure Fähigkeiten aus, erprobt eure Stärken und lernt, eure Schwächen zu akzeptieren.

Eure Fingerabdrücke auf dem Liederzettel für diesen Gottesdienst weisen darauf hin: Sehr ähnlich schauen sie aus und sind doch, beim näheren Betrachten, niemals deckungsgleich. Ihr seid euch in vielen Dingen ähnlich, verfolgt gemeinsame Linien und Interessen. Aber ihr bleibt dennoch jede/r einzelne von euch ein ganz eigener Mensch. Unverkennbar, unverwechselbar und einmalig wie der persönliche Fingerabdruck. Kein anderer Mensch denkt und fühlt so wie ihr, keiner lacht und weint so wie ihr, keiner schaut oder stöhnt gelegentlich so wie ihr. Die Linien und Bögen eures Fingerabdrucks verändern sich ein ganzes Leben lang nicht mehr. Auch wenn eure Hände mit der Zeit vermutlich rauher werden, weniger kraftvoll, und die Empfindsamkeit eurer Fingerspitzen im Laufe der Jahrzehnte nachlässt. Ihre vorgegebene Prägung verlieren sie niemals. Daran seid ihr dauerhaft zu erkennen, selbst wenn alle anderen Merkmale sich verändern.

Ach, übrigens, wisst ihr schon, dass jeder Mensch den "Fingerabdruck" Gottes an sich trägt? Zumindest, wenn jene kleine Geschichte stimmt, die davon erzählt, warum wir Menschen einen Bauchnabel haben. Diese Geschichte habe ich meinen Kindern gern erzählt, als sie noch klein waren. Sie wollten sie immer wieder hören, nicht wegen der Pointe, sondern wegen des Kicks in ihren Bauchnabel, der zum Abschluss mit dazugehört.

Also, hört gut zu: Als Gott den Menschen schuf, war er sich keinesfalls sicher, ob der Mensch so, wie Gott ihn sich gedacht hatte, überhaupt fertig war. Immer wieder probierte er etwas Neues aus: Statt der späteren Ohren, eine Antenne mitten auf dem Kopf. Anstelle der Beine und Füße, Rollen (leider ohne die notwendigen Bremsen). Statt einer schlanken, aufrechten Gestalt, ein kugelförmiges Gebilde ohne Anfang und Ende. Doch schließlich war Gott von seinem letzten Entwurf eines Menschen überzeugt. ADAM hatte alles, was nötig war: Augen, Ohren, Mund und Hände, Füße zum Laufen und einen schönen, glatten, dicken Bauch für all die wunderbaren Leckereien, die es im Paradies zu kosten gab. Nur eines fehlte ihm: ein Anstoß, um sich in Bewegung zu setzen. ADAM wusste noch nichts mit sich und der Welt anzufangen. Also streckte Gott seinen Zeigefinger aus, piekste ADAM mitten in seinen glatten, runden Bauch und sagte: "Nun geh schon. Du bist fertig!" Und seitdem kann kein Mensch mehr auf der Stelle stehen bleiben, sobald er geboren ist. Er muss sich weiterentwickeln, Neues kennen lernen, aktiv sein. Immer, wenn wir unseren eigenen Bauchnabel betrachten, wird uns deutlich, dass das nicht alles sein kann. Es muss noch viel mehr zu entdecken geben, als nur die eigene Person.

Ihr tragt also leibhaftig einen "Fingerabdruck" Gottes an euch, der euch einerseits bestätigt, dass ihr so, wie ihr seid, von Gott gewollt seid. Andererseits euch in Bewegung bringt, damit ihr nicht bei euch selber stehen bleibt.
Gewiss haben auch andere schon Abdrücke auf euch und in euch hinterlassen. Z.B. eure Eltern oder Großeltern, Paten oder gute Freunde. Wo sie euch mit Fingerstreicheln Liebe, Zutrauen und Vertrauen entgegenbrachten, konnte euer Selbstbewusstsein wachsen. Wo sie euch fest an die Hand nahmen, um euch bei den ersten Schritten auf die Sprünge zu helfen, konntet ihr erfahren, wie hilfreich Begleitung und Unterstützung sein kann. Wo sie euch mit offenen Händen und Herzen Wege weisen, stärken sie euch darin, auch eigene Wege zu wagen.

Durch andere Menschen werden wir ermutigt, uns selbst zu finden. Weil uns jemand zutraut, dass wir etwas können, lassen wir uns durch mögliche Fehlschläge nicht entmutigen. Weil wir spüren, dass wir wertvoll sind in den Augen jener Menschen, die uns lieben, können wir auch für andere Gutes tun, ihnen zum Anstoß werden und zum Segen.

Einer, der seinen Mitmenschen Anstöße zum Nachdenken geben wollte, war der Schreiber einer theologischen, etwas komplizierten Abhandlung. Viel Herzblut verwandte er darauf, seine Mitmenschen zum Glauben zu ermutigen oder sie in ihrem Glauben zu stärken. Nachdem er seine wichtigsten Gedanken über Gott und Jesus dargelegt hat, will er zum Schluss das Gesagte nicht einfach nur zusammenfassen und wiederholen. Vielmehr sollen die zentralen Worte den Lesern wie ein Gebet über die Lippen gehen. Wie ein unverkennbarer Fingerabdruck sollen ihnen die Sätze vor Augen sein. Der Autor möchte ihnen die Worte fest in Herz und Verstand einprägen. Eng verdichtet, beinahe formelhaft schreibt er am Ende des Hebräerbriefes:

Der Gott des Friedens,
der den großen Hirten der Schafe, unsern Herrn Jesus,
von den Toten heraufgeführt hat
durch das Blut des ewigen Bundes,
der mache euch tüchtig in allem Guten, zu tun SEINEN Willen, und schaffe in uns, was IHM gefällt,
durch Jesus Christus,
welchem sei Ehre von Ewigkeit zu Ewigkeit!
Amen

Es ist nichts anderes als ein inniger Segenswunsch, ähnlich wie wir uns von einander verabschieden und schreiben: "Viele liebe Grüße und mach`s gut!" Aber der Autor des Hebräerbriefes schreibt nicht einfach nur: "Mach`s gut!" Oder in seinen Worten: "Sei tüchtig in allem Guten!" Er weiß, dass unsere menschlichen Fähigkeiten, Gutes zu tun, nicht von allein heranwachsen und gedeihen. Wir brauchen immer wieder Anregung, Anstoß und Rückmeldung von außen. Und sicher benötigen wir auch eine Vorprägung, die uns überhaupt in die Lage versetzt, das Gute zu erkennen und danach zu handeln. Geprägt werden wir vor allem durch Erfahrungen in unserer Kindheit. Wenn ich meine Tochter ermahne, sich etwas Warmes anzuziehen, dann höre ich mich erstaunt in genau denselben Worten reden, die meine Mutter schon gebrauchte. Aber auch spätere Erlebnisse und Eindrücke hinterlassen ihre Spuren in uns. Abdrücke in unserer Seele und in der Art wie wir reden und handeln. Wenn wir uns verstanden fühlen, gelobt werden und geliebt, dann können wir auch selber Liebe weitergeben, anderen ein freundliches Wort sagen oder uns um Verständigung bemühen. Solche positiven Lebenserfahrungen sind wie ein unauslöschlicher Fingerabdruck in Herz und Seele, der uns ermutigt andere ebenso freundlich und liebevoll zu behandeln.

Der Autor des Hebräerbriefes beschreibt, was Gott längst in uns allen eingeprägt hat, worauf wir nur zurückzugreifen brauchen: Frieden und Auferstehung, Bundesblut und die Rede vom Großen Hirten. Schwierige, große Worte, die unser Herz berühren und unseren Verstand bewegen wollen. Sie erinnern an den Gekreuzigten, an JESUS, der sein Leben wie ein guter Hirte opferte, damit wir Menschen heil und gerettet werden. Durch sein Blut, am Kreuz vergossen und im Abendmahl von uns symbolisch als Nahrung aufgenommen, sind wir auf ewig mit ihm verbunden. Und so, wie Gott Christus von den Toten heraufgeführt hat, hat er auch für uns den Bann des Todes zerbrochen. Neues Leben ist uns geschenkt. Und mit diesem starken Rückhalt, können wir auch die schwierigen Zeiten im diesseitigen Leben bewältigen, können wir leben, handeln, agieren, wie Gott es will - ermutigt, gestärkt und herausgefordert, das Gute zu tun.

Das gilt uns Erwachsenen ebenso wie euch KonfirmandInnen und allen Heranwachsenden. All die wunderbaren Fähigkeiten und Begabungen, die in euch angelegt sind, prägen euch wie ein Fingerabdruck. Zwar können und sollen sie sich weiter entwickeln, wachsen und gedeihen; sie werden sich samt euer Persönlichkeit wohl auch verändern. Doch die Grundstruktur, innerhalb der das geschieht, bleibt dieselbe: Ihr seid gesegnete Menschenkinder. In der Taufe wurde euch ein "Fingerabdruck" Gottes eingeprägt, der euch zu ganz besonderen Menschen macht, zu einmaligen, unverwechselbaren Gotteskindern, die vom Anfang bis zum Ende (und darüber hinaus!) unter Seinem Segen leben.

Zum Abschluss eurer Konfirmation möchte ich euch auch ein letztes Wort mitgeben, einen Segenswunsch, der so ähnlich klingt und Ähnliches meint, wie die Abschiedsworte im Hebräerbrief. Und ich würde mich freuen, wenn es in euch auf den Lippen bleibt wie ein Gebet und auf der Seele wie ein "Fingerabdruck" Gottes:

Der barmherzige Gott gebe dir
Schutz und Schirm vor allem Bösen,
Stärke und Hilfe zu allem Guten,
damit du bewahrt werdest im Glauben
zum Ewigen Leben.

AMEN

VORBEMERKUNGEN zur Gemeindesituation und zu Hebräer 13, 20f
Dieser Predigttext ist für einen Sonntag vorgeschlagen, an dem in unseren beiden Gemeinden die erste von zwei Konfirmationen stattfindet. Bei kleineren Gruppen nehme ich lieber anstelle des vorgeschlagenen Predigttextes die von den KonfirmandInnen selbst ausgewählten Bibelsprüche und lege sie als persönliche Anrede aus. Bei den diesjährigen Gruppen mit 13 bzw. 8 Jugendlichen würde dies allerdings zu lange dauern.
Ein Segenswunsch zum Abschluss eines Traktates und einer gemeinsam durchlebten Zeit erscheint mir als Predigtvorlage durchaus reizvoll. Nur die geballte Ladung Theologie in komprimierter Form schreckt mich etwas ab. Worauf lege ich das Schwergewicht? Hirtensonntag (mit all den ambivalenten Empfindungen gegenüber Hirten und Schafen) oder Versöhnung und Frieden (im Gegenzug zum eskalierenden Schrecken im Nahen Osten)? Bundesblut am Kreuz und Auferweckung von den Toten, Abendmahl oder Ermutigung Gutes zu tun?
Ich glaube, ich möchte den SEGEN hervorheben, der sowohl im Text als auch für die KonfirmandInnen im Vordergrund steht. Gesegnet zu sein ist die Grundlage für unser Leben und für ein Tun des Guten.
Auf das Titelblatt für den Liederzettel im Konfirmationsgottesdienst werde ich die Fingerabdrücke und Unterschriften unserer KonfirmandInnen abdrucken.

Pastorin Karin Klement
Lange Straße 42
37077 Göttingen
email: Karin.Klement@evlka.de

 


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