Göttinger Predigten im Internet
hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch

Jubilate (3. Sonntag nach Ostern), 21. April 2002
Predigt über Apostelgeschichte 17, 22-31, verfaßt von Klaus Steinmetz


Liebe Gemeinde!

Paulus in Athen! Das Evangelium wird zum ersten Mal in der Stadt verkündet, die als Zentrum des griechischen Geistes und Denkens gilt -ein Augenblick von höchster Spannung und Bedeutung. An der Stelle auf dem Areopag, wo Paulus seine Rede gehalten haben soll, ist heute eine Bronzetafel angebracht, die den Text der Rede enthält. Nach Lukas hat Paulus in seiner Ansprache gesagt, er sei durch Athen gegangen und habe bemerkt, dass die Athener religiös sehr interessiert seien. Keinem Gott, der es wert sei, wollten sie die ihm gebührende Verehrung versagen. Deswegen hätten sie sogar einem "unbekannten" Gott einen Altar errichtet. Eigentlich muss dem Juden Paulus die Verehrung vieler Götter bei den Griechen ja ein Abscheu gewesen sein. Hier aber nimmt er diese Tatsache als Ausdruck religiösen Eifers einigermaßen positiv auf. Anknüpfend an seine Beobachtung fährt er fort: Den unbekannten Gott, den sie bisher nicht kennen, den will er ihnen bekannt machen. Diesem einen Gott gegenüber zählen all die vielen anderen Götter überhaupt nichts mehr - die Kritik ist gut verpackt. Ich versuche mir nun vorzustellen, was Paulus bei einem Gang durch unsere Stadt in religiöser Hinsicht wohl beobachten und anschließend vielleicht in einer Predigt aufgreifen könnte.

Natürlich, da sind zunächst einmal unsere Kirchen. Aber die lasse ich hier aus. Sicher, durch das Kreuz als Symbol würde wohl auch Paulus darauf kommen, dass sie etwas mit dem Christusglauben zu tun haben müssten. Und es wäre schon interessant, was er als jemand, der christliche Kirchen als Gebäude ja noch gar nicht gekannt hat, zu unseren Kirchen sagen würde; zu den Kirchen, die uns doch viel bedeuten, vor allem wenn sie groß, schön und ehrwürdig sind. Nur einen Gedanken möchte ich einfügen, auf den mich der Text bringt: Sind unsere Kirchen nicht inzwischen manchmal zu Erinnerungszeichen für den "unbekannten" Gott geworden, den wieder unbekannt gewordenen Gott? Aber, wie gesagt, die Kirchen lasse ich für den Rundgang des Paulus einmal aus. Worauf würde er sonst stoßen? Auf Stellen, wo sich direkt religiöses Leben abspielt, wohl kaum. Trotzdem könnte ihm einiges Interessante auffallen.

Die großen Kaufhäuser etwa, in die sich ein ununterbrochener Strom von Menschen ergießt. In einigen ertönt leise Musik, gedämpfte Geräusche überall, bei allem geschäftigen Treiben doch auch intensives, manchmal hingebungsvolles Betrachten und Prüfen. Was suchen die Menschen hier? Nur das, was sie sehen und auswählen? Oder noch anderes, noch mehr?

Auf der Straße draußen könnte Paulus Stände entdecken, an denen Menschen nicht nur Waren, sondern auch Informationen und Überzeugungen anbieten und dafür werben, politische wie jetzt im Wahlkampf, aber auch weltanschauliche, ja manchmal auch ausgesprochen religiöse. Und sie finden offensichtlich Menschen, die sich darauf ansprechen lassen. In den Buchhandlungen würde er viele Bücher von Reisen und fernen Ländern entdecken. Und in einer meist nicht gerade kleinen Ecke Schriften und Bücher über das Horoskop und über weltanschaulich-religiöse Themen, nicht nur aus dem christlichen Bereich: von Spiritualität, von Heil und Ganzheit und Universalität ist da die Rede. Vielleicht würde Paulus überlegen, warum so viele das kaufen.

Weiter würde er vielleicht die vielen Arztpraxen und Apotheken wahrnehmen und, wenn er etwas weiter hinauskäme, die großen Krankenhäuser. Was den Menschen am wichtigsten ist, das bauen sie auch am größten. Er würde da viel Leid und Elend zu sehen bekommen, aber auch viel an Sehnsucht und Hoffnung, an Enttäuschungen und an Vertrauen. Abends würde er vielleicht auf eine Diskothek stoßen, und drinnen neben Krach und Ausgelassenheit auch das Versunkensein junger Menschen bemerken, ihr Verlangen nach Verbundenheit und menschlicher Nähe und Wärme. Ich breche hier ab. Da ist immer wieder, wenn auch manchmal versteckt, so etwas wie Sehnsucht und Suche nach mehr vorgekommen; oft natürlich in einem ganz äußeren Sinn: Mehr haben wollen. Aber manchmal ist doch auch erkennbar geworden, dass es nicht um das Äußere geht, dass es um Mehr in einem tieferen Sinn geht: Mehr Leben, wirkliches, echtes Leben.

Ob Paulus das alles so positiv aufnehmen könnte wie den religiösen Eifer der Athener, weiß ich natürlich nicht. Aber warum eigentlich nicht? Dann würde er vielleicht sagen: Das was ihr sucht, oft sehr unklar und verworren, das möchte ich euch sagen und bringen. Ihr sucht das Leben ; ich nenne euch den, der das Leben, die Erfüllung ist - Gott! Weil euer Leben, weil ihr selbst, wie überhaupt alles, von Gott kommt und ihm gehört, auch wenn ihr das nicht wisst oder vergessen habt, könnt ihr Erfüllung, Sinn und Leben nur in ihm finden und haben. Der Theologe und Kirchenvater Augustin hat diese Überzeugung knapp 400 Jahre nach Paulus in folgenden Worten zum Ausdruck gebracht: Du, Gott, hast uns auf dich hin geschaffen, und unser Herz ist unruhig, bis es Ruhe findet in dir. In einer unter Umständen verschütteten, und doch unausrottbaren Weise sitzt eine Ahnung davon tief im Menschen drin. Der Mensch ist hoffnungslos religiös - so formuliert das ein Satz aus unserer Zeit.

Paulus redet auf dem Areopag also, wenn man so will, von der selbstverständlichen, einfachen Seite unseres Glaubens. Wir sind es heute eher gewohnt, von der schwierigen Seite des Glaubens zu reden, ihn in Frage gestellt zu sehen und selber in Frage zu Stellen: Kann das sein? Ist das wirklich so? Wie verhält sich das mit dem Glauben zu unseren modernen Erkenntnissen? - Das sind auch wichtige und richtige Fragen. Aber genauso, ja im Grunde noch mehr zählt doch auch die andere, die einfache und selbstverständliche Seite unseres Glaubens: Wenn Gott wirklich, wie wir bekennen, der Grund und Schöpfer von allem ist, dann ist alles, dann sind auch wir selbst nur durch ihn und in ihm: In ihm leben, weben und sind wir, sagt Paulus. Ohne ihn wäre gar nichts. Ohne ihn könnten wir auch gar nicht nach ihm fragen, erst recht nicht ihn in Frage stellen. Unser Sein und Leben ist in ihm begründet. Ob wir das erkennen und wahrnehmen, ist eine ganz andere Sache .

Gott - so selbstverständlich und notwendig wie die Luft, die wir atmen, wie das Brot, das wir essen. Gott - durch den und von dem wir alles haben. Paulus kann deswegen auch nicht anders, als von der Güte dieses allumfassenden Gottes reden, die er allen zuwendet, durch alles, was sie zum Leben haben und brauchen; auch durch die Menschen, deren Liebe und Güte unser Leben ermöglicht und geprägt hat, von Mutterleib und Kindesbeinen an. Gott - die umfassende und selbstverständliche Grundlage von allem: Dessen möchte ich im Anschluss an Paulus uns in dieser Predigt vergewissern. Denn das Selbstverständliche ist uns nicht einfach und immer selbstverständlich. Es gibt auch das andere, dass wir dies vergessen können, dass Gott uns fraglich wird. Es verrät viel über uns, dass es dazu kommen kann, zu solcher Entfremdung. Sünde nennt die Bibel das.

Wenn es dazu kommt, dann ist das aber nicht nur und oft gar nicht in erster Linie eine Sache des Denkens und der Erkenntnis. Es gibt auch Ursachen, die im Erleben und Leiden liegen, dass Gott uns fernrückt, fremd wird. Da ist dann überhaupt nichts mehr einfach und selbstverständlich. Da ist dann auch noch von anderem zu reden, da wird Jesus Christus wichtig, ja nötig. Paulus kommt auf ihn ganz am Schluss seiner Predigt. Dass nichts, auch Leiden und Schuld, ja zuletzt auch der Tod nicht, uns von Gott trennen können, dafür steht uns Jesus Christus. Dafür brauchen wir nicht nur allgemeine Gedanken und Ideen, dafür brauchen wir einen Menschen, ein menschliches Gesicht, das uns ansieht: das Angesicht Jesu Christi: Um seinetwillen verlass dich darauf, in allem und trotz allem, was du erlebst und erleidest und was um dich her geschieht, dass Gott an dir liegt und dich liebt und dass er diese, seine Welt nicht aus der Hand gibt.

Der unergründliche, alles umfassende Gott trägt und liebt dich, so wie er die ganze Welt trägt und liebt, das ist das Geheimnis unseres Glaubens. Das Selbstverständliche und das überhaupt nicht Selbstverständliche sind darin vereint. Gott schenke uns diesen Glauben, jeden Tag neu - um Jesu Christi willen. Amen

Klaus Steinmetz, Sup.i.R.
Hainholzweg 8
37085 Göttingen

 


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