Göttinger Predigten im Internet
hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch

Rogate (5. Sonntag nach Ostern), 5. Mai 2002
Predigt über 2. Mose 32, 7-14, verfaßt von Rudolf Rengstorf

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Liebe Gemeinde!

Rogate - betet - wird uns mit dem Namen dieses Sonntages zugerufen. Betet gemeinsam! Also kommt mit dem Beten heraus aus euren Kämmerlein. Sprecht Gott an auf das, was euch gemeinsam beschäftigt.

Die Bibelstelle, die uns dazu anstiften soll, ist keine Anleitung zu Fragen wie: Wie macht man das? Auch kein theologisches Lehrstück über das Thema: Warum sollen wir beten, wenn Gott doch allmächtig und allwissend ist? Eine Geschichte wird uns erzählt. Sie handelt nicht von dem, was wir schon immer über Gott zu wissen meinen. Sie verwickelt uns in eine Auseinandersetzung, die von Gott ausgelöst wird.

Er spricht Mose an oben auf dem Berg Sinai. Dort ist Mose hinaufgestiegen, um sich den Willen Gottes für sein Volk einzuprägen, die Ordnungen des Gottesdienstes und das Grundgesetz Israels zu lernen. Doch die Ruhe und die übersicht, die er sucht, findet er nicht. Statt dessen hört er einen Gott, der sich aufgebracht abwenden will von dem Bund, den er gerade nach der Befreiung aus der Sklaverei in Ägypten mit dem Volk in der Wüste geschlossen hatte. Weil das Volk in der Wüste - so laßt er Mose wissen - diesen Bund schon wieder aufgegeben hat.

Sie konnten es nicht ertragen, auf einen Gott angewiesen zu sein, den sie nur vom Hörensagen kannten. Das mochte noch angehen, solange Mose da war und mit seiner Führung dafür einstand, daß sie es wirklich mit Gott zu tun hatten. Doch nun, da sich Mose auf den Berg zurückgezogen hatte, brauchten sie einen handfesten Anhaltspunkt dafür, daß Gott tut, was er sagt, und sie herausführen würde aus der Wüste in ein Land, in dem sie sicher wohnen könnten. Deshalb hatten sie sich einen goldenen Stier machen lassen. Nicht weil sie einen anderen Gott haben wollten, aber weil sie Gott handfest, dauerhaft präsent, eindeutig und starkmachend brauchten.

Von Abfall und Götzendienst redeten sie nicht. Aber Gott tut das vor Mose. Denn er weiß: Wenn sie erst anfangen, sich ein Bild von mir zu machen und Ausschau zu halten nach dem, was ihr Leben zu stabilisieren verspricht und woran sie sich festhalten können, dann führen sie mich vielleicht noch im Munde, aber im Grunde bin ich abgemeldet. Weil es gar nicht mehr um mich geht, sondern nur noch um das, was sie sich von mir versprechen. Und damit letztlich nur noch um sie selbst.

Einen enttäuschten und zutiefst verletzten Gott bekommt Mose zu hören: "Ich sehe, daß es ein halsstarriges Volk ist." Was soll ich mit einem Volk, auf das ich mich nicht verlassen kann? Was soll ich mit einer Volkskirche, die sich in meinem Namen nicht entschieden absetzt von der allgemeinen Gier nach Lebensgenuß? Und mich auf ihren Festen aussehen läßt wie einen Onkel, der immer mal wieder warnend den moralischen Zeigefinger hebt, aber im Grund doch froh ist, daß er noch etwas mit dabei sein kann.

Komm. Mose, sagt Gott, wir überlassen dieses Volk dem Verhängnis, das es sich selber auf den Hals zieht. Du und ich. Wir fangen noch einmal ganz von vorne an. Und was daraus wird, das hat Zukunft: Menschen, die ausgerichtet bleiben auf mich, die singen und sagen: "Nach Erd und Himmel frag ich nicht, wenn ich dich nur kann haben." Und ich ein Gott, der seine Freude hat an Menschen, die aufleben unter seinem Wort und die Schönheit seiner Welt zu schätzen und zu bewahren wissen.

Und Mose? Der überhört das Angebot. Will nichts wissen von einem Exklusiv-Verhältnis mit Gott. Genausowenig wie Jesus etwas wissen will von dem Angebot, das ihm alle Reiche der Welt zu Füßen legt. Ganz nebenbei: Wer sind wir, daß wir Exklusiv-Verträge mit Gott in Betracht ziehen, auf die sich weder der Mittler des ersten noch der Bürge des zweiten Bundes eingelassen haben? Bei aller Sympathie für die Freikirchen: Sie sind an diesem Punkt nicht frei von Versuchlichkeit! Mose und Jesus fühlten sich verantwortlich für das ganze Volk und identifizierten sich mit ihm. Sie unterscheiden dabei nicht zwischen Frommen und Gottlosen, zwischen Bekehrten und Nichtbekehrten.

Das Gebet Moses geht genau in die entgegengesetzte Richtung. Statt Gott dafür zu bitten, daß auch die anderen so fromm werden wie er selber und sich wieder zu Gott bekehren, fleht er, ja kämpft er darum, daß Gott sich wieder zu seinem Volk bekehrt! Und dafür führt er Argumente ins Feld: Was sollen denn die Ägypter sagen, wenn du dein Volk fallen läßt? Was ist das für ein Gott, der sein Volk befreit, um es dann in der Wüste umkommen zu lassen? Willst du etwa den Atheisten Recht geben mit ihrer Behauptung, einen Gott, der sich um diese Welt und die Menschen kümmert, gibt es nicht? Dieser ist nichts als Einbildung, Erfindung, Schöpfung des Menschen? Was wird aus deiner Ehre, wenn du deine Welt zum Teufel gehen läßt?

Und was ist mit deinen Verheißungen, die du hoch und heilig abgegeben hast? Daß die Nachkommen Abrahams ein großes Volk werden und bleiben sollen mit einem Land, das ihnen gehört? Und das Versprechen bei jeder Taufe: Ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende - nichts als leere Worte? Dein Zorn ist verständlich, o Herr. Doch laß ihn nicht Herr werden über dich, kehre dich ab von ihm und denke daran, daß du dich für Worte des Lebens entschieden hast.

Betet! Weil das Wohl und Wehe der Menschen auf dem Spiele steht. Betet, weil der gnädige und barmherzige Gott sich vergessen könnte vor Zorn. Betet, weil Gott Menschen braucht, die ihn beim Wort nehmen, bei seiner Ehre packen und seinen Stolz reizen!

Aber dürfen wir das? Hat Jesus diesem aufsässigen, kämpferischen Beten des Mose gegenüber uns im Vaterunser nicht auf ganz andere Standards festgelegt? Muß nicht am Anfang wie am Ende jedes christlichen Gebets die Bitte stehen: Dein Willle geschehe?

Diese Frage hätte Mose mit Sicherheit nicht beschämt verstummen und nur noch fromme Ergebenheitsadressen murmeln lassen. Genau darum muß es uns beim Beten gehen, höre ich ihn sagen: Gott und uns selbst daran zu erinnern, daß sein Wille ganz etwas anderes ist als der Lauf der Dinge, der von blinden Zufällen, dem Willen von Menschen und den Auswirkungen ihrer Schuld gesteuert wird. Gott und das, was wir vor Augen haben und was sich vor unseren Augen abzuzeichnen beginnt, sind nicht dasselbe. Unser Gott läßt sich hören mit einer unbändigen Leidenschaft für seine Schöpfung und seine Menschen. Daran will er von uns erinnert werden: Sein erstes Wort der Liebe soll und wird auch sein letztes sein und all dem ein Ende machen, was wir ihm aus Kleinglauben und Sicherheitswahn in den Weg gestellt haben.

"Da gereute den Herrn das Unheil, das er seinem Volk zugedacht hatte." Wer will ihm verdenken, daß die Halsstarrigkeit der Menschen ihn bis aufs Blut reizt und er keine Lust mehr hat zu seiner Barmherzigkeit? Doch er ist - anders als unsere Großen, die sich ein "Reuen" nicht leisten können - groß genug, um sich eines Besseren zu besinnen. Weil da Beter sind. Daß wir noch leben, noch glauben, noch hoffen können das haben wir auch Menschen zu verdanken, die ihre Hände falten und ihren Mund auftun vor Gott.

Amen.

Superintendent Rudolf Rengstorf
Ritterstraße 15
21682 Stade
Rudolf. Rengstorf@evlka.de


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