Göttinger Predigten im Internet
hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch

Christi Himmelfahrt, 9. Mai 2002
Predigt über Epheser 1, 20-23, verfaßt von Detlef Reichert

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EXEGESE zu Epheser 1, 20-23 (pdf-Datei)

Liebe Gemeinde,

der Predigttext zum Himmelfahrtsfest steht im Epheserbrief, fast am Anfang.
Es sind Verse über Christus und die Kirche, ein Jubellied um den Grundton herum: Die Kirche lebt und sie verdankt dies Christus und damit Gott.
Himmelfahrt als Christusfest für die Kirche. `Einen fünfzig Tage dauernden Sonntag zwischen Ostern und Pfingsten mit Auferstehung und Geistausgiessung jeden Tag´, so hat einer (Athanasius) gut 300 Jahre nach dem Epheserbrief die Zeitspanne im Kirchenjahr beschrieben, in der wir auch heute am Himmelfahrtsfest diese Verse hören.

Zum Predigttext gehört noch so etwas wie eine Einleitung, ein Stück davor im Briefanfang. Die Gemeinde in Ephesus wird angeredet, und etwas verkürzt zusammengefasst heißt es da in etwa so: `Schön, dass es Euch gibt. Ich weiss von Euch, ich bete für Euch voller Dankbarkeit, und auch darum, dass Ihr immer mehr von unserer Hoffnung begreift und was für eine Kraft und Macht Gott in uns wirken lässt, so wie er es Christus gegenüber tat, den er von den Toten auferweckt hat.´
Und dann folgt dieses Jubellied ab Vers 20:
"20 (Christus) den Gott zu seiner Rechten in den Himmeln setzte
21 über jede Gewalt
und Macht
und Kraft
und Hoheit
und jeden Namen, der genannt wird,
nicht allein in dieser Welt,
sondern auch in der zukünftigen.
22 Und alles hat er seinen Füßen unterworfen
und hat ihn zum Haupt über alles der Kirche gegeben,
23 die sein Leib ist,
die Fülle dessen, der doch alles mit allem erfüllt."

Das ist erst einmal ein gewaltige Bild, in dem die ganze Welt geordnet ist, und wo alles seinen Platz hat. Gott hat Christus die Herrschaft über alles gegeben, was sonst Macht ausübt, herrscht und Gewicht hat. Die Kirche hat ihren Platz darin, und Christus, der über alles herrscht, erfüllt sie ganz.
Dies ist ein Hoffnungslied. Auch wenn die erkennbare Welt damals in Ephesus so nicht war, und unsere Welt es heute sichtbar auch nicht ist.
Mit diesem Hoffnungslied feiern wir das Himmelfahrtsfest als Ausdruck der Herrschaft Christi.
Und manchmal haben wir dann auch Mühe damit.

Das liegt schon ganz nahe, unsere Gegenwart und den Predigttext eins zu eins zu vergleichen und zu sagen, so passt das nicht.
Die doppelte Welt, sichtbare und unsichtbare, ist uns fremd, - der Satz mit seinen Worten ist unhandlich lang - unsere Wirklichkeit um uns herum ist so nicht zu beschreiben und auch der Alltag von Kirche und Gemeinde nicht.

Ich lese die Verse gleich noch einmal vor und will mich dann auf zwei Dinge beschränken: Was ist das Anliegen, was ist gewollt mit diesen Worten an die Gemeinde in Ephesus, und: Was wäre, wenn, - was wäre, wenn das alles so wäre?
"...., den er zu seiner Rechten setzte über jede Gewalt und Macht und Kraft und Hoheit und jeden Namen, der genannt wird, nicht allein in dieser Welt, sondern auch in der zukünftigen. Und alles hat er seinen Füßen unterworfen und hat ihn zum Haupt über alles der Kirche gegeben, die sein Leib ist, die Fülle dessen, der doch alles mit allem erfüllt."

Es klingt fast wie ein Gebet, auch wenn es keines ist. Es wird nicht zu Gott geredet, sondern von ihm. Aber wie in einem Gebet geht es um ein ganz deutliches Anliegen.
Der das schreibt, der will etwas für jemanden, - für die da in Ephesus oder wo immer. Und wir haben es uns mit Recht angewöhnt, so etwas so zu hören, dass es auch auch uns gilt und mich mit einschließt.
Worum es geht, ist dies:
Begreift die Hoffnung unseres Glaubens und seht die Kraft und die Stärke Gottes, die er an uns allen wirksam werden läßt. Denn darauf seid ihr eurem Leben angewiesen, das braucht ihr bei allem, was ihr glaubt und hofft und tut.
Und begreift, dass es nicht darum geht, zu wissen, wo ihr irgendwo das herbekommt, was ihr braucht, Kraft und Stärke, sondern darum, zu wissen, bei wem ihr es findet: Ihr findet es bei Gott.
Begreift genauso, dass Hoffnung, Kraft und Stärke bei Gott schon immer da sind für euch.
So ist der Auftakt. Und dann geht es weiter:
Das Wichtigste ist, dass es das gibt, und dass es dabei bleibt. Gott gibt, was wir brauchen. Er gibt es immer wieder. Aber er gibt es nie aus der Hand.
Ihr könnt es immer bekommen bei ihm, ihr könnt es immer wieder bekommen. Und neu könt ihr begreifen, was es mit seiner Hoffnung, Kraft und Stärke auf sich hat, aber nur von ihm selbst her.
Was ihr dazu habt, ist seine Adresse. Sie ist umzugsgeschützt und immer verfügbar. An sie könnt ihr euch wenden. Da kommt kein Hinweis ".der gewählte Gesprächspartner ist zur Zeit nicht erreichbar".
Und schließlich: Gott tut, was er tut, an Christus. Was er an Christus tut, tut er nicht für sich und nicht für Christus. Was er an ihm tut, tut er für uns. Er tut es an uns. Soweit das Anliegen.

Hören läßt es sich. Genausoschnell schließt sich meist die andere Frage an: Wenn Gott das so tut, wo tut er es dann jetzt und wo für mich? Dies ist im Normalfall so, und umsomehr dann, wenn wenn wir Dinge erleben und durch sie hindurchmüssen, die wir nicht wollen und nicht verstehen können, gegen die sich alles in uns sperrt.
Zwei Wochen erst liegt zurück, was in Erfurt geschehen ist, - und davor Dschenin und Dscherba. An all den Eckpunkte von Gewalt, Elend und Sinnlosigkeit, die uns begleiten, sei es auf der individualisierten Schiene oder da, wo Gruppen, Gemeinschaften und Völker gegeneinander Gewalt ausüben, da ist unser schnelles und hilfloses `Warum?´ , das `Wie kann Gott das zulassen?´, da. Was auf der anderen Seite dort im Predigttext steht, klingt dann sehr fern und scheint mit unserem Erleben und dem, was wir nicht verstehen können, wenig zu tun zu haben.

Was wäre, wenn? Was wäre denn, - abgesehen und vielleicht auch gegen alle Erfahrung, die wir haben oder von der wir glauben, dass so und nicht anders unsere Wirklichkeit ist-, was wäre denn, wenn das alles tatsächlich so wäre, wie der Epheserbrief es formuliert? Wie er es sich denkt und glaubt? Wenn es so wäre, dass einer alle Macht hat, und einer der Herr ist über alles und niemand sonst? Dann gäbe es keine anderen Herren mehr, überhaupt keine außer dem Einen. Und das hätte die Konsequenz, dass alle die Herren, die ihre Ansprüche erheben, alle Mächte, die sich in den Vordergrund spielen, dass sie alle gar nicht da sind. Ich unterläge keinem Zwang, den jemand auf mich ausüben wollte, es bestünden keine Ansprüche, die ich erfüllen müßte. Nichts würde mich in Konkurrenzsituationen und Konflikte drängen. All das gäbe es nicht und wäre nicht da, wenn das stimmte, dass einer, und nur er, der Herr ist, hier und später und überhaupt. Wirklich gut.
Ein Gedankenspiel, eine Traumwelt?

Das erleben wir alle, dass Gewalt, Herrscher und Herrschaft als Personen, in Strukturen oder einfach irgendwie auf uns eindringen und uns zuschaffen machen. Darüber brauchen wir nicht lange zu diskutieren. Wir haben zu viele Stichworte, die dafür stehen. Und welche neuen werden es morgen zusätzlich sein?

In einem ist der Epheserbrief realistischer als alle Träume von der Abschaffung von Herrschaft bis hin zur Streichung des Wortes aus dem Wörterbuch. Leerstellen im Herrschaftsbereich gibt es nicht, Leerstellen werden immer besetzt, ganz schnell. Einer ist da immer in der Hinterhand; eine wartet immer darauf. Wer will kann das schon bei Matthäus (12,43ff) oder bei Lukas (11,24ff) nachlesen bei der Rückkehr der unreinen Geister. Da hat es es schon mehr Realität, als es auf den ersten Blick scheinen will, die Herrschaft einem, nur einem zuzuordnen. Das ist die erste Befreiung, - die von den vielen Herren und Mächten. Das löst alle Ansprüche nicht automatisch auf, und es verscheucht Versuche und Versucher auch nicht. Aber es ändert den Blick, und es ändert die Einstellung dem und denen gegenüber, die immer und ewig etwas von mir wollen mit ihren Ansprüchen.

Wo einer mein Herr ist, da gibt es keine anderen Herren mehr, keine Mächte und Kräfte und Herrschaften, und was immer diesen Namen trägt. Das ändert die Sichtweise des eigenen Erlebens. Dann muss das nur noch wahr sein, dann wird es auch wahr.

Das, was in der tagtäglichen Erfahrung nicht zuammenzugehen scheint, kennt der Predigttext genauso. Christus ist der Herr über alles, was ist. Er füllt allen Raum und alle Zeit aus. Aber erfüllt von ihm ist Raum und Zeit in deren eigener Sicht und deren eigenem Bewußtsein nicht. Angekommen, so scheint es, ist die Wirklichkeit von Christus dort immer noch nicht. Nicht dort.
Wohl dort, wo Kirche ist.
Er herrscht über die Mächte in Zeit und Raum und muss es, wie jede Herrschaft und jeder Herrscher, gegen sie tun, immer wieder.
Anders in der Kirche. Hier gilt, was ist. Was überall auch zur Geltung kommen wird, hier ist es schon so.
Es kann hier, in der Kirche, schon .sein, weil es gilt, dass Christus der Herr ist über alles..
Für Raum und Zeit gilt das genauso, überall und immer, auch wenn es dort erst noch zur Geltung kommen wird.
Was für die Kirche gilt und was in ihr schon ist, das ist das, was für alle gilt und zur Geltung kommen wird.
Er, der eine, er allein ist der Herr. Und deswegen kann ich es für mich sehen, wie alle und alles andere um seine Herrschaft über mich gebracht ist und dies in der Kirche auch.

Jetzt denken Sie bitte nicht, was für ein Unsinn. In der Kirche ist es doch nicht anders, als um uns herum, als um sie herum. Wieso dort, wo über die Welt, über die draußen im Alltag geredet wird, all die Konjunktive mit "würde" und "könnte", und hier, wo über die Kirche geredet wird, die Indikative mit "ist" und "kann"?

Denken Sie nur etwa an die Selbstverständlichkeit, mit der wir im Alltag ungebrochen und unhinterfragt von Visionen und ihrer Kraft reden. Daran, in welchem Maß wir sie für wirklich und wirksam halten, ohne uns im mindesten daran zu stören.
Das gehört zum Glauben, dass er vorwegnimmt, was sein wird, und dass so schon zum Zug kommt, was augenfällig noch gar nicht da zu sein scheint.

Den Wechsel vom Konjunktiv zum Indikativ, vom "könnte" und "wäre" zum "ist", das nehme ich als die zweite Befreiung: Weil Christus der Herr ist, ist er es. Wie der Glaube die Wirklichkeit Gottes vorwegnimt für die Welt und so Kirche ist, so tritt der Indikativ an die Stelle des Konjunktivs, wo wir von Kirche reden, an sie denken, sie leben.

Das Himmelfahrtsfest ist ein Stück Selbsterinnerung der Kirche an sich selbst, an ihre Verheißung und ihre Wirklichkeit. Das läßt die Ist-Sätze zu und läßt sie sagen. Himmelfahrt feiern ist die Ansage, dass wir das können, weil Christus der Herr ist, und keiner sonst.

Und jetzt lassen Sie uns das Lied von Hiller im Gesangbuch singen, Nummer 123, "Jesu Christus herrscht als König". Vielleicht schaffen wir es noch nicht, jede der Strophen mit der gleichen inneren Betonung und Intensität zu singen. Aber vielleicht doch von Strophe zu Strophe etwas mehr.
Amen.

Dr. Detlef Reichert
Gneisenaustr.76
33330 Gütersloh


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