Göttinger Predigten im Internet
hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch

6. Sonntag nach Trinitatis, 7. Juli 2002
Predigt über 1. Petrus 2, 1-10, verfaßt von Helmut Mönnich

(-> zu den aktuellen Predigten / www.online-predigten.de)


Liebe Gemeinde,

ging es Ihnen eben beim Hören des Predigttextes auch so wie mir, als ich den Abschnitt das erste Mal las? Da merkte ich, wie ich den Kopf etwas schüttelte und leise sagte: das verstehe ich nicht. Ein Bildvergleich folgt ohne Pause dem anderen, ein Bibelzitat dem anderen. Verwirrend ist das. Worum geht es?

Ich habe dann erst einmal einen Bleistift zur Hand genommen, die Sätze noch einmal und nun ganz langsam gelesen und Sinneinheiten mit dem Stift voneinander getrennt bis ich heraus fand, wovon der Briefschreiber der Reihe nach spricht:

Die Adressaten - so fängt er an - sollen Bosheit, Betrug, Heuchelei, Neid oder auch üble Nachrede wie ein widerwärtig-schmutziges Kleidungsstück ablegen. Mit anderen Worten: Solches Verhalten, das damals vorkam wie es heute immer wieder vorkommt, soll nun nicht mehr ihr Verhalten sein. Für sie, die nun Christen geworden sind, soll anderes Verhalten kennzeichnend sein.

An dieser Stelle sollte vielleicht angemerkt werden, dass der 1. Petrusbrief offenbar ein Rundbrief an junge Christengemeinden im Nordwesten Kleinasiens ist, - dem Gebiet der heutigen Türkei -, und dass er sich in unserem Abschnitt besonders an erst kürzlich getaufte erwachsene Gemeindeglieder wendet. Bei dieser, negativen Kennzeichnung des bisherigen Lebensstiles und dem Wort "ablegen" (oder "ausziehen") hat der Briefschreiber offenbar die damals bei der Taufe geübte Sitte vor Augen, das bisher getragene Kleidungsstück abzulegen und ein neues, weißes Taufgewand anzuziehen als sichtbares Zeichen für das nun neue Leben.

Mir fällt auf, dass der Briefschreiber ohne Hemmungen den neuen Christen sagt, was sich für einen Christenmenschen nicht ziemt. Ja, ich habe den Eindruck, dass wir uns heute in der Kirche schwer tun deutlich zu sagen, welches Verhalten zu uns getauften Christen, zu uns als Gottes Volk passt bzw. nicht passt.

Nach der negativen Kennzeichnung des bisherigen Lebensstiles kommt dem Briefschreiber nun ein neues Bild in den Sinn: Das ganz alltägliche, anrührende Bild eines gierig trinkenden Säuglings an der Mutterbrust. Wie der durstige Säugling sich ohne Unterbrechung holt, was er braucht, so sollen sich die zwar schon erwachsenen aber doch noch ganz jungen Christen Nahrung, ja: Lebenskraft aus der Botschaft der Bibel holen. Von Christus her sollen sie ihr tägliches Leben, auch ihr Zusammenleben mit den Menschen um sie herum, sollen sie ihr religiöses Leben leben. Um es mit dem röm.-kath. Theologen Küng zu sagen: "Christ sein bedeutet: in der Nachfolge Jesu Christi ... wahrhaft menschlich leben, handeln, leiden und sterben - in Glück und Unglück, Leben und Tod gehalten von Gott und hilfreich den Menschen."

Wenn ich mir das jetzt durch den Kopf gehen lasse, ist es mir, als spräche der Briefschreiben wie ein heutiger Christ zu uns - nicht wie der Verfasser eines über 1900 Jahre alten Briefes. Brauchen wir heute mehr als die damals gezeigte Orientierung an Jesus Christus?

Nach dem eben bedachten Bild fällt dem Briefschreiber nun ein drittes Bild ein, das schon im Jesaja-Prophetenbuch vorkommt. Dort lesen wir als Gotteswort: "Siehe, ich lege in Zion einen Grundstein, einen harten Schieferstein (so kann man das hebräische Wort übersetzen), einen kostbaren Eckstein." Und gleich fällt unserem Briefverfasser noch ein Satz aus Ps. 118,22 ein: "Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, ist zum Eckstein geworden." Diese Worte versteht der Verfasser nun auf Jesus Christus hin, verändert das Bild fast impressionistisch und schreibt. "Zu ihm kommt als zu dem lebendigen Stein, der von Menschen verworfen ist, aber von Gott auserwählt und kostbar." Noch einmal greift er das Bild vom Stein auf, jetzt aber in neuer Bedeutung, in der es ihm zu einem neuen Bild wird: "Auch ihr als lebendige Steine erbaut euch zum geistlichen Hause und zur heiligen Priesterschaft, zu opfern geistliche Opfer, die Gott wohlgefällig sind durch Jesus Christus."

Wenn ich das lese, steht mir das Geschriebene wie ein modernes Bild - etwa Von Chagall - vor Augen: Ich darf nicht logisch fragen: gibt es überhaupt einen lebendigen Stein? sondern ich muss fragen: Was will der Maler, der Briefschreiber sagen? Und dann verstehe ich: Es geht bei uns Lesern des Briefes hier nicht nur um uns selbst, sozusagen als Individuen, als Einzelne. Nein. Jeder und jede Getaufte, jeder und jede, die zum Volk Gottes gehört, gehört mit den anderen Getauften zusammen zum Haus der Kirche. Nein, nicht gehört zur Kirche; baut die Kirche, biIdet die Kirche! Und zwar nicht wie tote Steine, irgendwo verbaut, sondern ganz lebendig! Ja jeder und jede kann zu Gott verhelfen - wie einstmals die Priester in Israel, - zu Gott einladen und handeln, wie es Gott wohlgefällt, in der Nachfolge Jesu Christi.

Angesichts der heutigen Diskussion um die Mängel der Kirche, um die nicht leichte Finanzsituation der Kirche, die Strukturen der Kirche wird hier ein unmissverständliches Bild der Kirche gezeichnet: Kirche: das sind die Menschen, die zu Gottes Volk berufen sind durch die Taufe. Kirche, das sind vor allen Strukturen, Finanzproblemen, Rechtsordnungen die von Gott zu seinem Volk berufenen Menschen, Männer und Frauen, Alte und Kinder, durch die Taufe alle gleich! Die wirkliche Kirche ist also immer wieder erst zu entdecken. Sie ist da, wo in der verwirrenden und täuschenden Vielgestaltigkeit kirchlicher Phänomene deutlich wird, was Kirche ausmacht, was Kirche konstituiert. "Die wirkliche Kirche ... ist der Ort des Kampfes zwischen wahrer Kirche und Scheinkirche" wie das der Berlin- Brandenburgische Bischof Huber formuliert hat.

In der großen Krise der Kirche seiner Zeit hat Martin Luther nicht zuletzt aus unserem 1. Petrusbrief seine Vision, sein Bild von Kirche entwickelt: "Daß aber das erste Amt, der Dienst am Wort allen Christen sei gemein, das bewährt jener Spruch 1 Petr 2,9 ... Aber Petrus gibt ihnen nicht nur das Recht, sondern auch den Befehl... Gottes Wort zu predigen." Und in diesem Zusammenhang führt Luther aus: "...wir wollen fortfahren und es bewähren, daß alle Christen gleicherweis Priester seien ... Es sind aber die priesterlichen Ämter etwa diese: Lehren, predigen und Gottes Wort verkündigen, taufen, konsekrieren oder die Eucharistie austeilen, Sünden binden und lösen, für andere beten und opfern und urteilen über alle Lehren und Geister. Das erste aber und höchste von allen, in dem alle anderen hangen, ist das Wort Gottes lehren." Richtig: Das ist nicht mehr unsere Sprache heute. Aber es ist doch verständlich, was er sagen will. Zu welch wichtiger Aufgabe ist jeder getaufte Christenmensch ermächtigt! Hier gilt: Werde, was du bist! Was für eine Vision von Kirche!

So kann dann der Verfasser unseres Briefes seinen Gedankengang in fast überschwängliche Sprache zusammenfasen: Ihr ... seid das auserwählte Geschlecht, die königliche Priesterschaft, das heilige Volk, das Volk des Eigentums, daß ihr verkündigen sollt die Wohltaten dessen, der euch berufen hat von der Finsternis zu einem wunderbaren Licht."

Lohnt es sich nicht, diesem zunächst so sperrig wirkenden Briefabschnitt nachzusinnen, darüber nachzudenken, auch zu streiten jedenfalls: sich inspirieren zu lassen?

Helmut Mönnich, P.i.R.
Ewaldstr.97
37075 Göttingen

 


(zurück zum Seitenanfang)