Göttinger Predigten im Internet
hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch

9. Sonntag nach Trinitatis, 28. Juli 2002
Predigt über 1. Petrus 4, 7-11, verfaßt von Karl W. Rennstich
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--> Dogmatische und homiletische Entscheidung

7 Es ist aber nahe gekommen das Ende aller Dinge. So seid nun besonnen und nüchtern zum Gebet. 8 Vor allen Dingen habt untereinander beständige Liebe; denn "die Liebe deckt auch der Sünden Menge" (Sprüche 10,12). 9 Seid gastfrei untereinander ohne Murren. 10 Und dient einander, ein jeder mit der Gabe, die er empfangen hat, als die guten Haushalter der mancherlei Gnade Gottes: 11 Wenn jemand predigt, dass er's rede als Gottes Wort; wenn jemand dient, dass er's tue aus der Kraft, die Gott gewährt, damit in allen Dingen Gott gepriesen werde durch Jesus Christus. Sein ist die Ehre und Gewalt von Ewigkeit zu Ewigkeit! Amen.

Liebe Gemeinde!

Es ist aber nahe gekommen das Ende aller Dinge. So seid nun besonnen und nüchtern zum Gebet. Unser Text ist der Abschluß des größeren Zusammenhangs des christlichen Lebens in der Gesellschaft. Christen sind "ausgesät" über die ganze Welt. Und sie sollen sich so verhalten, dass sie durch ihre Alltagsleben Menschen für Christus gewinnen. Der 1. Petrusbrief will Weg in die Zukunft aufzeigen. Das zeigen die folgenden Verse: habt untereinander beständige Liebe; seid gastfrei untereinander ohne Murren. Dient einander, ein jeder mit der Gabe, die er empfangen hat, als die guten Haushalter der mancherlei Gnade Gottes.

1. Wege in die Zukunft!

Haben wir denn überhaupt Wege, die in die Zukunft führen, oder ist die Zukunft bereits Vergangenheit? Löst sie nicht sehr viel mehr Ängste aus, Befürchtungen, Hoffnungen und Freude oder vielleicht beides? Woran erinnert uns dieses Wort "Wege in die Zukunft"? Erinnert es uns an eine Vision, eine Utopie oder gar an düstere Zukunftsaussichten? An der Schwelle zum dritten Jahrtausend jedenfalls treten für viele die ungelösten und brennenden Fragen unserer Zeit in besonderer Weise ins Bewußtsein der Menschen. Propheten haben vor Christi Geburt bereits nach Antworten gesucht. Ihr Wort war "Tröstet, tröstet mein Volk", so jedenfalls erklangen Stimmen im sechsten vorchristlichen Jahrhundert (Jes 40,1). "Gedenket nicht an das Frühere und achtet nicht auf das Vorige! Denn siehe, ich will ein Neues schaffen, jetzt wächst es auf, erkennt ihr's denn nicht? Ich mache einen Weg in der Wüste und Wasserströme in der Einöde" (Jes 43, 18-19). Wir wollen Rechenschaft geben, heißt es in 1. Petr. 4,15. Bekenntnisnot und Bekenntnisnotwendigkeiten klaffen offensichtlich auseinander. Die "Wiederkunft" Christi bekennen ist nach Eduard Buess ( Die Zeit ist nahe ... Christliche Hoffnung am Ende des 20. Jahrhunderts, Edition Aussaat, Neukirchen-Vluyn 1996) heute notwendiger denn je, denn wo alle diesseitsverhafteten Hoffnungen sich als kraftlos erweisen, da muß die Hoffnung, die alles innerweltliche Hoffen übersteigt, die ihre innewohnende Kraft kundtun. Aber nun wissen viele von uns "nicht zu sagen", was das Kennwort unserer Hoffnung "einem modernen Bewußtsein bedeutet". Gehören wir, gehöre ich nicht auch zu ihnen? Kommen wir an diesem Punkt nicht selber ins Stottern und Stammeln und ziehen uns schließlich zurück zum Schweigen? Um die Parusie herbeizuwünschen, müssen wir nur das eigentliche Herz der Erde in uns schlagen lassen, damit wir es verchristlichen." Er "verherrlicht" sich so, dass er uns "mitverherrlicht". Wir werden in seinen Lichtglanz mit hineingezogen und strahlen von dem empfangenen Glanz selber aus. Jetzt noch verdeckt durch viel Finsternis, dann aber in ungebrochener Reinheit... Dasselbe Wort doxa kann auch "Ehre" bedeuten: die Ehre, die Gott als Gott gebührt, die Ehre, die wir ihm entsprechend erweisen. Den "Lobgesang", mit dem wir ihn preisen. Das bedeutet, die neutestamentlichen Aussagen über die Parusie haben eine andere Bedeutung: sie rühmen das Wunder, das sich hier ereignet, und das gilt nicht nur für die Hymnen, sondern auch für die prosaischen Texte, die uns wie Lehrsätze anmuten, sie wollen als Doxologien gehört und weitergegeben werden. Deshalb redet die Bibel in Bildern, wenn sie von der Wiederkunft spricht. Und wenn wir diese Bilder verstehen wollen, müssen wir ihre Geschichte verstehen. Wir müssen die Religionsgeschichte, die jüdische Apokalyptik, vor allem aber das Alte Testament fragen, wo und mit welcher Bedeutung kommen diese Bilder dort vor. Eines dieser Bilder ist der Begriff der "Tag" Jesus Christi. Ein anderes Bild ist das Weltgericht. Und dabei geht es um ein doppeltes Gericht, um das Gericht über die Mächte, denen die Menschen verfallen, und über die sich an sie wegwerfenden Menschen selber. Waren diese Menschen Phantasten und Spinner, die so redeten, oder haben wir vielleicht eine Wirklichkeit begriffen, an der sie uns teilhaben lassen wollen, eine Wirklichkeit, die unsere alltäglichen Erfahrungen sprengen und gleichzeitig durchdringen? Zweifelsohne sprechen diese Texte zentrale Themen unserer Zeit an. Themen die im Augenblick höchst aktuell in unserer Gesellschaft sind. Es sind die Fragen der Machtverhältnisse, des Kräfte Ungleichgewichts zwischen den Starken und den Schwachen. Die Frage nach Recht und nach Gerechtigkeit es sind Fragen des Machtmißbrauchs, der Korruption.

2. Vor allen Dingen habt untereinander beständige Liebe

Über die Liebe wird in Anlehnung an die alttestamentliche Weisheit gesagt: "die Liebe deckt auch der Sünden Menge" (Sprüche 10,12) zu. Eine alte Geschichte sieht den engen Zusammenhang von Macht und Liebe so: Im Anfang der Zeit war es so: Die Macht und die Liebe wurden als Zwillinge geboren. Ihre Mutter war die Weisheit, ihr Vater der Mut. Die Geschwister wuchsen glücklich miteinander auf und überall wo sie hinkamen stifteten sie Frieden zwischen den Parteien und Völkern. Sie verteilten diese Güter der Welt gerecht. Sie machten die Armen reich und die Reichen glücklicher. Die Macht und die Liebe waren ein Herz und eine Seele. Und fanden sie in den Häusern der Menschen Platz, so änderte sich alles zum Guten. Eines Tages begegneten sie dem Neid. Er hatte sich fein herausgeputzt und sah recht stattlich aus. Sein Gewand glitzerte in der Sonne und sein Geschmeide funkelte nur so im Licht. "Ich sehe Dich stets im Schatten der Liebe gehen", sagte der Neid zur Macht. "So kannst du nie etwas werden, geh mit mir, da wirst du größer und stärker. Du sollst sehen, die Menschen werden dir die Hände und Füße küssen, sie werden dir schmeicheln und dir Opfer darbringen. Sie werden dir ihre Seele verkaufen nur um dich zu besitzen". Die Macht war wie geblendet. Sie dachte eine Weile nach. Dann sagte sie zur Liebe: "Der Neid hat recht. Laß uns für eine Zeit auseinandergehen. Wenn wir uns trennen, kann sich jeder von uns selbständig entwickeln.. Keine ist mehr von der anderen abhängig. Keine braucht mehr auf die andere Rücksicht zu nehmen. Ich werde derweil bei dem Neid in die Lehre gehen. Vielleicht treffen wir uns später einmal wieder. Ehe die Liebe antworten konnte, waren die Macht und der Neid schon hinter der nächsten Ecke verschwunden. Die Liebe sah noch, wie der Neid der Macht den Vortritt ließ. Ohnmächtig stand nun die Liebe am Wegrand und weinte. Sie erlebte sich schwach und kraftlos ohne die Macht. Sie spürte, wie sie allein nicht leben konnte. Wie ein Schatten legte sich die Angst auf sie, die Angst sich zu verirren, zu verletzen und nicht verstanden zu werden. Die Macht fühlte sich unterdessen frei und ungebunden. Der Neid störte sie nicht, weil er immer einen Schritt zurückblieb und ihr den Vortritt ließ. Die Macht merkte, wie sie dabei größer und größer wurde. Aber mit ihrer Größe wuchs auch ihre Kälte. Es gefiel ihr, wenn sich Menschen vor ihr verkrochen, oder ihr alles opferten um sich mit ihr zu verbünden. Sie bestieg einen großen Thron und ließ sich über die Köpfe der Menschen tragen. Sie genoß es, umjubelt zu werden. Die Macht hatte die Liebe bald vergessen. Sie umgab sich mit Waffen und Soldaten. Sie raubte den Armen den Frieden und vertrieb sie aus ihrer Heimat. Nur wer ihr die Seele verkaufte, durfte sich in ihrer Nähe aufhalten und sicher fühlen. Hinter ihr aber folgte stets der Neid. In der Welt wurde nun alles anders. Die Kriege unter den Menschen nahmen an Heftigkeit zu. Die Liebe war zu ohnmächtig um sie zu verhindern. Viele erkannten sie auch nicht wieder und verwechselten sie mit dem Egoismus, oder mit der Schwäche. Die Liebe hatte nicht mehr die Kraft, das Böse in die Schranken zu weisen. Habgier und Gleichgültigkeit wuchsen. Die Natur wurde ausgeplündert und zertreten. Es wurde dunkler, kälter in der Welt. Menschen und Tiere begannen zu frieren. Sie wurden krank und starben einsam dahin. Da beschloß die Liebe, die Macht zu suchen. Und sie machte sich auf, auch wenn der Weg weit war. Eines Tages begegneten sie sich auf einer Kreuzung. Die Macht kam groß und gewaltig daher. Vor ihr und hinter ihr war ein Wächter bis an die Zähne bewaffnet, die sie beschützen mußten. Die Macht sah dunkel aus. Sie war eingehüllt in einen dicken, schweren Mantel. Ihr Gesicht war kaum noch zu sehen. Der Mantel aber war über und über mit Orden behaftet. Rechts und links trug man ihre Titel, damit die Menschen vor ihr in die Knie gingen. Die Liebe nahm ihren ganzen Mut und ihre ganze Weisheit zusammen die sie von ihren Eltern geerbt hatte und stellte sich der Macht in den Weg." Du siehst unglücklich aus", sagte die Liebe und blickte der Macht gerade ins Gesicht. "Deine Augen sind finster. Früher hast du gestrahlt und warst schön". "Geh mir aus dem Weg", sagte die Macht. "Ich kenne dich nicht". "Erinnerst du dich nicht", sagte die Liebe, "wie wir miteinander durch die Welt zogen. Du trugst ein leichtes Kleid. Du konntest tanzen und springen. Du liefst mit mir zu den Menschen und sie alle nahmen uns mit offenen Armen auf. Wir konnten Frieden stiften und alle hatten alles gemeinsam. Du warst mit mir mächtig ohne Waffen. Du brauchtest dich nicht zu schützen und hinter dir zog nicht der Neid. Laß uns wieder miteinander gehen. Schick sie alle wieder weg, die dich jetzt umgeben und fernhalten von den Menschen und auch von mir. Auch ich brauche dich, denn ohne dich bin ich schwach und ohnmächtig. Ohne dich glauben mir die Menschen nicht. Die Menschen lachen mich aus. Sie verletzen und mißbrauchen mich". Während die Liebe diese und andere Worte sprach, wurde die Macht immer wärmer und weil auch die Macht ein Kind der Weisheit und des Mutes war, taute sie langsam auf und wurde kleiner und kleiner bis sie wieder so groß war wie die Liebe. Da glitt der Mantel von ihrer Schulter und die Orden zersprangen am Boden. Die Wächter fielen wie tot um und die Titel flogen im Winde davon. Ehe sich die Liebe und die Macht versahen, standen sie sich allein gegenüber. Da lachten sie einander zu und fielen sich in die Arme. Der Neid, der die Macht begleitet hatte, war gewichen und von der Liebe war der Schatten der Angst geflohen. Seither gehen sie wieder miteinander, die Liebe und die Macht und sind zusammen stark geworden, die beiden. Und wenn du sie triffst, dann halte sie fest und warte bis ich komme, damit ich mit euch ziehen kann.

Liebe war da, bevor der Mensch wurde. Das Lebensfundament ist also bereits gelegt. Wir können darauf aufbauen. Die Liebe sei wie ein Backofen, sagte Martin Luther einmal. Die Hitze macht aus dem Teig süß duftendes Brot. Liebe zieht an. Liebe schmeckt! Lieben ist eine Kunst. Kunst muß man lernen. Tobias Brocher meint bezüglich der Liebe: "Es ist ein Wagnis, in dieser erkaltenden Welt zur Liebe zu ermutigen. Und doch ist sie das einzige Mittel, das uns helfen könnte, jene Mauern niederzureißen, die wir gegeneinander aufgebaut haben. Liebe ist nicht möglich ohne Glaube und Hoffnung und wer könnte annehmen, dass wir diese drei aus eigener Kraft gefunden und entwickelt hätten? Könnten wir ohne sie leben?" Tiefgegründetes Leben gibt es nur im Wurzelboden der Liebe. Zur Kunst der Liebe gehört aber wie zu allen anderen Künsten: Selbstdisziplin, Konzentration und viel Geduld und ein unbedingtes Interesse am anderen Menschen. Das ist die Voraussetzung. Lieben kann man nur lernen, indem man liebt.

Hermann Hesse schreibt in seinem kleinen Essay, Die Kapelle: "Der Weg zur Frömmigkeit mag für jeden ein andrer sein. Für mich lief er über viel Irrtümer und Leiden, über viel Selbstquälerei, durch stattliche Dummheiten, Urwälder von Dummheiten. (..) Ich wußte nicht, dass Frommsein Gesundheit und Heiterkeit bedeutet. Frommsein ist nichts andres als Vertrauen. Vertrauen hat der einfache, gesunde, harmlose Mensch, das Kind, der Wilde. Unsereiner, der nicht einfach noch harmlos war, mußte das Vertrauen auf Umwegen finden. (...) Der Gott, an den wir glauben müssen, ist in uns innen. Wer zu sich selber nein sagt, kann zu Gott nicht ja sage. "

3. An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen

Wenn jemand predigt, dass er's rede als Gottes Wort; wenn jemand dient, dass er's tue aus der Kraft, die Gott gewährt, damit in allen Dingen Gott gepriesen werde durch Jesus Christus. Die große Gefahr der Christen in der Diaspora besteht darin, dass sie sich in Gruppen gegen einander organisiert und jeder meint, dass er den rechten Glauben habe. Das nennt man dann Sekte. Das gelebte Leben ist dann nicht mehr so wichtig. Das Weitergeben der Botschaft mit dem Ziel, Menschen für Christus zu gewinnen tritt in den Hintergrund. Primär sind sie Eigeninteresse der Gruppe. Ich erinnere mich noch sehr gut an die Zeit in den 50er Jahre als ich als Theologiestudent den Lebensunterhalt für mein Studium verdienen mußte. Ich arbeitete damals in dem selben Betrieb, in dem ich auch meine Ausbildung als Automechaniker gemacht hatte. Ich wurde damals genau beobachtet. An meinem Verhalten im alltäglichen Leben in der Werkstatt wurde mein Glaube geprüft, nicht an frommen Floskeln. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Ich brauchte damals den sonntäglichen Gottesdienst dringend als Kraftquelle für die folgende Woche und hörte der Predigt besonders aufmerksam zu, um "Material" für die Diskussionen über den Gottesglauben in der folgenden Woche zu erhalten, "damit in allen Dingen Gott gepriesen werde durch Jesus Christus." Seither weiß ich, dass zwischen Predigthören und Predigen ein enger Zusammenhang besteht sowohl für "Älteste" als auch für das "Priestertum aller Gläubigen", also für Pfarrer und sogenannte Laien.

Amen

Dogmatische und homiletische Entscheidung

Der Erste Petrusbrief ist nach Walter Rebell eine "der wichtigsten und profiliertesten ekklessiologischen Entwürfe des gesamten Neuen Testaments" und hat "große Ähnlichkeit mit der johanneischen Konzeption von Gemeinde" ( Zum neuen Leben berufen (München 1990, S. 191). Beide beeinflußten sich jedoch nicht gegenseitig. Sie gehören völlig anderen Linien im Urchristentum an. Im 1Pterusbrief sind paulinische Gedanken weiterentwickelt. Die Gemeinsamkeiten von 1Petrus und dem Johannesevangelium kommen von der Gemeindesituation her. Die Bedrängnis von außen, eine real existierend Verfolgung der Christen, bestimmt das theologische Denken. Es besteht die Gefahr des Rückzugs aus der Welt. J.H. Elliots wichtige Untersuchung des 1Petrusbriefs, A Home for the Homeless zeit das sehr deutlich. Die Solidarität wird einerseits durch das Symbol der Gruppenidentiät geistliches Haus, (2,5) und auserwähltes Geschlecht (2,9) und andererseits durch den relativ häufigen Gebrauch von syn- Komposita wie beispielsweise synoikountes (zusammenwohnend 3,7) sygkléronomois (Miterbinnen 3,7) symphatheis (mitfühlend 3,8) vor. Von den acht Ausdrücken kommen vier nur im 1Petrusbrief vor; es gibt keine vorchristliche Belegstelle. Dahinter steckt nach Elliot eine besondere Strategie. Der Druck von außen fördert die ungeheuchelte Bruderliebe. Das Thema Liebe taucht immer wieder auf als brüderlich- schwesterliche Gemeinde.

Jeder in der Gemeinde trägt die volle Verantwortung für das Ganze. Der Ausdruck allgemeines Priestertum formuliert die Reflexion dieser Verantwortung für die Gemeinde in klassischer Weise. So wie die Glieder des Leibes organisch zusammenwirken so solle das geistliche Haus (oikos pneumatikos) eine harmonische Einheit bilden. Es erinnert deutlich an das paulinische Bild von der Gemeinde als Leib. Doch der 1Petrusbrief kennt nur zwei Gaben (4,11) reden (lallein) und dienen (diakonein) und faßt damit wohl alle anderen paulinischen Gnadengaben ( Charismen) zusammen. Doch trotz aller bruderschaftlichen Grundstruktur kennt auch der 1Petrusbrief das Amt des "Ältesten", ist jedoch von einer hierarchischen Gemeindestrukutur weit entfernt. Die Wichtigkeit des kommunikativen Netzwerks der Amtsführung unterstreicht die Paränese 5, 1-4. Wenn auch nicht sicher ist, ob die "Ältesten" amtliche Personen in unserem heutigen Verständnis waren, oder nur "weise" Gemeindeglieder bezeichnet, so ist doch unübersehbar, dass sie eine Gruppe sind, die in der Gemeinde eine besondere Verantwortungen tragen, bei denen Amt und Lebensstil übeinstimmten. Als Verfasser des 1Petrusbriefs werden Petrus, Silvanus und "mein Sohn (Johannes) Markus" genannt. Nach altkirchlicher Tradition wurde der Brief zur Zeit des Kaisers Nero (64 oder 67 n.Chr.) von Rom aus geschrieben. Der Brief richtet sich "an die Auserwählten, die als Fremde in Pontus, Galatien, Kappadozien, in der Provinz Asien und Bithynien in der Zerstreuung leben". Fremdsein und Verfolgung bestimmen das Leben der Christen. Die Empfänger werden ermahnt, dem Glauben treu zu bleiben und den Glauben zu bezeugen, zu dem sie als Getaufte berufen sind.

Diaspora in der Bibel
Der Ausdruck kommt von diaspeiró und bedeutet " Zerstreuung". Das Wort wurde in der Septuaginta, der griechischen Übersetzung des Alten Testaments geprägt und findet sich außer bei Plutarch nur in jüdischer und christlicher Literatur. Es ist die Gemeinschaft der in die Fremde verschlagenen. Die erste jüdische Großdiaspora entstand in Babylon. Dorthin hatte Nebukadnezzar einen Teil der besiegten Juden deportiert. Das Leben in der Diaspora wurde zunächst als Strafgericht interpretiert, später aber entwickelte sich daraus ein positives Verhältnis zu der neuen Situation. Durch Deuterojesaja wird es dann zum Anlaß der fast weltweiten Missionstätigkeit des Spätjudentums. Im Neuen Testament erhält das Wort dann besonders im 1Petrusbrief eine spezifische, theologische Bedeutung des "Ausgestreutseins" der Christen über weite Welt und bezeichnet die Existenz der christlichen Gemeinde in der globalen Gesellschaft. Die eigentliche Heimat der Jünger Christi ist nicht ihr Wohnsitz, sondern nach Philipper 3,20 der Himmel, das obere Jerusalem (Galater 4, 26). Christen sind Fremde auf dieser Erde. Sie sind eine "Aussaat" Gottes, der Frucht am der großen Sammlung (Matthäus 24, 31) sichtbar werden wird.

Prof. Dr. Karl W. Rennstich
kwrennstich@gmx.de


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