Göttinger Predigten im Internet
hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch

15. Sonntag nach Trinitatis, 8. September 2002
Predigt über 1. Mose 2, 4b-15, verfaßt von Friedrich-Otto Scharbau
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Liebe Gemeinde,

das ist die Geschichte vom Paradies. So jedenfalls wird sie allgemein genannt. Der Begriff selbst kommt in ihr nicht vor. Die Landschaft heißt Eden, was soviel heißt wie "Wonne". Schon, dass überhaupt von einem Garten die Rede ist, bedeutet viel in einer Weltregion, wo man sonst nur die Steppe kennt oder die Wüste! Und dann dieser Name: Das Paradies ist fruchtbares Land, nach dieser Erzählung. Ein Strom geht von ihm aus und bewässert es. Später teilt er sich in vier Arme, von denen wir zwei kennen: Euphrat und Tigris.

Das Paradies, so wie die Alten sich das vorstellten, hatte seinen geographischen Ort in dieser Welt, war nicht eine Traumlandschaft, sondern ganz real, am Anfang, als alles noch so war, wie Gott es gemacht hatte, aus dem Nichts, aus dem Chaos heraus geschaffen.

Das Paradies - wer von uns hätte nicht schon irgendwann einmal vom Paradies geträumt und es herbeigewünscht: den Himmel auf Erden, das Schlaraffenland, die drei freien Wünsche, von denen man nicht reden darf und die mancher ganz fest verschlossen in seinem Herzen mit sich herumträgt: ein geheimnisvolles Paradies, unangetastet und gehütet. Und mancher zieht sich innerlich zurück dahin, wenn's ihm zu eng wird in der Welt, ein Fluchtort für die geängstete Seele, das gekränkte Herz.

Ein Mythos ist diese Geschichte. Aus den Tiefen der Anfänge wird erzählt. Nicht weil das geschichtliche Wissen dahin zurückreicht oder wir gar Daten und Fakten kennten. Sondern weil es wichtig ist, einen Anfang zu haben, von einem Anfang zu wissen, den Ursprung zu kennen - darum wird dieser Mythos vom Paradies erzählt, das es ja tatsächlich nicht gibt. Und weil es wichtig ist wissen, dass der Anfang gut war. Der Mythos siedelt den Anfang der Menschheitsgeschichte an in der Weisheit Gottes. Mag der Mensch auch biologisch ein Wirbeltier sein wie Affe und Esel oder auch eine genealogische Affinität haben zu Vögeln und Fischen, und mag auch jeder sein spezifisches Charaktertier haben, dem er ähnlich ist - vom Kamel bis zur Schlange - so lässt der Mythos den Menschen - wie übrigens die ganze Schöpfung - aus der Weisheit Gottes hervorgehen. Kein Zufall der Evolution und kein Irrtum der Geschichte, sondern von Gott ins Leben gebracht: die Gattung Mensch und jeder einzelne. Mythen sind Erzählungen, in denen die Wirklichkeit dieser Welt durchschaubar wird und den Blick freigibt auf das Tun Gottes. Darum sind sie so wichtig. Sie vermitteln uns eine Anschauung von Gott und seinem Handeln. Sie sind Umschreibungen des Unbeschreiblichen. Sie erzählen die Wahrheit. Das ist ihr tiefer Sinn. Es hat Zeiten gegeben, in denen man sie nicht ernst nahm. Das war ein Irrtum. Wir wissen wieder, dass wir solche alten Geschichten brauchen, wenn wir nach der Wahrheit suchen. Sie können sie uns vermitteln.

Die Geschichte vom Paradies versetzt Anfang und Ursprung des Menschen wie der gesamten Schöpfung in die Weisheit Gottes. Der Glaube weiß das und beherzigt das und findet darin Hoffnung und Zuversicht und eine Lebensperspektive, auch ohne das schöne Märchen vom Schlaraffenland und ohne auch sich den Himmel auf Erden zu wünschen. Was uns umgibt, worin wir leben und atmen, woher wir kommen und warum wir überhaupt sind, das ist die Weisheit Gottes: Er hat es so gewollt, er hat es so gemacht, er umgibt es mit seiner Sorge und er bewahrt es in seinem Frieden: dein Leben und mein Leben, so wie er es am Anfang getan hat.

Darum wird diese Geschichte vom Paradies überhaupt erzählt: Sie ist eine Trostgeschichte. Weil du Geschöpf Gottes bist und nicht ein Produkt des Zufalls -weil du Geschöpf Gottes bist, hängst du nicht irgendwo zwischen Himmel und Erde und bist nicht irgendwo entstanden im unendlichen Raum der Welten, heimatlos, auftauchend wie ein Komet und wieder verlöschend. Nein, Ursprung und Heimat ist das Paradies als Ort der Fülle, des Friedens und der Bewahrung. Das ist die gute Erinnerung, die diese Geschichte in uns wachruft.

Es ist diese Geschichte vom Paradies übrigens ein eigener, in sich geschlossener Schöpfungsbericht, der unvermittelt neben dem steht, mit dem die Bibel anfängt, wo Stück um Stück die Erde und die Welt geschaffen werden und als Krone der Mensch.. Hier, in diesem sehr viel älteren Schöpfungsbericht mit der Erzählung vom Paradies, steht am Anfang der Schöpfung der Mensch, und das andere wird um ihn herum gebaut. Der Mensch ist das erste Geschöpf. Er bekommt den Atem Gottes und davon lebt er. Das andere alles ist nur von Gott gemacht. Der Mensch wird mit Leben erfüllt durch den Atem Gottes. Das ist noch etwas anderes als das, was unsere Lungen füllt. Sondern da gibt Gott etwas von sich selbst hinein in den Menschen, er kriegt eine Seele: Damit die Weisheit Gottes, sein Wille zur Selbstmitteilung, seine Liebe, seine Gnade begriffen werden und eine Antwort finden. Und damit wir glauben können, damit wir eine Gotteserinnerung haben, damit wir Gott loben und ihm danken und zu ihm beten können.

Vor einigen Tagen sagte jemand im belgischen Radio angesichts dieser schrecklichen Entführungs- und Missbrauchs- und Mordgeschichten, er fände es schlimm, dass in unserer aufgeklärten Zeit die Menschen nun in die Kirchen gingen und beteten; das hieße, dass sie total hoffnungslos seien. - Was für ein Irrtum! Wohl haben sie das Vertrauen verloren zu Politikern, zu Polizisten, zur Justiz, zum Staat und so gesehen haben sie tatsächlich keine Hoffnung mehr. Aber ist die Tatsache, dass sie beten, nicht gerade Ausdruck einer Hoffnung, die realistischer ist deshalb, weil sie sich an Gott als dem Ursprung des Lebens festmacht? Und was von Gott kommt, das kann letztlich nicht verloren gehen. Wir tragen den Atem Gottes in uns. Nicht dass wir damit ein bisschen göttlich wären. Aber zu unserem Menschsein gehört es dazu und wir setzen das ein in Glaube, Hoffnung , Liebe und im Gebet. Der Atem der Seele.

Am Anfang der Mensch- und das andere wird um ihn herumgebaut. Eigentlich kann man so ja heute gar nicht mehr reden, wo doch der Mensch weniger als Anfang und Mitte der Schöpfung angesehen wird als vielmehr als der Störfaktor und als die Bedrohung schlechthin.

Unsere Welt ist eben nicht das Paradies! Und in der Tat geht viel kaputt, weil Menschen sie nicht achten als Gottes Schöpfung, sondern sie benutzen als Stoff zur Verwirklichung ihrer eigenen Schöpfungsgedanken und Wünsche und Vorstellungen. Die eigentliche Aufgabe des Menschen an der Welt ist, sie zu bebauen und zu bewahren. So jedenfalls galt es für das Paradies. Aber das meint ja die ganze bewohnte Erde in ihrer ursprünglichen Gestalt.

Was für ein Gebot! Die Erde als anvertrautes Gut, nicht als Eigentum. Das, was wir Kultur nennen, kommt in den Blick; die Kultur einer Landschaft, einer Region, einer Stadt, eines Volkes: bebauen und bewahren, nutzen, nicht unterwerfen, bewahren, nicht zerstören. Was für ein Gebot für den Menschen! Was für ein Schutz für die Schöpfung um uns herum! Und wir können heute sagen: Was für ein verheerender und gefährlicher Irrtum, wenn man meint, Gottes Gebot außer Acht lassen zu können!

Das Paradies ist nicht mehr. Aber jedenfalls die Erinnerung daran gehört zu unserem Glauben dazu. Und in der Tradition unseres Glaubens steht es am Anfang der Menschheitsgeschichte.

Das Paradies ist nicht mehr. Das erfahren wir täglich auf vielfältige Weise. Wohl gibt es hier und da in unserem Leben paradiesische Augenblicke: wenn ein Traum sich erfüllt hat, wenn Friede um uns ist, nicht Ängste und Ahnungen uns beengen, wenn Liebe uns ergriffen hat usw. Das sind dann paradiesische Augenblicke. Aber wir wissen: Es ist nicht das Paradies. Dahin führt kein Weg zurück.

Unsere Perspektive ist bestimmt von der Vision eines neuen Himmels und einer neuen Erde, dem neuen Jerusalem am Ende der Bibel in der Offenbarung des Johannes. Da wird dann auch das, was jetzt auf uns liegt und uns belastet, zu ende sein. Und wie die Paradieserzählung unseren Ursprung beschreibt, so die Beschreibung des neuen Jerusalem unsere Vollendung: die Hütte Gottes bei den Menschen, und er wird bei ihnen wohnen und sie werden sein Volk sein und er selbst, Gott mit ihnen, wird ihr Gott sein.

Die Bibel enthält beides, die Ursprungsgeschichte und die Vollendungsvision, was einmal war und was einmal sein wird. Christus hält beides zusammen. Das Paradies bleibt verschlossen. Aber der Himmel ist offen - um seinetwillen, für uns.

Amen

Friedrich-Otto Scharbau
E-Mail: F.O.Scharbau@t-online.de


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