Göttinger Predigten im Internet
hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch

16. Sonntag nach Trinitatis, 15. September 2002
Predigt über Hebräer 10, 35-39, verfaßt von Jorg Christian Salzmann
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I

Liebe Gemeinde!
So mancher Sparstrumpf wurde bei den Börsengängen der Telekom aufgelöst, und viele haben mit großen Hoffnungen ihr Geld in Aktien angelegt. Heute wissen alle: die Aktienkurse sind gefallen, die Betroffenen haben den Schaden, und die andern spotten dazu. Wer sich beizeiten getrennt hat von Wertpapieren, die ihren Wert verlieren, ist froh. Bei den anderen glimmt noch ein Funken Hoffnung: wenn wir lange genug warten, dann geht es wieder aufwärts, und am Ende hat sich das Geschäft doch noch gelohnt. Wenn man nur einen Experten hätte, der wirklich Bescheid weiß und den richtigen Rat geben kann!

Der Verlust von einigen Aktien wird für die meisten noch zu verschmerzen sein. Richtig schlimm ist es eigentlich erst, wenn das Projekt eines ganzen Lebens scheitert und alle Hoffnungen, die ein Mensch sich gemacht hat, sich in Luft auflösen. Da hat jemand sich nach vielem Zögern selbständig gemacht, und der Laden kommt doch nicht in Gang, es droht der Konkurs. Oder eine Ehe geht kaputt und endet in einem Scherbenhaufen. Worauf kann man dann noch hoffen, wie kann das Leben weitergehen?

Wir Christen antworten auf solche Fragen mit gutem Grund: setz deine Hoffnung auf Gott und vertraue auf Jesus Christus: da ist Leben und Geborgenheit - auch ohne daß sonst alles abgesichert sein muß. Wer Gott vertraut, hat wohl gebaut, egal wie die Aktien stehen und egal wie es läuft im Leben.

Was aber, wenn auch dieser tiefste Grund des Lebens ins Wanken kommt, wenn die Angst uns beschleicht, daß wir vergebens hoffen und trauen, daß es am Ende nichts ist mit diesem Jesus?

II

Genau in dieser Lage befanden sich die Leute, für die der Hebräerbrief geschrieben wurde. Schon einige waren ins Wanken gekommen und hatten sich enttäuscht vom Christentum wieder abgewandt. Statt des ersehnten Friedens hatten sie Verfolgung erleben müssen, statt eines Lebens in Zufriedenheit und Ruhe nur Angst und Bedrückung. Das konnte doch nicht der richtige Gott sein - sie hatten offenbar aufs falsche Pferd gesetzt!

Der Hebräerbrief beschreibt dagegen, wie Jesus den Christen den unmittelbaren Zugang zu Gott selbst verschafft hat. Sie mögen in ärmlichen Hütten wohnen, aber sie haben doch die Eintrittsberechtigung zum himmlischen Palast Gottes. Sie mögen sich wie Leute einer zweit- und drittklassigen Religion vorkommen, aber sie sind doch mehr als das ganze bisherige Gottesvolk Israel. Während sie dort, wenn überhaupt, nur in den Außenbezirken des Tempels verweilen durften, können sie durch Jesus Christus bis ins Allerheiligste vordringen: unmittelbarer Zugang zu Gott, was kann es besseres geben?

Die Schwierigkeit war schon damals, daß solche Gottesunmittelbarkeit sich nicht einfach ummünzen läßt in Erfolg, Frieden, Reichtum, Gesundheit. Und so ruft der Briefschreiber die Gemeinde auf: werft euer neu gewonnenes Gottesverhältnis nicht einfach weg! Habt noch Geduld, denn euer Glaube wird am Ende den großen Lohn ernten.

In der Sprache und mit einem Bild unserer Zeit könnte man also sagen: stoßt eure Glaubensaktien nicht ab. Auch wenn jetzt nur Verluste sichtbar sind und die Dividende in Frage steht: am Ende macht ihr das große Geschäft!

III

Kann man aber diesem Analysten, dem Börsen-Experten, der solchen Rat gibt, trauen? Er baut nicht auf seine eigene Expertise, sondern führt einen größeren Kenner an. Unser Briefschreiber nämlich zitiert zum Beleg seiner aufmunternden Worte die Bibel. "Nur noch eine kleine Weile, so wird kommen, der da kommen soll, und wird nicht lange ausbleiben" - das ist ebenso aus den alttestamentlichen Prophetenbüchern entnommen wie das nachfolgende Wort: "Mein Gerechter aber wird aus Glauben leben. Wenn er aber zurückweicht, hat meine Seele kein Gefallen an ihm." Haltet fest am Glauben und weicht nicht zurück! Das ist keine neue Botschaft, sondern das galt schon vormals im Alten Bund - denn schon immer waren die Menschen in Gottes Volk angefochten und neigten dazu, ihren Glauben zu verlassen. Genauso das andere: habt Geduld, wartet nur noch eine kleine Weile, Gott hat euch nicht vergessen und wird sein Versprechen wahr machen und kommen mit seinem Heil. Auch das mußte schon früher den Menschen in Gottes Volk gesagt werden.

So bald ist er aber nun doch nicht gekommen, der da kommen soll. Das erinnert mich an Eltern zu Beginn einer langen Autofahrt. Auf die ungeduldige Frage der Kinder: "Wann sind wir endlich da?" muß die Antwort kommen: "Bald, keine Sorge, es dauert nicht mehr lange." - obwohl es noch Stunden sind bis zum Ziel. Ob das Ziel der Christen, ob die Wiederkunft des Herrn jemals kommt? Die Eltern auf der Autofahrt wissen: wir kommen an, auch wenn es den Kindern endlos vorkommt bis dahin. Vielleicht ist das bei uns auch so - Gott hat wohl ein anderes Verhältnis zur Zeit als wir.

IV

Was aber erhoffen wir uns eigentlich, um noch einmal im Bild zu sprechen, von unsern Glaubensaktien? Von der großen Belohnung am Ende haben wir womöglich gar keine so konkrete Vorstellung. Wir nutzen Worte und Bilder wie Himmel und Heil, Versöhnung und Frieden, Paradies und Freude, um etwas davon zu erfassen.

Die Dividende aber können wir jetzt schon beschreiben und begreifen. Mit den Worten des Hebräerbriefs: freier Zutritt zu Gott! Das bedeutet Hoffnung, wo es nach Menschenermessen nichts mehr zu hoffen gibt. Das bedeutet Geborgenheit auch in schwerer Zeit. Das bedeutet Vergebung für das, was uns belastet. Das bedeutet die Möglichkeit zum Gebet, zur Zwiesprache mit Gott. Wer wollte solches Zutrauen zu Gott einfach fortwerfen?

Können wir nun Menschen, die eben dabei sind, ihren Glauben zu verlieren, mit der Botschaft des Hebräerbriefes trösten und davon abhalten, den großen Schatz, den sie haben, ihre Gottesbeziehung einfach wegzuwerfen? Das geht wohl kaum durch belehrende Worte. Schon eher können wir von unserm eigenen Glauben erzählen, wie er uns getragen hat auch in Enttäuschungen und Krisen. Bestimmt aber können wir unsern freien Zugang zu Gott nutzen und ihn um starken Glauben bitten - für die Mitchristen, denen wir begegnen, und für uns selbst.

V

Laßt uns zum Schluß noch ein wenig mit dem Bild von den Glaubensaktien spielen. Die Geschäftsergebnisse der Kirchen, ihre Mitgliederstatistiken geben nicht gerade zu Optimismus Anlaß. Viele Leute fragen, was denn so eine Aktie wert sein kann, wenn man sie einfach von Jesus geschenkt bekommt. Mancher oder manche hat ein Aktienpaket zu Hause liegen und weiß gar nicht, was er oder sie da hat. Der schwarze Freitag, als Jesus gekreuzigt wurde, führte zum Sturz dieser Aktie in den Keller - und machte sie doch gerade zum Geheimtip. Wie immer wir uns die Sache ausmalen, eins kann uns auf jeden Fall aus dem Hebräerbrief im Gedächtnis bleiben: Weshalb sollte man so etwas Wertvolles wegwerfen?

Prof. Dr. Jorg Christian Salzmann
Lutherische Theologische Hochschule Oberursel
salzmann.j@lthh-oberursel.de


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