Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: R. Schmidt-Rost

21. Sonntag nach Trinitatis, 20. Oktober 2002
Predigt über 1. Korinther 12, 12-14.26-27, verfaßt von Peter Kusenberg
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12 Denn wie der Leib einer ist und doch viele Glieder hat, alle Glieder des Leibes aber, obwohl sie viele sind, doch ein Leib sind: so auch Christus.
13 Denn wir sind durch einen Geist alle zu einem Leib getauft, wir seien Juden oder Griechen, Sklaven oder Freie, und sind alle mit einem Geist getränkt.
14 Denn auch der Leib ist nicht ein Glied, sondern viele.
26 Und wenn ein Glied leidet, so leiden alle Glieder mit, und wenn ein Glied geehrt wird, so freuen sich alle Glieder mit.
27 Ihr aber seid der Leib Christi und jeder von euch ein Glied.

Liebe Gemeinde,

wieder sind Fernsehen und Zeitungen voll von Bildern des Terrors: von Bomben zerfetzte menschliche Körper, Massenmord an unschuldigen Opfern. Geschehen an Orten, wo sie keine Gefahr erwarteten: in Helsinki ebenso wenig wie auf Bali. Heimtückisch und gezielt schlugen die Täter zu, töteten wahllos Menschen, die sie nicht einmal kannten.

Wieder sind wir tief erschrocken über das Maß an Brutalität, ahnen wir den Schmerz und die ohnmächtige Trauer der Angehörigen von Opfern, wieder mühen wir uns, zu begreifen, was unbegreifbar ist. Andere Orte, andere Bilder fallen uns ein: Erfurt, Djerba, und vor allem… Ja, erst im vergangenen Monat, an dem furchtbaren Jahrestag des 11. September, waren weltweit noch einmal in allen Medien die Szenen zu sehen - und das unauslöschliche Entsetzen war wieder ganz nah.

Wird jetzt wieder, nach den Bomben auf Bali, das Schlagwort des amerikanischen Präsidenten vom "Krieg gegen den Terror" neu die Runde machen? Ich habe ein zwiespältiges Gefühl bei solchen Worten. Selbstverständlich gehören die Schuldigen - Täter wie Drahtzieher - gesucht, verurteilt und bestraft. Aber passt dafür die Vokabel "Krieg"?

Ich möchte statt über den Krieg über den Frieden sprechen. Das liegt mir schon deshalb näher, weil das Wort "Frieden" mehrmals in jedem unserer Gottesdienste vorkommt. Zu Beginn der Predigt, im sogenannten Kanzelgruß, sage ich "Gnade sei mit euch und Friede", wir hören an anderer Stelle den Wunsch, der Friede Gottes möge unsere Herzen und Sinne bewahren, und zum Beschluss des Gottesdienstes erklingen die Segensworte "Gehet hin in Frieden".

Aber seltsam: manchmal beschleicht mich dabei das Gefühl, das Wort "Frieden" bleibt dennoch ein leeres Wort. Wir haben uns daran gewöhnt, dass es im Gottesdienst vorkommt, aber wir hören daran vorbei.

So singen wir zum Beispiel in der Liturgie zum Eingang die Liedzeile "Nun ist groß' Fried' ohn' Unterlass, all Fehd' hat nun ein Ende" - und noch nie habe ich Widerspruch dagegen gehört. Wir haben aber doch keinen Frieden in der Welt, weder im Großen noch im Kleinen. Hass, Streit, Kampf und Krieg haben noch lange kein Ende. Ist "groß' Fried' ohn' Unterlass" also nur ein frommer Wunsch? Eine rituelle Formel, die eben dazugehört, wie die Kerzen auf dem Altar?

Und - wenn es doch mehr ist als ein frommer Wunsch - welchen Frieden meinen wir dann eigentlich? Ist es der "liebe Friede", um dessen willen ich beim Streiten manchmal nachgebe? Oder sollen andere mich "in Frieden lassen", damit ich meine Ruhe habe? Ist es der "Friede auf Erden" oder nur "ein bisschen Frieden"?

Liebe Gemeinde,
Frieden ist mehr als nur die Abwesenheit von Krieg - das ist ein oft zitierter und grundrichtiger Satz. Und ein anderer Satz ist ebenso richtig: Krieg beginnt immer in den Köpfen der Menschen. Das gilt ebenso, wenn ich vom Frieden spreche: Frieden muss in den Köpfen der Menschen beginnen.

Jesus hat das sehr drastisch ausgedrückt, als er das Gebot "Du sollst nicht töten" folgendermaßen auslegte: "Ich aber sage euch: schon jeder, der seinem Bruder zürnt, sei dem Gericht verfallen. Und wer zu seinem Bruder sagt: du Schuft, der soll dem Hohen Rat verfallen. Und wer sagt: du Idiot, sei zur Feuerhölle verdammt."

Starke Worte. Jesus treibt den Gedanken auf die Spitze, weil er zeigen will, wie jede Gewalttat bis hin zu Mord eine Vorstufe hat: den bösen Gedanken, das verletzende Wort.
Deshalb muss Frieden in den Köpfen der Menschen beginnen, dort, wo sich der Keim von Unfrieden, Hass und Terror einnisten will.

Wenn wir uns diesen Satz laut und langsam hersagen, dass Frieden in den Köpfen der Menschen beginnen muss, dann ist mit einem Mal auch die klassische Ausrede wertlos: "Was kann ich als Einzelner schon tun? Ich allein bin doch zu schwach, um Frieden zu schaffen!"

Eben nicht! Gerade auf jeden Einzelnen kommt es an. Man wird die Menschen nie als Masse ändern können, weder mit Religionen noch mit Ideologien oder Staatsformen. Der einzelne Mensch ist viel wichtiger. In seinem Kopf entscheidet sich die Frage nach dem Frieden im Großen wie im Kleinen.

Auf jeden Einzelnen kommt es an. Das steht so auch, nur mit anderen Worten, im Predigttext für heute: "Ihr aber seid der Leib Christ, und jeder von euch ist ein Glied."
Angesprochen ist die Gemeinde in Korinth. Gespalten und zerstritten sind die Christen dort, weil manche glauben, mehr vom Geist Gottes zu haben als die anderen. Und deshalb nimmt Paulus für seine Mahnungen ein Bild zu Hilfe - den menschlichen Körper:
So wie ein Körper nur dann gesund lebt, wenn alle Organe mit ihren unterschiedlichen Funktionen dazu beitragen, so soll es auch in einer gesunden Gemeinde zugehen. Jedes Mitglied darin hat seine eigenen Aufgaben und Fähigkeiten und ist darum wertvoll und unverzichtbar für das Ganze.

Übertragen wir das Bild auf unsere heutige Gemeinde. Wer annimmt, Kirche und Gemeinde äußere sich allein im Gottesdienst, der sieht vom ganzen Körper nur Mund und Ohr: Den Mund derer, die predigen, beten und singen, und das Ohr der Zuhörer. Unsere Gemeinde hat aber auch Hände und Füße, Adern, Nerven, Muskeln und viele weitere Organe.

Wer im Kirchenvorstand mitwirkt, wer Gruppen und Kreise leitet, Kindergottesdienst hält oder alte Menschen besucht, ist auch Teil des Körpers. Wer Orgel spielt, die Kirche herrichtet, wer als Konfirmand Erntegaben sammelt oder den Gemeindebrief austrägt, ist auch Teil des Körpers. Wer politische Verantwortung übernimmt, in der Schule Kinder unterrichtet oder sich in Feuerwehr und Sportverein engagiert, ist Teil des Körpers.

Zu diesem Körper gehören wir alle als Eltern, Nachbarn, Kollegen, Schulkameraden: überall dort, wo wir wichtig und hilfreich sind für andere - im Nachdenken und im Reden, im Zuhören wie im Zupacken: "Ihr aber seid der Leib Christ, und jeder von euch ist ein Glied."

"Die Kirche" - das ist kein abstraktes, theoretisches Gebilde. Das ist, wie der Apostel Paulus sagt, der Leib Christi, und ich bin Bestandteil davon. Eines von vielen lebenswichtigen Organen.

Und das bedeutet: Wenn wir Frieden in die Welt tragen wollen, so beginnen wir damit am erfolgversprechendsten bei uns selbst und den Menschen in unserer Nähe. Denn da sind wir die Experten. Eine Anleitung, wie das geht, schildert das bekannte Gebet, das auf Franz von Assisi, den Gründer des Franziskanerordens, zurückgeht:

Herr, mach uns zu Boten deines Friedens,
dass wir Liebe üben, wo man sich hasst,
dass wir verzeihen, wo man sich beleidigt,
dass wir verbinden, wo Streit ist,
dass wir die Wahrheit sagen, wo Irrtum herrscht,
dass wir Hoffnung wecken, wo Verzweiflung quält,
dass wir Freude bringen, wo Kummer wohnt.
Herr, lass uns trachten,
nicht, dass wir getröstet werden,
sondern dass wir trösten,
nicht, dass wir verstanden werden,
sondern dass wir verstehen,
nicht, dass wir geliebt werden,
sondern dass wir lieben.
Denn wer hingibt, der empfängt,
wer sich selbst vergisst, der findet,
wer verzeiht, dem wird verziehen,
und wer stirbt, der erwacht zum ewigen Leben.
Amen.

Peter Kusenberg
Pastor und freier Journalist
Adelebsen-Erbsen
E-mail: peter.kusenberg@kirche-erbsen.de


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