Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: R. Schmidt-Rost

Drittletzter Sonntag des Kirchenjahres, 10. November 2002
Predigt über 1. Thessalonicher 5, 1-6, verfaßt von Christian Tegtmeier
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"Als Martin Luther einmal gefragt wurde, was er unternähme, wenn er mit Gewißheit wüßte, daß morgen die Welt unterginge, habe er geantwortet: heute noch würde ich einen Apfelbaum pflanzen."

Wäre das nicht ein Wort für uns, liebe Gemeinde? Wäre das nicht eine Perspektive für Menschen, die nach den Zeichen der Zeit schauen und ahnen, dass vieles am Zerbrechen, Vergehen, Verkommen, Untergehen ist. Und die dennoch nicht den Mut verlieren wollen? Und in der Tat ist dies Martin Luther zugeschriebene Wort für viele ein Wort der Hoffnung, der Sicherheit, der Zuversicht, so als wenn man doch noch etwas tun kann, wenn alles andere mir aus den Händen gleitet. Ich habe es jetzt wiederholt von Eltern gehört, die es als Taufspruch für ihre Kinder gewählt haben. Warum?

Gäbe es nicht auch noch andere Worte, und solche aus der Bibel? Oder ist dies Buch zu alt dafür? Warum also dieses Wort, das uns so vertraut vorkommt: "Wenn morgen die Welt unterginge, dann würde ich heute noch ein Apfelbäumchen pflanzen."

Sie nennen zwei Gründe, warum ihnen dies Wort wichtig ist. Zum einen sind sie besorgt um das, was kommt: den Fortbestand und Fortgang der Welt. Sie befürchten eine nationale oder globale Katastrophe, die sie nicht verschont. Der Terror ruht nicht, er arbeitet, auch gegen und in unserem Land. Sie fürchten um ihre und ihrer Kinder Zukunft und wissen, dass sie nur sehr begrenzt dem Einhalt gebieten können, was uns zerstört: der blinden, maßlosen Gewalt, der bedrohten Natur und Kultur, der vergifteten Luft und den ungenießbaren Gewässern, einer unsicheren, selbstgefälligen, mitunter auch skrupellosen Politik. Aber auch der Kälte zwischen den Menschen, ihrer Hast und ihrer Hektik, dem Kampf ums Überleben in einer Gesellschaft, die unbezahlbar und zahlungsunfähig geworden ist, die lügt, betrügt und enttäuscht. Grund genug, ein Ende der Welt, meiner jetzigen Lebensumstände zu ahnen, um Leib und Seele, um Gesundheit und Frieden zu bangen.

Und der liebe Gott?
Noch bleibt er außen vor, wird durch den Hinweis gebeten, dass der Spruch vom Apfelbäumchen von Luther stamme. Wichtiger ist, dass ich durch eigene Anstrengung , durch ein gutes Zeichen meine Angst und meine Furcht abarbeite. Das wäre das Zweite. Gewiß, eine gute Tat, jetzt noch ein Apfelbäumchen zu pflanzen, eine Tat, die mich beruhigt und ein Angeld ist für die Zukunft meiner Kinder, sagen die Eltern. Gleichsam mein Kredit für eine gesicherte Zukunft, eine Gabe des Lebens im Umfeld des Ablebens. Ein Zeichen, dass ich nicht nur für das Negative in dieser Welt mich zu verantworten habe.

Und der liebe Gott?
Damit wäre ich bei der Botschaft unseres Tages, wie sie uns vorhin vorgelesen wurde aus dem Brief des Paulus. Wie gehe ich mit ihr um, wenn ich das Ende der Welt vor Augen habe?

Die Angst um die Zukunft, oder wie Paulus sagt, die Sorge um das Ende der Tage und jenen der Rechenschaft hat andere Generationen vor uns ebenso beschäftigt. Sie mahnten zur Sorgfalt, auch zur Sorglosigkeit, indem die Weisen riefen: es ist kein Anlaß zur Angst, es herrscht Friede und Sicherheit. Andere hingegen dünkten sich weise und klug, den letzten Tag der Welt berechnen zu können. Auf solcher Art Geschäftigkeit und auf die Horoskope, auf die Unruhe der Zukunftsromane und die Futuristen gibt Paulus eine tröstliche Nachricht. Indem er seine Gemeinde und in der Nachfolge auch uns wissen lässt: "Regt euch nicht auf, sondern behaltet einen kühlen Kopf! Die Endzeit können und brauchen wir nicht zu errechnen. Denn der letzte Tag kommt wie ein Dieb in der nacht! Wie die Wehen kurz vor der Geburt. Als Mensch kennst du Gottes Wege und Absichten noch nicht, selbst den Hirten auf dem Felde musste erst gesagt werden, dass der Stern von Bethlehem ein Bote sei für Gottes Kommen. Zerbrecht euch nicht den Kopf, überlegt nicht und deutet eure Welt nicht falsch, so dass ihr Ruhe und Zufriedenheit untereinander verliert. Wenn das Ende kommt, dann kommt es plötzlich, ihr seid ihm ausgeliefert und preisgegeben. Gewiß ist nur, dass das Ende kommt. Auch eure Rede davon "wenn ich wüsste, dass morgen die Welt unterginge..." trägt nichts dazu bei, dass ihr parat, vorbereitet seid, um parieren zu können. Es reicht, wenn ihr darum unbesorgt seid, wartet und Gott handeln lasst."

Können wir das, leibe Gemeinde? Und: dürfen wir das, so unbesorgt, ohne die Zeit und ihre Zeichen zu deuten leben und schaffen, glauben und hoffen, auch morgen und übermorgen? - Ja, sagen Paulus und Luther. Beide leben mit dem unmittelbaren Kommen ihres Herrn, ohne die Fassung zu verlieren, mit anderen Worten: mit einem kühlen Kopf und einem getrösteten Herzen. Sie tun es, weil sie nicht alleine sind. Weil sie spüren, dass Gott ihnen nahe und verbunden ist. Und er schon lange in diese Welt kommen möchte, zu den Menschen, die etwas erwarten, was über den Tag und das Ende der Tage hinaus bleibt; die beschenkt werden wie die Hirten und Könige, wie die Jünger. Beschenkt nicht auf Grund eigener Kraft und mittels ihres Verstandes, sondern alleine aus seiner Güte und Gnade.

Mit einem Bild sagt das der Apostel:
"Ihr Brüder und Schwestern, seid doch keine Kinder der Finsternis und der Dunkelheit. Ihr seid doch Kinder des Lichtes."

Ob das die Leute gleich begriffen haben, Kinder des Lichtes zu sein? Nun gut, werden einige meinen, durch die Taufe sind wir zu Gotteskindern geworden, dürfen unsern Gott als Vater anrufen, dürfen bei ihm Zuflucht nehmen, gerade, wenn wir am Ende sind. Denn er hält in seinem Hause viele Wohnungen bereit für die, die zu ihm kommen, im Glauben und mit ihrer Hoffnung. Aber Kinder des Lichtes, erleuchtete Gestalten, Geschöpfe, die ein Strahlenkranz der Hoffnung und des Segens umgibt? Doch, meint Paulus. Seit eurer Taufe will sein Licht in und über und mit euch scheinen, seid ihr Boten seines Lichtes wie zugleich erleuchtete Gestalten seiner Schöpfung. Menschen ohne Angst. Ihr dürft erleben, was es heißt, "von guten Mächten wunderbar geborgen" zu sein.

Und für die Gemeinschaft unter euch wird dies Pfingsten oder bei der Taufe eines Kindes immer wieder spürbar zum Ereignis: von Gott begeistert, erleuchtet und getröstet zu werden. Und in Anbetracht des Endes vom Leben und der Welt? Auch da, Paulus? Auch da seid ihr von ihm gut angenommen und aufgehoben. Rechnet nicht, macht euch nicht unruhig und sucht nicht nach Trugschlüssen, die keine Zeichen sind: Horoskop, Pendeln usw. Glaubt und geht mit Gott!

Nun folgt noch ein Nachsatz, leibe Gemeinde, der in unsere Welt mit ihrer Geschäftigkeit, mit Aktionismus und publicity so gar nicht passt. Es heißt:
"Wir schlafen nicht, sondern sind wachsam und nüchtern."

Das möchte meinen: wir achten auf das, was Gott uns jetzt zeigen will, auf seine Zeichen, seine Hinweise, auf seine frohe Botschaft. Mag sein, dass einige dabei noch Zeit haben, ein Apfelbäumchen zu pflanzen. Doch wichtig bleibt diese innere und äußere Aufmerksamkeit. Wer dann noch fragt, wie das gehe, dem hätte Paulus gesagt: nicht in Habacht-Stellung, sondern gelassen, im Herzen befriedet und ruhig. Auch darin Kind des Lichtes, der Hoffnung, aus dem Glauben heraus.

Das ist für mich eine tröstliche Nachricht - warum? Weil ich nichts falsch machen kann und nichts verpasse, was zu meinem Glück und Heil und zu meiner Rettung notwendig wäre. So wie ich es Gott überlasse, wann und wie er kommt, so überlasse ich es ihm auch, mir zu sagen oder zu geben, was mich im Herzen und in der Seele beruhigt, rettet oder bewahrt. Bildlich gesprochen befinde ich mich dann auf einer Brücke, am Ufer stehe ich heute. Gehen kann und darf ich, die Brücke wird halten und tragen, ob nun am Ende eines Menschenlebens, der eigenen wie dessen, den ich geliebt habe und nun vermisse. Wie am Ende der Welt: Gott hält mich und lässt mich im Strudel der Ereignisse nicht untergehen. Weil er es will; meine Taufe ist für mich das Angeld, mein Glaube die Zuversicht. Fehlte nur noch mein Vertrauen, es heute zu wagen. Gott gibt mir in seinem Licht die Kraft, dass es erfolgreich sein wird!
Amen

Literaturhinweis: Martin Schloemann, Luthers Apfelbäumchen?, Göttingen 1994

Christian Tegtmeier
Alte Dorfstr. 4
38723 Kirchberg
Tel.: 05381-8602


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