Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: R. Schmidt-Rost

Ewigkeitssonntag, 24. November 2002
2. Petrus 3, 8-13, verfaßt von Anke Fasse
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Liebe Gemeinde,

grau verhangene nasse Novembertage - kahl gewordene Bäume, trist und trostlos blickt uns an vielen Tagen unsere Umwelt entgegen - in diese Zeit fällt der sogenannte Totensonntag - oder auch Ewigkeitssonntag. Eine Stimmung, eine Zeit, die mehr als sonst Gedanken an Ende und Vergänglichkeit in uns aufkommen lässt. Der Herbststurm rüttelt nicht nur an unseren Häusern. Auch innerlich wird an uns gerüttelt, Fragen, Schmerz und Trauer, ja Erinnerungen mögen in uns aufkommen. Erinnerungen an Menschen, die unser Leben, die Ihr Leben geteilt haben, und die nun nicht mehr da sind. 27 Namen werden wir nachher noch einmal hören, hinter denen 27 ganz verschiedene Menschenleben stehen, die alle eine Lücke hinterlassen haben. Beim Rückblick auf das nun zu Ende gehende Kirchenjahr gehören diese Abschiede dazu. Für einige war es ein friedvoller Abschied in dem Bewusstsein, dass sich ihr Leben erfüllt hat. Für andere war es aber auch der jähe Abbruch eines gemeinsamen Lebens, der zunächst nur Leere und Schmerz hinterlässt. Und auch da, wo es ein lange vorhersehbares Sterben war, wo Pflege die Angehörigen viel Kraft gekostet hat und der Tod als Erlösung kam, auch da ist es unendlich schwer diese Endgültigkeit und die Lücke, die er hinterlässt auszuhalten. Es braucht Kraft und Zeit, sich dem veränderten Leben in Gegenwart und Zukunft neu zu stellen und sich darin zurechtzufinden.

Mitten wir im Leben sind mit dem Tod umfangen - so haben wir vor der Predigt gemeinsam gesungen. Mitten im Leben, vom Tod umgeben - das ist die oft bittere Erfahrung, mit der wir heute hier vor Gott kommen.

Liebe Gemeinde, wahrscheinlich kennen Sie aus eigener Erfahrung das hin- und hergerissen sein zwischen Sprachlosigkeit, Trauer, Angst und Schmerz angesichts des Verlustes eines lieben Menschen. Und andererseits, meldet sich hier und da auch eine (vielleicht) zaghafte Stimme der Hoffnung, die beständig darauf verweist, das mit dem Tod nicht alles aus ist. Die Natur zeigt uns jedes Jahr durch die verschiedenen Jahreszeiten, den Wandel und die Veränderung des Lebens, den Kreislauf, aber auch den Aufbruch des Lebens. Da muss es doch auch irgendetwas für uns Menschen geben... Vorhin hörten wir als Lesung aus der Offenbarung die Verheißung der neuen Welt: ein neuer Himmel, eine neue Erde, ewiges Leben bei Gott ohne Leid und Schmerz.

Unser Glaube ist getragen von der Hoffnung, dass Er, Gott, da ist, wo wir jetzt noch nicht sind, wo wir unsere Toten nicht mehr erreichen. Traugott Giesen drückt das in wenigen Zeilen, sehr schön aus:

Unsere Toten, die uns starben,
hatten eine Spanne Zeit
zum Lachen, Lieben, Leiden,
Nehmen, Geben, Schuldigwerden.
Wir gedenken ihrer.
Und wir hoffen:
ER hält die Bruchstücke "Leben" zusammen.
Wenn wir ausatmen,
atmet Gott uns ein.

Ja, liebe Gemeinde, die Frage nach Gott, die Hoffnung auf Gott, ist in Lebenssituationen, in denen wir mit dem Tod umgehen müssen doch immer wieder da, egal ob gläubig oder nicht. Ich denke, wir brauchen eine Hoffnung, eine Kraft, aus und mit der wir in solchen schweren Momenten leben können. Seit den Anfängen des Christentums gehört nun diese Hoffnung auf eine Welt ohne Leid und Tod, eine Hoffnung auf die Auferstehung aller Toten zum Glauben dazu.

Unser Predigtext heute spricht von dieser Hoffnung. Einer Hoffnung, die immer wieder verschiedensten Anfechtungen ausgesetzt ist.

- 2 Petr. 3, 8-13 -

Der Text des 2. Petrusbriefes ist aufgrund von verschiedenen Auseinandersetzungen mit sogenannten Spöttern oder Zweiflern geschrieben worden, die fragen, warum bricht denn eure neue Welt, von der ihr so viel erzählt, nicht an? Mir kam in diesem Zusammenhang recht schnell der Vergleich unserer eigenen zweifelnden Stimme mit den Spöttern in den Sinn. Wer kennt sie nicht, die zweifelnde Stimme, die fragt: Woher wissen wir, dass Gott es ehrlich mit uns meint? Das da wirklich noch etwas kommt?

Eine Antwort, die der Predigttext auf diese zweifelnden Anfragen gibt, ist die Relativierung der Zeit in den Augen Gottes. Vor ihm ist ein Tag wie tausend Jahre und tausend Jahre wie ein Tag. Ein schwacher Tost mögen Sie jetzt vielleicht einwenden. Aber dahinter steht die Ermutigung, zu warten, zu warten mit einer Hoffnungsgewissheit, ja zu erwarten. Mit diesem Warten ist, denke ich, eine bestimmte Haltung impliziert. In unserem Predigttext heißt es ja, es wird der Tag des Herrn kommen, wie ein Dieb in der Nacht. Plötzlich, ohne Vorbereitung wird Gott allem Leid ein Ende machen, so die Verheißung hier. Genauso plötzlich wird dieses kommen, wie aber auch Menschen immer wieder mit dem Tod konfrontiert werden. Es gibt für diese Dinge also keine Sicherheiten, keine Versicherungen -oft keine Vorankündigung. Das einzige, wozu uns diese Einsichten auffordern können, ist ein bewusstes Leben. Jeden Tag als Geschenk zu empfangen, jeden Tag als den ersten Tag vom Rest meines und unseres gemeinsamen Lebens zu begreifen.

Hoffnungsgewissheit angesichts von Tod und Verlust. Woher können wir diese gewinnen? Liebe Gemeinde, ich denke, diese ist nur zu gewinnen mit einem Blick auf Jesus Christus. Indem wir uns sein Leben vergegenwärtigen, wie er Gemeinschaft pflegte mit ausgestoßenen und hoffnungslosen Menschen, indem er Krankheit und Gebrechen heilte, indem er mit Sündern Tischgemeinschaft pflegte, teilte er Hoffnung aus wie Brot, das Kraft gibt für die bevorstehende Wegstrecke. Indem er selbst dem Leid und dem Tod nicht auswich, Todesangst und -qualen auf sich nahm, dürfen wir darauf vertrauen, Gott kennt alles Leiden, ja, Gott ist im Leiden. Wie er seinen Sohn nicht allein ließ, wird er keinen Menschen im Leiden und Sterben allein lassen. Darauf dürfen wir vertrauen. Und auch die Zweifel und das Gefühl der Gottverlassenheit begegnen uns in der Lebensgeschichte Jesu. Aber wir glauben und bekennen auch, Gott ließ ihn nicht im Tod, am dritten Tag weckte er ihn von den Toten auf. Ja, die Auferstehung Jesu, wie sie uns in der Bibel bezeugt wird, ist für uns Grund und Anlass zur Hoffnung auf den Anbruch einer neuen Welt für die ganze Schöpfung, für ein Leben in Gottes Ewigkeit. Sie ermöglicht Hoffnung angesichts des Todes, sie zeigt uns: Gott ist da, auch wenn wir ihn nicht sehen oder spüren.

Ich blicke noch einmal in unseren Predigttext. Dort heißt es: Wir warten aber auf einen neuen Himmel und eine neue Erde, nach seiner Verheißung, in denen Gerechtigkeit herrscht.

Ein neuer Himmel und eine neue Erde - vielleicht sind dies nicht mehr ganz unsere Bilder heute, liebe Gemeinde. Aber eines drücken sie doch aus. Sie machen uns Mut, sie stärken unsere Hoffnung darauf, das Gott alles vollenden wird. Er hält die Bruchstücke "Leben" zusammen, er wird das Leben vollenden, das unvollendet blieb, er wird die Wunden heilen, die offen blieben, er wird Ruhe und Frieden geben, wo Unruhe und Unfrieden waren. Diese Hoffnung dürfen im Herzen tragen, sie möchte uns Kraft und Mut geben, gerade auch angesichts von Tod und Verlust.

Und was, wenn die Zweifel doch mal ieder übermächtig werden? Liebe Gemeinde, dann wünsche ich, das wir mitten im Leben, mitten in unserer Welt solche Hoffnungszeichen finden, die auf Gottes Verheißung deuten. Vielleicht kann dies dann die Natur in ihrem Wandel, in ihrer Fähigkeit zu immer neuen Aufbrüchen sein. Oder aber wir sehen Gottes neue Welt dort aufleuchten, wo Menschen nicht nur ihre eigenen Begierden und Sehnsüchte wahrnehmen, sondern auch sehen, was andere brauchen. Sie leuchtet dort auf, wo Menschen getröstet werden, wo sie ihre Verzweiflung herausschreien dürfen, ihre Sehnsucht nach Gerechtigkeit und jemand da ist, der sie hört. Überall dort ist Gottes Welt schon nah, vielleicht schon ein Stück aufgebrochen und angebrochen.

Und nicht zuletzt begegnen uns sicher auch immer wieder Menschen mit ihrer Lebensgeschichte als Vorbilder und Hoffnungsboten. Ein solcher Mensch ist unter anderen sicher Dietrich Bonhoeffer. Er lebte angesichts des millionenfachen Todes um ihn herum und des eigenen Todes aus einem tiefen Gottvertrauen und einer tiefen Hoffnung, das Gott stärker ist als jeder Tod.

Ich wünsche uns, ich wünsche Ihnen, das auch Sie getragen und gestärkt mit dieser Hoffnung durch ihr Leben gehen können, auch angesichts von Trauer und Verlusten. Das Sie immer wieder Hoffnungszeichen entdecken und so mit in das Gebet Bonhoeffers einstimmen können, das er angesichts des Todes schrieb:

Von guten Mächten wunderbar geborgen,
erwarten wir getrost was kommen mag,
Gott ist bei uns am Abend und am Morgen
und ganz gewiss an jedem neuen Tag.
Amen.

Liedvorschläge:
· EG 450, 1-5 (Morgenglanz der Ewigkeit)
· EG 147, 1-4 (Wachet auf, ruft uns die Stimme)
· EG 518, 1-3 (Mitten wir im Leben sind mit dem Tod umfangen)
· EG 65 (Von guten Mächten wunderbar geborgen)
· EG 533, 1-3 (Du kannst nicht tiefer fallen)

Anke Fasse
Pastorin in Sengwarden /Wilhelmshaven
Email: anke@sefarim.de


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