Göttinger Predigten im Internet | hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch
Predigten zur EKD-Initiative (Überblick) / Webseiten und Informationen zur Initiative

Ist der Mensch nur so viel wert, wie er verdient?
Predigtidee zu Matthäus 25, 14-25: Ist der Knecht nur so viel wert, wie er verdient?
von Thies Gundlach

Das Gleichnis von den anvertrauten Talenten nach Matthäus 25, 14- 25 antwortet auf seine Weise auf die Frage, ob der Mensch nur so viel wert sei, wie er verdiene! Denn es schaut auf Anhieb doch deutlich so aus, als ob Jesus in seinem Gleichnis genau dies sage:
Er spricht vom Reiche Gottes wie von einem Aktienpaket, Wuchern und Gewinnen sind die Leitvokabeln, es ist als hätte Jesus Sprachunterricht bei einem modernen Börsenyuppie genommen. Aber noch viel schlimmer als die Sprache ist die Botschaft des Gleichnisses: Es scheint den erfolgreichen kapitalistischen Umgang mit den anvertrauten Pfunden als eine Eintrittskarte für das Reich Gottes zu verkündigen. Sollen denn Wucherer, Spekulanten und Geldfüchse die geeigneten Vorbilder für das Reich Gottes sein? Ich glaube, unser Gleichnis will etwas ganz anderes, aber um dies zu erahnen, muss man die Frage traktieren, was denn der dritte Knecht eigentlich falsch gemacht hat?

Denn mal ehrlich, irgendwie kann einem dieser dritte Knecht ja leid tun. Er kommt ja ausgesprochen schlecht weg, nicht nur weil ihm wieder genommen wird, was der Herr ihm gegeben hat - das wäre ja soweit auch o.k., - sondern darüber hinaus wird er auch noch verdammt und verurteilt und dahin geschickt, wo Heulen und Zähneklappern herrschen. Er kann einen schon erbarmen, wie die Alten gesagt hätten, dieser kleine, unglückliche Knecht. Denn immerhin, er hat ja eigentlich nichts Falsches gemacht, er hat die anvertrauten Pfunde nicht sinnlos verprasst, er hat nicht dauernd Partys gefeiert und das Geld auf den Kopf gehauen, sondern er hat brav zurückgegeben, was er erhalten hatte. Sicher, es ist keine besonders pfiffige Idee, die anvertrauten Pfunde zu vergraben! Aber seit wann ist Pfiffigkeit eine Bedingung zum Reiche Gottes? Und wenn fehlende Pfiffigkeit mit ewiger Höllenqual bestraft wird, dann hat man zwar manchmal durchaus emotionales Verständnis dafür, aber angemessen ist das doch keinesfalls! Denn sollte der arme Knecht wirklich auch in der Bibel nur so viel wert sein, wie er verdient?

Um aus dieser Sackgasse zu entfliehen, muss man antworten auf die Frage, was der dritte Knecht nun wirklich so grottenfalsch gemacht hat? Verräterisch für seinen Fehler ist das, was seit Martin Luthers bahnbrechender Einsicht den Menschen immer Kopf und Kragen vor Gott kostet: Seine Selbstrechtfertigung! Da sagt doch dieser kümmerliche Knecht tatsächlich: "Herr, ich wusste, dass Du ein harter Mann bist; du schneidest, wo du nicht gesät hast und du sammelst ein, wo du nicht ausgestreut hast!" Ja, um Gottes Willen, woher wusste dieser Knecht das eigentlich? Wie kommt dieser dritte Knecht nur auf die Idee, dass sein Herr dort erntet, wo er nicht gesät hat? Das Gleichnis selbst erzählt ja nun gerade exakt das Gegenteil, insofern es doch von einem Herrn erzählt, der außer Landes gehen muss und seinen Knechten all seine Talente anvertraut, ohne auch nur eine einzige Bedingung zu stellen, ohne auch nur eine einzige Drohung auszusprechen, ohne auch nur eine einzige Erwartung daran zu knüpfen. Und trotzdem behauptet dieser dritte Knecht, er wüsste, dass der Herr ein gestrenger Mann sei. Das ist eine glatte Lüge!

Der dritte Knecht lügt einfach das Graue vom Himmel herunter! Er denkt sich seinen Herrn einfach aus, er erfindet ihn freihändig und macht aus seinem Herrn, der ihm gerade eben noch seinen Besitz anvertraut hat, einen gestrengen und hartherzigen Mann. Der dritte Knecht versucht sich selbst zu rechtfertigen und redet sich damit um "Kopf und Kragen"! Er denkt sich nämlich einen Herrn aus, für den der Knecht nur so viel wert ist, wie er verdient hat mit seinen Talenten. Nur, - der Herr hat dies weder gesagt noch verlangt!

Hier allein liegt die große Lüge und Schuld des dritten Knechtes, hier hat der Knecht das falsche Herrenbild und also entsprechende Angst vor seinem "Unwert" und deswegen braucht der Knecht gar nicht mehr in die Hölle geschickt zu werden, denn er entwickelt ja schon zu Lebzeiten das große `Heulen und Zähneklappern` vor seinem selbstgezimmerten Herrenbild. Denn solche selbstausgedachten Gottesbilder, das kann nicht gut gehen: Wer sich einen Herren ausdenkt, dem nur wert ist, was der andere verdient, der ist sich selbst bald nur noch so viel wert, wie er verdient. Oder anders gesagt: Wer seinen Herrn verteufelt und ihn also strenger macht, als er ist, der kriegt dann auch verteufelt viel Angst! Das ist wie im richtigen Leben. Denn jetzt denkt der dritte Knecht in Lohn und Leistung, in Gewinn und Verlust, jetzt glaubt der Knecht, er werde bestraft, wenn er nicht Leistung bringe, obwohl er doch gerade eben erst allein aus Gnade, ohn` allen Verdienst und Würdigkeit und total umsonst all die Talente vom Herrn bekommen hat. Dieser Knecht - so kann man sagen - fabriziert sich ein falsches Herren- oder Gottesbild und also hat er an der falschen Stelle Angst und entsprechend verhält er sich dann auch falsch: Kurzum: Dem Manne kann kaum geholfen werden! Denn wer sich selbst nur so viel wert ist, wie er verdient, der "verdient" sich nur noch Unwert: Angst und Sorge vor einem gestrengen Herrn!

Und von diesem Fehler aus fällt dann auch das richtige Licht auf die anderen beiden Knechte. Denn sie finden die Anerkennung ihres Herrn, nicht weil sie tolle Kapitalisten sind, sondern weil sie den Ruf zur Freiheit verstanden haben, der in den anvertrauten Talenten liegt: Der Herr vertraut ihnen Gaben, Fähigkeiten und Talente an. Aber sie machen sich nun keine Sorgen um den Herrn und seine Strenge, sondern machen aus den anvertrauten Pfunden das Beste, was man mit ihnen machen kann. Sie haben verstanden, dass man mit den anvertrauten Pfunden frei und selbständig umgehen kann, dass sie nun selbständige Verwalter sind, keine abhängigen Knechte, und dass es nicht auf den Gewinn in Heller und Pfennig ankommt, sondern auf die Freiheit, mit der man das Beste aus den Gaben macht. Die beiden ersten Knechte sind nicht nur dem Herrn etwas wert, der ihnen die Talente anvertraut, sondern sie sind auch sich selbst etwas wert und deswegen verdienen sie dann auch ordentlich! Wer aber von den anvertrauten Gaben wegschaut und sich ausgedachte Sorgen über den Geber der Gaben macht, der hat am Ende nur Heulen und Zähneklappern, weil er den Ruf der Freiheit in ein Gefängnis aus Angst eintauscht.

Und dies gilt glaube ich immer und überall bis heute:
Die eigentliche Gefahr unserer Tage liegt weder in den fehlenden Talenten, die unserer Zeit von Gott anvertraut sind, auch nicht in den kapitalistischen Umgangsweisen unserer Tage mit Geld, sondern in den Gottesbildern, die der Mensch sich nach säkularem Gutdünken zurechtzimmert! Ob man nun an die vielen Sekten und Pseudoreligionen denkt, an die vielen modernen Götter wie Reichtum und Reisen, wie Schönheit und Schnelligkeit, wie Müsli und Macht oder an die mitunter äußerst eigenwilligen Gottesbilder innerhalb unserer christlichen Kirchen denken, - leicht phantasiert sich der Mensch heute ein "säkulares Gottesbild" zurecht und wundert sich dann, dass er ein je entsprechendes `Heulen und Zähneklappern` dafür kassiert. Denn wer den Reichtum vergöttert, wird niemals aufrecht weniger haben können; wer die Jugend anbetet, wird niemals mit Grazie alt werden können; und wer den Erfolg anbetet, der wird niemals aufrecht verlieren können. Kurzum und frei nach Martin Luther: Zeige mir deine Angst und ich sage dir, wer dein Gott ist! Denn wie du glaubst, so fürchtest du auch!

Deswegen bleibt die ebenso schlichte wie befreiende Botschaft die: Bleib dem christlichen, barmherzigen Gott treu und schau auf die Gaben und Talente, die dieser Gott Dir frei und ohne alle Bedingungen mitgegeben hat. Denn dann muss Du nicht in Sorge sein um den Verdienst, denn Du bist Gott und also auch selbst etwas wert ist. Wer sich selbst aber nur so viel wert ist, wie er verdient, der "verdient" sich eben eine Lebensangst, die er nicht verdient hat. Deswegen: Der Mensch ist so viel wert, wie er sich schenken lässt von Gott.

Oberkirchenrat Dr. Thies Gundlach
Leiter der Abteilung "Verkündigung, Kirchliche Dienste und Werke"
im Kirchenamt der EKD