Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: R. Schmidt-Rost

4. Advent, 22. Dezember 2002
Predigt über Lukas 1, 46-55, verfaßt von Hanne Sander (Dänemark)
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)

Es ist etwas Besonderes, den Lobgesang der Maria in der Adventszeit zu hören. Für mich hat dieser Lobgesang immer einen ganz besonderen Klang. Eigentlich gehört er ja in die Fastenzeit am Tag der Verkündigung Mariae - aber auch hier in die Adventszeit mit ihrer ganz breiten Spannweite der Bedeutung. Es ist, als wolle der Lobgesang der Maria uns einen Augenblick einhalten lassen - und uns auf das vorbereiten, was kommen soll.

Denn wir sollen vom Göttlichen hören und vom Wunder, das durch die Panzer der Welt und allen Verstandes hindurchbricht.

Je nach dem, wie man es auffaßt, kann sich die Schale als bedenklich dünn oder auch als erfreulich durchlässig und offen erweisen. Das Göttliche zeigt sich eben gerade als das Erschreckende und als das Erfreuliche, das Lebenschenkende und das Vernichtende.

Die Begegnung Marias mit dem göttlichen Leben zeigt mit aller Deutlichkeit: Wenn Gottesglaube etwas bedeuten soll, wenn überhaupt in der Welt Veränderung geschehen soll, dann genügen Meinungen und noch so gute Haltungen nicht, dann gehört Fleisch und Blut dazu, dann kann man sich nicht selbst heraushalten. Gottesglaube ist Engagement, er muß das ganze Leben einbeziehen.

Der Lobgesang der Maria läßt denn auch daran keinen Zweifel, daß Marias Erfahrung mit dem Heiligen sie in ein Leben einweist, das eine Tiefe hat, die tiefer und wahrer ist als das, was wir sonst so aus dem Leben machen. Und das ist natürlich erschreckend, weil es so viel größer ist als unser kleines Leben. Wenn Maria deshalb zunächst erschrickt, ist das verständlich. Wenn das Dasein ernsthaft etwas von uns verlangt, wenn Menschen so viel aufgebürdet bekommen, das es untragbar erscheint, weichen wir am liebsten zurück und lehnen dankend ab. Dann lieber ein überschaubares und leichteres Leben.

Nun weicht Maria nicht zurück vor dem, was Gott ihr auferlegen will - und deshalb können wir auch das in Maria sehen: Ein ansonsten anonymer Mensch aus einer fernen Provinz, den Gott sehen kann, nämlich menschliche Größe.

In der Begegnung mit dem göttlichen Leben verzichtet Maria auf ihr eigenes, verzichtet auf ihre eigenen Gedanken davon, was möglich ist und was unmöglich, und gibt in dieser Weise Platz für die schöpferischen Kräfte Gottes - und das Wunder geschieht.

Sie erfährt, daß Gott etwas mit ihr vor hat, daß ihr Leben einen Sinn und eine Bedeutung hat, die von wo anders her kommen als von ihr selbst.

Und sie sagt ja dazu, ihren eigene Leib einzusetzen, damit Gott in der Welt sichtbar werden kann - ihr Leben und ihr Leib werden eine Werkstätte Gottes, wo er mit dem Plan weiterarbeiten kann, den er mit seiner Welt hat - hin zur Vollendung.

Maria kann nur schwer das beschreiben, was sie erfährt, aber angesichts des Wunderbaren und Unbegreiflichen beginnt sie zu singen. Und nun singt sie von dem Gott, den sie nicht begreifen kann, von dem sie sich aber ergreifen läßt.

Maria singt mit einem Selbstgefühl und einer Demut zugleich, denn sie hat die Aufgabe erhalten, etwas zu tragen. Das Selbstgefühl ist auffällig und natürlich zugleich, denn es entspringt der Tatsache, daß sie nun weiß, daß eine Bedeutung in ihr Leben gelegt ist, die sie ihm selbst nicht geben kann, und diese Bedeutung reicht über ihr Leben hinaus.

Und die Demut hat nichts zu tun weder mit einer künstlichen oder kriecherischen Demut, sie bedeutet vielmehr, daß sie frei ist von der menschlichen Grundeinbildung, daß das Leben uns gehört und daß wir uns dieses Leben bemächtigen sollten.

Maria bringt mit ihrem Lobgesang eine Dankbarkeit zum Ausdruck, die der ganz gegenteiligen Haltung entspringt, der nämlich, daß das Leben zu uns kommt und sich unserer bemächtigt.

Ihr Lobgesang besteht aus Bruchstücken von Psalmen aus dem Alten Testament und Worten von den Propheten, zusammengesetzt so, wie es ihr einfällt.

Einstimmig aber erzählen sie von der Größe Gottes, die in jeder Hinsicht unsere Vorstellungen sprengt, sowohl, wenn er die zerstreut, die in ihren Herzen hochmütig sind, wenn er die Mächtigen vom Thron stürzt und wenn er die Niedrigen erhöht.

Wir werden durch das Leben Marias Zeugen des neuschaffenden Willens und der schöpferischen Kräfte Gottes - im Kind Marias erneuert Gott seine Verheißung an uns, und deshalb kann das Kind, das sie gebären wird, Immanuel heißen: Gott mit uns.

Amen.

Hanne Sander
Prins Valdemarsvej 62
DK-2820 Gentofte
Tel.: 39 65 52 72
e-mail: sa@km.dk


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