Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: R. Schmidt-Rost

Christnacht, 24. Dezember 2002
Matthäus 1, 18-25, verfaßt von Jan Ulrik Dyrkjøb (Dänemark)
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Ein Engel des Herren steht vor den Hirten auf dem Felde vor Bethlehem. Es ist dunkel. Es ist Nacht. In dieser Nacht geschieht das Größte. Aber es begann nicht in dieser Nacht. Es hat schon vorher begonnen.

Es begann an einem Tag, als der alte Priester Zacharias im Tempel des Herren stand und der Engel des Herrn ihm erschien.

Der Engel verkündigte Zacharias, daß seine Frau Elisabeth einen Sohn gebären würde. Das sollte geschehen gegen alle vernünftigen Prognosen, denn Zacharias und Elisabeth waren alte Leute.

Der Sohn, den Elisabeth gebären sollte, sollte Johannes heißen. Er sollte dem Volk predigen. Er sollte dem Herrn ein Volk schaffen, das bereit ist.

So sprach der Engel. Und der Engel sagte über sich selbst: "Ich bin Gabriel, der vor Gott steht, und bin gesandt, mit dir zu reden, daß ich dir solches verkündige".

Etwas später wurde derselbe Engel zu Maria in Nazareth gesandt. Für sie verkündigte Gabriel, daß sie den Sohn des Höchsten gebären würde. Und sie gab eine Antwort, die die mutigste Antwort ist, die je ein Mensch gegeben hat: "Siehe, ich bin des Herren Magd, mir geschehe, wie du gesagt hast".

So begann es. Und in dieser Nacht geschah es. Es geschieht, wie es der Herr gesagt hat. Maria bringt ihr Kind zur Welt. Ihr erstes Kind. Sie wickelt das Kind in Windeln und legt es in eine Krippe.

Und der Engel erscheint den Hirten auf dem Felde. Plötzlich sind die Nacht und die Kälte verschwunden. Sie sehen den Engel des Herrn. Die Herrlichkeit des Herrn umstrahlt sie. Sie sehen direkt in den strahlenden Glanz hinein.

Das ist eine Offenbarung. Was verborgen war, ist nun sichtbar. Die Hirten sehen es. Sie hören die verwunderlichen Worte des Engels. Sie hören Worte, die nicht von Menschen erdacht sind.

Der Engel verkündet eine große Freude. Ein Kind ist geboren. Es ist der Herr. Es ist Christus.

Und sogleich sehen sie, wie der Engel des Herrn von unzähligen Engeln umgeben wird. Und der Raum füllt sich mit ihrem Gesang: "Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden, und den Menschen ein Wohlgefallen".

Das ist eine Offenbarung. Die Hirten sehen die Wirklichkeit Gottes selbst. Die Wirklichkeit so, wie Gott sie haben will: Das Licht treibt die Finsternis fort. Der Gesang soll Himmel und Erde verbinden. Die Herrlichkeit soll strahlen für die Ärmsten und Verachtetsten der Erde. Gott soll geehrt werden. Frieden soll in der Welt herrschen. Friede soll die Herzen der Menschen erfüllen. So will es Gott. So sehen es die Hirten. Das ist es, was sie hören.

Zunächst aber geschieht etwas Merkwürdiges und wird etwas Merkwürdiges gesagt. Als das Licht erscheint und die Hirten die gewaltige Erscheinung sehen, werden sie von großer Furcht ergriffen. Das erste, was der Engel sagt, ist: "Fürchtet euch nicht!"

So war es schon vorher. Als Zacharias den Engel des Herrn im Tempel sah, erschrak er, und auch zu ihm sagte der Engel: "Fürchte dich nicht! Fürchte dich nicht, Zacharias!"

Und auch Maria erschrak, als der Engel zu ihr trat und sie begrüßte, und auch zu ihr hieß es beruhigend: "Fürchte dich nicht! Fürchte dich nicht, Maria! Denn Du hast Gnade gefunden bei Gott!"

Warum diese Furcht? Warum muß der Engel des Herrn jedes Mal die Menschen beruhigen, zu denen er gesandt wird? Geschieht hier nicht etwas Gutes und Schönes? Hören diese Menschen nicht herrliche Worte? Sehen sie nicht herrliche Erscheinungen?

Gewiß, das ist alles gut und schön und herrlich, aber wir dürfen nicht vergessen: In erster Linie ist es die Offenbarung Gottes. Durch den Engel läßt Gott seine Wirklichkeit sichtbar werden, und er verkündigt seinen Willen. Und die Wirklichkeit und der Wille Gottes sind furchtbar und schrecklich.

Anders kann es nicht sein, denn was von Gott kommt, ist überwältigend. Es entmächtigt uns. Wenn das Göttliche in unsere Welt einbricht, dann sind wir nicht mehr wir selbst. Dann sind wir einem anderem Willen als dem unseren unterworfen. Und wir wissen nicht, wo das endet. Das ist erschreckend. Das ist furchtbar für den Menschen.

Aber das Wunderbare ist auch das Selige. Ja es ist letztlich unsere einzige Möglichkeit des Heils und der Erlösung.

Wir glauben, daß es alle möglichen anderen Wege gibt, aber die gibt es nicht. Es gibt nur diesen einen Weg. Nur die Übergabe und Hingabe an Gott. Es gibt nur eine Möglichkeit für Leben und Heil und Seligkeit, nämlich daß wir uns selbst in Gott verlieren.

Wir leben in dem Irrtum, daß alles, was menschlich ist, uns selbst gehört. Die Welt gehört uns. Die Gesellschaft gehört uns. Unsere Gemeinschaften und unsere Familien gehören uns. Wir gehören jeder für sich ganz uns selbst. "Das ist mein Leben!" - sagen wir.

Aber das ist ein Irrtum. das ist die große Illusion unserer Zeit. Wir gehören gar nicht uns selber. Unser Leben gehört nicht uns. Wir gehören einander. Wir gehören der Welt. Und in alledem gehören wir Gott.

Gott hat ganz und gar Anspruch auf uns, denn er hat uns alles gegeben. Ohne Gott hätten wir nichts. Ohne Gott gäbe es uns nicht. Ohne Gott wäre nur Leere und Nichts. Alles ist von Gott und zu Gott.

Zu dieser Erkenntnis zu kommen, eine Wende in seinem Sinnen und Denken und Handeln, ja in unserem Wesen selbst zu vollziehen, das ist unsere einzige Chance. Das ist die wahre Menschlichkeit.

Aber das ist auch erschreckend und furchtbar. Denn das bedeutet, daß wir uns selbst aufgeben und alles auf Gott hin wagen müssen. Das bedeutet, daß wir die Herrlichkeit über uns hereinbrechen lassen müssen. Das bedeutet, daß wir göttliche Worte zu uns kommen lassen müssen, so wie sie zu den Hirten kamen. Verheißungsvolle Worte, aber auch Worte, die uns unendlich verpflichten.

Und wenn du nun fragst: Ja, aber was soll ich nun tun? Dann antworte ich: Geh mit den Hirten nach Bethlehem! Tritt hin zu dem Kind in der Krippe! In ihm ist alle Herrlichkeit Gottes verborgen. Sei dort. Und ergebe dich selbst Gott durch ihn und mit ihm!

Schon durch die Taufe gehörst du ihm. Aber sage dennoch zu ihm, daß du das willst! Sage, daß du das willst, was schon geschehen ist! Sage es, auch wenn du nicht weißt, ob du dich traust!

Ich sage es dir heute, damit niemand sagen kann, daß es nicht gesagt ist: Es ist notwendig, daß wir vollständig umkehren. es ist notwendig, daß wir das erneut ergreifen, was uns schon längst gegeben ist:

"Fürchtet euch nicht! Siehe ich verkündige euch große Freude, die allem Volke widerfahren wird; denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr, in der Stadt Davids. Und das habt zum Zeichen: Ihr werdet finden das Kind in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegen." Amen.

Jan Ulrik Dyrkjøb
Knud Hjortsøvej
DK-3500 Værløse
Tel.: ++ 45 - 44 48 06 04
e-mail: jukd@vaerloesesogn.dk


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