Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: R. Schmidt-Rost

1. Sonntag nach Weihnachten, 29. Dezember 2002
Predigt über Lukas 2, 22-40, verfaßt von Angelika Überrück
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)

Liebe Gemeinde,

heute am Sonntag nach Weihnachten sind wir eine kleine Gruppe Menschen. Und wenn ich Sie jetzt fragen würde, warum Sie heute in den Gottesdienst gekommen sind, dann wären die Antworten wohl vielfältig: "Ich gehe immer in den Gottesdienst, es ist eine Gewohnheit", würden die einen sagen. "Weil ich die Leere zu Hause nicht mehr ausgehalten habe", sagen vielleicht andere. "Weil ich mal etwas anderes wollte als Familie und gutes Essen." "Weil ich gerne noch mal innerlich zur Ruhe kommen möchte." "Weil ich es an den Feiertagen nicht geschafft habe, aber einen Gottesdienst über Weihnachten doch besuchen möchte." So oder so ähnlich, vermute ich, sähen die Antworten aus. Keine oder keiner von Ihnen ist heute wahrscheinlich in den Gottesdienst gekommen, weil Sie etwas besonders Aufregendes oder Spektakuläres erwarten, sondern eher, weil Sie etwas Gewohntes, einen ganz normalen Gottesdienst eben, erwarten. Ich merke manchmal nach einer Reihe von Gottesdiensten besonderer Art, so schön sie im Einzelnen auch sind, dass es mir gut tut, mich einfach fallen lassen zu können in bekannte Formen und Abläufe eines Gottesdienstes.

In dem Predigttext für den heutigen Sonntag finden wir eine ähnliche Situation vor. Es ist ebenfalls eine Geschichte, die kurz nach Weihnachten spielt. Es ist wieder ein Stück Alltag eingekehrt. Die Menschen gehen in den Tempel. Er steht im Lukasevangelium im 2. Kapitel, die Verse 22-40, ist also die Fortsetzung der Weihnachtsgeschichte. Ich lese ihn in der Übersetzung der Guten Nachricht.

Wie gesagt, es klingt wie eine ganz alltägliche Geschichte. Aber in dieser normalen Situation passiert etwas Unerwartetes.

Die Menschen, von denen in dieser Erzählung berichtet wird, sind in den Tempel gegangen wie wir heute in den Gottesdienst, wahrscheinlich auch aus ähnlichen Motiven. Es ist nach Weihnachten wieder religiöser Alltag eingekehrt.

Maria und Josef bringen Jesus in die Synagoge. Zur damaligen Zeit war es üblich, dass eine Mutter 40 Tage nach der Geburt eines Sohnes ein Opfer bringen musste, um wieder als rein zu gelten. Diesem Brauch will Maria nachkommen. Und da Jesus nach altem jüdischem Gesetz als erstes Kind Gott gehört, bis er durch ein Opfer ausgelöst ist, nimmt sie ihn mit. Sie erfüllen das Gesetz wie es üblich ist. Es gehört zu einer Geburt eines Sohnes dazu so wie die Beschneidung auch. Ich denke, Maria und Josef werden an diesem Tag keine großen Aufregungen mehr erwartet haben. Schließlich hatten sie die Geburt und die Beschneidung gut überstanden und nun galt es, wieder zum Alltag überzugehen.

Dann ist da Simeon. Er ist ein alter Mann. Auch er ist in den Tempel gegangen wie jeden Tag. Er ist ein frommer Mann, für den das zu seinem Leben dazugehört. Im Gegensatz zu vielen alten Menschen lebt Simeon nicht in der Vergangenheit. Er lebt nicht von dem, was er alles schon erlebt hat an Gelungenem, an weniger Gelungenem. Sondern er ist ein Wartender. Er lebt von der Hoffnung, dass er in seinem Leben noch dem Sohn Gottes, dem Retter der Welt, begegnen wird. Aber wann das sein wird, weiß er nicht.

Die dritte, von der erzählt wird, dass sie den Tempel besucht, ist Hanna. Hanna ist eine alte Frau. Sie war einige Jahre verheiratet und hat dann nicht wieder geheiratet hat, sondern ihr Leben in den Dienst Gottes gestellt hat. Sie ist eine fromme alte Frau, für die es eben auch zum Alltag dazugehört, zum Beten in den Tempel zu gehen.

Simeon und Hanna, der alte Mann und die alte Frau, erleben Weihnachten in dieser ganz normalen Situation im Tempel, die so angefangen hat wie wahrscheinlich schon unzählig viele Tempelbesuche davor.

Als Maria und Josef mit Jesus auftauchen, ist es plötzlich klar für die Beiden: Das ist er. Das ist der Trost der Welt, das Licht für die Völker, der Messias. Und Simeon stimmt den Lobgesang an, den Sie alle kennen. Er gehört bis heute in das Nachtgebet der Christen im Gesangbuch. Simeon und Hanna begegnen Jesus und erkennen in ihm den Retter der Welt.

Wie das ihr Leben verändert hat, wissen wir nicht. Das finde ich manchmal schade, dass wir über die Folgen der Begegnung mit Jesus nichts oder nur wenig erfahren. Wir können da immer nur vermuten. Für mich wirken die Beiden allerdings glücklich nach dieser Begegnung mit Jesus.

Bei Simeon scheint sich die Veränderung auf den Tod zu beziehen. Ob sein Tod nahe bevorstand, wissen wir nicht, aber dass er sich mit dem Sterben auseinandersetzt, ist für einen frommen alten Mann nicht ungewöhnlich. Er hat sein Leben lang aus der Hoffnung auf Jesus gelebt und nun kann er sterben, so sagt er es in dem Lobgesang. Wir kennen diese Äußerung manchmal, dass jemand sagt: Ich möchte noch meinen 80. oder 85. Geburtstag erleben, danach kann ich sterben. Oder: unsere Goldene, Diamantene Hochzeit wollen wir noch erleben, danach ist es egal. Aber während das bei uns oft so einen leicht traurigen Unterton hat, im Sinne von: danach gibt es nichts mehr, klingt das bei Simeon ganz anders. Da klingen diese Worte lebensfroh und glücklich. Sicher hat er lange auf diesen Augenblick gewartet. Sicher haben viele ihn deshalb auch belächelt. Aber er hat an seinem Glauben, an seiner Hoffnung festgehalten. Er hat darauf vertraut, dass Gott in unser Leben kommt, dass Gott es verändert. Und er erlebt Weihnachten, die Freude über das Kommen des Retters in diese Welt, in seinem ganz normalen Alltag, während eines normalen Tempeldienstes. Simeon preist und lobt Gott dafür, dass Jesus für alle Menschen in diese Welt gekommen ist. Dass Jesus das Licht für alle Menschen ist, nicht nur für ihn oder für fromme Menschen, sondern für jeden von uns, auch heute. Simeon ist der erste, der begreift, dass mit diesem Kind, dass mit Weihnachten etwas ganz Neues begonnen hat. Von nun an ist es nicht mehr dunkel in unserem Leben, denn Gott ist mit diesem Kind in unser Leben getreten. Er hat es uns geschenkt, damit es hell ist in unserem Leben, damit wir nicht allein sind. Deshalb auch kann Simeon jetzt ganz gelassen seinem Tod entgegen sehen. Er weiß jetzt, dass Gott immer bei ihm ist.

Auch Hanna erkennt in dem Kind Jesus den Sohn Gottes und erzählt es weiter, so wird berichtet. Das scheint die Veränderung ihres Lebens zu sein. Sicher hat auch sie das nicht erwartet. Ihre Erwartungen an den Messias waren sicher auch andere: nicht klein und zerbrechlich wie ein Kind. Bestimmt hat sie eher einen mächtigen König erwartet, der die Völker unterwirft, der für Recht und Ordnung sorgt. Aber sie kann in dem Kind Jesus den Retter erkennen, der Frieden zwischen den Menschen bringen kann und kann es annehmen als Gottes Geschenk. Und sie ist so voller innerer Bewegung über diese Erfahrung, dass sie sie nicht für sich behalten kann, sondern weitererzählen muss.

Simeons und Hannas Leben hat sich verändert durch die Erfahrung von Weihnachten. Sie sind glücklich über diese Erfahrung.

Und wie ist das mit uns? Erwarten wir von Weihnachten eine Veränderung unseres Lebens? Erwarten wir noch, dass Gott uns begegnet in dem Kind in der Krippe? Oder sind wir eher froh, wenn dieses Fest jetzt wieder hinter uns liegt und erstmal wieder geschafft ist?

Simeon und Hanna machen mir Mut, Weihnachten nicht im Trubel und in der Hektik zu suchen. Sie machen mir Mut, nicht traurig zu sein, wenn mir bei Engelgesang und Geschenken vielleicht gar nicht weihnachtlich zumute war. Sie machen mir Mut, offen zu sein für eine Begegnung mit dem Neugeborenen, mit dem Retter der Welt, mit dem, der für uns in diese Welt gekommen ist, in meinem ganz normalen Alltag. Vielleicht in einem ganz normalen Gottesdienst. Und sie machen mir Mut, Weihnachten nicht nur als Fest für einen Tag zu sehen, sondern als eines, das Auswirkungen auf mein ganzes Leben hat, weil dieses neugeborene Kind nicht nur ein Geschenk in der Krippe ist, sondern das Licht der Welt. Dieses neugeborene Kind will Gottes Liebe zu uns in diese Welt bringen. Will zeigen, dass Stärke manchmal ganz klein beginnt, nicht in Macht und Ruhm besteht.

Was haben wir weiterzuerzählen nach diesem Weihnachtsfest? Was haben wir für Erfahrungen mit Gott gemacht, die es weiterzugeben gilt? Oder gibt es die nicht mehr?

Ich denke oft an eine alte Frau. Ihr Leben hatte sich verändert durch die Erfahrung mit Gott. Die alte Frau lebte in einem Dorf nahe meiner Heimatgemeinde. Sie war schon über 80 Jahre alt, schon viele Jahre Witwe und konnte nur schwer gehen. Sie kam trotzdem jeden Sonntag in den Gottesdienst. Und wenn ich als Studentin in diesem Ort mal Gottesdienst hielt, dann lud sie mich jedesmal hinterher zu einer Tasse Kaffee zu sich ein. Und dann erzählte sie mir von ihrem Leben, nicht etwa, weil sie traurig war oder Langeweile hatte. Ganz im Gegenteil. Sie sagte immer, ihre Zeit sei viel zu kurz, denn es gäbe so viel zu beten. Wenn ich sie dann fragte, für was sie bete, dann sagte sie: "Ich stehe morgens auf, lese die Tageszeitung und dann weiß ich, wofür ich an diesem Tag zu beten habe. Meistens schaffe ich das kaum bis zum Abend." Mir hat diese Frau imponiert, weil sie fest darauf vertraute, dass unsere Welt durch ihr Gebet friedlicher und liebevoller werden würde, weil Gott es bewirken würde.

Ich wünsche uns allen, dass wir erleben, Weihnachten kann unser alltägliches Leben verändern, weil es mit Jesu Geburt Liebe und Licht in unser Leben bringen will.

Amen

Liedvorschläge:

EG 23 Gelobet seist du, Jesu Christ

EG 25 Vom Himmel kam der Engel Schar

EG 33 Brich an, du schönes Morgenlicht

EG 34 Freuet euch, ihr Christen alle

EG 39 Kommt und laßt uns Christum ehren

EG 56 Weil Gott in tiefster Nacht erschienen

Angelika Überrück
Jakob-Kaiser-Str. 14
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Tel.: 04131/852731
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