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Sonntag nach Weihnachten, 5. Januar 2003
Predigt über Lukas 2, 41-52, verfaßt von Gerhard Weber (-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de) |
Liebe Gemeinde, Weihnachten ist vorbei. Das neue Jahr schon angebrochen. Es geht immer ganz schnell. Wir bereiten uns so lange auf die Festtage vor. Wir haben hohe Erwartungen und Sehnsüchte, aber es geht schnell wieder weiter. Die Zeit zum Innehalten kommt dann oft zu kurz. Es ist doch verrückt: Wir sehnen uns so sehr nach Ruhe und Frieden, nach Gemeinschaft und Geborgenheit, dass wir, wenn die Zeit da ist, große Schwierigkeiten haben, das zu leben. Wie schnell sind unsere Erwartungen enttäuscht, das Erwünschte haben wir nicht bekommen. Und so kommt in unseren Familien denn auch nicht selten gerade zu Weihnachten Streit auf. Vielleicht hat sich ja auch lange etwas aufgestaut, und an Weihnachten können wir uns nicht mehr aus dem Weg gehen, und dann knallt es nicht selten. "Schöne Weihnachten", sagen wir dann ironisch. Bei der Heiligen Familie aus Nazareth scheint es nicht anders zuzugehen. Da gibt es auch zu den Festtagen Streit. Wir hören den Predigttext für den heutigen zweiten Sonntag nach Weihnachten. Er steht bei dem Evangelisten Lukas im 4. Kapitel, es sind die Verse 41-52: Der zwölfjährige Jesus im Tempel Liebe Gemeinde, kaum zu glauben, aber Jesus bringt seine Eltern fast um den Verstand, und als Eltern wissen wir, was wir für Ängste leiden, wenn unser Kind verloren geht. Ich erinnere mich, als wir mit unserer Tochter - als sie 4 Jahre alt war - in unserer Heimatstadt zu Besuch waren. Die Fußgängerzone ist übersichtlich und gar nicht sonderlich belebt. Aber plötzlich ist unser Kind weg. Meine Frau läuft in die eine Richtung, ich in die andere. Aber nach 10 Minuten kehren wir beide ohne Kind zurück. Schrecken, Angst und Vorwürfe stehen in unseren Augen geschrieben. Leute fragen... noch mal zurückgehen, wo wir hergekommen sind. In den Geschäften nachfragen ... Nichts...keine Spur von unserem Kind. Nach einer halben Stunde kommt sie uns dann heulend am Ende der Fußgängerzone entgegen. Sie war den Tauben hinterher gelaufen. Wir sind erleichtert, glücklich, der Ärger ist schnell vergessen. Jesus ist da schon ein bißchen älter als er sich selbständig macht. Er hat längst mehr Freiheiten und darf wohl auch mal alleine mit Freunden unterwegs sein. Auf der Rückreise vom Fest passiert es schließlich: Irgendwie dachten die Eltern, er wäre bei Freunden, aber als sie nachschauten, war er nicht da. Sie gehen den ganzen Weg zurück nach Jerusalem. Die Suche seiner Eltern dauert schließlich 3 Tage, so gut hat er sich versteckt. Sie vermuteten wahrscheinlich Schlimmes: Vielleicht nimmt er Drogen oder ist auf andere Abwege gekommen. Alle einschlägigen Plätze werden sie abgesucht haben. Natürlich sind sie nicht auf den Gedanken gekommen, ihn im Tempel zu suchen. Um so erstaunter sind sie als sie sehen, wie er mit den Gelehrten diskutiert, Fragen stellt und Antworten gibt. Die Reaktion der Eltern wäre heute nicht anders: "Warum hast du uns das angetan?" Immer wieder stellen Eltern diese Frage, wenn Kinder etwas Schwerwiegendes angestellt haben. Und wir machen die Erfahrung, dass unsere Jugendlichen dann eben nicht in der Kirche zu finden sind. Die Kirche steht heute bei Jugendlichen eben nicht auf der Hitliste. Auch wenn wir uns bemühen, attraktive Angebote zu machen. Aber das Gleiche erleben auch andere Vereine und Gruppen. Das Interessante an dem jungen Jesus ist, dass er das Gespräch mit den Erwachsenen sucht, dass er fragt und über das Leben nachdenkt. Dass es dabei auch zu Auseinandersetzungen mit seinen Eltern kommen kann, muß doch fast selbstverständlich sein. Manchmal denke ich, dass wir diese Auseinandersetzung scheuen und ihr am liebsten aus dem Weg gehen möchten. Aber gerade in der Auseinandersetzung formt sich der Charakter und die Persönlichkeit eines Menschen. Wo kein Streit aufkommen darf, da kann es auch keine Entwicklung geben. Da wird die Persönlichkeit eingefroren, oder es gibt nur noch Kopien. Das sehe ich heute als große Gefahr: Statt uns auseinander zu setzen mit anderen Menschen, kopieren wir lieber das Leben anderer, deren Gewohnheiten, deren Lebensstil. Schade eigentlich, denn es steckt sicher mehr Einzigartiges in jedem Einzelnen, ob jung oder alt, das wir nur entdecken müssen. Und uns muß deutlich werden: Kinder und Jugendliche sind eben nicht Kopien der Eltern, sondern Originale wie alle Menschen es sein sollten! Wir können alle etwas von Gott lernen. Und gerade in solchen Spannungen spielt sich das Leben ab, entwickelt sich das Leben. Die wahnsinnige Idee, sich ewiges Leben und Unsterblichkeit zu verschaffen, indem wir uns selbst klonen und unsere Persönlichkeit auf das geklonte Zweitwesen übertragen, wenn das Alte ausgedient hat, kann nur am wirklichen Leben vorbei gehen. Wir Menschen sind eben keine Kopien, sondern Originale "made by God": Unverwechselbar von Gott gemacht; und in der respektvollen Auseinandersetzung mit anderen über Sinn und Ziel des Leben können wir unseren eigenen Lebensweg finden und gehen. Dabei hat auch das zeitweise Verlorengehen von Kindern etwas Heilsames: wir erfahren so, wie wertvoll und wichtig uns unsere Kinder sind. Und wir können auch erfahren, dass sie oft eigene Antworten finden, die ihrem Leben Tiefe und Zuversicht geben. Wie schön wäre es, wenn wir uns alle auf die Suche machen würden, das Einzigartige in jedem Menschen zu entdecken. Gott aber braucht dafür Menschen, die sich in seinen Dienst nehmen lassen. Jede und jeder von uns kann dazu beitragen, dass Menschen begleitet und getröstet werden, indem wir zuhören, diskutieren, mitfühlen und anderen zur Seite stehen, ohne uns beirren zu lassen. Durch Gottes Wirken und durch unsere Mithilfe kann das neue Jahr ein optimistisches Jahr der Zuversicht und Hoffnung werden. Ein Jahr, in dem wir Gottes heilsame Gegenwart spüren und uns als Menschen erleben, die ihre Einzigartigkeit erfahren. Und der Friede Gottes, der höher ist als unsere Vernunft bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus, unserem Herrn. Amen. Gerhard Weber |
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