Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: R. Schmidt-Rost

2. Sonntag nach Epiphanias, 19. Januar 2003
Predigt über Johannes 2, 1-11, verfaßt von Erik Høegh-Andersen (Dänemark)
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Liebe Gemeinde!

Viele haben wohl im Laufe der Zeit darüber nachgedacht, was eigentlich während der berühmten Hochzeit zu Kana geschah. Wo der Wein knapp wurde und Jesus die Diener die sechs Wasserkrüge mit Wasser füllen ließ, und als der Speisemeister das Wasser kostete, war es wunderbarer Weise zu Wein geworden, zudem besser als der erste. Und dann noch mindestens 600 Liter Wein. Welch ein Fest!

Wie aber war das möglich? Ich kann mich an Konfirmanden erinnern, die danach gefragt haben. Gab es vielleicht verborgene Weinreserven im Keller, die unbemerkt geholt wurden, oder war es wirklich eine Verwandlung, also chemische Magie? Das möchte man gerne wissen. Ganz gleich aber welcher Antwort man zuneigt, so ist klar, daß man das Wesentliche gar nicht erfaßt, wenn man so fragt. Das Wesentliche ist nicht, daß Wasser in Wein verwandelt wurde und daß Jesus der große Zauberkünstler ist. Das Wesentliche ist das, was mit denen geschieht, die am Fest teilnehmen. Das eigentliche Wunder ist, daß dort, wo Enttäuschung, Mißmut, Langeweile herrschen, wo die Freude zu verwelken scheint, daß sich dort die Freude wieder einstellt, das Fest neu beginnt und die Gäste eine Freude spüren, die nicht zu erklären ist. Eine überraschende, berauschende Freude, die das Leben wunderbar und groß macht.

Und als sie später davon erzählten und Johannes es niederschrieb, dann hieß es, daß hier in Kana wirklich die Herrlichkeit Gottes zum Vorschein kam. Ja, für Johannes war es das erste Zeichen von vielen, das zeigte, daß Jesus gekommen ist, um uns mit in das Reich Gottes zu nehmen, hinein in eine Welt, die größer und prächtiger und viel lebendiger ist als die Welt, in der wir uns gewöhnlich befinden.

Wenn wir also wirklich verstehen wollen, was an der Hochzeit in Kana wichtig war und Johannes Anlaß gab, davon zu erzählen, dann hilft es natürlich nicht, sich vorzustellen, wie der Wein nun herbeigeschafft worden ist. Denn dann bleiben wir nur in unserer kleinen Welt, begrenzt durch unsere Vernunft und unsere vorgefaßten Meinungen. Wir müssen vielmehr auf unser Leben eingehen und an Situationen denken, wo dies oder Ähnliches uns widerfahren ist. Wo uns das Leben überraschte und sich als viel größer und wunderbarer und lebendiger erwies als wir geglaubt und gedacht hatten.

Denn das haben wir vermutlich alle erlebt. Das kann ein Fest sein, zu dem man mit begrenzten Erwartungen oder mit schlechter Laune hinging. Und das geschieht das Merkwürdige, ohne daß wir eigentlich Macht darüber haben, daß uns etwas Lebendiges anrührt und wir aus all dem, was uns ansonsten niederdrückt, herausgehoben werden. Und das Fest geht uns ins Blut, und wir spüren eine Freude, die wir lange nicht erlebt haben. Neid und Kleinlichkeit und all die Sorgen, die uns eingesperrt haben, sind verschwunden, und wir befinden uns in einer größeren Welt, die sich uns großzügig öffnet.

Aber warum geschieht das? Es kann ja sein, daß es nur der Wein ist, der seine Wirkung tut, es kann eine anregende Tischdame oder ein Tischherr sein, mit dem man spricht, oder herzliche reden oder ein Humor, der sich im Raum ausbreitet und all unsere Selbstherrlichkeit und unser Besserwissen umwirft. Das kann vieles sein.

Entscheidend ist, daß wir, ohne genau sagen zu können warum, in eine größere Welt hineingezogen werden, die wir als mehr wahr und wirklich erleben als die Welt, in der wir uns sonst befinden. Wir wissen nämlich sehr wohl, daß die Freude und Großzügigkeit des Festes wahrer ist als die Kleinlichkeit und das Beleidigtsein, die uns vielleicht bestimmt haben. Wir wissen sehr gut, daß unsere Selbstgefälligkeit eine Begrenzung ist, und es ist nur gut, wenn sie mit liebevollem Humor weggefegt wird und wir wieder besser wir selbst sein können.

Es ist schön, durch Freude überrascht zu werden, von einer lebendigen Wirklichkeit, die größer ist als wir. Das geschieht bestimmt nicht bei allen Festen, nur bei ganz wenigen, aber es ist schön, wenn es geschieht. Und es ist schön, wenn die Stimmung, die Freude, die Intensität, die Offenheit noch lange danach in uns bleibt.

Und wenn wir an ein Erlebnis dieser Art zurückdenken, dann sagen wir ja nicht: Hier habe ich mich wahrlich aus der Wirklichkeit entfernt, hier verlor ich denn Sinn für die Realitäten, sondern umgekehrt: Wir haben in uns ein starkes Gefühl, daß hier Wirklichkeit war, während wir sonst oft blind und taub in unserer eigenen etwas unwirklichen kleinen Welt herumlaufen.

Das kann in vieler Weise geschehen: Bei einem guten Fest, in der Begegnung mit einem anderen Menschen, oft wenn man sich verliebt, und es geschieht auch, wenn wir ganz allein sind, daß uns die Schuppen von den Augen fallen und wir plötzlich die Welt und einander mit einer ganz neuen Frische und Intensität sehen. Ja, wir nehmen anders und tiefer wahr als vorher. Wir verlassen nicht die Wirklichkeit. Wir kommen in ihr an. Wir werden durch sie überrascht und überwältigt.

So etwas geschah vermutlich unter den Gästen bei der Hochzeit zu Kana,als Wasser zu Wein wurde, ihr Mißmut zu Freude und sie die Herrlichkeit Gottes sahen, das wunderbare, lebendige Reich, das Jesus mit sich brachte. Und die Jünger, so wird erzählt, glaubten, was sie spürten und sahen. So wie dies auch in vieler Weise bei uns geschieht. Vielleicht nur in kleinen Augenblicken, wo sich das Dasein wunderbar für uns öffnet, wo die Freude uns überrascht, wo aber die Frage bleibt, ob wir denn auch auf das vertrauen und dem glauben, was wir in uns spürten und sahen. War die Freude nur eine zufällige Stimmung, oder kam sie von wo anders her? Sind wir mit der Wirklichkeit in Berührung gekommen, oder war es nur ein Gefühl, eine Vorstellung,ein Luftschloß? War es ein Traum?

Ich möchte von einem Erlebnis erzählen, wo die Frage sich in einer sehr direkten Weise stellt. Es handelt sich um ein sehr direktes Erlebnis, das ein Freund von mir kurz vor Weihnachten hatte. Es lag ihm daran, es weiterzuerzählen, und er sah gerne, daß ich es in meiner Predigt erzähle. Deshalb berichte ich darüber.

Mein Freund erwacht mitten in der Nacht, klar bei Bewußtsein und nicht imstande, wieder einzuschlafen. Er zieht sich an, geht nach draußen, zum Meer. Dann steht er still - und auf einmal wird der Himmel hell und klar, obwohl es noch immer dunkel und der Mond nicht zu sehen ist. Zwei andere Menschen stehen wie angenagelt. Sein Hund setzt sich und sieht verunsichert umher. Es ist, als mache die ganze Welt eine Pause. Etwas Großes ereignet sich. Eine andere Welt hat sich für ihn geöffnet. Und er weiß, daß dies das vollkommene Bild ist. So ist die Wirklichkeit, der Himmel, die Welt Gottes. So völlig einleuchtend und klar. Sie voller Liebe, freigiebig. Da ist kein Gericht in dem, was er sieht, nur Liebe. Aber er weiß: Im Verhältnis zu dem, was er sieht, ist vieles von dem, was wir sonst unternehmen, komisch. Unsere Sorgen verschwinden und werden zu nichts. Und er geht seinen Weg, dankbar und sehr stolz - und auch mit einem Gefühl, daß dies die Wahrheit ist, die Wirklichkeit. Wir können, sagt er, jeder in seiner kleinen selbstgeschaffenen Welt versinken und in ihr leben, mit ihrem Haß und Neid, ihrer Enge aus Vorurteilen und Gewohnheiten. Wir können als Blinde leben, die nie das Licht in der Finsternis sehen. Aber die Welt Gottes existiert. Die Liebe existiert. Es gibt eine himmlische Herrlichkeit, die für uns leuchtet, und dem sollen wir uns als Menschen öffnen und dazu sollen wir uns verhalten.

Obwohl man auch hier sagen könnte: Was war eigentlich passiert? War es nicht das klare Bewußtsein, das durcheinander gekommen ist? War es eine Illusion, ein Traum? Oder war es die Wirklichkeit selbst?

Der englische Theologe und Dichter C.S. Lewis wurde einmal gefragt, ob Glaube nicht ein Traum sei, ein Luftschloß, ob nicht Himmel und Hölle nur Gemütszustände seien, die von uns selbst kommen. C.S.Lewis antwortete: "Still! Verhöhnt das nicht! Die Hölle ist ein Gemütszustand - nichts ist wahrer. Und jeder Gemütszustand, der sich selbst überlassen ist, jedes Einsperren der Schöpfung in das Gefängnis ihres eigenes Bewußtseins ist letztlich eine Hölle. Aber der Himmel ist die Wirklichkeit selbst. Denn alles, was erschüttert werden kann, wird erschüttert werden, nur das Unerschütterliche bleibt."

Mein Freund gibt in etwa dieselbe Antwort: Für mich besteht kein Zweifel, sagt er. Für mich ist es nun einmal so, auch wenn ich wieder gelandet bin und mit beiden Beinen mitten im gewöhnlichen Leben stehe mit seinen Mühen und Aufgaben, so weiß ich, daß das was ich gesehen habe, kein Traum war. Es war Wirklichkeit, Himmel, und ich trage es mit mir als eine Welt, die hell und klar ist. Das unwirkliche Leben kommt vielmehr von mir selbst.

Und wenn er es erzählt hat, so deshalb, weil das Erlebnis in sich eine Botschaft enthält, weil es ein Zeichen ist, das geglaubt werden will. Eigentlich so wie der Evangelist Johannes davon erzählt, was er erlebt, gehört und gesehen hat. Johannes erzählt von einer Reihe von sieben himmlischen Zeichen - von denen die Hochzeit zu Kana das erste und die Erweckung des Lazarus das letzte ist.

Es gibt viele Arten von Zeichen. Sie brauchen nicht aufsichterregend zu sein. Aber ein Zeichen ist immer handgreiflich. Wir können es wahrnehmen, wir können hören und sehen, und das Zeichen erzählt zugleich von einer Wirklichkeit, die größer ist als die, in der wir uns gerade befinden. Ein Lichtstreif ist ein Zeichen dafür, daß es das Licht gibt. Ein Kuß, ein Blick, eine helfende Hand kann ein Zeichen sein, das auf die Liebe als die umfassendere Realität verweist. Die erste Schwalbe des Sommers macht noch keinen Sommer, aber ist dennoch ein Zeichen dafür, daß der Sommer dennoch kommt und schon unterwegs ist. Ein Zeichen will etwas mit uns. Es will uns zu Glaube und Hoffnung wecken, so daß wir uns der öffnen, von der uns das Zeichen erzählt.

So will uns auch der Evangelist Johannes wecken. Erst mit der Hochzeit zu Kana. Ein Zeichen, das von himmlischer Freude und Freigiebigkeit zeugt. Wo und die Liebe verwandelt, und wir zu uns selbst kommen wie nie zuvor. Dann mit der Erzählung vom königlichen Beamten und seinem Sohn, den Jesus heilt als Zeichen dafür, daß das Reich Gottes lebenskräftiger ist als Sünde und Tod. Dann hören wir vom Lahmen in Bethesda, der aufsteht, von der Speisung in der Wüste, von Glaube trotz Angst und Untergang, und vom Blindgeborenen, dessen Augen sich öffnen und der die Herrlichkeit Gottes sieht, und schließlich von Lazarus, der aus seiner kleinen finsteren Grabkammer herausgerufen wird unter den offenen Himmel Gottes, als Zeichen dafür, daß wir uns erheben sollen, unsere geschlossenen Räume verlassen und das ewige Leben der Auferstehung annehmen sollen.

Jedes Zeichen im Evangelium zeugt davon, daß das Reich Gottes mit Liebe und Freude da ist. So wie es Zeichen gibt in unserem leben, die und erzählen, das Liebe und Freude da sind.

Und die Frage ist nun: Wagen wir es au glauben, daß dies wahr ist? Können wir es uns zu Herzen nehmen, und erheben und berauschen lassen wie die Gäste bei der Hochzeit zu Kana? Können wir die Kleinlichkeit überwinden, die von uns selbst kommt, und die Liebe annehmen, die wirklicher ist als alles andere?

Herr, hilf uns, die Zeichen der Freude und der Liebe zu sehen, die Wahrheit zu glauben und festzuhalten, die in ihnen ist. Amen.

Erik Høegh-Andersen
Prins Valdemarsvej 40
DK-2820 Gentofte
Tel. ++ 45 - 39 65 43 87
e.mail: erha@km.dk


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