Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: R. Schmidt-Rost

3. Sonntag nach Epiphanias, 26. Januar 2003
Predigt über Matthäus 8,5-13, verfaßt von Ulrich Wiesjahn
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)

Liebe Gemeinde!

Ich erinnere mich noch sehr deutlich, wie eine alte Freundin vor vielen Jahren von einer Israelreise zurückkam und besonders ergriffen von der Ausgrabungsstätte Kapernaum erzählte. Die Reste einer spätantiken Synagoge sind heute noch sehr beeindruckend, und die unteren Steinlagen stammen gewiß aus der Zeit Jesu. "Über diese Steine ist er gegangen", sagte sie tief bewegt.

Kapernaum war vielleicht die wichtigste Stadt im Leben Jesu. Er nannte sie "meine Stadt". Dort befand sich auch das Haus des Petrus. Dort hat er gewohnt, gepredigt und geheilt. Über Kapernaum hat er sich gefreut und geärgert. "Bis in den Himmel bist du erhoben", sagte er, "bis in die Hölle wirst du fallen".

Das starke innere Gefühl, an einem historischen Ort zu stehen, gehört zu unserem Glauben. Denn es sagt uns: Das Berichtete ist kein Märchen, sondern wirklich geschehen. Hier also hat er wirklich gelebt, geredet und geheilt. Und dann lesen wir in der Bibel die Geschichten nach, stellen sie uns vor und lassen uns von ihnen anrühren, vielleicht sogar aufwühlen. Denn Jesusgeschichten sind niemals glatt und problemlos, sondern es sind immer Nachdenkgeschichten, Nachahmungsgeschichten und Entscheidungsgeschichten. Und jetzt hören wir solch eine Geschichte und sie spielt in Kapernaum:
(Verlesung von Matthäus 8,5-13.)

Das ist eine der berühmten Begegnungsgeschichten: Jesus steht einem Mann Aug in Auge gegenüber, und es kommt zu einem ergreifenden Gespräch. Was verbindet die beiden, den römischen Hauptmann und den jüdischen Rabbi? Es ist das Mitleid. Und damit sind wir schon ganz nah am Herzen Jesu. Er ist der Meister des Mitleids, des Heilens, des Tröstens und des Rettens. Genau dort wird er erkannt und angetroffen. Und weil auch der Hauptmann ein Mitleidiger ist, läuft er zu Jesus.

Mitleid, so ahnen wir - und zwar durch Jesus -, Mitleid kann zur tiefsten Verbundenheit werden. Sofort versteht man sich. Alles ist klar. Da braucht jemand Hilfe. Alles muß jetzt und sofort getan werden. Das mitleidige Herz ist erst das menschliche Herz.

Und nun folgt die Geschichte nicht einer Machtdemonstration, sondern eines Angebots: "Ich will kommen und ihn gesund machen", Was aber soll da noch dieses Zaudern und Zögern des Bittenden? Es soll dem Leser und Hörer klarmachen, daß wir es mit einem Erlebnis des Glaubens, des Vertrauens und des blinden Überlassens in die Hände des Gesegneten geht. Heilung verlangt Glauben und Vertrauen und Demut ohne Hader. "Herr, ich bin nicht wert, daß du unter mein Dach gehst, sondern sprich nur ein Wort, so wird mein Knecht gesund." In ergreifender Weise sagen die katholischen Gläubigen diesen Satz, ehe sie zum Empfang der Eucharistie gehen.

Ja, auch wir können nur wie aus einer großen Entfernung heraus beten und zu Gott kommen. Da ist alles Vertrauen, alles ist Glauben und innige Hingabe.

Doch nun hören wir noch eine sehr strenge und erschreckende Rede Jesu. Und ich glaube, sie ist durchaus auf uns gemünzt, damit wir den Entscheidungscharakter das Lebens entdecken. Es gibt keine anderen Sicherheiten als deine Wahl, deinen Glauben, dein Bekenntnis. Abraham, Isaak und Jakob garantieren noch längst nicht die Seligkeit und die Rettung ihrer Nachkommen. Eine gute Vergangenheit und Herkunft ist keine Garantie für eine gute Zukunft. Die Entscheidung zu glauben und zu Jesus hinzulaufen, um mit ihm zu gehen, muß jeder selbst treffen.

Das ist der Individualismus Jesu und der Individualismus unserer Religion: "Du kannst wählen. Es gibt Licht und es gibt Finsternis. Du kannst dich verlaufen. Paß auf dich auf! Entscheide dich!" "Aber wozu und für wen soll ich mich entscheiden?" "Für den Barmherzigen, für den Mitleidigen, für den Arzt. Und entscheide dich für die echte Fürbitte. Die echte Fürbitte ist ein Gebet, in dem Gott gepriesen wird, und kein Handel in Selbstgerechtigkeit."

Und so läuft auch bei dieser Krankheits- und Heilungsgeschichte alles auf den Dreiklang hinaus: Glaube, Hoffnung, Liebe. Das sind die einzigen Kräfte, die dem Leben Leben geben, Das gilt sehr wohl körperlich-medizinisch wie auch seelisch-mental. Aber Körper und Seele sind ja eins in Glaube, Hoffnung und Liebe.

Und da hat sich bis heute nichts geändert. Deshalb kommen wir in dieser Geschichte auch vor: mal als Herr, mal als Knecht, mal als Mitleidige, mal als solche, die das Glauben ausprobieren.

An den Schluß möchte ich ein Gebet des französischen Philosophen Blaise Pascal stellen, das andeutet, worum es in der Begegnung mit Gott und Jesus und dem Heiligen Geist geht:

"Vater im Himmel,
ich bitte weder um Gesundheit, noch um Krankheit,
weder um Leben noch um Tod,
sondern darum, daß du über meine Gesundheit und meine
Krankheit, über mein Leben und meinen Tod verfügst
zu deiner Ehre und zu meinem Heil.
Du allein weißt, was mir dienlich ist.
Du allein bist der Herr, tue, was du willst.
Gib mir oder nimm mir,
aber mache meinen Willen dem deinen gleich."
Amen.

Ulrich Wiesjahn, Goslar
Tel.: 05321-22647
Fax: 05321-42594


(zurück zum Seitenanfang)