Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: R. Schmidt-Rost

3. Sonntag nach Epiphanias, 26. Januar 2003
Predigt über Matthäus 8,5-13, verfaßt von Peter Maser
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)

Liebe Gemeinde!
Liebe Schwestern und Brüder!

Die Geschichte vom Hauptmann von Kapernaum, die uns heute als Predigttext gegeben ist, kennen die meisten von uns ja wahrscheinlich noch so einigermaßen. Auch ich glaubte zunächst, mich dabei auf vertrautem Terrain zu bewegen. Aber diese Geschichte hat es so in sich, daß es sich wirklich lohnt, ihr wieder sehr genau zuzuhören. Was da zuerst als wohlbekannte Wundergeschichte einher kommt, endet schließlich in einer furchtbaren Verstörung. Wir stehen da auch heute nicht besser da als diejenigen, die damals Augen- und Ohrenzeugen in Kapernaum wurden.

Da gab es in Kapernaum einen römischen Offizier, bestenfalls ein mittlerer Dienstrang, der offensichtlich kein Leuteschinder war, sondern sich um seine Soldaten kümmerte. Dieser Offizier hatte einen altgedienten Feldwebel, der war wahrscheinlich einmal so eine richtige Mutter der Kompanie, bis ihn die Gicht krummzog und mit unablässigen Schmerzen peinigte. Die Ärzte in Kapernaum wußten nicht zu helfen: Gicht gehört für Menschen, die oft im Freien biwakieren müssen, eben zum Berufsrisiko. Der Offizier aber wollte sich mit solcher Auskunft nicht zufrieden geben und dachte darüber nach, ob es nicht doch eine Hilfe für den Invaliden geben könnte.

Nun hörte der Offizier, daß auf einem Berg ganz in der Nähe von Kapernaum, von dem man bis heute einen herrlichen Ausblick auf den Kinnereth genießt, ein wunderlicher Heiliger eine mächtige Predigt gehalten hatte. Die Leute, die abends in die Stadt zurückkamen, wußten manches davon zu erzählen. Auch der Offizier hörte davon. Dieser Jesus soll doch tatsächlich gesagt haben: "Bittet, so wird euch gegeben werden."

Militärs sind in der Regel tatkräftige Persönlichkeiten. Das galt wohl auch unseren Hauptmann. Als Jesus in die Stadt kam, stellte der Offizier sich Jesus in den Weg und bat ihn, indem er ihn respektvoll mit "Herr" anredete, um Hilfe - und tatsächlich: Der wunderliche Heilige sagt einen Hausbesuch zu.

Während dieses kurzen Wortwechsels muß der Offizier aber ganz plötzlich etwas begriffen haben: Dieser Jesus gehört nicht zu jenen mehr oder weniger fragwürdigen Wunderheilern, die die Jahrmärkte unsicher machen und vor allem den wundergläubigen alten Weibern das Geld aus der Tasche ziehen. Dieser Jesus ist anders! Da kann auch ein Offizier nicht mithalten. Hier braucht es keinen Hausbesuch, sondern nur ein Wort, und der alte Feldwebel ist wieder wie neu.

Aber wie das diesem Jesus klarmachen? Man ist in der Offizierunterkunft doch gar nicht eingerichtet auf den Besuch einer solchen Persönlichkeit. Und deshalb wehrt der Hauptmann mit Worten ab, die zu den wohl meistzitierten Worten auf dieser Erde gehören. In jeder Meßfeier antworten unsere katholischen Geschwister ja auf die Einladung zum Empfang der Kommunion fast wortwörtlich mit den Worten des Offiziers in Kapernaum: "Herr, ich bin nicht wert, daß du unter mein Dach gehest; sondern sprich nur ein Wort, so wird meine Seele gesund."

Ein Offizier denkt, wie sollte es auch anders sein, in militärischen Strukturen. Es muß nur von dem richtigen Dienstgrad der richtige Befehl gegeben werden, dann funktioniert das auch, ohne das ein Vorgesetzter sich persönlich um die Befehlsausführung kümmert. Genau so kann es doch Jesus machen, damit ist doch alles getan.

Das war gewiß ein Denken, mit dem Jesus nicht sehr oft konfrontiert wurde. Kaiser Wilhelm II. a.D., der gerne predigte, kommentierte diese Haltung des Hauptmanns von Kapernaum in einer Predigt am 16. März 1930 zum Gedächtnistag für die Weltkriegstoten in der für ihn typischen abgehackten Sprechweise: "Der Vorgang in Kapernaum zeigt den Soldaten in vorbildlicher Beziehung zum Herrn." Das mag uns heute eher komisch berühren, aber vielleicht hatte Wilhelm II. damit doch immerhin eines sehr genau begriffen: Der Hauptmann reagiert, so wie es ihm zur zweiten Natur geworden ist. Und Jesus nimmt sein Gegenüber ernst. Er spürt das Vertrauen, das ihm hier entgegengebracht wird. Der Offizier, der gegenüber der schweren Krankheit seines alten Kameraden die eigene Machtlosigkeit erkennen mußte (Gicht läßt sich nun einmal nicht durch ein militärisches Kommando heilen!), der traut Jesus genau das zu: Sein Befehl wird Heilung bewirken. So einfach ist das für ihn - nur auf einer ganz anderen Ebene.

An dieser Stelle wendet sich Jesus zu seinen Jüngern und den Menschen, die ihm nachgelaufen sind. Der naive Glauben, den ihm da ein Nichtjude, ein römischer Besatzungsoffizier, entgegenbringt, veranlaßt ihn zu einer Kurzpredigt, die weit über den gegebenen Anlaß hinaus reicht. Sie trifft nicht nur die Juden, die damals Jesus zuhörten. Diese Predigt Jesu zielt über die Zeiten und den damaligen Anlaß hinweg genau auch auf uns. Verstecken wir uns also heute nicht hinter einer Erörterung darüber, was die Worte Jesu seinen jüdischen Hörern sagten. Stellen wir uns vielmehr mitten hinein in die Gruppe von Menschen, die die Bitte des Hauptmanns von Kapernaum gehört haben und nun von Jesus angesprochen werden.

Als erstes stellt Jesus fest: "Solchen Glauben" habe ich in Israel nicht gefunden. Was kann das heißen? Wir wissen doch um den Schatz der Frömmigkeit und die glühende Hoffnung auf das zukünftige Heil, die Israel geschenkt worden ist. Wir wissen doch von den zahllosen Märtyrern, die mit dem großen Bekenntnis der Einzigartigkeit Gottes zur Heiligung seines Namens auf den Lippen gestorben sind. Wir wissen doch von der Fülle des Glaubens, die der Allmächtige seiner Kirche geschenkt hat. Wovon redet denn die Kirchengeschichte, wenn nicht letztlich immer davon? Und dann diese Feststellung Jesu! Was macht den Glauben des Hauptmanns in Kapernaum so unvergleichlich? Ich glaube, es ist die Naivität dieses Glaubens, die Jesus hier so hoch preist. Dieser römische Hauptmann weiß nichts von den Verheißungen Gottes an sein Volk, er weiß nichts von Geschichte Gottes mit seinem Volk, er kennt keines der großen Gebete, die die Psalmdichter ihr Volk gelehrt haben, er weiß nichts von der großen endzeitlichen Hoffnung. Nein, das alles fehlt. Der Hauptmann hat nur das Wort "Bittet, so wird euch gegeben" gehört und darauf vertraut er - ohne allen Religionsunterricht, ohne alle Theologie, ohne alle kirchliche Sozialisation. Aber - erfüllt von einem ganz großen Vertrauen - stellt er sich Jesus in den Weg, trägt seine ganz praktische Bitte vor und ist sich merkwürdig sicher, das wird nun auch geschehen. Vielleicht beginnen wir zu ahnen, weshalb Jesus diesen "hohen und großen Glauben in dem Hauptmann", so hat es Luther ausgedrückt, so sehr preist. Hier wird Glauben als ein Geschenk entgegengenommen und sogleich ganz praktisch umgesetzt. Ich weiß, die Juden werden damals über diesen Hauptmann den Kopf geschüttelt haben. Und auch wir tun uns schwer damit, so wie wir da unter denen stehen, die Jesus nachgelaufen sind. Wir Frommen haben es zu allen Zeiten ja immer schwer damit, wenn das, um das wir uns doch sehr heftig mühen, auch einmal ganz klar als das vor uns aufscheint, was es wirklich ist: Der Glaube als ein Geschenk - so einfach und doch so wunderbar!

Jesus aber beläßt es nicht bei diesem Lobpreis eines naiven Glaubens. Sein Blick wendet sich denen zu, die sich ihres Glaubens doch immerhin einigermaßen sicher sind und auch einiges dafür tun. Und er spricht das erschreckende Wort aus: "Viele, sehr viele von überallher werden mit den Erzvätern dereinst im Himmel vereint sein, aber die Kinder des Reichs werden ausgestoßen sein in die Finsternis." Das trifft auch uns, die wir heute zu diesem Akademischen Gottesdienst versammelt sind. Natürlich fühlen wir uns als "Kinder des Reiches" und die Theologen unter uns wahrscheinlich in ganz besonderem Maße. Was tun wir nicht alles, um des Reiches willen! Wir arbeiten in der Studentengemeinde mit, singen in der Kantorei, engagieren uns in der Evangelischen Frauenarbeit, betreuen Kranke und Alte, bilden uns im Evangelischen Forum und wirken in Evangelischen Akademien mit. Manche von uns schreiben sogar dicke Bücher oder dünne Aufsätze, in denen es zuletzt doch immer um das Reich Gottes geht. Und das alles soll uns nicht wenigsten für einen der unteren Plätze am Tisch der Herrlichkeit qualifizieren? Möglicherweise werden es die ganz Anderen sein, die zum Freudenmahl gebeten werden? Möglicherweise haben die, die wir als Spötter, als Verzweifelte, als Uninteressierte oder sogar als Gegner einstufen, die viel besseren Chancen. Haben die Kinder der Welt möglicherweise einen besseren Stand als die Kinder des Reiches? Luther hat in seiner Auslegung dieses Textes davon gesprochen habe, daß Gott geradezu Lust daran habe, diejenigen, die satt sind, hungern zu lassen, wiederum aber die Hungrigen zu sättigen. Das ist der Geist des Magnifikat: Die große Gefahr ist die Sattheit, die große Chance ist die Demut. Glaube als ein Geschenk - das müssen wir wohl auch als die Frommen und Theologen immer wieder zu buchstabieren lernen. Es geht um Dankbarkeit für die kleine Sicherheit, es geht um das Wissen von unserer großen Unsicherheit und es geht um die große, ja die naive Zuversicht, daß das Wenige, das uns geschenkt wird, dann auch ausreichen wird, um mit den Vätern des Glaubens die Fülle der Herrlichkeit zu schauen.

Der Hauptmann von Kapernaum wird von Jesus mit dem Wort "Dir geschehe, wie du geglaubt hast" entlassen. Der Hauptmann konnte das als große Bestätigung seines Glaubens hören: "Sein Unteroffizier ward gesund zu derselben Stunde." Ich aber höre dieses Wort mit einem gewissen Gefühl der Sorge, denn dieses Wort läßt sich ja auch umdrehen, sobald wir es auf uns selber anwenden. Ernst Wiechert hat in seiner Erzählung von 1928/29 über den Hauptmann von Kapernaum von der "furchtbaren Last dieses Wortes" gesprochen. Es bedeutet ja genau genommen: So, wie du glaubst, so wirst du es erfahren. Es hängt von deinem Glauben ab! Und dann sieht es wohl schlimm aus um uns, denen doch alle Naivität in Glaubensdingen so weit abhanden gekommen ist. Wenn diese Mechanik tatsächlich funktioniert, dann wird mir angst und bange. Aber so funktioniert es - Gott sei Dank - eben doch nicht. Martin Luther hat in seiner Auslegung unseres Predigttextes ein wenig tiefer gegraben, wenn er erläutert: "Also lehrt dies Evangelium [...] sehr fein vom Glauben, was für eine Art er sei, wie er sich an das Wort halte, auf die Gnade Gottes in aller Demut harre. Wer solches tut, dem wird es gelingen, wie [...] diesem feinen Hauptmann, daß ihm geschehen wird, wie er glaubt; das ist, gleichwie er allein Gottes Güte und Gnade im Herzen hat, derselben begehrt und sich darauf verläßt: also will Gott allein nach Gnaden mit ihm handeln, ihn annehmen und ihm helfen." Und deshalb darf ich diese Predigt mit den Worten beschließen, mit denen einst Martin Luther die seinige beendete: "Gott verleihe uns seinen Heiligen Geist, der solche Zuversicht auf die Gnade durch Christum in unsere Herzen auch erwecken und also uns zur Seligkeit führen wolle, Amen."

Prof. Dr. Peter Maser
Direktor des Ostkirchen-Instituts der WWU Münster
von-Siemens-Straße 3B, D-48291 Telgte
Tel.: 02504/5399 Fax: 02504/3388
Peter.Maser@t-online.de


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