Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: R. Schmidt-Rost

Letzter Sonntag nach Epiphanias, 9. Februar 2003
Predigt über Matthäus 17, 1-9, verfaßt von Matthias Petersen
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)

manchmal
aber das ist sehr sehr selten
scheint mir gott ganz nah

da gibt es keine fragen mehr
da ist nur noch gott um mich
klarheit
licht
weite freie sicht
da kann ich durchatmen

auf dem kirchentag habe ich das
hin und wieder
erlebt
oder
im kloster taizé
oder auch
das ist nur scheinbar ein widerspruch
am sterbebett meines vaters
nie habe ich mich gott näher gefühlt
als in jenen tagen vor zwölf jahren

alle zweifel aufgehoben
stattdessen eine große gewißheit und zuversicht
augenblicke wie ein geschenk

von solcher erfahrung berichtet matthäus
der evangelist
wir haben seine geschichte gerade gehört

petrus jakobus und johannes
sie werden zeugen der "verklärung" jesu
des zimmermannssohnes
des wanderpredigers
jehoshua

die drei gehören zu seinen engsten vertrauten
waren
lang genug
mit ihm schon durchs land gezogen
hatten mit ihm gottes reich geträumt
geworben
gestritten
gelitten
und jesus
immer in ihrer unmittelbaren nähe
überzeugend
streng
freundlich
überraschend
ein mensch unter menschen

und nun dies
eine vision
ein traum
jesus
überströmt von göttlicher klarheit
getaucht in das licht des allvaters

unerheblich wie das geschehen sein mag
entscheidend nur die momentane klarheit
keine zweifel mehr
keine unsicherheit
gott ganz nah
seite an seite
hand in hand mit den menschen
überströmendes erkennen

jesus
eingerahmt
in die mitte genommen
mit moshe
mit elija
die beiden großen jüdischer gotteserkenntnis
gott so nah
wie nie ein mensch
vorher oder nachher
ihm gewesen war
moshe
künder des gesetzes
mit dem gott sprach
so wie ein mann mit seinem freunde spricht
elija
prophet der propheten
so heilig
daß gott ihn nicht sterben ließ
sondern lebendig auffahren in die ewigkeit

und nun jesus in ihrer mitte
der dritte im bunde der gotterfüllten
ein anderer jesus ist das
ein ganz anderer
als
der zimmermann
der freund
der wanderprediger
der heiler
der streiter
der zurechtweiser
der tröster
der lebendeuter
ein ganz anderer ist das

gestern noch
da hatte er sich taufen lassen
mensch unter menschen
heute
heiliger unter heiligen
gestern noch die gottesferne geteilt
heute zu füßen des thrones
und
von diesem thron her
spricht die stimme des heiligen
dies ist mein lieber sohn
den sollt ihr hören

den sollt ihr hören
den
matthäus
die junge christengemeinde
einen stachel treiben sie in das fleisch der jüdischen tradition
triumph
vielleicht häme gar
den sollt ihr hören
nicht moshe
nicht elija
sondern den

der weg der gotteserkenntnis
das ist die botschaft des matthäus
ist gewiesen
den sollt ihr hören
in dieser richtung soll es weitergehen

dennoch
moshe
elija
sie werden nicht abgeschrieben
in ewigkeit nicht
die innige nähe bleibt
die nähe zwischen gott und seinen heiligen
die nähe zwischen moshe elija jehoshua
aber ihre wege
hier trennen sie sich

doch nun petrus
übereifriger tolpatsch
der
durch seinen aktivismus
den zauber der gottesnähe zerstört
hier ist gut sein
laß uns hütten bauen

ach ja
die uralte versuchung
von petrus
über den geheimrat goethe
verweile doch du bist so schon
bis zum hsv
so ein tag so wunderschön wie heute
der dürfte nieeeeeeee vergehn

aber
der augenblick verweilt nicht
kein tag bleibt
kein glück
keine klarheit
keine erfüllung

die erfahrung ist erschreckend
das wesentliche
das
was das leben ausmacht
in seinem tiefsten grund
das
was wirklich und allein zählt
das läßt sich nicht festhalten
das zerrinnt mir unter den händen

zum erstenmal verliebt bis in die haarspitzen
schmetterlinge im bauch

unendlicher jubel
das eben geborene kind in den armen

der strahlende sommertag
wenn hitze flirrt über den feldern
und die grillen ihr konzert singen

oder eben auch
die ruhige gewißheit der gottesnähe
unmittelbare erfahrung der klarheit seiner gegenwart

nichts davon läßt sich festhalten

aus der blühend-zarten liebe wird routinierte langzeitehe
das putzige baby wird zum pickligen rebellischen teenager
der helle sommertag entlädt sich in furchtbarem gewitter
und der gottesnähe folgen neue zweifel und versuchungen

bringen wir es ruhig auf eine platte formel
was ich festhalten kann
es ist nicht wert festgehalten zu werden
aber
was es tatsächlich wert wäre festgehalten zu werden
liebe und erfüllung
sinnerfahrung und gottesnähe
das läßt sich nicht halten
sondern ist nur zu erfahren
als flüchtiges geschenk

es bewegt mich immer wieder neu
wie unendlich schwer
jugendliche sich trennen
nach einer woche im kloster taizé
voneinander
von den brüdern
von kirche und gemeinschaft

aber
die brüder wollen keine eigene kirche
keinen fanclub
die jugendlichen werden fortgeschickt
ins tal
nach hause
in ihre gemeinden
zum engagement
denn
es gibt keine dauerbehausung
auf dem berg der verklärung

und die jünger jesu
erstarrt
erschüttert
zu boden geworfen angesichts der nähe gottes
hebt jesus sie auf
bringt sie wieder in bewegung
führt sie hinunter
vom berg ins tal
von der verklärung in die ernüchterung
auf den boden der tatsachen und aufgaben
zurück zu den menschen
den kranken
den hungernden
den lahmen
den blinden
zurück zu den sündern
und ihrer sehnsucht nach freiheit und vergebung

zurück aber auch zu den gegnern
und ihren tödlichen plänen
zurück zu den saddam husseins und george w. bushs
zurück in die welt der dummheit und der gewalt
der weg hinunter ins tal
führt unweigerlich nach golgotha

ich versuche zu begreifen
was heißt das
für mich
für euch
für die welt
was heißt das
den berg der verklärung im herzen zu tragen
und
gleichzeitig
zu leben zu arbeiten in den niederungen der welt

vielleicht doch dies

ihr zweifelnden
verzweifelt nicht
gewißheit kann man
nicht erarbeiten
nicht erstreiten
sie ist geschenk
und dieses geschenk
ist euch uns versprochen

ihr entmutigten
faßt neuen mut
steht auf
redet laut
nehmt partei
für das leben
für den frieden
für das reich gottes
legt euch an
mit den kriegstreibern und menschenschindern
in washington in bagdad
in woauchimmer
denn gott schenkt sich
den sanftmütigen
den friedensstiftern
den gerechtigkeitsträumern

ihr trauernden
laßt euch trösten
ihr zerstrittenen
laßt euch versöhnen
ihr hungernden
hört nicht auf euer recht zu fordern
ihr armen
verliert nicht euren glauben an die gerechtigkeit
ihr enttäuschten
ihr wütenden
ihr hoffenden bangenden wartenden
ihr verletzten
vergeßt nicht den berg der verklärung
vergeßt nicht den berg der gottesgewißheit
es gibt ihn
diesen berg

für jeden anderswo
aber es gibt ihn
in taizé vielleicht
oder in einem gottesdienst eurer gemeinde
in einer beglückenden begegnung mit einem menschen
oder in einer erfahrung von bewahrung
in einem sonnenaufgang
oder
in einem getrösteten sterben
es gibt ihn
so gewiß wie es die zugspitze gibt
wir dürfen nur nicht auf ihm wohnen
noch nicht
dort hütten zu bauen ist uns nicht erlaubt
aber
wir dürfen ihn im herzen bewahren
damit wir kraft gewinnen
für unser tägliches tun
und
immer wieder
zu ihm zurückfinden
dort atem schöpfen
und neue kraft
wenn die arbeit
in den niederungen des alltags
drückend und unerträglich wird

der heilige augustin
das ist jetzt mehr als eineinhalb jahrtausende her
schloß eine predigt zu diesem evangelium mit den worten

steig herab
petrus
verkündige das wort
bleib dabei
zur zeit und zur unzeit
überführe! mahne!
steig herab
um auf der erde zu arbeiten
auf der erde zu dienen
verachtet zu werden
gekreuzigt zu werden auf der erde
das leben steigt ab um getötet zu werden
das brot steigt ab um auszugehen
der weg steigt ab um unterwegs müde zu werden
die quelle steigt ab um dürr zu werden
und du weigerst dich zu arbeiten?
suche nicht das deine!
habe liebe!
verkündige die wahrheit!
dann wirst du zur ewigkeit kommen
wo du gewißheit findest

amen


Propst Matthias Petersen
Kirchenstraße 37
24211 Preetz
e-mail: petersen.m@t-online.de


(zurück zum Seitenanfang)