Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: R. Schmidt-Rost

Septuagesimae, 16. Februar 2003
Predigt über Matthäus 20, 1-16a, verfaßt von Stefan Knobloch
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)

Auf welcher Seite liegen unsere Sympathien, wenn wir dieses Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg hören? Zuerst sicher, wie sich das Ganze so abspielt, auf Seiten des Weinbergbesitzers. Er hat unternehmerische Qualitäten und tut etwas für den Arbeitsmarkt. Er holt Arbeitslose von der Straße und kümmert sich nicht um Tarifabschlüsse und gewerkschaftliche Vereinbarungen, oder besser, hat sich um sie nicht zu kümmern. Er hat unsere Sympathie. Doch dann dürften wir die Seiten wechseln, wenn es nämlich zur Lohnauszahlung kommt. Da scheint es nicht mehr mit rechten Dingen zuzugehen. Da bleibt in der Tat – nach unseren Maßstäben – die Gerechtigkeit auf der Strecke. Das verheißt nichts Gutes, wenn auch im Reich Gottes wieder die Gerechtigkeit auf der Strecke bleibt. Sollen sich dort wieder, wie wir das aus unseren Verhältnissen kennen, Vetternwirtschaft, Begünstigung und launische Ungleichbehandlung fortsetzen, gegen die man kein Rechtsmittel hätte?

Mit solchen Fragen, die sich bei uns gewissermaßen automatisch einstellen, die wir gar nicht erst lange bemühen müssen, verfangen wir uns im Gestrüpp unseres Denkens, das zur Welt des Reiches Gottes in krassem Gegensatz steht. Aber der Reihe nach.

Der Gutsbesitzer ist ein Frühaufsteher. Um sechs Uhr früh heuert er schon die ersten Arbeiter für seinen Weinberg an. Vereinbarter Tagelohn ein Denar. Drei Stunden später, gegen neun Uhr, heuert er die nächsten an. Die Vereinbarung lautet nicht mehr einen Denar, sondern: "Ich werde euch geben, was recht ist." Mittags um zwölf und am frühen Nachmittag um drei macht er es ebenso. Ja, sogar kurz vor Schluß, bevor um achtzehn Uhr der Arbeitstag endet, ordert er noch um siebzehn Uhr für eine einzige Stunde Arbeitslose für seinen Weinberg. Bis dahin läuft das Ganze noch halbwegs nach einer für uns nachvollziehbaren Logik, wenngleich wir vielleicht gesagt hätten, das mit einer Stunde Arbeit, das hätte nicht sein müssen. Andererseits kennen ja auch wir die Phänomene der Kurzarbeit und des flexiblen Arbeitsmarktes. Soweit so gut.

Was sagt das Bisherige über das Reich Gottes? Denn das Gleichnis steht ja für das Reich Gottes. Eigentlich bisher nichts, was wir nicht nachvollziehen könnten. Also hat es im Bisherigen nicht seinen eigentlichen Konstruktionspunkt. Der liegt anderswo, nämlich in dem, was jetzt folgt. Plötzlich scheint es sehr ungerecht zuzugehen. Da bekommen die allerletzten, die nur eine Stunde gearbeitet haben, als erste den Lohn: einen Denar. Aha, der Gutsbesitzer muß es sich offenbar anders überlegt haben; da muß=20für die, die den ganzen Tag gearbeitet haben mehr herausspringen. Tut es aber nicht. Ich denke, wir teilen den Unmut derer, die sich benachteiligt fühlen. Das geht nicht mit rechten Dingen zu. Selbst die Begründung des Gutsherrn für sein Vorgehen hinterläßt bei uns einen unguten Beigeschmack. Doch da genau liegt die Pointe des Gleichnisses, und genau da sind wir schwer zu knacken. "Kann dein Auge nicht mitansehen", so lautet die Schlußfrage an einen der Protestierer, "daß ich gut bin?" Hier geht es nicht bloß um unser anderes Augenmaß. Hier geht es ums Ganze, nämlich ums Ganze des Reiches Gottes.

Da hat sich Jesus – wenn ich das einmal so respektlos sagen darf – sein ganzes Wirken hindurch den Mund fransig geredet, wie es sich mit dem Reich Gottes verhalte, was da auf uns zukomme – und wir haben es ihm noch immer nicht abgenommen, haben es noch immer nicht begriffen! Unser Auge will nicht sehen, es will uns nicht in den Kopf, "wie gut Gott zu uns ist" (vgl. Mt 20,15). Es will nur schwer in unseren Kopf, daß das Reich Gottes ein Geschenk an uns ist, ein Geschenk, wie dreimal Weihnachten, ja, noch unendlich mehr als das. Die Pointe des Gleichnisses liegt exakt darin, daß das Reich Gottes nicht verdient wird, weder durch einen zwölfstündigen noch durch einen einstündigen Arbeitstag. Verdienstkategorien greifen hier nicht. Das Reich Gottes kommt auf uns zu, wird unser Geschenk, nicht weil wir es uns verdient haben, sondern weil es uns geschenkt wird.

Darin zeigt sich die Güte Gottes. Sie besteht, richtig verstanden, nicht darin, daß unsere Kategorien von Letzten und Ersten, unser "ranking" – wie man neudeutsch sagt – auf den Kopf gestellt werden, so daß Erste Letzte und Letzte Erste würden. So könnte man den Schlußsatz des Evangeliums zwar im ersten Moment verstehen und so lautet er auch wörtlich. Aber so fiele die Katze wieder auf die alten Pfoten. Nicht darum geht es, daß Letzte Erste werden und umgekehrt, sondern darum, daß diese Kategorie, zwischen Ersten und Letzten zu unterscheiden, im Reich Gottes nicht mehr gilt. Sie ist aufgehoben. Sie zählt nicht mehr. Sie ist keine Kategorie des Reiches Gottes. "Stört es dich, weil ich gut bin?", diese zusammenfassende Frage überstrahlt alles.

Ja, wenn wir darüber nachdenken, verschlägt uns das beinahe den Atem. So vom Reich Gottes zu denken, läuft unserer Logik, unserem Gerechtigkeitsempfinden irgendwie zuwider. So könne das mit dem Reich Gottes nicht sein! Was also stört uns am abgrundtiefen Gutsein Gottes? Ist es nicht unser Glaube, der falsche Akzente setzt? Letzte und Erste zählen nicht mehr, ganz ähnlich sagt das ja auch Paulus im Galaterbrief: Für auf Christus Getaufte gebe es keinen Unterschied mehr zwischen Juden und Griechen, Sklaven und Freien, Mann und Frau; sie alle seien "einer" in Christus (Gal 3,28). Die Pointe unseres Gleichnisses von den Arbeitern im Weinberg ist Gottes Gutsein, das sich jedem schenkt.

Dieses Gutsein Gottes aber soll in uns verfangen, es soll in uns nicht verpuffen. Es soll in uns gewissermaßen zu den Synergieeffekten führen, von denen der Jakobusbrief spricht: "Willst du (nicht) einsehen, du unvernünftiger Mensch, daß der Glauben ohne Werke nutzlos ist?" (Jak 2,20). Ein bloß geglaubter Glaube an das Gutsein Gottes als zentraler Botschaft vom Reich Gottes wäre ein Widerspruch in sich, weil er "nur glaubend" nicht glaubt. Wenn unser Glaube keine Synergieeffekte zeitigt, indem wir Gottes Gutsein zum Fundament, nicht zum Ideal unseres Gutseins, unserer Mitmenschlichkeit (und was wir immer sagen wollen) machen, wenn das alles ausbliebe, dann hätten wir in der Tat nicht an das umstürzende Gutsein Gottes angedockt. Solange wir mentalitätsmäßig im Gleichnis auf der Seite der Protestierer verharren, die meinen, sie seien zu kurz gekommen, so lange haben wir vom Gutsein Gottes in seinem Reich nichts begriffen. Lassen wir also unsere Kategorien von den "Letzten", "den Ersten" hinter uns. Lassen wir uns anrühren vom Gutsein Gottes. Es wird uns guttun.

Prof. Dr. Stefan Knobloch
stefan.knobloch@kapuziner.org


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