Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: R. Schmidt-Rost

Sexagesima, 23. Februar 2003
Predigt über Lukas 8, 4-15, verfaßt von Reinhard Brandt
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4 Als nun eine große Menge beieinander war und sie aus den Städten zu ihm eilten, redete er in einem Gleichnis:

5 Es ging ein Sämann aus, zu säen seinen Samen. Und indem er säte, fiel einiges auf den Weg und wurde zertreten, und die Vögel unter dem Himmel fraßen's auf.

6 Und einiges fiel auf den Fels; und als es aufging, verdorrte es, weil es keine Feuchtigkeit hatte.

7 Und einiges fiel mitten unter die Dornen; und die Dornen gingen mit auf und erstickten's.

8 Und einiges fiel auf gutes Land; und es ging auf und trug hundertfach Frucht. Als er das sagte, rief er: Wer Ohren hat zu hören, der höre!

9 Es fragten ihn aber seine Jünger, was dies Gleichnis bedeute.

10 Er aber sprach: Euch ist's gegeben, die Geheimnisse des Reiches Gottes zu verstehen, den andern aber in Gleichnissen, damit sie es nicht sehen, auch wenn sie es sehen, und nicht verstehen, auch wenn sie es hören.

11 Das Gleichnis aber bedeutet dies: Der Same ist das Wort Gottes.

12 Die aber auf dem Weg, das sind die, die es hören; danach kommt der Teufel und nimmt das Wort aus ihrem Herzen, damit sie nicht glauben und selig werden.

13 Die aber auf dem Fels sind die: wenn sie es hören, nehmen sie das Wort mit Freuden an. Doch sie haben keine Wurzel; eine Zeitlang glauben sie, und zu der Zeit der Anfechtung fallen sie ab.

14 Was aber unter die Dornen fiel, sind die, die es hören und gehen hin und ersticken unter den Sorgen, dem Reichtum und den Freuden des Lebens und bringen keine Frucht.

15 Das aber auf dem guten Land sind die, die das Wort hören und behalten in einem feinen, guten Herzen und bringen Frucht in Geduld.

Liebe Gemeinde,

zuerst eine Verständigung, ob jener Sämann weise gehandelt hat oder ob er töricht war. Ist es nicht Verschwendung, was er betreibt? War es wirklich nötig, dass so viel von der Saat verloren geht?

Man kann sich die Szene bildlich ausmalen: Ein Sämann geht und sät seinen Samen. Der Acker ist ungepflügt, wie alle Äcker damals, damit sie nicht zu früh austrocknen durch Hitze und Wind. Zuerst sät der Bauer, danach pflügt er die Saat ein und bricht dabei den Boden um.

Der Sämann also mit seinem Umhängetuch: Mit weitem Schwung streut er den Samen. Etliche fallen zwischen die Disteln. Der Bauer achtet nicht weiter darauf, denn sie werden nachher ohnehin unterpflügt. Andere Samen fallen auf Stellen, wo der Humus nur dünn über dem Felsen liegt im palästinensischen Bergland. Der Bauer merkt es nicht. Die Dorfbewohner haben in den Dürremonaten einen Pfad über das Feld getrampelt; ein paar Samen fallen durch den Schwung darauf. Der Bauer beachtet auch das nicht, denn den Trampelpfad wird er ebenfalls umpflügen. Viele Samen fallen auf guten, „normalen“ Ackerboden.

Wenn man es so bedenkt, dann handelt der Sämann, wie es Ort und Zeit und Situation erfordern, in Palästina zur Zeit Jesu.

Nun wächst die Saat. Die Körner am Weg haben sich doch die Vögel geholt. Die Disteln sind zwar untergepflügt, aber wuchern weiter und ersticken die Saat. Die Samen im dünnen Humus gehen durch die Wärme schnell auf, aber dann verdorren sie in der Sonne. Etliches wächst und reift.

Dies alles erzählt Jesus als ein Gleichnis. Ein Gleichnis wofür? Sicher für das Reich Gottes, in der einen oder anderen Weise. Für Jesu Reich-Gottes-Predigt, indem er auf seinen Tod voraus blickt, vielleicht. Die ersten Christen haben es als Gleichnis für ihre Situation gehört, als die erste Begeisterung nachließ.

Entscheidend ist im Gleichnis wie in Wirklichkeit, was der Ertrag ist: Gewinn? Verlust?

Vom Verlust wird gleich dreifach gesprochen. In der psychologischen Auslegung des Evangelisten: Der Teufel kommt und nimmt den einen das Wort aus ihren Herzen; andere nehmen das Wort an, glauben eine Zeit lang, in der Anfechtung halten sie nicht durch; wieder bei anderen stehen doch die Sorgen, der Reichtum oder die Freuden des Lebens im Vordergrund.

Ich gestehe, mich entlastet, wie hier von den Verlusterfahrungen gesprochen wird, schon in der frühen Christenheit. Auch wir können sicher ähnliche Erfahrungen nennen, Beispiele der Säkularisierung: das Nachlassen der christlichen Sitte am Karfreitag; Ostern nur als Frühlingsfest; wenige, die den Gottesdienst mitfeiern; eine Minderheit, die mit Ernst Christ sein will. Das wir solche Erfahrungen nicht verdrängen brauchen, nicht beschönigen müssen, weil sie schon biblisch benannt werden, das entlastet.

Entlastend ist auch, welche beiden Folgerungen aus diesen Erfahrungen nicht gezogen werden:

  • Appelle und Aufforderungen fehlen in dem Gleichnis. So etwas könnte man sich ja vorstellen! In der Auslegungsgeschichte des Gleichnisses begegnen sie immer wieder: Appelle zum ernsthaften Christsein, zum Hören des Wortes, zur Steigerung der Spenden Brot-für-die-Welt. Auch biblisch gibt es solche Aufforderungen, etwa der Wochenspruch der neuen Woche: „Heute, wenn ihr seine Stimme hören werdet, so verstockt eure Herzen nicht.“ [Hebr. 3,15]
    Doch nichts davon im Gleichnis, das vielmehr von der Weisheit des Sämanns bestimmt ist: Ein Bauer, eine Gärtnerin, die sich hinknien und den Boden anherrschen wollten, nun solle er aber gutes Land werden und ordentlich Frucht hervorbringen - nicht wahr, das wäre komisch. Man kann jäten, düngen, Steine klauben; eine Aufforderung hilft nichts. Selbst wenn der Acker guten Willens wäre, er könnte sich nicht ändern.
    Deshalb im Gleichnis kein Appell an den freien Willen, an die Entscheidung, an das Engagement der Menschen! Vielmehr die nüchterne Einsicht: Einiges fällt hierhin, einiges dorthin.
    Selbst das Wochenlied, das wir gerade gesungen haben, ist eine Bitte an Gott, eine Bitte um gutes, fruchtbares Land. Auch im Lied also weder Selbstermahnung noch Selbstermannung; obwohl durch die Bitte die Bildwelt des Gleichnisses unterbrochen ist.
  • Noch eine andere Folgerung fehlt in dem Gleichnis, und zwar die Forderung nach einem gezielten, effektiveren Einsatz der Mittel. So etwas kennen wir ja inzwischen in vielen Kirchen Deutschlands, aus Strukturreformen, Sparrunden und Landesstellenplanungen.
    Deren partielles Recht sei unbestritten. Der Sämann aber sät, mit weitem Schwung. Das Saatgut wird über das Land ausgeworfen. Auch dort fällt es hin, wo kaum Aussicht auf Ertrag besteht, aus absehbaren Gründen. Doch hier keine Effizienzkriterien, sondern ein verschwenderischer Umgang mit der Wahrheit. Tröstlich, wie der Herr das Evangelium verschwendet.
    Der Verzicht auf Appelle und die Verschwendung des Saatgutes: Ich denke, beides hängt zusammen mit der Hauptfrage, die durch dieses Gleichnis gestellt wird: Geht es in der Hauptsache um den Verlust? Oder um den Gewinn?

Vom Verlust wird dreimal gesprochen. Trotzdem überwiegt bei weitem der Gewinn! Das ist die Pointe des Gleichnisses: Einiges fällt auf gutes Land und trägt hundertfach Frucht. Hundertfach! Und selbst wenn man zurückhaltend rechnet wie die anderen Evangelisten, die dieses Gleichnis erzählen: selbst dann noch sechzig oder wenigstens dreißigfacher Gewinn.

Man muss diese Gewinn- und Verlustrechnung selbst durchrechnen, am besten zu Hause mit Papier und Bleistift oder Taschenrechner. Selbst wenn es je ein Viertel wäre, das verloren geht, was sicher zu hoch geschätzt ist! Selbst wenn drei Viertel als Verlust abzuschreiben wären, der Gewinn wäre überwältigend: eine Verfünfundzwanzigfachung des eingesetzten Vermögens.

Den Börsianer möchte ich sehen, der nicht eine Million investiert und leichten Herzens 750.000 abschreibt, wenn er am Ende 25 Millionen Euro in der Hand hat - oder, im schlechtesten Fall, 7½ Millionen. Renditen sind das, weit jenseits aller Börsenträume auch in Hoch-Zeiten! Renditen, die man in Prozentzahlen schon gar nicht mehr anständig ausdrücken kann! Und das in jedem Jahr!

So ist es mit dem Evangelium: Viel geht verloren im Detail, in dem der Teufel steckt; viel erstickt, wenn die Luft im Alltag nicht mehr zum Atmen reicht; viele gibt es, die umfallen, umschwenken, weil sie keine festen Wurzeln haben.

Doch der Ertrag ist unvergleichlich größer: hundertfach, wenigstens fünfunddreißigfach bringen die Ähren Frucht:

Menschen horchen auf und ändern ihren Sinn. Ehepartner blicken sich wieder in die Augen. Scheidungskinder werden nicht zerrissen. In Altersheimen lässt sich‘s leben. Süchtige kommen los, Depressive legen die Schlaftabletten beiseite. Traurige lächeln, Verhärtete können weinen. Besserwisser hören zu, Gleichgültige falten die Hände, Friedensgebete sind voll.

Hundertfach wächst die Frucht! Das steht nicht gleich vor Augen: nicht, wenn man dem Sämann zusieht; und nicht, wenn man meint, die Wirklichkeit zu kennen. Es muss einem vielmehr gesagt werden, man muss es hören.

Dazu fordert Jesus eigens auf, die einzige Aufforderung im Gleichnis und in seiner biblischen Auslegung: „Wer Ohren hat zu hören, der höre!“ Und die, die so hören, „die hören das Wort und behalten es in einem feinen, guten Herzen und bringen Frucht in Geduld.“

Zum Schluß heute noch einmal die Frage, wofür das Gleichnis vom Sämann ein Gleichnis ist: Es ist ein Gleichnis vom Kommen, von der Verkündigung des Reiches Gottes.

Friede und Gerechtigkeit, Barmherzigkeit, Trost für die Leidtragenden gehören zu diesem Reich. "Selig sind, die Frieden stiften", selig auch "die Sanftmütigen, denn sie werden das Erdreich besitzen". [Mt. 5,5.9]

Das ist eine Wahrheit, die sich nun wirklich nicht aufdrängt in diesen Tagen, in den Wochen der Kriegsdrohung und der Kriegsvorbereitung. Es scheint, als wäre die Verheißung des Reiches Gottes weggenommen vom Teufel, erstickt von der Vorkriegsdepression, verdorrt in der Anfechtung, weil aller Protest nichts zu helfen scheint.

Doch gegen den Augenschein, gegen die Fakten gilt die Wahrheit des Evangeliums auch in diesen Tagen: "Der Sämann geht, zu säen seinen Samen. ... Und einiges fiel auf gutes Land; und es ging auf und trug hundertfach Frucht." So sei, so ist es: wirklich hundertfach!

Der Friede Gottes, der weiter reicht, als alle vernünftigen Überlegungen zu Ertrag und Effizienz vermuten lassen, dieser Friede keime und wachse in unseren Herzen und bewahre uns in Christus Jesus.

Amen.

Wochenlied vor der Predigt: EG 196,1-4

Predigtlied: EG 199 oder 246

Schlussvers: EG 196,6

Nachbemerkung:
Beim Verfassen der Predigt am 15. Februar war nicht abzusehen, ob am 23. Februar in der Golf-Region Krieg herrschen wird oder - so die Annahme, die der Predigt zugrunde liegt - noch nicht. Sollten die Bombardements und der Angriff auf den Irak am 23. Februar schon begonnen haben, so wäre eine Kasualpredigt (etwa in kritischer Anwendung der Kriterien causa iusta, legitima potestas, ultima ratio, pax und Verhältnismäßigkeit der Mittel) denkbar. Wer bei Lk. 8 bleiben will, könnte die Gedanken aus der Schlusspassage in den Mittelpunkt stellen.

Dekan Dr. Reinhard Brandt
Pfarrgasse 5, 91781 Weißenburg (Bay.)
dekan@st-andreaskirche.de



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