Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: R. Schmidt-Rost

Invokavit, 9. März 2003
Predigt über Matthäus 4, 1-11, verfaßt von Rudolf Rengstorf
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"Da wurde Jesus vom Geist in die Wüste geführt" - so beginnt die Geschichte dieses Sonntags.

Unmittelbar vorher hatte Jesus den Geist Gottes noch ganz anders erlebt.
Wie viele andere hatte er sich von Johannes am Jordan taufen lassen. Da hatte sich der Himmel über ihm aufgetan. Und er hatte den Geist Gottes wie eine Taube auf sich herabkommen sehen: liebenswert und unendlich behutsam war er von Gottes Geist berührt worden mit der Botschaft: "Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe!" In seiner Person - so war deutlich geworden - berührt der Himmel die Erde; er ist der erklärte Sohn, der Repräsentant Gottes auf Erden.

Nun sollte man erwarten, daß Jesus in die Geheimnisse der himmlischen Welt eingeführt und von der Freude der Seligen durchdrungen wird. Doch derselbe Geist führt ihn dahin, wo die Erde am bedrohlichsten ist, in die Wüste. Die Menschen, die eben noch um ihn waren, voller Bewunderung und Respekt - sie sind verschwunden. Jesus ist allein. Allein mit seinem Leib, der Nahrung braucht und Flüssigkeit, Schutz vor der sengenden Sonne und den nach Beute suchenden Tieren in der Nacht. Allein mit seiner Seele, die sich nach Gott sehnt wie nach menschlicher Gemeinschaft.
Da will der Geist Gottes ihn haben. Damit er sich ganz auf sich selbst gestellt klar werden kann über den Auftrag, der ihm allein gilt. Und stellen soll er sich dem, was diesen Auftrag durcheinanderbringen und verkehren kann. Versucher, Satan, Teufel wird er genannt. Und wir denken dabei unwillkürlich an eine unheimliche abstoßende Gestalt, die den Menschen mit allen möglichen Tricks ins Verderben ziehen will. Doch der Versucher, der Durcheinander- werfer - wie das hier für den Teufel verwandte Wort wörtlich zu übersetzen wäre - der, so zeigt sich, steckt in uns Menschen. Er steckte auch in Jesus. Er will, wie es aussieht, nur unser Bestes. Und führt dabei genau ins Gegenteil.
Woran wir ihn erkennen, was er zu unserem Schaden durcheinanderbringt, wird an der Weise deutlich, wie er Jesus begegnet.

Zunächst meldet der Versucher sich in dem, was dem hungernden Jesus in der Wüste am meisten fehlt: Brot, Nahrung, Sättigung. Was ist da natürlicher als die Frage: Muß ich als Sohn Gottes nicht vor allem anderen dafür sorgen, daß der Hunger der Menschen gestillt wird? Aus Steinen Brot machen. Das meint mehr, als daß Jesus sich im Handumdrehen etwas Nahrhaftes besorgen soll. Aus Steinen Brot machen - das ist ein Regierungsprogramm, mit dem der Sohn Gottes voll ausgelastet gewesen wäre: Dafür zu sorgen, daß die natürliche Nahrungsgrundlage der Menschen systematisch erweitert wird. Aus Wüsten Gärten machen. So viel Nahrungsmittel produzieren, bis alle satt sind und für jeden da ist, was er und sie braucht und alle Bedürfnisse befriedigt sind. Ist das nicht die Voraussetzung dafür, daß wahrhaft menschliches Leben entsteht mit Zeit und Phantasie auch für Gott?
Jesus freilich kommt zu einem anderen Schluß: Der Mensch lebt nicht vom Brot allein. Auch nicht für eine Zeit lang. Nach der Devise: Erst kommt das Fressen, dann die Moral, die Religion, der Glaube an Gott. Ebenso wichtig für den Menschen wie das Brot ist die Erfahrung, von Anfang an geliebt und gewollt zu sein, angesprochen und beansprucht zu werden. Wenn ein Mensch davon nichts mitbekommt, dann bleibt es beim Fressen, und es wird nie etwas anderes daraus. Nahrung und die Erfahrung, angesprochen und wertgeschätzt zu sein, sie gehören zusammen und dürfen um Gottes Willen nicht durcheinander gebracht, nicht gegeneinander ausgespielt werden. Etwa nach der umgekehrten Devise: Vergeßt Eure Initiativen für Wärmestuben und Tafeln für die Armen im eigenen Land. Vergeßt die Aktion BROT FÜR DIE WELT. Kümmert euch statt dessen um Glaubenskampagnen und Evangelisationen. Damit hätte der Versucher Jesu Hinweis auf die Gottesbedürftigkeit des Menschen zum Zynismus verkehrt.
Die Bitte um das tägliche Brot und die offene Hand für die Hungernden waren für Jesus an der Tagessordnung. Sie waren es aber deshalb, weil Gottes Name, Gottes Reich, Gottes Wille am Anfang stehen und über das hinaus, was wir täglich brauchen und einander schuldig bleiben, erlösend zum Zuge kommen.

Doch mit dieser Feststellung ist Jesus den Versucher nicht los. Gut, sagt der, wenn der Mensch wie das Brot auch Gott braucht, dann richte dich als Sohn Gottes auch danach. Dann bring endlich handfeste Beweise dafür, daß Gott auch da ist und man sich auf ihn verlassen kann. Dann demonstriere doch mal in aller Öffentlichkeit, daß das Gotteswort, von dem wir angeblich leben, auch hält, was es verspricht. Etwa jenes bis heute so beliebte Wort: "Er wird seinen Engeln befehloen, daß sie sie dich auf Händen tragen, damit du deinen Fuß nicht an einen Stein stößt." Komm mit auf die Spitze des Tempels und stürze dich hinab.
In der Tat, das wäre nicht ohne Wirkung geblieben, wenn Jesus gezeigt hätte, daß rückhaltloses Gottvertrauen die Naturgesetze außer Kraft zu setzen und einem aus der Höhe Stürzenden zu unversehrter Landung zu verhelfen vermag.
Jesus aber durchschaut den so naheliegenden Wunsch nach unwiderlegbaren Gottesbeweisen. Wer Gott mit außerordentlichen Aktionen beweisen will, drängt ihn heraus aus dem alltäglichen Leben und legt sein Wirken fest auf eine Art von Sonderwelt. Er fordert Gott dort heruas, wo wir ihn gar nicht brauchen. "Warum - so fragt der unübertrefflich nüchterne Martin Luther - sich herunterstürzen, wenn da eine Treppe ist, auf der man ohne Gefahr heruntergehen kann?"
Wieder sagt Jesus entschieden Nein. Mit seinem auf die Nähe Gottes vertrauenden Wirken hat er Menschen in erstaunlicher Weise helfen können, gewiß. Aber nur da, wo sie sich von ihm ansprechen und aktivieren ließen. Da kamen Lahme wieder in die Gänge, Blinden wurden die Augen aufgetan, Aussätzige wurden rein, Besessene kamen wieder zu Verstand. Das alles geschieht auch heute noch. Am eigenen Leib aber hat Jesus nicht seine Unbesiegbarkeit, sondern seine Verletzbarkeit demonstriert. Bis zum Tod am Kreuz. Damit wir uns daran halten können: Auch wo alles am Ende ist, haben wir den lebendigen Gott vor uns.

Die letzte Versuchung für den sein Amt antretenden Gottessohn lag darin, sich politische Macht übertragen zu lassen. Und sich dem zu unterwerfen, was Macht und Herrschaft verleiht. Das war ja die landläufige Erwartung an den, der im Namen Gottes als Messias, als Christus kommen sollte: Mit unwiderstehlicher Gewalt würde er das Land von den heidnischen Besatzern befreien und einen Staat errichten, wie Gott ihn haben will.
In der christlichen Kirche hat diese Versuchung sich als besonders wirksam erwiesen. Seit dem vierten Jahrhundert bis zum Ende des Kaiserreiches war die Kirche des Abendlandes fest verbunden mit weltlicher Herrschaft. Und wenn wir uns inzwischen auch an die Trennung von Staat und Kirche gewöhnt haben: Die Säkularisierung, die zunehmende Verweltlichung aller Lebensbereiche wird fast überall als schmerzlicher Verlust empfunden und beklagt. Kirchliche Feiertage, der Religionsunterricht an den Schulen, der Sonntagsschutz - all das, was bisher für uns selbstverständlich war, verliert zunehmend an staatlicher Verbindlichkeit. Mit großer Zähigkeit versuchen wir, uns dagegen anzustemmen und so viel wie möglich von der Partnerschaft von Staat und Kirche so festzuhalten.
Jesus aber hat konsequent Nein gesagt zu der Versuchung, staatliche Gewalt für die Sache des Reiches Gottes an Anspruch zu nehmen. Weil wir Gottes Ehre antasten, wenn wir seinen Willen mit Machtpolitik durchzusetzen versuchen.
Gottes Reich beginnt, wo die Liebe zu ihm groß wird, wo die Kleinen, die Abgeschriebenen, die Verlierer aufgerichtet werden, wo die Starken den Schwachen dienen. Staat läßt sich damit nicht machen. Der ist da und hat seinen guten Sinn, solange er sich nicht an die Stelle Gottes setzt und bedingungslose Loyalität fordert. Da werden die Leute Jesu auf der Hut sein und Widerstand leisten und daran erinnern: Du sollst Gott mehr gehorchen als den Menschen!

"Da verließ ihn der Teufel. Und siehe, da traten die Engel zu ihm und dienten ihm."
Gottes Engel sind da, wo der Mensch sich nicht an Gottes Stelle setzt, sondern sich an seinem Platz von Gottes Willen leiten läßt. Amen.

Superintendent Rudolf Rengstorf
Wilhadikirchhof 11
21682 Stade
e-mail: Rudolf.Rengstorf@evlka.de


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