Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: R. Schmidt-Rost

Invokavit, 9. März 2003
Predigt über Matthäus 4, 1-11, verfaßt von Jørgen Demant (Dänemark)
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In der Fastenzeit darf man ruhig laut sagen, daß wir alle, jeder von uns, von Kämpfen mit Teufeln und Dämonen wissen. Es ist erlaubt, die Maske anzulegen, die zeigt, wer wir sind. Sich zu verkleiden, sich zu entkleiden, den Schleier zu entfernen.

Auch Gott zeigt, wer er ist. Er benutzt keine Maske, sondern die Gestalt seines Sohnes. Er wurde getauft wie wir, jetzt schickt Gott ihn in die Wüste, die wir auch kennen, die Gottlosigkeit - die Leere, die schnell mit teuflischen Versuchungen gefüllt werden kann. Deshalb beten wir im Vaterunser: "Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen". So hat er uns Beten gelehrt, der Sohn Gottes, der wußte, was hier auf dem Speil stand. Die Fastenzeit betont dieses Gebet: Das Böse gibt es, laß es nicht mehr Macht bekommen als es schon hat, beschütze uns vor uns selbst! Erlöse uns von dem Bösen! Denn abgeschafft wird es ja nicht, solange die Welt besteht. Steh uns bei, wenn der Feind uns versucht, wir können es, wenn es ernst wird, nicht selber! Wenn es um die Macht und die Herrlichkeit geht. Oder wenn die Sinnlosigkeit oder der Zufall uns ganz in die Ecke der Verzweiflung treibt. Dorthin, wo man in seiner Ohnmacht versucht ist, nachzugeben: selbst weh tun will, die Süße der Rache schmecken will, Leben zerstören will - für sich, für andere. Die Freude im Auge des anderen auslöschen.
Das Böse ist da. Zu erklären ist es nicht - jedenfalls nur, wenn wir ihm damit den Ernst nehmen. Wir können es wegerklären. Nicht daß das sonderlich effektiv wäre. Nein, das Böse soll nicht verleugnet werden, man muß ihm entsagen, ihm abschwören!

Wir entsagen dem Teufel und all seinen Werken und all seinem Wesen!
In Dänemark ist diese Entsagung - mit gutem Grund - noch fester Bestandteil des Glaubensbekenntnisses und der Taufliturgie.

Das ist leichter gesagt als getan. Dazu braucht man Hilfe. Von ihm, der allein den Versuchungen widerstehen kann. Ohne ihn ergeht es uns wie Adam und Eva am Anfang der Zeiten, das zeigt die Erfahrung. Es gibt Leute, die meinen, die beiden (und damit die Menschheit) seien in Wirklichkeit Opfer. Opfer des Komplotts der Schlange, der Lust Gottes, die Krone seiner Schöpfung zu erproben. Man müsse Mitleid haben mit ihnen, weil sie sich versuchen ließen. Schade für sie, daß sie sich verführen ließen, in der Erwartung, selbst an die Macht zu kommen und zu Göttern zu werden. Und wo war da die Krisenhilfe, als sie da saßen mit dem Ergebnis ihrer Grenzüberschreitung? Die Menschheit hat seit dem an posttraumatischem Streß gelitten.

Aber hier muß man nein sagen. Wir dürfen uns nicht zu alledem noch dazu verführen lassen, daß uns Adam und Eva leid tun, weil sie, learning by doing, herausfanden, daß das Böse der Preis der Freiheit ist. Wir dürfen sie nicht zu Schablonen unseres eigenen Selbstmitleids mißbrauchen. Dann lieber, ganz nüchtern, sie als Spiegel benutzen, in dem sich jeder Sünder sehen kann, ein freudiges und schreckliches Wiedererkennen.

Gewöhnlich sind wir wohl auch stolz darauf, daß wir nicht ein Stück geschlossene und vorherbestimmte Natur sind wie Wölfe, Schweine und Schimpansen, deren Tun schon im Voraus festgelegt ist. Daß wir nicht nur Natur sind, sondern Kultur - und daß wir das Unbehagen ertragen können, das sie bereitet.
Wir sollen uns zu der Freiheit bekennen, zu der uns Gott geschaffen hat. Obwohl - nein weil Freiheit Verantwortung fordert, weil Freiheit mit Wahl und Möglichkeit verbunden ist.
Der Baum der Erkenntnis war tabu für Adam und Eva. Aber die Fähigkeit, zwischen Gut und Böse zu unterscheiden, richtig oder falsch zu handeln, die hatten sie schon, bevor sie ihre Zähne in den Apfel bissen. Sie lag im göttlichen Verbot. Die Freiheit kam aus dem Nein Gottes, die Freiheit zu wählen, ein Nein als Nein zu akzeptieren oder sich darüber hinwegzusetzen.
Adam und Eva sind keineswegs arme Naivlinge. Sie wählten, und sie wurden schuldig. Sie lernten den Unterschied zwischen Gut und Böse kennen, wie Gott. Sie lernten, verantwortlich zu sein. Und damals wurde das erfunden, sich als Opfer zu fühlen! Ich war es nicht! Ich war nur ein Opfer der Schlange, der Frau, der Gesellschaft, der Herkunft, der Umwelt. Ich habe nur meine Pflicht getan, sagte der Henker von Auschwitz. Ich bin eigentlich das Opfer! Solche Äußerungen führen selten in die Erkenntnis von Ohnmacht und Unabhängigkeit. Sie verschließen einen in das eigene Beleidigtsein.
Darin hüllt man sich ein, und dabei bereitet man sich auf die nächste Versuchung vor, welche die Wünsche und Träume einem bringen - letztlich um sich die Macht zu sichern, sein eigener Grund zu werden und sein eigenes Ziel: ein Individuum, das in sich selbst ruht, ganz seine eigene Insel, losgelöst vom Festland, unabhängig von Gott und dem Nächsten.

Spring los, lächelt der Teufel entgegenkommend - es gelten doch wohl besondere Regeln für dich! Du kannst sie selbst zusammenstellen und ganz dein eigenes Gut und Böse schaffen!

Führe uns nicht in Versuchung - sondern erlöse uns von dem Bösen!

Auch Jesus wurde in Versuchung geführt, gar vom Geist seines eigenen Vaters. Er sollte Mensch sein unter menschlichen Bedingungen, unser Bruder. Kein Wundertäter oder Weltverbesserer. Er sollte es wagen, nichts zu sein, der Nicht-Angebetete, der Nicht-Bewunderte, der, dessen Körper den Schmerz und dessen Seele die Angst kannte.
Tatsächlich wurde sein ganzes Leben eine lange Versuchung. Er hätte sich dem entziehen können. Er hatte die Möglichkeit, diese furchtbare, verlockende Möglichkeit, sich selbst und seinen Mitmenschen Linderung zu verschaffen. So war es draußen in der Wüste; so war es, als die Leute ihn zum König machen wollten, als seine Freunde ihn dazu überreden wollten, den bequemen Weg zu gehen. So war es am Gründonnerstag im Garten Gethsemane und am Karfreitag auf Golgatha. Aber Jesus hielt stand, er erlag nicht der Versuchung.
Welch eine Solidarität! Nichts anderes sein zu wollen als unsere Schuld und Schande. Er kam nicht, um sich nützlich zu machen, Wohlstand zu mehren, so zu tun, als ließe sich Leiden abschaffen. Er ist hier als der, die sich Gott anheimgibt und sich an seiner Gnade genügen läßt.
Und wir? Ja, wir sind dazu getauft, an seinem Leben teilzuhaben, seinem Tod und seiner Auferstehung. Aber wollen wir uns damit begnügen? Ist uns das genug. Fordern wir nicht mehr vom Leben als nur von Gott, seinem Willen und seiner Macht abhängig zu sein, nur sein Schuldner zu sein? Sind wir nicht freie Menschen?

Frei geschaffen zum Bösen - aber nicht für das Böse!

Ach Herr, erlöse uns von dem Bösen, wir können uns nicht selbst von ihm befreien!

Lob, Dank und Ehre sei dir, unserm Gott,
Vater Sohn und Heiligem Geist,
der da war, und der ist und der da bleibt,
der eine wahre dreieinige Gott,
hochgelobt von Anfang an,
jetzt und in alle Ewigkeit.
Amen.


Pfarrer Jørgen Demant
Hjortekærsvej 74
DK-45 88 40 Lyngby
Tel.: ++ 45 - 45 88 40 75
e-mail: j.demant@wanadoo.dk


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