Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: R. Schmidt-Rost

Reminiscere, 16. März 2003
Predigt über Markus 12, 1-12, verfaßt von Peter Kusenberg
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1 Und er fing an, zu ihnen in Gleichnissen zu reden: Ein Mensch pflanzte einen Weinberg und zog einen Zaun darum und grub eine Kelter und baute einen Turm und verpachtete ihn an Weingärtner und ging außer Landes.
2 Und er sandte, als die Zeit kam, einen Knecht zu den Weingärtnern, damit er von den Weingärtnern seinen Anteil an den Früchten des Weinbergs hole.
3 Sie nahmen ihn aber, schlugen ihn und schickten ihn mit leeren Händen fort.
4 Abermals sandte er zu ihnen einen andern Knecht; dem schlugen sie auf den Kopf und schmähten ihn.
5 Und er sandte noch einen andern, den töteten sie; und viele andere: die einen schlugen sie, die andern töteten sie.
6 Da hatte er noch einen, seinen geliebten Sohn; den sandte er als Letzten auch zu ihnen und sagte sich: Sie werden sich vor meinem Sohn scheuen.
7 Sie aber, die Weingärtner, sprachen untereinander: Dies ist der Erbe; kommt, lasst uns ihn töten, so wird das Erbe unser sein!
8 Und sie nahmen ihn und töteten ihn und warfen ihn hinaus vor den Weinberg.
9 Was wird nun der Herr des Weinbergs tun? Er wird kommen und die Weingärtner umbringen und den Weinberg andern geben.
10 Habt ihr denn nicht dieses Schriftwort gelesen (Psalm 118, 22-23): “Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, der ist zum Eckstein geworden.
11 Vom Herrn ist das geschehen und ist ein Wunder vor unsern Augen”?
12 Und sie trachteten danach, ihn zu ergreifen, und fürchteten sich doch vor dem Volk; denn sie verstanden, dass er auf sie hin dies Gleichnis gesagt hatte. Und sie ließen ihn und gingen davon.

“Und sie trachteten danach, ihn zu ergreifen, und fürchteten sich doch vor dem Volk; denn sie verstanden, dass er auf sie hin dies Gleichnis gesagt hatte. Und sie ließen ihn und gingen davon.”

Liebe Gemeinde,

so endet die Auseinandersetzung zwischen Jesus und seinen Gegnern aus Kirche und Politik, den Schriftgelehrten, den Hohenpriester, den Ältesten. Jesus hat sie mit Dieben und Mördern gleichgesetzt. Und das im Tempel, in aller Öffentlichkeit. Für sie steht außer Frage: dieser Jesus muss beseitigt werden. Einen Weg dafür haben sie noch nicht, denn er ist beliebt beim Volk, doch das Ziel steht fest.

Begonnen hatte es noch vergleichsweise harmlos. Sie hatten sich mit Jesus getroffen, um mit ihm zu debattieren. Auf Streitgespräche und Diskussionen verstanden sie sich. Vielleicht dachten sie, mit geschickten Fragen und Fangfragen seine Autorität untergraben zu können. Aber es kommt anders. Jesus lässt sich nicht auf ein theoretisches, distanziertes Gespräch ein. Er redet auf seine gewohnte Weise, in Vergleichen, mit Bildern aus dem Alltag.

Und die Hörer verstehen sofort, was er mit der Erzählung von den bösen Weingärtnern sagen will. Der Eigentümer, der den Weinberg gepflanzt hat, ist Gott. Mit den Pächtern sind sie gemeint. Die Jahre vergehen – es dauert, bis ein neu angelegter Weinberg Früchte trägt – und mit den Jahren verblasst die Erinnerung an den Besitzer, der dazu noch im Ausland lebt.

Doch dann, als sich die harte Arbeit endlich in Erträgen auszahlt, meldet er sich wieder und verlangt seinen Anteil. Doch die Pächter weigern sich. Sie wollen nun selbst die Besitzer sein. So sehr steigern sie sich in diese Vorstellung hinein, dass sie die Abgesandten des Eigentümers misshandeln, sogar töten.

Natürlich wissen die Hörer, dass Jesus hier von den Propheten der Vergangenheit redet, von Gottes Boten, die er in unermüdlicher Geduld ausgesandt hatte, das Volk Israel von seinen Irrwegen zurückzuführen. Auch sie waren verhöhnt, bedroht, geschlagen worden.

Doch dann wechselt Jesus in die Gegenwart. Der Sohn, den der Besitzer als Letzten schickt – das ist er selbst. Und er spricht offen aus, was in den Köpfen seiner Widersacher als Plan reift: auch den, sogar den werden sie töten. Sie werden es tun in der grotesken Annahme, der Weinberg wäre ihrer, wenn sie den Erben töteten.

“Was wird nun der Herr des Weinbergs tun?” fragt Jesus. Und zögert nicht mit der Antwort: “Er wird kommen und die Weingärtner umbringen und den Weinberg andern geben.” Gottes Geduld ist groß, aber nicht unendlich. So hart das Wort klingt, es steckt auch Hoffnung darin. Es heißt nicht: “Er wird kommen, die Weingärtner umbringen und den Weinberg verdorren lassen.” Sondern: “Er wird den Weinberg anderen geben.”

Eine neue Chance. Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, ist zum Eckstein geworden. Jesus sagt: Ich bin dieser Eckstein. Ihr Schriftgelehrten, Hohenpriester und Älteste könnt mich wegwerfend behandeln und totzukriegen suchen, doch ich werde anderen zum Fundament, zum Grundstein ihres Lebens werden.

Aber auch das Psalmwort, das Jesus hier am Schluss zitiert, ändert nichts mehr an der Haltung seiner Gegner. “Und sie trachteten danach, ihn zu ergreifen, und fürchteten sich doch vor dem Volk; denn sie verstanden, dass er auf sie hin dies Gleichnis gesagt hatte. Und sie ließen ihn und gingen davon.” Die Passionsgeschichte nimmt ihren Lauf.

Liebe Gemeinde, dieses Gleichnis von den bösen Weingärtnern ist aber nicht nur ein bildhafter Hinweis auf das Leiden Jesu. Das Gleichnis geht auch uns heute an. Denn die Erinnerung an den eigentlichen Herrn des Weinbergs ist auch eine mahnende Frage, wer denn eigentlich Herr meines Lebens ist.

Ich bin ja oft schon genug mit dem Inhalt meines Lebens beschäftigt. Beruf, Familie, Auskommen – das fordert Zeit, Gedanken, Kraft. Schließlich möchten wir ja, dass unser Leben auch sichtbaren Erfolg hat. Und wir wissen, dass dieser Erfolg nicht leicht ist und dass wir in Konkurrenz mit anderen Menschen stehen.

Dagegen ist auch gar nichts einzuwenden. Fleiß, Tatkraft, gute Ideen sind positive Kräfte, die unser Leben fördern und es zur Entfaltung bringen. Die Frage ist aber, ob ich meine, damit selbst Eigentümer und Herr meines Lebens zu sein – oder, anders gefragt, wie halte ich es mit dem ersten Gebot: “Ich bin der Herr, dein Gott.”?

Das Gleichnis Jesu macht deutlich: Es kommt in meinem Leben entscheidend darauf an, dass ich Gott den Ertrag meines Lebens nicht schuldig bleibe. Dass die weit verbreitete Grundeinstellung “Ich will mein eigener Herr sein und bleiben” ein Leben voller Neid und Spannungen schafft und die Wurzel darstellt, aus der Egoismus und Ellenbogen-Mentalität sprießen.

Eine Haltung, die uns auf Schritt und Tritt begegnet. Es ist doch traurige Wirklichkeit, dass wir in unserer persönlichen Umgebung, im Machtspiel der Interessengruppen in der Gesellschaft und ebenso in der Politik der Völker untereinander beinahe selbstverständlich davon ausgehen, dass wir Menschen die Herren seien.

“Ich bin der Herr, dein Gott.” Ich frage mich: Gilt das für mein Leben? Oder finde ich es lästig oder gar zum Ärgern, wenn ich daran denken soll, dass der Weinberg, in dem ich arbeite und ernte, dass der Acker, den ich bestelle, nicht mein Eigentum ist? Wie begegne ich den Boten, die mich erinnern? Verstopfe ich mir die Ohren? Möchte ich sie zum Verstummen, zum Schweigen bringen?

Und wie trete ich dem letzten Boten gegenüber, dem Sohn, wenn er zu mir kommt? Begreife ich in der Passionsgeschichte Jesu die unglaubliche Liebe und Geduld, mit der Gott um mich, um uns wirbt?

In Jesu Leben, einem Leben, das voller Liebe war ohne Feindschaft, voller Selbstlosigkeit ohne Vorbehalt, voll von Gemeinschaft ohne Ausgrenzung – in Jesu Leben offenbart Gott, was er unter dem “Ertrag des Lebens” versteht. Jesus lebt diesen Ertrag vor – so, dass ich es begreifen kann, dass ich ihm folgen kann. Was Gott erwartet als Ertrag meines Lebens, soll mich nicht erschrecken oder ärgerlich machen. Es unterstreicht nur das Ausmaß und die Ernsthaftigkeit, mit der er sagt: “Ich bin der Herr, dein Gott.”

Gott ist bei denen, die ihr Leben als sein Geschenk verstehen – und den Ertrag dieses Lebens nicht für sich behalten wollen, sondern weitergeben an andere Menschen. Jesus will auf diesem Weg mit uns gehen. Es ermutigt, dies zu hören. Ich weiß, dass ich seine Hilfe brauchen werde. Ich kenne mich und weiß, wie schwer es mir manchmal fällt, Ohren und Augen offen zu halten für Gottes Erinnerung. Aber es ist wichtig, dass ich nicht vergesse, in wessen Auftrag ich unterwegs bin. Amen.

Peter Kusenberg, Pastor und freier Journalist
Adelebsen-Erbsen
E-mail: pekusenb@aol.com



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