Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: R. Schmidt-Rost

Reminiscere, 16. März 2003
Predigt über Markus 12, 1-12, verfaßt von Joachim Goeze
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)

Exegetische und homiletische Vorentscheidungen

Liebe Schwestern und Brüder in Christus,

am 2.Sonntag der Passionszeit möchte ich mit Ihnen nachdenken über ein Gleichnis aus dem Markusevangelium. Dieser Sonntag trägt den lateinischen Namen Reminiscere, d.h.` „Erinnere Dich“ Gott, derer die im Elend sind,´ so der Zusammenhang aus dem Psalm 10 und Psalm 25:

„Gedenke Herr an Deine Barmherzigkeit und deine Güte...gedenke nicht der Sünden meiner Jugend und meiner Übertretungen; gedenke aber mein nach deiner Barmherzigkeit...“ (v.6/7).

Daraus ist für den ersten Tag der Woche unser Sonntagsname abgeleitet.
Danach ist unser Gleichnis also eine Erinnerungsgeschichte. Einmal daran, dass Gott sich erinnert, an das, was die Handelnden in diesem Gleichnis tun und lassen. Denn jedes Gleichnis trägt ja die Botschaft in sich: tu´s auch so - wie z.B. beim barmherzigen Samariter oder wie in unsrer Parabel: tu´s nicht so! Zum andern aber will Gott erinnert werden, sich um seinen Weinberg zu kümmern, d.h. nun, wie jeder Zuhörer Jesu wusste und wie auch wir uns erinnern wollen: mit dem Weinberg sind wir, das Volk Gottes, gemeint. Ob es nun das Volk Israel ist, wie es das Weinberglied des Profeten Jesaja beschreibt, oder ob nun das neue Volk Gottes in der ganzen Ökumene gemeint ist.

Und in der Tat schildert das Markusevangelium, wie sich Gott um sein Volk, d.h. um seinen Weinberg, kümmert, wie er sich erinnert an das, was er geschaffen hat, wie er sich um seine Schöpfung kümmert und sie auch zu erhalten sucht und wie er Früchte einfordert.

Text: Mk 12,1-12.

Wir sehen unschwer, dass auch in diesem Stück Weltliteratur jeder Einzelzug wichtig ist, jeder Teil des Gleichnisses einzeln übertragen werden kann, ohne dass auf eine Gesamtbotschaft verzichtet wird.

Richtig liebevoll richtet Gott als Weinbergbauer seinen Weinberg ein, versieht ihn mit allem, was für Gedeihen und Erhaltung seiner Schöpfung wichtig ist. Jeder konnte in Israel und jeder kann heute noch verstehen, dass alle Eventualitäten bedacht sind und Gott für seinen Weinberg eine nachhaltige Entwicklung plant und alles darauf ausrichtet, Schöpfung zu bewahren und zu erhalten. Der Mensch, der einen Weinberg pflanzt, und mit dem natürlich Gott gemeint ist, gibt seinem Weinberg einen Zaun zum Schutz vor Wildfraß – eine Anspielung auf die zehn Gebote, die die Gemeinschaft schützen und die sozialen Überlebensregeln einschärfen. Dazu wird eine Kelter gebaut und ein Turm. Und es werden Arbeiter in Gottes Weinberg eingesetzt, die als Hüter und Aufseher dienen sollen. Wie heute wildlife fund in den afrikanischen Nationalparks mit Wildhütern die letzten freilebenden Wildtiere schützt, so setzt der Weinbergbesitzer für seine Gründung Winzer ein, damit sie bauen und bewahren und Früchte bringen.

Jesus erzählt hiermit eine Geschichte, in der Gott nicht weltenfern hinter den Wolken thront, sondern das wird, woraus die tiefste Solidarität mit seinen Hörern spricht: Gott wird Mensch. Und sein Handeln betrifft den erfahrbaren und nachvollziehbaren Alltag – keine Sonderliturgie, nur Eingeweihten verständlich. Und so ist die erste Botschaft dieses Gleichnisses: Gott wird Mensch: und wenn er sich das leistet also auch Ihr, meine Lieben. Mitarbeiter Gottes sein, nennt das der Apostel Paulus.

An welcher Stelle wir und die damaligen Hörer sich sehen sollen, ist damit natürlich klar: Uns ist die Rolle der Arbeiter in Gottes Weinberg zugedacht, wir sind die Pächter. Was wir haben und was wir sind, ist geliehen, nicht von uns geschaffen. Nackt kommen wir auf diese Erde, nackt gehen wir auch wieder, das letzte Hemd hat keine Taschen. Unser Leben ist Leihgabe und was von uns gefragt ist, sind, wie Jesus das in der Bergpredigt auch sagt, Früchte, an denen wir erkannt werden. Ja, unser Bild erlaubt noch eine Weiterung und verallgemeinert: Der Mensch steht in der Verantwortung vor Gott, der abwesend ist, der aber seinen Anteil von den Früchten fordern wird.

Ich bin sicher, dass Jesus an dieser Stelle, indem er Gott als alltäglichen Investor handeln lässt, keinem Missverständnis aufsitzt: Gott ist kein Kapitalist, der allen Angestellten ihren Lohn pfändet und seine Leute nicht leben lässt. Es ist nicht so, wie ich in Indien gesehen habe, dass ein Schuhmacher sich täglich sein Werkzeug erst leihen muß und es unabhängig, ob er damit was hat verdienen können, des abends wieder einwandfrei abgeben und dafür bezahlen muß.

Es ist nicht so, wie ich aus USA höre, dass ich 30 Jahre für eine Firma arbeite, und binnen vierzehn Tagen arbeitslos und ohne Sozialplan bin. Zum einen fordert der Bote den durch die Investition berechtigten Anteil des Eigentümers und nicht die ganze Ernte, und zum andern spiegelt Jesu Gleichnis einfach die damaligen sozialen Verhältnisse wider, um damit etwas grundsätzliches klar zu machen: Sein ist mehr als Haben, und was wir haben, ist doch nicht unser Verdienst. In dieser Erkenntnis über unsere Rolle als Gottes Mitarbeiter liegt nach meiner Einschätzung die Botschaft Nr.2 unseres Gleichnisses.

Und hier setzen wir nun noch genauere Beobachtung ein: Wie verhalten sich die, die wissen, dass sie `nicht aufgrund eigener Vernunft noch Kraft allein´ ihr Leben und ihren Lebensunterhalt bestreiten können? Und wie verhält sich Gott in seiner Rolle als Weinbergbesitzer ?

Befassen wir uns zuerst mit den Pächtern.
Auf die Wahrheit, dass ihnen nicht alles gehört, dass sie im Weinberg arbeiten dürfen, aber keine Alleinherrscher sind, reagieren sie mit ständig wachsender Gewalt. Den ersten Boten verprügeln sie und schicken ihn weg, den zweiten verletzen sie schwer mit Steinen und beschimpfen ihn wüst. Der dritte wird schon getötet und viele weitere werden verletzt oder umgebracht.Klar wird an diesen Reaktionen, dass es schon gar nicht mehr um irgendeinen Ertragsanteil am Weinberg geht. Sondern die Boten erschüttern das an den vermeintlichen Besitz gekettete Selbstwertbewusstsein der Arbeiter, sie sagen, indem sie einen Anteil an den Früchten fordern, ihr seid nicht die Besitzer, die Welt ist nicht euer Supermarkt, in dem ihr alles kriegt.

Der Weinbergturm ist nicht das Cafe Grössenwahn, in dem die Welt als Wille und Vorstellung eingeteilt wird in gut und böse und selbstherrliche Richter in eigener Sache über Tod und Leben entscheiden. Nichts wird in solcher abgeschirmten Selbstüberheblichkeit mehr gefürchtet als die Wahrheit. Diese Neigung, die Welt in gute, das sind wir, und böse einzuteilen, das sind die anderen, ist ja nicht auf die Pächter beschränkt. Woran da in Bagdad und Washington mit tödlichem Ernst gearbeitet wird, ist ja Ausdruck einer selbstgewissen Überheblichkeit, obwohl wir doch wissen müssten, dass Böses nicht nur bei den anderen liegt, sondern geht mitten durch unser Herz.

Gerade dem, der einem das schöne Bild von sich selbst erschüttert, sind ja die meisten Menschen besonders gram wenn nicht feindselig. Insofern spiegeln die Pächter etwas Böses, an dem wir alle Anteil haben. Wer die Wahrheit geigt, dem wird der Fiedelbogen um die Ohren geschlagen.

Gibt es nicht genug Beispiele dafür, dass allein die Wahrheit auszusprechen, in den Augen der Mächtigen todeswürdig ist ? Das war doch der Hauptgrund, warum Bonhoeffer nicht überleben durfte. Und wie war das mit Martin Niemöller nach dem Krieg, der die Verkrustungen des Antikommunismus öffentlich kritisierte ? “Geh doch nach drüben“ habe ich auch selbst oft genug gehört, wenn ich von meiner demokratischen Pflicht Gebrauch machte, Besseres als das behauptete Bestehende zu wollen. Und warum war der Hals-Nasen Ohrenarzt aus Bitterfeld, dem luftverpesteten Industriedreieck, reif für das Zuchthaus in Bautzen, wenn er hilflos in seiner Praxis bemerkte: `Hier kann ich jetzt mit meiner Heilkunst nichts mehr ausrichten.´ Nichts wird mehr gefürchtet als die Wahrheit.

Und so bleibt es auch hier in letzter Konsequenz: auch der Erbe des Weinbergs, der ja einen andern Anspruch verkörpert, den Anspruch Gottes auf unser selbstherrliches Leben, auch er muß sterben: “und sie nahmen ihn und töteten ihn und warfen ihn hinaus vor den Weinberg“v.8.

Spätestens hier ist klar, dass der innere Rahmen des Gleichnisses gesprengt wird. Helmut Thielicke merkt in seiner Auslegung richtig an, die Pächter benähmen sich ja schlimmer als jeder Angestellte seiner Firma gegenüber(Bilderbuch Gottes). Auch die Annahme, durch die Tötung des Erben das Besitzproblem zu ihren Gunsten zu lösen, zeigt den Wahn der Selbstbehauptung gegenüber dem Weinbergbauer, der Gott ist.

Die Urgemeinde deutet die Situation auf Jesus als Boten Gottes und sein Schicksal der Kreuzigung vor Jerusalem, durch die Führenden Israels. Und hier liegt denn auch die dritte Botschaft dieses Gleichnisses: wir Menschen können unser Sein als Mitarbeiter Gottes verfehlen, vielleicht gerade dann, wenn wir glauben, in seinem Namen gerecht zu handeln. Da gibt es nicht nur das Volk Israel, das seine Chance nicht begriff, da gab und da gibt es viele Kirchen, die sich zuerst um ihr eigenes Wohl und nicht um das des ihnen anvertrauten Weinbergs kümmern. Auch das wäre ein eignes Kapitel zur Passionszeit.

Die Ablehnung Gottes und seiner Boten jedenfalls ist in unendlichen Variationen im Alten Testament und eben auch in der Reaktion der Hörer auf diese Erzählung zu beobachten. Jesus als der Bote Gottes wird abgelehnt und getötet. Und die einzigen Boten, die Gottes Volk nun als Antwort zu Gottes Abgesandten schickt, nachdem die unangenehme Wahrheit öffentlich gesagt ist, sind Boten, die ihn öffentlich auf´s Glatteis locken sollen, damit er beseitigt werden kann, wie unsere Folgegeschichte im Markusevangelium zeigt. „Und sie sandten zu ihm etliche von den Pharisäern und den Dienern des Herodes, dass sie ihn fingen mit Worten.“ v.13. Nach vielen Boten schickt Gott endlich sein bestes, sein Kind, den Erben in sein Eigentum, um Anteil an den Früchten seiner Schöpfung zu nehmen. Aber die Seinen nahmen ihn nicht auf. Die von ihm selbst bestimmten Arbeiter im Weinberg verkennen ihr Leben, führen sich auf, als seien sie Herren über die Schöpfung, über Erkenntnis und Wahrheit über Leben und Tod.

Die Wahrheit aber, dass unser Leben Leihgabe ist, darf um keinen Preis ans Licht. Dass aller Besitz und alles Erbe, Zeitgut ist, das darf nicht unter die Leute kommen. Im Licht dieser Erkenntnis könnten sich ja alle Massstäbe verändern, alle Wichtigkeiten verschieben und die eigene Macht und Selbstüberheblichkeit gefährdet sein. Da ist sie, die Grunderkenntnis, die uns überheblich macht: wir wollen sein wie Gott und sind doch nur Pächter, nicht Eigentümer unserer Lebenswelt. Aus dieser Grenzüberschreitung, zu sein zu wollen wie Gott, folgt aller Übermut.

Wie reagiert nun Gott ?
Längst ist klar, dass auch hier die innere Logik der Geschichte überboten wird. Kein vernünftiger Besitzer wird seinen Sohn in die Gefahr bringen, sich derart schamlosen Leuten auszuliefern.

Unser Gleichnis ist zu einer Passionsgeschichte der unendlichen Liebe Gottes geworden, mit der er um uns wirbt, die Welt nicht in Gut und Böse einzuteilen – selbst wenn uns das mächtige Diktatoren und Präsidenten vormachen. Das endlich ist mein vierter und letzter Teil der Gleichnisbotschaft, Gottes Güte ist da unendlich, wo die unsre längst erschöpft ist. Um uns hoffnungslos in Selbstbehauptung Verstrickte wirbt Gott wieder und wieder mit dem Einsatz seiner Selbst bis zum Kreuz.

„Gott lässt sich,“ so hat es D.Bonhoeffer formuliert, „aus der Welt herausdrängen ans Kreuz. Gott ist ohnmächtig und schwach in der Welt und gerade und nur so ist er bei uns und hilft uns...

Nur der leidende Gott kann helfen...das ist die Umkehrung von allem, was der religiöse Mensch von Gott erwartet. Der Mensch wird aufgerufen, das Leiden Gottes an der gottlosen Welt mitzuleiden.“ (Widerstand und Ergebung S.242ff) Nun verstehen wir, warum diese Geschichte eine Parabel für die unendliche Güte Gottes mit seinem Volk ist, das sich immer wieder mit Gewalt verweigert. So haben wir schon immer im Buch der Erfahrung mit Gott seine Geschichte mit seinem Volk sehen müssen, so ging es und geht es zu allen Zeiten mit den Boten und Profeten Gottes. Dass Gottes Boten sprechen, entdecken wir doch oft genug erst nach ihrem Tode. Glauben wir doch ja nicht, dass Bonhoeffer seinerzeit in seiner Kirche nicht weitgehend isoliert war...

Die Verwerfung Israels ist wie die dunkle Seite unserer Erwählung, die Empfänger dieser selbstlosen Liebe Gottes zu sein. Und so ist unser Gleichnis wahrhaftig eine Passionsgeschichte, die Geschichte einer nicht lassenden Liebe Gottes um die Seinen, die sich immer wieder verirren, und die er doch nicht lässt. Im großen wie im Kleinen, im Sozialen wie im Persönlichen verspricht uns Jesus mit diesem Gleichnis immer auf´s Neue die Güte Gottes.

Unter dem Anschein des Gegenteils wird das Verworfene nützlich, das Unerwartete kriegt Gestalt: (v.11f) Herr Du denkst an uns nach Deiner Güte, die ohne Ende ist. Dafür hat Dein Sohn gelitten und seinen Tod in Kauf genommen, dass wir in unserm Leid nicht allein sind. Schenk uns Kraft und Einsicht, an Jesu Seite zu stehen, in Deinem Weinberg mit zu sein.

Amen.

Exegetische und homiletische Vorentscheidungen

Die erste Entscheidung, ich traue der Bibel zu, dass sie meint, was sie sagt (Barth): also lasse ich dem Gleichnis seine Gestalt und seinen Schluß – auch wenn die nachösterliche Gemeinde exegetisch ab vers 10 eine Deutung auf Christus angefügt haben mag. „Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, ist zum Eckstein geworden .“Ps 118,22f. Sie spiegelt historisch sicherlich die Zerstörung Jerusalems wider, theologisch aber die Auferstehung Jesu.

Die zweite Entscheidung: das Gleichnis werte ich als Sprachgeschehen (E.Fuchs) zwischen Erzähler(n) und Hörern, als Parabel, die zugleich Allegorien erlaubt. Die Reaktion der Zuhörer zur Zeit Jesu, vgl.v12, beruht natürlich darauf, dass allen aus der hebräischen Bibel das Weinberglied Jes 5 bekannt ist. Dadurch gelingt die Gleichsetzung Israels und seiner Führung mit dem Weinberg und dessen Pächtern und die Zuspitzung auf die Tötung des Erben als Deutung des Todes Jesu. Und natürlich lässt sich dies auch heute antijudaistisch ausbeuten. (vgl.Matth.21).

Die dritte Entscheidung: der homiletische Rahmen der Auslegung für heute ist die Passionszeit: das Leiden Gottes in unserer Welt angesichts menschlicher Überheblichkeit. Dabei ist mir wichtig, darauf zu achten, keiner Rechtfertigung bestehender Abhängigkeitsverhältnisse zu dienen: Stichwort, Mk 12 kein `Kapitalistengleichnis´.

Dr. Joachim Goeze, Wolfsburg
joachim.goeze@web.de



(zurück zum Seitenanfang)