Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: R. Schmidt-Rost

Okuli, 23. März 2003
Predigt über Lukas 9, 57-62, verfaßt von Christian-Erdmann Schott
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„Als Jesus und seine Jünger auf dem Wege nach Jerusalem waren, sprach einer zu ihm: Ich will dir folgen, wohin du gehst. Und Jesus sprach zu ihm: Die Füchse haben Gruben und die Vögel unter dem Himmel haben Nester; aber der Menschensohn hat nichts, wo er sein Haupt hinlege.
Und er sprach zu einem anderen: Folge mir nach! Der aber sprach: Herr, erlaube mir, dass ich zuvor hingehe und meinen Vater begrabe. Aber Jesus sprach zu ihm: Lass die Toten ihre Toten begraben; du aber geh hin und verkündige das Reich Gottes!
Und ein anderer sprach: Herr, ich will dir nachfolgen; aber erlaube mir zuvor, dass ich Abschied nehme von denen, die in meinem Haus sind. Jesus aber sprach zu ihm: Wer seine Hand an den Pflug legt und sieht zurück, der ist nicht geschickt für das Reich Gottes“.

Liebe Gemeinde!

Es hat Zeiten gegeben, da haben die Christen ihre Beziehung zu Jesus Christus mit dem Begriff „Nachfolge“ beschrieben. So hat zum Beispiel Franz von Assisi im 13. Jahrhundert gleichgesinnte Männer um sich versammelt, die ihr Leben der imitatio Christi, der Nachahmung Christi, weihen wollten; ähnlich die Frauen um seine Schwester Clara. Das ging so weit, dass die Heilige Hedwig von Schlesien in dem Bestreben, Jesus bis in die kleinsten Einzelheiten nachzuahmen, nach Möglichkeit barfuß gegangen ist, weil sie meinte, dass der Herr zu seiner Zeit auch barfuß durch Israel gewandert ist.

„Nachfolge“ heisst, um ein anderes Beispiel zu nennen, ein Buch von Dietrich Bonhoeffer aus dem Jahr 1937. Bonhoeffers Grundthese ist: Der wahre Christ ist ein Nachfolger, eine Nachfolgerin des Herrn Christus mit allen Konsequenzen, die das haben kann. Bonhoeffer selbst hat uns, wie selten jemand im 20. Jahrhundert, gezeigt, was das bedeuten kann – nämlich auch den Märtyrertod zu erleiden.

Heute wird über „Nachfolge Jesu Christi“ kaum gesprochen; jedenfalls nicht in Westeuropa. Vielleicht auch deshalb, weil diesem Wort etwas Düsteres anhaftet. Wenn man an das Schicksal Bonhoeffers denkt, ist das auch verständlich. Die dunkle Tiefe, die in diesem Wort steckt, wird durch die Plazierung des heutigen Predigttextes in der Mitte der Passionszeit mit ihrer Erinnerung an das Leiden und Sterben Jesu Christi zusätzlich hervorgehoben und unterstrichen. Sie darf auch nicht wegtouchiert werden.

Aber: Sie ist nicht alles. Nachfolge meint nicht in erster Linie, Jesus in den Tod folgen, sondern ins Leben. Es heisst, dem Ruf, der Einladung zu einem Leben mit Gott im Sinne und Geiste Jesu Christi zu folgen. So wollen wir auch unseren Predigtabschnitt verstehen.

Sie haben gehört, dass hier drei Gespräche geschildert werden. Alle drei haben einen Grundgedanken, der sie verbindet. Er heisst: Um die Nachfolge Jesu können wir uns nicht bemühen oder bewerben. Wir können sie auch nicht aufgrund eines Beschlusses aufnehmen. In die Nachfolge müssen wir berufen werden, von Jesus selbst. Oder etwas anders: Nur wo eine Berufung Jesu vorliegt, gibt es Nachfolge.

Wir können uns das zunächst negativ am ersten und dritten Gespräch klar machen. Da werden zwei Männer geschildert, die in tiefem Ernst den Entschluss gefasst haben, in die Nachfolge Jesu zu treten. Ihr Ernst zeigt sich darin, dass der eine erklärt, „Ich will dir folgen, wohin du gehst“. Das heisst, auch in den Tod – und Jesus ist bereits unterwegs in Richtung Jerusalem, wo ihn der Tod erwartet. Dieser Mann hat einen schweren, vielleicht den schwersten Beschluss seines Lebens gefasst. Das gilt jedoch nicht allein von ihm. Auch an dem Ernst des dritten Mannes wird man nicht zweifeln dürfen. Man erkennt ihn daran, dass er hingehen will, um sich von seiner Familie und von seinen Hausgenossen zu verabschieden. Es meint einen Abschied auf lange, vielleicht für immer. Und doch weist Jesus beide Männer mit ihrem guten Willen und Entschluss ab. Umgekehrt beruft er einen, der gar nicht in seine Nachfolge treten wollte und auch einen ehrenwerten Grund hat, nämlich die Beerdigung seines Vaters, sie zumindest noch ein wenig hinauszuschieben.

Wenn es so ist, dass man von Jesus berufen sein muss und sich selbst nicht um die Nachfolge bemühen kann, dann fragt es sich: Beruft Jesus auch heute? Wen beruft er? Wie beruft er? Zunächst werden wir uns erinnern: Alle getauften Christen sind mit der Taufe berufen, ihr Leben im Sinn und Geiste Jesu Christi als Kinder Gottes nach dem Willen und den Zusagen Gottes zu leben und auch andere Menschen für den Glauben und die Liebe zu begeistern.

Was das heissen kann, ist in dem bekannten Friedensgebet von Franz von Assisi sehr schön gesagt:
„ dass ich Liebe übe, wo man sich hasst;
dass ich verzeihe, wo man sich beleidigt;
dass ich verbinde, da, wo Streit ist;
dass ich die Wahrheit sage, wo der Irrtum herrscht;
dass ich den Glauben bringe, wo der Zweifel drückt;
dass ich Hoffnung wecke, wo Verzweiflung quält;
dass ich ein Licht anzünde, wo die Finsternis regiert;
dass ich Freude mache, wo der Kummer wohnt“.

Nun kann es Situationen geben, die einen besonderen Einsatz erfordern – denken wir etwa an die Behandlung christlicher Kinder in öffentlichen Schulen der totalitären Systeme, die hinter uns liegen, oder an die Gleichgültigkeit, die uns heute zu schaffen macht. Solche besonderen Situationen können ein Anruf Gottes sein oder werden für den, der diesen Ruf in seinem Gewissen vernimmt. In aller Regel sind wir durch Tatsachen, genauer: durch den Appellcharakter, der den Gegebenheiten innewohnt, zu Taten in der Nachfolge Jesu Christi herausgerufen und berufen.

Aus den Zeugnissen vieler Christen ist bekannt, dass sie sich ihrer Berufung sicher waren. Sie sagten: Wenn Jesus Christus oder Gott dich zu einem Werk in seiner Nachfolge ruft, wirst du es wissen. Seine Stimme wird in deinem Gewissen so stark sein, dass du sie nicht überhören kannst, dass du ihr folgen musst, auch wenn du es zunächst nicht willst. Du wirst gegen diese Stimme nicht ankommen. Er wird dich zwingen, dass du ihm folgen musst.

Das kann eine völlige Neuausrichtung des Lebens zur Folge haben. Wo uns das Herkommen, Traditionen und Konventionen bestimmt haben – unser Predigttext zeigt es - , kann nun der Auftrag unsere violle Hingabe fordern, geradezu rücksichtlos fordern. Die Männer des 20. Juli 1944 etwa setzten nicht allein das eigene, sondern auch das Leben ihrer Familien (Sippenhaft) hintenan und aufs Spiel. Oder denken wir an Künstler, Wissenschaftler, Friedensstifter, Reformer oder Pioniere, die sich dem Risiko aussetzen, zwischen alle Stühle zu geraten und nicht selten auch umgebracht zu werden. Die neue Priorität, die aus dem Hören auf den Ruf folgt, lässt alte Bindungen in ihrer Bedeutung verblassen. Sie stehen nicht mehr an der ersten Stelle (Das „proton“ in unserem Abschnitt)). Dort steht jetzt mit allen Konsequenzen der Auftrag.

Du wirst Einwände vorbringen, zum Beispiel den, dass du nicht geeignet, begabt, ausgebildet bist, um dieses Werk zu tun. Aber wenn man sich die Evangelien ansieht, merkt man schnell: Jesus hat nur ungeeignete Leute in seine Nachfolge berufen – zum Beispiel die zwölf Jünger oder den Christenverfolger Saulus. In der Passionszeit werden wir wieder daran erinnert, dass Jesus unter der Schwäche und dem Versagen seiner Jünger gelitten hat. Trotz dieser Unzulänglichkeiten hat er seine Berufung aufrecht erhalten.

In den Evangelien wird auch deutlich, dass es nicht nur große Jüngergestalten waren, die um Jesus waren, Männer, die sich später kirchengründend hervortaten wie Petrus oder Jakobus oder missionarisch und literarisch hervorleuchteten, wie Paulus. Es gab unter den Jüngern auch unbekannte, kleinere Gestalten; Männer, die man heute kaum kennt. Gott braucht Menschen auch an nicht hervorleuchtenden Stellen – Mütter und Großeltern, Paten, Missionare, die zu Hause bleiben und im Stillen wirken. Darum sage nicht: Ich bin ungeeignet. Sondern tu das, was dir vor die Hand kommt (Luther) und wozu du dich berufen wissen kannst.

Aber prüfe auch, ob Du gemeint bist. Muss ich dieses Werk tun? Wichtig ist in solchen Tagen, wo es um eine Entscheidung geht, immer auch die Beratung mit anderen ernstzunehmenden Christen. Sie können einem die Entscheidung nicht abnehmen. Aber sie können zur inneren Klärung beitragen. Wenn Du aber überzeugt bist, dass Gott Dich auf diesen Weg schickt und haben will, dann geh. Dann glaube fest, dass es Dein Weg ist und lass Dich nicht beirren, auch nicht durch Vergleiche mit anderen Menschen. Andere werden andere Wege geführt und zu anderem in der Nachfolge des Herrn berufen. Du wirst merken, unterwegs, auf dem Wege, dass Gott mit Dir ist. Zurücksehen, Vergleichen, Zweifeln ist dann Unglaube – so wie es Jesus hier sagt: „Wer seine Hand an den Pflug legt und sieht zurück, der ist nicht geschickt zum Reiche Gottes“.

Aber da gibt es noch eine Frage, die gar nicht so wenige Menschen, vielleicht nicht ständig, aber zeitweise doch stark bewegt: Tue ich genug? Nun gibt es natürlich bequeme Menschen, denen es nicht schaden könnte, wenn sie sich diese Frage öfter mal stellen würden. Normal fleissige Menschen aber sollten wissen, dass wir mit einem schlechten Gewissen nicht fertig werden, wenn wir es durch Aktivismus zu beruhigen suchen. Es meldet sich immer wieder und gibt keine Ruhe. Die Antwort auf das schlechte Gewissen ist deshalb nicht das Noch-mehr-Tun, sondern der Glaube an unsere Berufung.

Das heisst: Er will nicht, dass wir die ganze Welt sanieren. Gott stellt uns an diese konkrete Aufgabe, in diese Situation. Darum sollen wir tun, was wir vernünftiger Weise tun können, den ganzen großen Rest aber Gott im Gebet vor die Füße legen. Er ist der Herr, wir nur Helfer in seinem Reich. Vor Gott aber zählt zuletzt nicht, was oder wie viel jemand tut oder nicht tut, sondern ob wir es aus dem Glauben, aus der Überzeugung heraus getan haben, dass er es heute und hier von mir getan haben will.

Die Frage schließlich, warum er mich nun gerade zu diesem und nicht zu einem anderen Werk beruft; warum er mit den Menschen so unterschiedlich umgeht, wie ja auch in unserem Predigtabschnitt zu sehen ist, – diese Frage müssen wir offen lassen. Wir können sie nicht beantworten. Es gehört zu den Geheimnissen Gottes, die wir stehen lassen müssen. So lange wir sie gelten und stehen lassen bei gleichzeitigem vollem Vertrauen zu ihm geben wir ihm die Ehre und zeigen damit an, dass wir ihn als unseren Herrn anerkennen; ihn, dem der Erdkreis gehört und der jede und jeden von uns an den Platz stellt, den er in seiner Weisheit und Gnade vorgesehen hat. Amen.

Dr. Christian-Erdmann Schott
Pfarrer em.
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