Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: R. Schmidt-Rost

Lätare, 30. März 2003
Predigt über Johannes 12, 20-26, verfaßt von Heinz Janssen
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)

Metamorphose oder:
Aus Unscheinbarkeit und Schwachheit zu Lebensfülle und Kraft.

 

Kyrie-Psalm

 

Überlegungen zum Gottesdienst am 10. Tage nach Kriegsbeginn (in der Hoffnung aber, dass der Krieg bis dahin vorbei ist)

 

Predigt

 

Liebe Gemeinde!

 

Wie gern würde ich Ostern in Jerusalem feiern. Wie sehr würde ich mich freuen, den Spuren Jesu in seinem Land zu folgen. Aber es geht jetzt nicht. Angesichts der aktuellen politischen Lage wäre eine Israelreise zu riskant. Diejenigen, welche in friedlicheren Zeiten dort waren, berichten nicht selten, wie sehr sie dieses konkrete Nachgehen der Wege Jesu, das Besuchen der Orte des biblischen Geschehens, berührt hat, als seien sie dadurch Jesus näher gekommen.

 

Im heutigen Predigttext begegnen wir ebenfalls Menschen, welche von Jesus in der Ferne hörten und ihn endlich einmal sehen wollten, seine unmittelbare Nähe suchten. Hören wir aus dem Evangelium nach Johannes, aus dem 12. Kapitel, die Verse 20 bis 26 (Lesung in der Übersetzung nach Martin Luther, revidierte Fassung 1984; die Lesung kann auch eine andere Person übernehmen):

 

20 Es waren aber einige Griechen unter denen, die heraufgekommen waren, um anzubeten auf dem Fest.

21 Die traten zu Philippus, der von Betsaida aus Galiläa war, und baten ihn und sprachen: Herr, wir wollten Jesus gerne sehen.

22 Philippus kommt und sagt es Andreas, und Philippus und Andreas sagen's Jesus weiter.

23 Jesus aber antwortete ihnen und sprach: Die Zeit ist gekommen, daß der Menschensohn verherrlicht werde.

24 Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und erstirbt, bleibt es allein; wenn es aber erstirbt, bringt es viel Frucht.

25 Wer sein Leben liebhat, der wird's verlieren; und wer sein Leben auf dieser Welt haßt, der wird's erhalten zum ewigen Leben.

26 Wer mir dienen will, der folge mir nach; und  wo ich bin, da soll mein Diener auch sein. Und wer mir dienen wird, den wird mein Vater ehren.

 

I.

 

Liebe Gemeinde, von einem Fest hörten wir im Evangelium. Es war zur Zeit des Paesachfestes, wie wir aus dem vorangehenden Zusammenhang erfahren. Die Juden strömten an diesem Fest in Jerusalem zusammen. Jesus war bereits eingetroffen und - auf einer Eselin einreitend - triumphal empfangen worden. Die Menschen haben ihm zugejubelt. Begeistert riefen sie: Hosianna! Gelobt sei, der da kommt in dem Namen des Herrn, der König von Israel! (Johannes 12,13)

 

Woher diese Begeisterung für Jesus? - Weil Jesus Lazarus aus dem Grabe rief und von den Toten auferweckte (Vers 17f.). Die einen hatten es miterlebt, andere hörten davon. Jesu Wirken hatte sich herumgesprochen, besonders diese Tat, und zog die Menge der  Menschen an. Die Pharisäer, die verärgert darauf reagierten, waren machtlos. Resigniert klingen ihre Worte: Ihr seht, daß  ihr nichts (gegen ihn) ausrichtet; siehe, alle Welt läuft ihm nach (Vers19). Jesus ahnte allerdings: In Jerusalem wird es für ihn gefährlich. Trotz allem Jubel bei seinem Einzug braut sich ein Unheil zusammen.

 

Es waren aber einige Griechen unter denen, die heraufgekommen waren, um anzubeten auf dem Fest - so beginnt der Predigttext.

 

Unter den angereisten Festgästen waren Nichtjuden aus der griechisch sprechenden Welt, die ein gewisses Interesse an der Religion Israels hatten. Vor allem wollten sie Jesus gerne sehen. Warum wollten sie Jesus sehen? - Aus Neugierde und Sensationslust? Wir könnten sie verstehen. Ist es nicht auch heute ein prickelndes Gefühl, in der Nähe von Berühmtheiten, gesellschaftlich oder kirchlich bedeutenden Menschen, zu sein? Und ist es nicht wichtig, direkt zu den Quellen zu gelangen? War es für Griechen, für Ausländer, schwerer, an Jesus näher heranzukommen? Es scheint, als ob sie sich langsam vortasten. Sie suchen in Philippus, der Jesus näher steht, gleichsam einen Vermittler. Ihr Vorgehen erinnert heute an die Situation eines Vorzimmers, durch das man zur eigentlichen „Chefetage“ gelangt.

 

Philippus kommt und sagt es Andreas, und Philippus und Andreas sagen’s Jesus.

 

Einer sagt es dem anderen, als ob sie miteinander Verstärkung holen wollten, um gemeinsam Jesus den Wunsch der Fremden vorzubringen. Vielleicht ist es Unsicherheit oder Ratlosigkeit. Was geht in den Jüngern vor? Ahnen auch sie, dass Jesus in höchster Gefahr ist und dass ihnen damit der Boden unter den Füßen weggezogen wird? Achten wir auf Jesu Antwort.

 

II.

 

Jesus aber antwortete ihnen und sprach: Die Zeit ist gekommen, daß der Menschensohn verherrlicht werde.

 

Jesu Antwort ist zunächst unverständlich. Er bat die Griechen nicht zu sich, und sie werden nicht mehr erwähnt. Es ist, als ob sie wieder in der Menge des Volkes untertauchen. Dennoch haben die Fremden etwas bewirkt: Philippus und Andreas bekommen von Jesus eine Antwort, die eine Ankündigung enthält und für sie Klärung bringen soll:

 

Die Zeit ist gekommen, daß der Menschensohn verherrlicht werde.

 

Es klingt wie eine Erklärung, wenn Jesus daraufhin fortfährt:

 

Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und erstirbt, bleibt es allein; wenn es aber erstirbt, bringt es viel Frucht.

 

Diese doch wohl erklärenden Worte Jesu verhindern, den Jubel der Volksmenge vordergründig als Verherrlichung zu sehen. Mit den Worten „...daß der Menschensohn verherrlicht werde“ weist Jesus von sich weg auf Gott, der an und durch ihn handeln wird, um die Welt zu retten. Verherrlichen bedeutet hier: verwandeln - aus Unscheinbarkeit und Schwachheit, aus dem Tod, zu Lebensfülle und Kraft.

 

Jesus umschreibt diesen unglaublichen Vorgang mit dem Gleichnis vom Weizenkorn. Jesus ist das Weizenkorn, aus dessen Sterben die Überwindung des Todes, das neue Leben entsteht - der Halm, die Frucht tragende Ähre.

 

Orgelchoral zu EG 78,9: Jesus ist das Weizenkorn

 

Jesus birgt - wie ein Weizenkorn - eine üppige Lebenskraft und Lebensfülle in sich. Das Weizenkorn kann aber nur unter einer Bedingung Frucht bringen: es muss sterben und so die Verwandlung zulassen.

 

Von dem zeitgenössischen Schweizer Pfarrer und Künstler Henri Lindegaard sehen wir jetzt vier Bilder mit Meditationen zu Jesu Gleichnis vom Weizenkorn...

 

III.

 

Auf das Gleichnis vom Weizenkorn folgt ein ganz schwer zu verstehender Ausspruch Jesu:

 

Wer sein Leben lieb hat, der wird’s verlieren; und wer sein Leben auf dieser Welt haßt, der wird’s erhalten zum ewigen Leben.

 

Schroffe Worte. Wen kann Jesus damit gewinnen! Sprechen wir nicht von Gott als einem Freund des Lebens und davon, dass er uns aufruft, uns der Welt, den Menschen, der ganzen Schöpfung zuzuwenden? Nicht wenige Menschen – oft aus sektiererischen Kreisen - berufen sich auf diese Worte Jesu und begründen damit Lebensverachtung, Weltflucht und eine pessimistische Grundeinstellung. Und manche (kirchlich Distanzierte) fühlen sich beim Hören dieser Worte wiedereinmal bestätigt, dass Christsein alles heiße, was man nicht darf, und nichts als lebensverneinend ist.

 

Die an anderen Bibelstellen zu hörende Verkündigung Jesu und sein Umgang mit den Menschen sprechen keineswegs in diese düstere Richtung. Darum müssen Jesu Worte einen tieferen Sinn haben. Ihre Radikalität, die wir nicht vorschnell glatt bügeln sollen, muss im  Zusammenhang mit seinem Weg ins Leiden gehört werden, dem er um Gottes und der Menschen willen nicht auswich - und sie sind geprägt von der alle menschliche Vernunft übersteigenden Osterhoffnung des neuen, ewigen Lebens.

 

Der Predigttext schließt mit Jesu Ruf in seine Nachfolge. Jesus nachfolgen heißt wie das Weizenkorn zur Verwandlung, zur „Metamorphose“, bereit sein und ihr sich nicht zu verschließen, heißt: sich an dem zu orientieren, was Jesus gelehrt und wie er im Vertrauen auf Gott gelebt hat. Wir können Jesus nicht mehr sehen, wie es damals jene Griechen und sein Volk konnten.  Ob wir dadurch oder durch das Nachgehen seiner Spuren im heutigen Israel Jesus näher kämen, ist keineswegs sicher, weil das äußerliche Sehen sehr oberflächlich sein kann. Darum sind wir jenen gegenüber, die zeitlich und räumlich an Jesus näher dran waren, nicht unbedingt benachteiligt. Wir brauchen nicht nur heute gleichsam das innere Auge, um tiefer zu sehen und zu verstehen, was Jesus wollte, wofür er lebte und wozu er mich und seine Gemeinde heute fordert: nicht allein zu bleiben, sondern dazusein für Gott und mit Leib und Seele gegen alles Lebensfeindliche in der Welt Zeichen des österlichen Lebens zu setzen: Licht, Hoffnung und Frieden. Jesus spricht:

 

Wer mir dienen will, der folge mir nach; und wo ich bin, da soll mein Diener auch sein. Und wer mir dienen will, den wird mein Vater ehren.

 

Amen.

Überlegungen zum Gottesdienst am 11. Tage nach Kriegsbeginn (in der Hoffnung aber, dass der Krieg bis dahin vorbei ist)

Zur liturgischen Gestaltung: Die Kerzen auf dem Altar sind in unserer Kirche seit Ausbruch des Krieges nicht wie üblich schon vor Beginn des Gottesdienstes angezündet. Auf der weisen Altardecke liegt an einer Ecke ein schwarzes Tuch, so drapiert, dass es nur den Teil der Altardecke abdeckt, auf dem die Kerzen stehen. Nach dem Orgelvorspiel gehe ich zum Altar und zünde die eine von beiden Kerzen an und spreche (zum Altar gewandt), nachdem sie eine Weile brennt: „Die Kerze ist angezündet, ein Licht in dem Schatten, den die aktuellen Kriegsereignisse auf uns werfen“. Nach einer Stille zünde ich die zweite Altarkerze an. Wieder nach einer Weile spreche ich (zur Gemeinde gewandt): „Ein Licht ist angezündet auf dem Altar des Gottes, dessen Botschaft von Gerechtigkeit, Wahrheit und Frieden wir hören und verkünden. Die beiden Kerzen sind angezündet als Lichter der Hoffnung, da wir jetzt – verbunden mit vielen Menschen auf der ganzen Welt - zum Gottesdienst versammelt sind im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.“ Gemeinde (antwortet/singt): Amen.

Zu den Gebeten: Die Gebete stimme ich als Gebete für den Frieden in der Welt ganz auf die aktuelle so bedrängende Kriegssituation ab. Als Kyriegebet spreche ich mit der Gemeinde (im Wechsel) einen „Friedenspsalm“ (aus: GottesDienst, Friedensgebet, 2003, hg. v. Gottesdienst Institut der Evang.-Luth. Kirche in Bayern, S. 10).

Zum Predigttext: Mit dem Predigttext Joh 12,20-26  folge ich der Perikopenordnung, die mir gerade in der jetzigen mich so umtreibenden Situation („Was soll ich predigen?“) eine große Hilfe ist und mich vor Polemik und Politisierung bewahrt.

Die Perikope Joh 12,20-26 gehört nach dem Prolog (1,1-18) in den großen ersten Hauptteil des Evangeliums, in dem Jesu Wirken in der Welt dargestellt wird (Joh 1,19-12,50). Zum näheren Kontext der Perikope gehört die Darstellung von Jesu letztem Paesach in Jerusalem und sein Weg ins Leiden (Joh 11,55-12,50).

In der Mitte der Perikope stehen drei (redaktionell zusammengefügte) Jesusworte (V. 24.25.26), die sich (erläuternd) an Jesu Ankündigung seiner „Verherrlichung“ (V. 23 doxasthae) anschließen: Das Gleichnis von der „Metamorphose“ des Weizenkorns, das viel Frucht (die Rettung der Welt durch Jesus) bringt (V. 24), das Wort vom „Lieben“ und „Hassen“ des eigenen Lebens um des ewigen Lebens willen (V. 25) und das Wort vom „Dienen“/von “Diakonie“ (V. 26 ean tis emoi diakonae).

Die Worte V. 25 und V. 26 lassen das Thema „Nachfolge“/“hinter-Jesus-hergehen“ (V. 26 akolouthein) anklingen; sie stellen die Jüngerschaft bzw. die nachösterliche Gemeinde Jesu, die den Kreuzestod Jesu „verarbeiten“ muss, in ebenso drastischer wie dialektischer Weise vor die existenzielle Frage ihrer eigenen Glaubens- und Lebenskonsequenz.

Dass hier nicht die Rede von einer sektiererischen Verneinung oder gar einem Wegwerfen des eigenen Lebens die Rede ist, auch nicht von einer „Leidensideologie“, einer rationalen „Verrechnung“ von Leiderfahrungen, bedarf heute der besonderen theologischen und homiletischen Reflexion im Horizont ekklesiologischer Fragen, wie wir heute ChristIn, Gemeinde, Kirche sein können. Dietrich Bonhoeffer sprach von einer Kirche, die für andere da ist (in: Widerstand und Ergebung, München 1951, S. 190-193). Ich verstehe seine Worte wie eine Umschreibung von Vv. 24-26 und als Beschreibung der „Kirche als Diakonie“ (Heinz Janssen, Brot der Liebe – Kirche als Diakonie, in: FS 150 Jahre Diakonie, Diakonisches Werk der Evangelischen Kirchengemeinde Heidelberg, 1998, 8-12). Im Aufbau der Predigt lasse ich mich in etwa von der Form der Homilie leiten.   

Zur Exegese verweise ich neben S. Schulz, NTD 4, 5. Aufl., 1987 auf den immer noch lesenswerten Kommentar von H. Strathmann, NTD 4, 2. Auflage, 1954).

Zum Gleichnis vom Weizenkorn (V. 24) hat der zeitgenössische Schweizer Pfarrer und Künstler Henri Lindegaard vier Meditationsbilder geschaffen (in: Henri Lindegaard, Biblische Kontraste. Meditationen in Bild und Wort, Freiburg i.Br. 1994, S. 102-109). Ich möchte die Meditationsbilder in die Predigt einbeziehen und per Overheadprojektor projizieren; dazu spreche ich abwechselnd mit einem/einer Sprecher/-in die kurzen von H. Lindegaard beigefügten Texte; beim dritten Bild erklingt eine Orgelmeditation.

 

Lieder:  EG 409 Gott liebt diese Welt - EG 789.7 Bleib  mit deiner Gnade bei uns - EG 98 (= Wochenlied) Korn, das in die Erde - EG 667 Selig seid ihr - EG 421 Verleih uns Frieden gnädiglich

 

Kyrie-Psalm

Kyrie eleison

Gott, Deine Schöpfung,
die Menschen, die Tiere und die Pflanzen –
der Krieg zerstört Deinen Segen,
der Krieg entzweit,
der Krieg macht stumm,
der Krieg bringt Tod.

Kyrie eleison

Gott, Deine Wohltaten,
Deine Liebe, Wahrheit und Frieden –
wann erkennen wir Deinen Weg,
unter allen Völkern Dein Heil?

Kyrie eleison

Gott, Dein Segen,
Dein Atem, Licht und Leben –
wann wird es sein,
dass kein Volk mehr auf ein anderes
mit Waffen losgeht,
dass niemand mehr lernt,
Krieg zu führen
und auch die täglichen Kleinkriege
ein Ende haben?

Kyrie eleison

Gott, Dein guter Geist,
Deine Gebote, Dein Wille und Recht –
wann danken wir es Dir,
wann bringen Dir die Völker, alle Völker,
ungeteilte Beachtung?

Kyrie eleison

Gott, Dein Garten Eden,
die Erde, das Wasser, die Berge –
sie zu bebauen und zu bewahren
hast Du uns Menschen beauftragt.
Erhalte uns Deinen Segen,
wende Dich nicht von uns ab,
dass wir die Früchte Deines Gartens
noch ernten können
und alle Völker Freude am Leben finden
und Dir danken.

Kyrie eleison

(Heinz Janssen, nach Psalm 67 und Jesaja 2,1-5, am 7. Tag nach Kriegsbeginn)

 

 

Heinz Janssen

Pfarrer an der Providenz-Kirche in Heidelberg

und Lehrbeauftragter für Altes Testament an der J.W.Goethe-Universität in Frankfurt/M.
Providenz@aol.com


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